Amtsgericht Hohenschönhausen:
Beschluss vom 25. Oktober 2007
Aktenzeichen: 14 C 16/06

(AG Hohenschönhausen: Beschluss v. 25.10.2007, Az.: 14 C 16/06)

Tenor

In Sachen ... wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Juli 2007 auf die Erinnerung der Klägerin aufgehoben. Das Gericht überträgt die Entscheidung dem Rechtspfleger, der unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung des Gerichts neu zu entscheiden hat.

Die Kosten des gem. § 11 Abs. 4 RPflG gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens hat die Beklagte nach einem Wert von bis zu 600,00 EUR zu tragen.

Gründe

Da der Beschwerdewert des § 567 Abs. 2 ZPO nicht erreicht ist, ist die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden.

I.

Die Erinnerung ist begründet, da sich die Verfahrensgebühr durch die Anrechung der Geschäftsgebühr verringert und dies bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen ist.

1. Bis der Gesetzgeber sich eine Vereinfachung zum Ziel gemacht hat und im Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGB. I Nr. 21, S. 718 ff.) die BRAGO durch das RVG ersetzt und in Vorbemerkung 3 Abs. 4 im Vergütungsverzeichnis eine neue Anrechnungsvorschrift geschaffen hat, gab es ein wesentliches Problem nicht, denn die Geschäftsgebühr war nach § 118 Abs. 2 BRAGO voll auf die spätere Prozessgebühr anzurechnen. In der Praxis wurde einfach und effektiv die (durch die Anrechung eigentlich auf Null reduzierte) Prozessgebühr in voller Höhe festgesetzt und die Frage eines prozessualen oder materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs der Geschäftsgebühr wurde nicht gestellt.

2. Nach der Reform half die Praxis sich damit, dass nunmehr in der Klage meist ein auf Verzug beruhender materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch bezüglich der Geschäftsgebühr geltend macht wurde, allerdings gegen den jetzt als eindeutig erkannten Wortlaut der neuen Anrechnungsvorschrift nur in Höhe der nach der Anrechung verbleibenden Hälfte der Geschäftsgebühr. Die Verfahrensgebühr wurde weiter in voller Höhe festgesetzt (vgl. z.B. KG, Beschluss vom 20. Juli 2005, RVGreport 10/2005, S. 392 f.). Dem hat der Bundesgerichtshof mit seiner viel zitierten und besprochenen Entscheidung vom 7. März 2007 (VIII ZR 86/06) insofern ein Ende bereitet, als er klar gestellt hat, dass sich durch die Anrechung die Verfahrensgebühr ermäßigt und nicht die Geschäftsgebühr. Gründe der Prozessökonomie gestatteten es nicht, ein Gesetz gegen seinen klaren Wortlaut anzuwenden. Infolge der Entscheidung wird nur regelmäßig die volle Geschäftsgebühr neben der Hauptforderung mit der Klage geltend gemacht (wie Hansens dies schon zuvor empfohlen hatte, vgl. RVGreport 4/2007, S. 121 ff.).

3. Hieraus folgt nur die hier zu entscheidende Rechtsfrage: Ist im Kostenfestsetzungsverfahren weiter die volle Verfahrensgebühr festzusetzen (wie KG, a.a.O.) oder nur die nach der Anrechung reduzierte Verfahrensgebühr. Neue, den BGH berücksichtigende, obergerichtliche Entscheidungen oder Literaturmeinungen liegen hierzu bislang offenbar nicht vor. Jungbauer hatte zuvor ganz folgerichtig vertreten, dass wenn man sich streng an Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG hielte (so jetzt der BGH), man die volle Geschäftsgebühr einklagen müsse mit der Folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nur noch die reduzierte Verfahrensgebühr geltend gemacht werden könne (Jungbauer, Rechtsanwaltsvergütung, 4. Auflage, Beispiel in Rdnr. 1413). Am differenziertesten setzt sich Bischof mit der Frage auseinander (Bischof u.a., Kompaktkommentar RVG, 2. Auflage 2007, Vorbem. 3 VV, Rdnr. 99 ff., Nr. 3100 VV, Rdnr. 55 ff.) und bezeichnet es als €das Problem der Novelle€. Er zitiert den BayVGH (JurBüro 2006, 77), der kurz und knapp und zutreffend entschieden hat, der Wortlaut dieser Vorschrift sei eindeutig und keiner Auslegung zugänglich. Aus ihr ergebe sich klar, dass die Verfahrensgebühr und nicht die Geschäftsgebühr zu kürzen sei.

