Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. November 2008
Aktenzeichen: 19 W (pat) 13/08

(BPatG: Beschluss v. 19.11.2008, Az.: 19 W (pat) 13/08)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 05 B des Deutschen Patentund Markenamts vom 28. November 2007 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G 05 B -hat die am 7. Juli 2004 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Simulation einer technischen Anlage" eingereichte Anmeldung durch Beschluss vom 28. November 2007 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In dem (einzigen) Prüfungsbescheid vom 27. Februar 2007 hat die Prüfungsstelle zunächst ausgeführt, dass der Anspruch 1 u. a. nicht gewährbar sei, weil sein Gegenstand, soweit klar im Sinne § 34 (3) 3 PatG, nicht als Erfindung im Sinne des § 1 PatG angesehen werden dürfe.

Zur Begründung verweist die Prüfungsstelle auf die Druckschrift (3) (Martinez et. al., IEEE Military Communications Conference, Bd. 1, 13-16 Okt. 2003, 469 -474), wobei sie einen Merkmalsvergleich zwischen dem Wortlaut des Anspruchs 1 und dem Stand der Technik nach dieser Druckschrift durchführt. Die Prüfungsstelle kommt dann zu dem Ergebnis, dass die logische Verknüpfung der Steueranweisungen mit den Austauschobjekten auf den fest vorgegebenen Protokollregeln der Komponenten der technischen Anlage basieren würde. Diese fest vorgegebenen Regeln in Programmen für Datenverarbeitungsanlagen zu implementieren, dürfe nach § 1 (3) 3 PatG nicht als Erfindung angesehen werden. Die Anwendung derartiger Protokollsimulatoren für reale technische Anlagen lehre u. a. die Druckschrift (4) (US PS 5 826 060).

Weiterhin führt die Prüfungsstelle aus, Anspruch 8 (offensichtlich ist Anspruch 10 gemeint) sei nicht gewährbar, da Ansprüche auf Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche der Patentfähigkeit entgegenständen. Computerprogramme würden in jeder Gestalt, also selbstverständlich auch als Computerprogrammprodukt, durch das Urheberrecht geschützt. Das Urheberrechtsgesetz regele die aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse und ihre Beschränkungen grundsätzlich abschließend, gleichwohl, ob es sich um ein Sprachwerk wie das Focus-Magazin (BGH I ZR 117/00), ein Datenbankwerk (BGH I ZR 1/02) oder ein den Sprachwerken gleichgestelltes Computerprogramm als handelbares Produkte handele. Gleiches gelte für Anspruch 9 (offensichtlich ist Anspruch 11 gemeint).

Mit Eingabe vom 13. November 2007 legt die Anmelderin neue Ansprüche 1 bis 10 vor, wobei sie meint, den Ansprüchen 9 und 10 würden die ursprünglichen Ansprüche 10 und 11 zugrunde liegen.

Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Simulation eines Energieversorgungsnetzes (1) mit steuernden Stationsleitstellen, bestehend aus mindestens zwei Komponenten, die über eine reale Schnittstelle (3) miteinander verbunden sind und zwischen denen ein Austausch von Austauschobjekten über die reale Schnittstelle (3) erfolgt, wobei der Austausch der Austauschobjekte zwischen den Komponenten (2a, 2b) an der realen Schnittstelle (3) in Form von Datenprotokollen protokolliert wird, bei welchem Verfahren ebenfalls Steueranweisungen an die über die reale Schnittstelle (3) verbundenen Komponenten als Steuerungsprotokolle protokolliert werden, dadurch gekennzeichnet, dass auf der Grundlage der Datenund Steuerungsprotokolle eine virtuelle Schnittstelle als Abbild der realen Schnittstelle (3) erzeugt wird, und nachfolgend die Komponenten (2a, 2b) des Energieversorgungsnetzes (1) nur bezüglich des Zusammenhangs zwischen Steueranweisungen und dem Austausch von Austauschobjekten über die verbindende reale Schnittstelle (3) repräsentiert und mittels der virtuellen Schnittstelle (4) damit simuliert werden."

Der nebengeordnete Patentanspruch 9 lautet:

"Computerprogrammprodukt zur Simulation eines Energieversorgungsnetzes, das auf einem computerlesbaren Medium gespeichert ist und Instruktionen aufweist, die betreibbar sind, um folgende Schritte durchzuführen: Protokollierung des Austauschs von Austauschobjekten zwischen den Komponenten eines Energieversorgungsnetzes (1) über eine reale Schnittstelle (3) in Form von Datenprotokollen, wobei ebenfalls die Steueranweisungen der über die reale Schnittstelle (3) verbundenen Komponenten (2a, 2b) als Steuerungsprotokolle protokolliert werden; Erzeugung einer virtuellen Schnittstelle (4) auf der Grundlage der Datenund Steuerungsprotokolle als Abbild der realen Schnittstelle (3); Simulation der Komponenten (2a, 2b) des Energieversorgungsnetzes (1) nur bezüglich ihres Austausches von Austauschobjekten über die virtuelle Schnittstelle (4)."

Der Anspruch 10 lautet (mit unklaren Rückbezügen):

"Computerprogrammprodukt nach Anspruch 10 zur Durchführung der Schritte nach einem der Ansprüche 2 bis 9."

