Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Dezember 2010
Aktenzeichen: 15 W (pat) 313/06

(BPatG: Beschluss v. 09.12.2010, Az.: 15 W (pat) 313/06)

Tenor

Das Patent 103 31 888 wird widerrufen.

Gründe

I.

1. Auf die am 14. Juli 2003 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patentund Markenamt das Patent 103 31 888 mit der Bezeichnung

"Elastisches Belagmaterial mit verbesserten Flammschutzeigenschaften sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung"

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung in Form der DE 103 31 888 B4 ist der 10. November 2005.

Das Streitpatent umfasst 21 Patentansprüche, wovon die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 17 bis 21 folgenden Wortlaut haben:

"1. Elastisches Belagmaterial, dadurch gekennzeichnet, dass es als Flammschutzmittel in Mengen von 0,01 bis 40 Gew.%, bezogen auf das Gesamtgewicht des elastischen Belagmaterials, ein Phosphinsäuresalz der Formel (I) und/oder ein Diphosphinsäuresalz der Formel (II) und/oder deren Polymere

(I)

(II)

worin R1, R2 gleich oder verschieden sind und C1-C6-Alkyl, linear oder verzweigt und/oder Aryl; R3 C1-C10-Alkylen, linear oder verzweigt, C6-C10-Arylen, -Alkylarylen oder -Alylalkylen; M Mg, Ca, Al, Sb, Sn, Ge, Ti, Zn, Fe, Zr, Ce, Bi, Sr, Mn, Li, Na und/oder K; m 1 bis 4; n 1 bis 4; x1 bis 4 bedeuten, enthält, wobei es sich bei dem elastischen Belagmaterial um Linoleum, Polyvinylchlorid, Kautschuk-Gummi-Kombinationen, Kork oder um Polymere auf Polyurethan und/oder Styrol-Butadien-Latex-Basis handelt.

17.

Verfahren zur Herstellung eines elastischen Belagmaterials mit Linoleum, dadurch gekennzeichnet, dass teiloxidiertes Leinöl während 0,01 bis 100 h bei 30 bis 300¡C mit Kolophonium zu Linoleumzement geschmolzen wird und dann das Linoleumzement mit organischem und/oder anorganischem Füllstoff, Pigmenten und Flammschutzmittel gemischt, anschließend mit einer Stachelwalze (Kratzer) gekörnt und mit einem Kalander bei 10 bis 150¡C auf ein Trägermaterial gepresst und danach bei 30 bis 300¡C über 1 bis 1000 h getrocknet wird.

18.

Verfahren zur Herstellung eines elastischen Belagmaterials nach Anspruch 12, dadurch gekennzeichnet, dass Polyvinylalkohol, Plastifizierungsmittel, anorganische (mineralische) Füllstoffe und Flammschutzmittel und ggf. weitere Zusätze gemischt, zu Bahnen gewalzt und zu einem Granulat mit Teilchengrößen von 0,1 bis 10 mm zerkleinert werden, das bei 100 bis 300¡C geschmolzen und in einer Walze auf eine Unterstützungsschicht aufgewalzt und zugeschnitten wird.

19.

Verfahren zur Herstellung eines elastischen Belagmaterials nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass Kautschuk, Füllstoffe, Flammschutzmittel und ggf. weitere Zusätze bei 100 bis 300¡C während 0,01 bis 100 h gemischt und anschließend vulkanisiert werden.

20.

Verfahren zur Herstellung eines elastischen Belagmaterials nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass organisches Bindmittel und organische Füllstoffe (Korkgranulat) mit einer Korngröße von 0,1 bis 10 mm mit einem Vernetzungskatalysator vermischt und dann mit dem Flammschutzmittel bei erhöhter Temperatur von 30 bis 300¡C innerhalb von 0,01 bis 100 Stunden und erhöhtem Druck (1-200 t) verdichtet und die erhaltenen Blöcke in Platten geschnitten werden.

21.

Verfahren zur Herstellung eines elastischen Belagmaterials nach Anspruch 16, dadurch gekennzeichnet, dass Kunststoffmasse (Latex), anorganische (mineralische) Füllstoffe und das Flammschutzmittel bei Temperaturen von 20 bis 300¡C gemischt werden und die entstandene Latexmischung auf einen Teppichrücken aufgegossen und gegebenenfalls eine weitere Deckschicht aufgebracht wird.