4. Dagegen sind die anderen Konstruktionen der herrschenden Meinung, die dieses aus dem nicht zu Ende gedachten Gesetz (Bischof a.a.o., Rdnr. 103) folgende Ergebnis nicht billig findet (vgl. Bischof, Rdnr. 104 ff. mit zutreffender und lesenswerter Kritik), allesamt mit dem klaren Gesetzeswortlauf nicht zu vereinbaren und also zu verwerfen.

5. Hansens meint (RVGreport 4/2007, S. 122 m.w.N.), eine Kürzung der Verfahrensgebühr in der Kostenfestsetzung um den anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr werde allgemein abgelehnt, weil der Gegner andernfalls nur deshalb entlastet würde, weil die erstattungsberechtigte Partei sich vorgerichtlich durch denselben Rechtsanwalt hat vertreten lassen wie im nachfolgenden Rechtsstreit. Dieses Argument überzeugt allerdings nicht, weil es sich hierbei lediglich um eine grundsätzlich gewollte gesetzliche Folge handelt. In der Gesetzesbegründung heißt es: € Künftig soll die Gebühr nach Absatz 4 der Vorbemerkung grundsätzlich zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75,angerechnet werden. Sind in derselben Angelegenheit mehrere Geschäftsgebühren entstanden, soll die zuletzt entstandene angerechnet werden. Die Begrenzung der Anrechnung trägt dem Umstand Rechnung, dass in Nummer 2400 VV RVG-E nur noch eine einheitliche Gebühr mit einem weiten Rahmen für die vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts vorgesehen ist. Weitere Differenzierungen sind aus Gründen der Vereinfachung nicht mehr vorgesehen. € Eine Anrechnung ist zunächst aus systematischen Gründen erforderlich. Nach der Definition in Absatz 2 der Vorbemerkung erhält der Rechtsanwalt die gerichtliche Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information.

Der Umfang dieser anwaltlichen Tätigkeit wird entscheidend davon beeinflusst, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst war. Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig war, ist nicht zu rechtfertigen.

Die Anrechnung ist aber auch erforderlich, um eine außergerichtliche Erledigung zu fördern. Es muss der Eindruck vermieden werden, der Rechtsanwalt habe ein gebührenrechtliches Interesse an einem gerichtlichen Verfahren. Dieses Interesse kollidiert zwangsläufig mit dem Bestreben einer aufwandsbezogenen Vergütung. Diesen unterschiedlichen Interessen wird die vorgeschlagene Anrechnungsregel gerecht .€ (BT-Drs. 15/1971, S. 209). Es dürfte sich hierbei wohl um eine Frage der Schadensminderungspflicht handeln, d.h. wer keine sachlichen Gründe für die Beauftragung eines weiteren Anwalts hat, muss sich, da er Anspruch auf Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr hat, bei der materiellrechtlichen Geltendmachung der Geschäftsgebühr eine Gegenforderung als Schadensersatzanspruch anrechnen lassen mit dem Ergebnis, dass nur eine reduzierte Geschäftsgebühr tituliert werden kann. Dies allerdings nur, wenn der Gegner entsprechend aufmerksam ist bzw. vorsorglich die dolo-petit -Einrede erhebt. Eine einfachere bzw. prozessökonomischere Lösung ist im Hinblick auf den eindeutigen Wortlauf des Gesetzes nicht möglich. Hierbei scheint es sich allerdings um ein in der Praxis kaum relevantes Problem zu handeln, denn fast immer wird der Prozessanwalt auch vorher mit der Sache befasst gewesen sein.

6. Für eine andere Begründung, die Anrechnungsregel solle lediglich das Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts beschränken, das dieser seinem Auftraggeber gegenüber geltend machen kann, sie bezwecke jedoch nicht, den Auftraggeber des Rechtsanwalts dadurch zu belasten, dass er die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Gebühren von der erstattungspflichtigen Gegenseite nicht in vollem Umfang erstattet bekomme (vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2006, RVGreport 8/2006, S. 311), findet sich im Gesetz keine Stütze. Es besteht nicht nur kein Bedürfnis, sondern kein Anspruch darauf, dass etwas als zu erstatten festgesetzt wird, das nicht in der Höhe angefallen ist. Und dass es (nämlich die volle Verfahrensgebühr) nicht angefallen bzw. später zum Teil weggefallen ist, ergibt sich eindeutig aus der Anrechnungsvorschrift. Dieser Ansatz würde im übrigen zu weiteren Schwierigkeiten führen: Da nicht mehr erstattet werden muss, als angefallen ist, wäre eine Zwangsvollstreckung zunächst der vollen Geschäftsgebühr aus dem entsprechenden Ausspruch als Nebenforderung im Urteil und anschließend aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss (mit der darin voll berücksichtigten Verfahrensgebühr) arglistig und also unzulässig. Soll hier jede erstattungspflichtige Partei ggf. auf eine Vollstreckungsabwehrklage verwiesen werden€ Ob es sich hierbei überhaupt um zulässige Einwendungen im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO handelt, ist zweifelhaft, denn die Gründe, auf denen sie beruhen, sind ja nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden. Auch hieraus folgt, dass es nicht richtig sein kann, sehenden Auges einen Titel zu schaffen, der in der Höhe nicht besteht.

