Landgericht Memmingen:
Urteil vom 11. August 2010
Aktenzeichen: 2HK O 515/10, 2HK O 515/10

(LG Memmingen: Urteil v. 11.08.2010, Az.: 2HK O 515/10, 2HK O 515/10)

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Memmingen vom 15.04.2010 wird aufgehoben. Der Antrag des Verfügungsklägers vom 29.03.2010 wird zurückgewiesen.

II. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Verfügungskläger macht als betroffener Aktionär gegen die Verfügungsbeklagte einen Unterlassungsanspruch geltend. Hierzu hat er im Beschlussweg eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Memmingen vom 15.04.2010 erwirkt, wonach es der Verfügungsbeklagten bei Meidung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft untersagt wurde,

ohne Vorliegen einer wirksamen Ermächtigung den Rückerwerb ihrer Aktien zu betreiben (Bl. 14 € 16 d. A.).

Nach Widerspruchseinlegung streiten die Parteien darüber, ob die einstweilige Verfügung zu Recht erging.

DerVerfügungsklägerbringt vor:

Die Verfügungsbeklagte betreibe ihre Umwandlung von der Aktiengesellschaft in eine GmbH. Hierzu unterbreite sie, obwohl Ermächtigungen im Sinne von § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG aus den Hauptversammlungen 2007 und 2008 zeitlich abgelaufen sind, an bestimmte Aktionäre Aktienrückkaufangebote, wie sie durch das Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 17.03.2010 (Anl. AS 3) und die eidesstattlichen Versicherungen vom 28.03.2010 (Anl. AS 1) und vom 09.04.2010 (AS 4) belegt seien.

Es liege ein auf verbotene Einlagenrückgewähr gerichtetes und damit die Vermögensinteressen des Verfügungsklägers beeinträchtigendes Handeln vor und eine Kompetenzverletzung der Rechte der Hauptversammlung, deren Mitglied der Verfügungskläger sei. Zur Abwehr sei der Erlass der einstweiligen Verfügung geboten, zumal ein anderer effektiver Rechtsschutz nicht möglich sei.

Der Verfügungskläger beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 15.04.2010 aufrecht zu erhalten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Memmingen vom 15.04.2010 aufzuheben und den Verfügungsantrag vom 29.03.2010 zurückzuweisen.

DieVerfügungsbeklagtebestreitet unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung (Anl. AG 1, Bl. 32 d. A.),

nach Ablauf der früheren Ermächtigungen noch Rückkaufangebote erteilt bzw. einen Rückerwerb durchgeführt zu haben. Das unter Anl. AS 3 vorgelegte Angebot sei versehentlich mit dem Briefkopf der Verfügungsbeklagten erstellt worden; tatsächlich unterbreite derzeit nur die Mehrheitsaktionärin, die ... Erwerbsangebote, was auch in der Hauptversammlung 2010 von der Verfügungsbeklagten ausdrücklich klargestellt worden sei. Es drohe daher kein Rückerwerb durch die Verfügungsbeklagte.

Für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch fehle eine Anspruchsgrundlage, da § 71 AktG kein Schutzgesetz sei und es einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Aktionärs nicht gebe. Dieser sei € zusammen mit anderen Aktionären € auf die in § 148 AktG geregelte Klagemöglichkeit (Ersatzanspruch gegen den Vorstand) beschränkt.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die dazu vorgelegten Anlagen Bezug genommen. Das Verfahren ist durch Beschluss des Landgerichts München I vom 30.03.2010 an das Landgericht Memmingen verwiesen worden (Bl. 9 d. A.).

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 15.04.2010 ist aufzuheben und der Verfügungsantrag zurückzuweisen, weil die Kammer unter Berücksichtigung der eingeschränkten Klagemöglichkeiten des einzelnen Aktionärs, die sich bei Eingriffen in die Mitgliedschaftsrechte ergeben, vorliegend einen Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers verneint. Bei Verstößen gegen § 71 Abs. 1 AktG findet ein Individualschutz des einzelnen Aktionärs grundsätzlich nicht statt.

1. Die Kammer geht davon aus, dass die Verfügungsbeklagte unzulässig den Rückerwerb ihrer Aktien angeboten hat. Anders ist das unter Anlage AS 3 vorgelegte Schreiben vom 17.03.2010 nicht zu verstehen. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Erwerbsangebot der ..., das versehentlich auf Geschäftspapier der Verfügungsbeklagten gedruckt wurde, wie die gebrauchten Formulierungen unmissverständlich aufzeigen. Demnach bot die Verfügungsbeklagte im Hinblick auf ihre angeblich kurz bevorstehende Umwandlung in eine GmbH und eine jetzt noch gegebene Vermarktbarkeit der Gesellschaftsanteile den Ankauf der Aktien an. Auch die eidesstattliche Versicherung vom 09.04.2010 (Anl. AS 4) bestätigt, dass die Verfügungsbeklagte eigene Rückkaufangebote unterbreitete.

172. §§ 57 und 71 AktG, gegen die somit verstoßen wurde, stellen allerdings für den Verfügungskläger keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar und eröffnen nicht ein Vorgehen nach §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB. Das hängt damit zusammen, dass die §§ 57 und 71 AktG der Kapitalerhaltung und dem übergreifenden Schutz aller Aktionäre und Gläubiger, nicht hingegen dem Schutz des einzelnen Aktionärs und Gläubigers dienen. Als Sanktion sieht § 71 c Abs. 1 AktG dementsprechend eine Veräußerungspflicht für unzulässig erworbene Aktien vor. Solche Aktien sind gegen Rückzahlung des Entgelts zurückzugewähren. Scheitert eine Rückgängigmachung, so löst dies einen Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand und ggfls. Aufsichtsrat aus, für den eine Klagebefugnis der Gesellschaft und auch € unter den Voraussetzungen des § 148 AktG € einer qualifizierten Aktionärsminderheit (aber nicht des Verfügungsklägers alleine) besteht (vergleiche Hüffer, 9. Aufl., § 71 AktG, RNr. 24; Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 71 AktG RNr. 343).

183. Es kann auch nicht ausnahmsweise eine € bei schwerwiegenden Eingriffen in Rechte und Interessen eines Aktionärs in Betracht kommende € allgemeine Klagemöglichkeit des Aktionärs und insoweit die Befugnis zur Realisierung vorbeugenden Rechtsschutzes bejaht werden.

19Dafür fehlt schon eine Darstellung, in welchem Umfang es ohne eine Ermächtigungsgrundlage durch Aktienrückkauf zu Einschnitten in die Unternehmensstruktur gekommen sein soll oder solche Eingriffe bevorstehen. Für die Verfügungsbeklagte wurde mit der eidesstattlichen Versicherung vom 02.06.2010 (Bl. 32 d. A.) in Abrede gestellt, dass über die in der Hauptversammlung 2007 erteilte Ermächtigung hinaus irgend ein Rückerwerb erfolgte. Unter den gegebenen Umständen kann daher von (bevorstehenden) gravierenden und irreversiblen Eingriffen in die Mitgliedschaftsrechte des Verfügungsklägers nicht ausgegangen werden.

20Ein unzulässiger Rückerwerb müsste rückgängig gemacht werden, hierzu stehen Auskunfts- und letztlich Schadensersatzansprüche zur Verfügung. Die aktienrechtliche Haftungssystematik sieht aber in solchen Fällen einen klagbaren individuellen Unterlassungsanspruch nicht vor.

4. Kostenentscheidung: § 91 Abs. I ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.






LG Memmingen:
Urteil v. 11.08.2010
Az: 2HK O 515/10, 2HK O 515/10


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