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 16 in der erteilten Fassung wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

2. Gegen das Patent hat die Armstrong DLW AG, 74321 Bietigheim-Bissingen, mit Schriftsatz vom 9. Februar 2006, eingegangen am 9. Februar 2006 beim Deutschen Patentund Markenamt, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen sowie hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Die Einsprechende stützt sich auf folgende Entgegenhaltungen:

E1 DE 103 21 479 A1 E2 Produktinformationsblatt der Firma Clariant zu "Flame Retardants": Eloxit OP 930, Edition 25.04.2005 E3 WO 03/052196 A1 E4 EP 1 024 167 A1 E5 EP 1 024 168 A1 E6 WO 02/081812 A2 E7 GB 835 693 A E8 GB 418 467 A.

In der mündlichen Verhandlung nimmt sie als Beleg für das Fachwissen Bezug auf E9 Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Auflage, 1976, Verlag Chemie, Weinheim, Band 12, Seiten 24 und 25, Stichwort: Fußbodenbeläge E10 Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, 1956, Verlag Urban & Schwarzenberg, München, Band 7, Seiten 718 bis 723, Stichwort: Fußbodenbeläge.

Begründet wird der Einspruch damit, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der E1 und dem fachmännischen Allgemeinwissen, belegt durch E2, nicht mehr neu (§ 3 PatG) und daher nicht patentfähig sei. Darüber hinaus beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der E3 i. V.m. E2 oder der E3 in Kombination mit E4 bzw. E5 oder der E6 i. V. m. E4 bzw. E5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Des Weiteren seien auch die Gegenstände der Patentansprüche 17 bis 21 nicht patentfähig, da die Herstellungsverfahren der elastischen Belagsmaterialien aus dem genannten Stand der Technik bekannt seien und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten (vgl. Einspruchsschriftsatz vom 9. Februar 2006).

3. Die Patentinhaberin hat dem Einspruchsvorbringen im Schriftsatz vom 21. April 2010 widersprochen und beantragt, das Patent unverändert in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Sie führt aus, der Gegenstand des Patentes sei neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er für den Fachmann durch den von der Einsprechenden herangezogenen Stand der Technik nicht nahegelegt sei.

Auf die Terminsladung vom 29. Juli 2010 zur mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 19. November 2010 mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und um Entscheidung nach Aktenlage bitte.

4. In der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2010 ist die Patentinhaberin nicht erschienen. Mit dem erschienenen Vertreter der Einsprechenden wurde die Sachund Rechtslage erörtert.

Der Vertreter der Einsprechenden stellt den Antrag, das Patent vollumfänglich zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat schriftsätzlich den Antrag gestellt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren I und BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II sowie BGH GRUR 2009, 184 - Ventilsteuerung).

Der fristund formgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig, weil im Einspruchsschriftsatz die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen so angegeben sind, dass die Merkmale des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung im konkreten Bezug zum genannten Stand der Technik gebracht wurden. Die Patentinhaberin und der Senat haben daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).

Der zulässige Einspruch hat in der Sache Erfolg und führt zum Widerruf des Patents.

III.

1. Nach den Angaben in der Streitpatentschrift Absatz [0001] betrifft das Streitpatent ein elastisches Belagmaterial mit verbesserten Flammschutzeigenschaften sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung.

Im Absatz [0003] ist ausgeführt, dass Bodenbeläge auf Linoleum-Basis sowie Verfahren zu deren Herstellung seit langem bekannt seien. Nachteilig bei den bekannten Bodenbelägen sei deren kritisches Brandverhalten, da Linoleum nur mit Schwierigkeiten die Baustoffklasse B1 (Brandprüfung nach DIN 4102 T 14, "Radiant Flooring Panel Test") erreiche.