7. Auch die vom BGH abweichende und davor ergangene Entscheidung des Kammergerichts vom 2. Juli 2005 (RVGreport 10/205, S. 392 f.) ist nicht so zu verstehen, dass die volle Geschäftsgebühr und die volle Verfahrensgebühr von der erstattungsberechtigten Partei verlangt werden können, obwohl der Rechtsanwalt im Innenverhältnis weniger bekommt. Das Kammergericht führt aus: € Das Kostenfestsetzungsverfahren bietet der obsiegenden Partei die Möglichkeit, auf einfache Weise einen vollstreckbaren Titel gegen die unterlegene Partei auf Ersatz der ihr durch den Rechtsstreit entstandenen Kosten zu erlangen. Bei Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr von der festzusetzenden Verfahrensgebühr, wäre die obsiegende Partei darauf angewiesen, außergerichtlich die volle Geschäftsgebühr gegen die unterlegene Partei geltend zu machen und diese eventuell erneut einzuklagen, weil die auf der Grundlage von Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses entstandene Geschäftsgebühr nicht im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden kann€. Hieran ist nach der Entscheidung des BGH richtig, dass die obsiegende Partei in der Tat darauf angewiesen ist, außergerichtlich bzw. außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens aber im vorangegangenen Rechtsstreit (oder hinterher separat) die volle Geschäftsgebühr geltend zu machen. Konsequenterweise kann sie dann aber bei der Kostenfestsetzung nicht mehr die volle Verfahrensgebühr verlangen. Aus der auf einer falschen Prämisse beruhenden Überlegung des Kammergerichts ergibt sich jedenfalls, dass es nicht davon ausgeht, die obsiegende Partei könne von der unterlegenen Partei mehr erstattet verlangen, als sie ihrem Rechtsanwalt zahlen muss.

8. Dass die Geschäftsgebühr nicht festgesetzt werden kann, sondern ggf. als materiellrechtlicher Schadensersatzanspruch geltend zu machen ist, hat der BGH nun in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgestellt (bei Juris Randnummer 12) und damit den kreativen Lösungsvorschlag des LG Deggendorf (JurBüro 2006, 83, vgl. Bischof, a.a.O., Nr. 3100 VV, Rdnr. 60) verworfen.

II.

Da bislang nur feststeht, dass bei dem Beklagtenvertreter eine 1,3 Geschäftsgebühr angefallen ist (vgl. Schriftsatz vom 5. Juli 2007, Bl. 254 d.A.), nicht aber, wie es sich hierzu seitens der Klägervertreter verhält und für die Kostenausgleichung die Anwaltskosten beider Parteien zu berücksichtigen sind, ist eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich. Es ist vielmehr noch eine Erklärung der Klägervertreter erforderlich und einzuholen, ob ihnen von der Klägerin eine Geschäftsgebühr zusteht und ggf. in welcher Höhe. Deshalb wird von der Möglichkeit nach §§ 11 Abs. 2 S. 4 RPflG i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung dem Rechtspfleger zu übertragen, Gebrauch gemacht.

Im übrigen dürfte es praktikabel sein, bei Kostenfestsetzungsanträgen entsprechend der Situation zur Vorsteuerabzugsberechtigung immer Angaben dazu zu verlangen, ob und ggf. in welcher Höhe die Geschäftsgebühr angefallen ist, um daraus ermitteln zu können, in welcher verbleibenden Höhe die Verfahrensgebühr festgesetzt werden kann. Und dies nicht nur, wenn der Gegner der Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr widerspricht. Denn wer ohne weitere Angaben die volle Verfahrensgebühr beim Kostenfestsetzungsantrag ansetzt, erklärt damit eigentlich konkludent, dass diese auch in voller Höhe angefallen und keine Geschäftsgebühr anzurechnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 ZPO.






AG Hohenschönhausen:
Beschluss v. 25.10.2007
Az: 14 C 16/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7492fb2f59a2/AG-Hohenschoenhausen_Beschluss_vom_25-Oktober-2007_Az_14-C-16-06




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share