Landesarbeitsgericht Köln:
Urteil vom 8. November 2011
Aktenzeichen: 11 Sa 1410/09

(LAG Köln: Urteil v. 08.11.2011, Az.: 11 Sa 1410/09)

Der Bürger darf darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden, insbesondere dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Daran hat sich durch den Erlass der PUDLV nichts geändert (vgl.: z. B.: BGH Beschluss vom 20.05.2009 – IV ZB 2/08 -; BPatG München, 26 W (pat) 79/10; Zöller/Greger, 27. Auflage, § 233 ZPO Rdn. 23 "Postverkehr" jew. m. w. N.).

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Aachen – 5 Ca 2574/09 d – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das Arbeitsgericht Aachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Vergütungsforderung.

Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Teilurteil vom 06.11.2009 (Bl. 36 ff. d. A.) den verspäteten Einspruch des Beklagten zu 2) gegen das Teilversäumnisurteil vom 28.07.2009, wonach der Beklagte zu 2) verurteilt wurde, an den Kläger 2.191,84 € nebst Zinsen zu zahlen, unter Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte zu 2) schuldhaft die Einspruchsfrist versäumt habe, weil er trotz hoher Unsicherheitsquote auf die Postlaufzeiten nach der Postuniversaldienstleistungsverordnung vom 15.12.1999 (PUDLV) vertraut habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Gegen das ihm am 13.11.2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 2) am 08.12.2009 Berufung eingelegt und diese unter dem 05.01.2010 begründet.

Der Beklagte zu 2) wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er dürfe als Bürger auf die Postlaufzeiten der D AG vertrauen.

Der Beklagte zu 2) beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 06.11.2009 – 5 Ca 2574/09 d – aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht Aachen zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zu 2) zurückzuweisen.

Der Kläger rechtfertigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und führt ergänzend aus, der Beklagte zu 2) habe die Verzögerung des Eingangs des Einspruchsschreibens auch deshalb zu vertreten, weil er das Schreiben mit der falschen Postleitzahl adressiert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Gründe

I. Die Berufung des Beklagten zu 2) ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung hat in der Sache Erfolg, denn das Arbeitsgericht hat zu Unrecht den nach den §§ 234, 236 ZPO form- und fristgerechten Wiedereinsetzungsantrag abschlägig beschieden. Dem Beklagten zu 2) war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn er war ohne sein Verschulden verhindert, die Einspruchsfrist gegen das das Teilversäumnisurteil vom 28.07.2009 einzuhalten (§ 233 ZPO). Die Begründung des Arbeitsgerichts zu einer schuldhaften Fristversäumnis hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Entgegen den Ausführungen des Klägers hat der Beklagte zu 2) den verspäteten Eingang des Einspruchs nicht deshalb zu vertreten, weil er das Einspruchsschreiben fälschlich mit der Postleitzahl 5 versehen habe. Der Originalbriefumschlag (Bl. 22 d. A.) weist die zutreffende Postleitzahl des Arbeitsgerichts Aachen, PLZ 5 , aus. Lediglich der für die Beförderung nicht maßgebliche Einlieferungsbeleg enthält handschriftlich die unzutreffende Postleitzahl.

2. Das Arbeitsgericht hat die Anforderungen an das Maß erforderlicher Sorgfalt im Rahmen des § 233 ZPO überspannt.

a) Nach ständiger und überzeugender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und der anderen Obersten Gerichtshöfe dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die D AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der D AG für den Normalfall festgelegt werden. Im Verantwortungsbereich einer Partei, die einen fristgebundenen Schriftsatz auf dem Postweg befördern lässt, liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der D AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Das gilt selbst dann, wenn - etwa vor Feiertagen - allgemein mit erhöhtem Postaufkommen zu rechnen ist. Daran hat sich durch den Erlass der PUDLV nichts geändert. Danach sind die regelmäßigen Postlaufzeiten sogar als Mindeststandards verbindlich vorgegeben. Nach § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV müssen die D AG und andere Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80% am ersten und zu 95% am zweiten Tag nach der Einlieferung ausliefern. Diese Quoten lassen die Einhaltung der Postlaufzeiten erwarten. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (vgl.: z.B.: BGH Beschl. v. 20.05.2009 - IV ZB 2/08 -; BPatG München, 26 W (pat) 79/10; Zöller/Greger, 27. Auflage, § 233 ZPO Rdn. 23 "Postverkehr" jew. m.w.N.).

b) Da der Beklagte zu 2) das Einspruchsschreiben noch am Samstag, den 08.08.2009, bei der D als Einwurfeinschreiben aufgegeben hatte, durfte er nach den dargelegten Rechtsprechung darauf vertrauen, dass dieses am nächsten Werktag - Montag, den 10.08.2009 - beim Arbeitsgericht eingehen würde, womit die mit dem 10.08.2009 ablaufende einwöchige Einspruchsfrist des § 59 Satz ArbGG gewahrt worden wäre.

c) Das Urteil des Arbeitsgerichts war daher nach § 538 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 6 ZPO aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

III. Die Entscheidung über die Kosten der Berufung hat das Arbeitsgericht zu treffen.

IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen

Weyergraf Fuchs Gerhardt






LAG Köln:
Urteil v. 08.11.2011
Az: 11 Sa 1410/09


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