Zum druckschriftlichen Stand der Technik nennt die Streitpatentschrift in den Absätzen [0004] und [0005] zunächst die WO 02/081812 A2, die sowohl Bodenbeläge auf Linoleum-Basis, als auch auf Kork-Basis beschreibe. Diese Bodenbeläge umfassten mindestens ein Flammschutzmittel, das aus der Gruppe der expandierbaren Graphite ausgewählt sei. Wie in Absatz [0006] angegeben wird, könne Graphit als Flammschutzmittel wegen der geringen Eigenhelligkeit entweder nicht in der Nutzschicht eingesetzt werden oder der Anwender müsse eine dunkle Eigenfärbung des Materials in Kauf nehmen. Diese nachteilige dunkle Färbung könne dabei je nach Herstellungsverfahren auch als Jaspeartige Struktur auftreten.

Hellere Farben seien ohne den übermäßigen Einsatz von Weißpigmenten nicht möglich. Weiter schildert die Streitpatentschrift in den Absätzen [0007] und [0008], dass expandierbare Graphite erhebliche Anteile an Intercalationsverbindungen enthielten, die das Aufblähen im Brandfall gewährleisteten. Häufig seien dies Schwefelsäure, Essigsäure oder Salpetersäure mit Gehalten bis zu 8 Gew.-%. Werde ein derartiger expandierbarer Graphit im Polymer eingesetzt, könne in feuchter Atmosphäre oder bei Staunässe ein erheblicher Anteil an saurem Elektrolyt ausgewaschen werden. Dies könne in der Umgebung des Bauteils zu erheblicher Korrosion führen, z. B. im Falle von Beton und Schwefelsäure zu Betonkorrosion und bei elektrischen Bauteilen zu Kupferkorrosion. Im Brandfall könne es dazu noch zur Bildung gefährlicher Dämpfe, wie Essigsäure, Schwefeldioxid, Schwefeltrioxid oder nitroser Gase, kommen.

Des Weiteren nennt die Streitpatentschrift in Absatz [0009] die WO 03/052196 A1, die den Flammschutz von Linoleum mit Phosphor enthaltenden Flammschutzmitteln aus der Gruppe Phosphat, Phosphit, Phosphonat und organisch substituiertem Phosphonat beschreibe. Diese Substanzen seien anorganischer Natur und könnten ausgelaugt werden, entsprechend sei ihre Wirkung als Flammschutzmittel schwach. Sie wiesen auch eine relativ hohe Elektrolyt-Freisetzung auf.

Ferner verweist die Streitpatentschrift in Absatz [0010] auf die WO 97/39053 A1, die synergistische Kombinationen von Phosphinsäuresalzen und stickstoffhaltigen Verbindungen für den Einsatz in thermoplastischen Polymeren beschreibe. Elastische bzw. elastomere, gummiartige, vernetzte Polymere seien dort nicht genannt. Nach Absatz [0011] sei es schließlich aus der EP 0 006 586 A1 bekannt, Thermoplaste mit N-Basen-Addukten von Phosphinsäuren und Phosphonsäuren oder Gemischen von N-Basen und Salzen von Phosphinsäuren und Phosphonsäuren flammwidrig einzustellen.

2.

Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift in Absatz [0012] als zu lösendes technisches Problem, einen Belag bereitzustellen, der die vorgenannten Nachteile des Standes der Technik vermeidet und der ein deutlich verbessertes Brandverhalten im Vergleich zum Stand der Technik aufweist. Gleichzeitig soll das eingesetzte phosphororganische Flammschutzmittel einen hohen Weißgrad und einen geringen Anteil an löslichem Elektrolyten aufweisen.

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der erteilte Patentanspruch 1, nach Merkmalen gegliedert, ein

(I)

(II)

M1 elastisches Belagmaterial, M2 das als Flammschutzmittel in Mengen von 0,01 bis 40 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht des elastischen Belagmaterials, M2.1 ein Phosphinsäuresalz der Formel (I) und/oder ein Diphosphinsäuresalz der Formel (II) und/oder deren Polymere enthält, M2.2 worin R1, R2 gleich oder verschieden sind und C1-C6-Alkyl, linear oder verzweigt und/oder Aryl; R3 C1-C10-Alkylen, linear oder verzweigt, C6-C10-Arylen, -Alkylarylen oder -Alylalkylen; M Mg, Ca, Al, Sb, Sn, Ge, Ti, Zn, Fe, Zr, Ce, Bi, Sr, Mn, Li, Na und/oder K; m 1 bis 4; n 1 bis 4; x1 bis 4 bedeuten, M3 wobei es sich bei dem elastischen Belagmaterial um Linoleum, Polyvinylchlorid, Kautschuk-Gummi-Kombinationen, Kork oder um Polymere auf Polyurethan und/oder Styrol-Butadien-Latex-Basishandelt.

Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist also ein elastisches Belagmaterial mit einem Gehalt eines Phosphinsäuresalzes der Formel I und/oder eines Diphosphinsäuresalzes der Formel II und/oder deren Polymere als Flammschutzmittel. Dass dieses elastische Belagmaterial nicht ausschließlich die vorstehend genannten Komponenten als Flammschutzmittel enthalten muss, ergibt sich aus der Formulierung des Merkmals M2.1 mit "enthält" sowie aus Absatz [0022] der Streitpatentschrift. Dort heißt es, dass das Flammschutzmittel bevorzugt weiterhin Salze und Ester der Orthokieselsäure und deren Kondensationsprodukte, Silikate, Zeolithe und Kieselsäuren, Glas-, Glas-Keramik oder Keramik-Pulver; Magnesiumhydroxid, Hydrotalcite, Magnesium-Carbonate oder Magnesium-Calcium-Carbonate; Zinkoxid, Zinkstannat, Zinkhydroxystannat, Zinkphosphat, Zinkborat oder Zinksulfide; Aluminiumhydroxid oder Aluminiumphosphat enthält.

Des Weiteren versteht das Streitpatent unter einem elastischen Belagmaterial (Merkmal M1) ein Material auf Basis von Linoleum, Polyvinylchlorid, KautschukGummi-Kombinationen, Kork oder Polymere auf Polyurethan und/oder Styrol-Butadien-Latex-Basis (Merkmal M3), wobei gemäß den Ausführungen in den Absätzen [0027], [0074] bis [0076] und [0083] bis [0086] sowohl thermoplastische Kunststoffe als auch Elastomere zum Einsatz kommen können.

4. Als zuständiger Fachmann ist ein Chemiker der Fachrichtung Polymerchemie anzusehen, der aufgrund seiner Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung, etwa in der Entwicklungsabteilung eines einschlägigen Unternehmens, über fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der elastischen Belagmaterialien verfügt und zugleich mit den Problemen und Anforderungen an solche Materialien bzw. Werkstoffe vertraut ist, weshalb er auch spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet des Brandschutzes, insbesondere der Verbesserung von Flammschutzeigenschaften von Werkstoffen, besitzt. Sein Fachwissen schließt deshalb auch Kenntnisse von üblichen Flammschutzmitteln für polymere Werkstoffe ein.

IV.

1.

Gegen die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche bestehen keine Bedenken. Die erteilten Ansprüche 1 bis 21 finden ihre Grundlage in den Ursprungsunterlagen gemäß DE 103 31 888 A1, dort in den Ansprüchen 1 bis 6, 10, 13 bis 17 und 19 bis 28.

2.

Die Frage der Neuheit der den Patentansprüchen 1 bis 21 zugehörigen Gegenständen und Herstellungsverfahren kann dahinstehen, weil der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sowie das Herstellungsverfahren des Patentanspruchs 17 zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmannes beruhen, wie nachfolgend dargelegt ist.

3.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechende ist der Auffassung, das patentgemäße elastische Belagmaterial ergebe sich dem Fachmann unter Berücksichtigung der gemeinsam betrachteten Druckschriften E3 und E4 zumindest als nahegelegt, zumal Aufgabe und Lösung mit denen des angegriffenen Patents übereinstimmten.

Diesem Standpunkt kann beigetreten werden.

Den nächstkommenden Stand der Technik repräsentiert der aus dem Dokument WO 03/052196 A1 (E3) hervorgehende Bodenbelag (Merkmal M1) auf Linoleumoder Korkbasis (Merkmal M3) mit verbesserten Flammschutzeigenschaften (vgl. E3, Seite 2, Zeilen 3 bis 6). Hierzu schlägt die E3 vor, als Flammschutzmittel (Merkmal M2) mindestens eine Phosphorenthaltende Verbindung om eomer ;emge vpm bos ui 20 Gew-%. bezogen auf die Menge der Nutzschicht, in Form einer flüssigviskosen Lösung, Suspension oder Dispersion zu verwenden (vgl. E3, Ansprüche 1 und 8). Ausgewählt wird die Phosphorenthaltende Verbindung vorzugsweise aus der Gruppe Phosphat, Phosphit, Phosphonat, organisch substituiertes Phosphonat und Gemischen davon (vgl. E3, Anspruch 2).

Insoweit sind von dem Dokument E3 zwar allgemein phosphorbasierte Flammschutzmittel umfasst, jedoch ist der E3 - zumindest wörtlich - ein Phosphinsäuresalz der beanspruchten Art nicht zu entnehmen, vielmehr bezieht E3 vorzugsweise nur Phosphat, Phosphit und Phosphonat ein, so dass im Sinne der BGH-Entscheidung "Olanzapin"(GRUR2009, 382) mit der erfindungsgemäßen Auswahl von Phosphinsäuresalz als Phosphorenthaltendes Flammschutzmittel hier kein selbstverständliches, von einem Fachmann "mitgelesenes Merkmal" gesehen werden kann.

Allerdings gilt nach der BGH-Entscheidung "Chrom-Nickel-Legierung" (GRUR 1992, 842) das den Gehalt des Flammschutzmittels im Gesamtgewicht des elastischen Belagmaterials betreffende Merkmal M2.1, wonach dieses in Mengen von 0,01 bis 40 Gew.-% eingesetzt wird, bereits als vom Offenbarungsumfang der E3 mit umfasst, da dort das Phosphorenthaltende Flammschutzmittel in einer Menge von bis zu etwa 20 Gew.-%, bezogen auf die Menge der Nutzschicht, eingesetzt wird (vgl. E3, Ansprüche 1 und 8).

Folglich unterscheidet sich der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des angegriffenen Patents von dem in der Druckschrift E3 offenbarten Gegenstand lediglich darin, dass als phosphorhaltiges Flammschutzmittel Phosphinsäuresalze der Formel I und/oder Diphosphinsäuresalze der Formel II und/oder deren Polymere (Merkmal M2.2) anstelle der in E3 beschriebenen Phosphorenthaltenden Verbindungen verwendet werden.

Der Bodenbelag nach diesem Stand der Technik löst wie das Streitpatent die Aufgabe, einen Belag auf Linoleumoder Korkbasis bereitzustellen, der ein deutlich verbessertes Brandverhalten im Vergleich zu im Stand der Technik bekannten Linoleumoder Kork-Bodenbelägen aufweist (vgl. E3. S-2, Abs. 2). Nicht wörtlich angesprochen ist in der E3 die weitere Teilaufgabe des Streitpatents, dass das eingesetzte phosphororganische Flammschutzmittel einen hohen Weißgrad und einen geringen Anteil an löslichen Elektrolyten aufweisen soll.

Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch diese Teilaufgabe beispielsweise durch Verwendung von organisch substituierten Phosphonaten als phosphorhaltiges Flammschutzmittel durch die technische Lehre gemäß Dokument E3 bereits gelöst wird, eine derartige Übereinstimmung in den bestimmten Eigenschaften ist dann jedoch nicht planmäßig, sondern eher zufällig. Dagegen sieht das Streitpatent eine planmäßig bestimmte Auswahl an phosphorhaltigem Flammschutzmittel zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe vor.

Die Überlegungen des mit der Weiterentwicklung der aus dem Stand der Technik bekannten elastischen Belagmaterialien betrauten Fachmannes setzen naturgemäß bei der Analyse dessen an, was bei vorhandenen Lösungen als nicht zufriedenstellend oder verbesserungswürdig empfunden wird. Infogedessen ging es dem Fachmann bei der Weiterentwicklung der aus dem Dokument E3 bekannten Flammschutzmittel für elastische Belagmaterialien objektiv nur darum, ein Flammschutzmittel bereitzustellen, das keine dunkle, sondern eine helle Eigenfärbung hat (vgl. Streitpatentschrift Absatz [0006]), das weiter keinen hohen Elektrolytanteil aufweist, der ausgewaschen werden kann, und die Bildung gefährlicher Dämpfe im Brandfall vermeidet (vgl. Streitpatentschrift Absätze [0007] bis [0009]).

Der Fachmann, der sich in der Praxis vor allem mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet der elastischen Belagmaterialien beschäftigt und selbstverständlich den Stand der Technik auf seinem Spezialgebiet kennt, wird bei der Verwirklichung dieser Zielvorstellungen sich zunächst bekannten Flammschutzmitteln zuwenden, die in anderen elastischen polymeren Werkstoffen verwendet werden. Hierbei wird er die EP 1 024 167 A1 (E4) in Betracht ziehen, weil dort spezielle phosphorbasierte polymere Flammschutzmittel beschrieben sind (vgl. E4, Absätze [0001] und [0007]), die thermisch stabil und unter den üblichen Herstellungsund Verarbeitungsbedingungen für thermoplastische Polymere nicht flüchtig sind (vgl. E4, Absatz [0047]). Nachdem das Streitpatent unter einem "elastischen Belagmaterial" auch thermoplastische Polymere subsumiert, hat die E4 für den Fachmann also einen vielversprechenden Einstieg in seine Problemstellung dargestellt (BGH, GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger).

Die E4 offenbart eine Flammschutzmittel-Kombination für thermoplastische Kunststoffe, die als Komponente A ein Phosphinsäuresalz der Formel I und/oder ein Diphosphinsäuresalz der Formel II und/oder deren Polymere enthält,

(I)

(II)

worin R1, R2 gleich oder verschieden sind und C1-C6-Alkyl, linear oder verzweigt und/oder Aryl; R3 C1-C10-Alkylen, linear oder verzweigt, C6-C10-Arylen, -Alkylarylen oder -Alylalkylen; M Ca, Al, und/oder Zn-Ionen; m 2 oder 3;

n 1 oder 3;

x 1 oder 2 bedeuten, und als Komponente B eine synthetische anorganische Verbindung und/oder ein mineralisches Produkt enthält (vgl. E4, Anspruch 1). Die Komponente A wird in einer Menge von 1 bis 30 Gew.-% und die Komponente B in einer Menge von 0,1 bis 10 Gew.-%, jeweils bezogen auf die Kunststoffmasse, eingesetzt (vgl. E4, Anspruch 19).

Die in E4 beschriebenen Phosphinsäuresalze der Formel I und/oder Diphosphinsäuresalze der Formel II und/oder deren Polymere sind also mit den im angegriffenen Streitpatent offenbarten phosphorhaltigen Verbindungen identisch (Merkmal M2.2). Allerdings werden gemäß E4 die Phosphinsäuresalze nicht allein, sondern in Kombination mit synthetischen anorganischen Verbindungen und/oder mineralischen Produkten eingesetzt, um in den Polymeren einen effektiven Flammschutz zu gewährleisten (vgl. E4, Absatz [0062]).

Als anorganische oder mineralische Produkte nennt die E4 im Wesentlichen Substanzen (vgl. E4, Absätze [0014]-[0016], [0018], [0019], [0030]-[0037]), die auch im Absatz [0022] der Streitpatentschrift aufgelistet sind. Insofern ergibt sich bezüglich der Auswahl des Flammschutzmittels gemäß der Merkmale M2 bis M2.2 eine vollständige Übereinstimmung mit E4, da auch die Bemessungen von Komponente A mit 1 - 30 Gew.-% und Komponente B mit 0,1 - 10 Gew.-% liegen im Gesamtmengenbereich von 0,1 - 40 Gew.-% (Merkmal M2.1).

Die E4 nennt als geeignetes thermoplastisches Polymer u. a. Polyamid, Polyester und Acrylnitril-Butadien-Styrol (=ABS) (vgl. E4, Ansprüche 17 und 18). Polymere aus diesen Gruppen sind auch im Absatz [0074] der Streitpatentschrift genannt, z. B. Acrylonitril-Butadien-Styrol, Polyvinylacetat und Nylon.

Des Weiteren wird in E4 zusätzlich hervorgehoben, dass die Flammschutzkombinationen je nach Art des verwendeten Polymeren und der gewünschten Eigenschaften in verschiedener physikalischer Form angewendet werden können. So können die Phosphinsäuresalze z. B. zur Erzielung einer besseren Dispersion im Polymeren zu einer feinteiligen Form vermahlen werden. Falls erwünscht, können auch Gemische verschiedener Phosphinsäuresalze eingesetzt werden (vgl. E4, Absatz [0046]).

Die vorstehend aufgeführten vorteilhaften Eigenschaften der Flammschutz-Kombinationen für Thermoplaste legen es dem Fachmann nahe, diese auch in elastischen Belagmaterialien vorzusehen, um einen effektiven Brandschutz zu erreichen. Bei Kenntnis der E4 lag es daher für den Fachmann auf der Hand, die aus E4 bekannten Phosphinsäuresalze auch in elastischen Belagmaterialien wie u.a. Linoleum oder Kork zu erproben und auf die gewünschten Eigenschaften zu untersuchen. Da es sich bei den Phosphinsäuresalzen um polymere Substanzen handelt, konnte er erwarten, dass diese nur einen geringen Anteil an löslichen Elektrolyten aufweisen. Ebenso konnte er feststellen, dass diese Phosphinsäuresalze helle Färbungen ergeben bzw. einen hohen Weißgrad aufweisen, denn gleiche Stoffe müssen auch zu gleichen Wirkungen führen.

In solchen Fällen beruht die beanspruchte Lehre auch dann nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn der Stand der Technik für die damit zugleich erreichte Verbesserung der Lösung einer weiteren Problemstellung, wie hier hoher Weißgrad und geringe Elektrolytfreisetzung, wörtlich keine hinreichende Anregung vermittelt hat (vgl. BGH GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger).

Das elastische Belagmaterial gemäß angegriffenem Patentanspruch 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Was den Gegenstand des unabhängigen Verfahrensanspruches 17 anbelangt, der die Herstellung eines elastischen Belagmaterials mit Linoleum betrifft, so unterscheidet sich dieser nicht von üblichen Verfahren, wie sie bereits in Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie gemäß E9, Seite 24, linke Spalte, vorletzter Absatz bis Seite 25, linke Spalte, Absatz 2, oder E10, Seite 720, letzter Absatz bis Seite 723, Absatz 2, beschrieben sind. Zwar findet sich hier kein Hinweis auf die Verwendung von Flammschutzmitteln, jedoch liegt die stoffliche Zusammensetzung des Linoleums mit den zu erzielenden Eigenschaften im Ermessen des Fachmanns, zumal ihm aus der E3 bekannt ist, dass die Zugabe von phosphorbasierten Flammschutzmitteln zu "drastisch verbesserten" Flammschutzeigenschaften im Vergleich zu einem herkömmlichen Linoleum-Bodenbelag ohne Flammschutzmittel bei ansonsten im Wesentlichen gleich bleibenden Eigenschaften führt (vgl. E3, Seite 12, letzter Absatz).

Auch der Verfahrensanspruch 17 hat daher mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.

5. Die Unteransprüche 2 bis 16 sowie die Verfahrenansprüche 18 bis 21 fallen mit dem Patentanspruch 1, auf den sie mittelbar oder unmittelbar rückbezogen sind, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten, da die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung eines Patents erkennbar nur im Umfang des Anspruchssatzes in der erteilten Fassung begehrt hat (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

Die Patentinhaberin hat unter Beibehaltung ihres Antrages auf unveränderte Aufrechterhaltung des Patents und durch Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass sie an dem weiteren Verfahren nicht mehr - wie an sich erforderlich - mitwirken wolle, sondern dass dieses umgehend zum Abschluss gebracht werden soll. Die Patentinhaberin hat sich damit einer weiteren Erörterung der Sachund Rechtslage, die ihr durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (PatG § 91 Abs. 1 i. V. m. ZPO § 139) eingeräumt worden ist, entzogen, so dass entsprechend der Aktenlage - wie geschehen - zu beschließen war.

Das angegriffene Patent war daher zu widerrufen.

Feuerlein Schwarz Angele Zettler Lange Richterin Schwarz-Angeleist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert F. Feuerleinprö






BPatG:
Beschluss v. 09.12.2010
Az: 15 W (pat) 313/06


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