Hinsichtlich Anspruch 1 erläutert die Anmelderin, warum ihrer Meinung nach der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung (3) neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Mithin seien dann alle auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche patentfähig. Hinsichtlich der Definition eines Datenverarbeitungsprogramms als solches (§ 1 Abs. 3, Abs. 4 PatG) verweist sie auf die BGH-Entscheidungen "Elektronischer Zahlungsverkehr" und "Suche fehlerhafter Zeichenketten", wonach darauf abzustellen sei, ob die beanspruchte Lehre Anweisungen enthalte, die der Lösung des konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln diene. Ferner sei nach der ständigen Rechtsprechung (19 W (pat) 61/03) ein Computerprogramm mit einem Programmcode zur Durchführung eines technischen Verfahrens ebenfalls schutzfähig. Der Gegenstand der vorgelegten Patentansprüche als Simulation eines Energieversorgungsnetzes sei ein konkretes technisches Problem, das von einem Entwicklungsingenieur für Energieversorgungsnetze als entsprechendem technischen Fachmann mit entsprechenden technischen Mitteln gemäß den kennzeichnenden Teilen der Ansprüche 1 und 9 gelöst werde.

In ihrem - ohne weiteren Bescheid ergangenen -Beschluss vom 28. November 2007 stellt die Prüfungsstelle unter Abschnitt II. fest, dass die geltenden Ansprüche 9 und 10 der Patentfähigkeit nach § 1 Abs. 4 PatG entgegenstehen würden.

Sie führt hierzu aus, dass die Ansprüche 9 und 10 ein Computerprogrammprodukt beanspruchten. Zur Definition des Begriffes "Computerprogrammprodukt" führt sie Balzert, H. "Lehrbuch der Software-Technik" als Stand der Technik in das Verfahren ein. Hieraus folgert sie, dass es sich bei einem Softwareprodukt um die aus Kundenoder Auftraggebersicht gewünschte Funktionalität handele, also um Wunschansprüche, für die sich nach der Rechtspraxis des 20. Senats des BPatG die Patentierung verbiete. Die Prüfungsstelle stellt fest, dass die Bejahung von Technizität nicht für die Patentfähigkeit ausreiche. Aus § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG würden sich vielmehr zusätzliche Erfordernisse ergeben.

Die Simulation eines Energieversorgungsnetzes lasse kein konkretes Problem erkennen. Die gewünschte Simulation von Komponenten eines Energieversorgungsnetzes sei aber als Problemstellung nicht ausreichend konkret. Die Prüfungsstelle führt dann aus, wenn dem Merkmal im Anspruch 9 "Protokollierung des Austausches von Austauschobjekten zwischen den Komponenten eines über eine reale Schnittstelle in Form von Datenprotokollen" ein konkretes und zugleich technisches Problem zugrunde liegen würde, was die Prüfungsstelle nicht erkennen könne, läge diese Protokollierung für den Fachmann immer auf der Hand. Die weiteren Anweisungen der Ansprüche 9 und 1 mit 10 ermöglichten keine Aussage darüber, ob eine Bereicherung der Technik vorliege, denn sie listeten nur die gewünschte Funktionalität auf und müssten außer Betracht bleiben. Diese Argumentationslogik des 20. Senats des BPatG würde vorliegend eine Patentierung der Ansprüche 1, 9 und 10 nach den §§ 1 Abs. 1, 4 PatG ausschließen.

Die Prüfungsstelle führt dann weiter aus, nach BGH "Suche fehlerhafter Zeichenketten" müsse zur Untersuchung der Patentfähigkeit computerimplementierter Erfindungen nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung gefragt werden. Zum Sinn der gesetzlichen Regelung zitiert die Prüfungsstelle dann insbesondere das BVerfG, das Grundgesetz Art. 14 bzw. 20, Abs. 1 Satz 1 und 2, Urheberrecht §§ 2, 69ag, den Kommentar Schricker/Loewenheim zum Urheberrecht, das OLG Köln bzw. Hamburg, Rechtsprechung des BGH zum Urheberecht und zum Patentgesetz sowie Rechtsprechung des BPatG bzw. EPA und erläutert auf über 7 Seiten, wie aus ihrer Sicht Computerprogramme unter Schutz gestellt werden müssten, ohne weiter im Einzelnen auf die Merkmale in den Ansprüchen 9 und 10 einzugehen. Unter anderem nimmt die Prüfungsstelle auf das Haber-Bosch-Verfahren zur Ammoniaksynthese als technisches Verfahren Bezug, um den Sinn haarspalterischer Unterscheidungen in den Anspruchsformulierungen deutlich und damit rechtssicher greifbar zu machen, insbesondere hinsichtlich Begriffen wie "Computerprogrammprodukt", "computerlesbares Medium" oder "Programmcode zur Durchführung". Im Hinblick auf die Entscheidung des BGH - "Suche fehlerhafter Zeichenketten" -sei zu berücksichtigen, dass auch bei der Auslegung nicht einzig der Wortlaut eines isolierten Satzes bindend sei, sondern - wie auch bei jeder Gesetzesauslegung - neben der grammatischen Auslegung selbstverständlich auch die historische, systematische und teleologische Auslegung herangezogen werden müsse. Zudem gelte zu allererst der in Art. 20 GG bestimmte Gesetzesvorrang. BGH "Suche fehlerhafter Zeichenketten" sei in teleologischer Auslegung offenbar nicht von der Patentfähigkeit des dort angemeldeten Verfahrens ausgegangen, hätte dies aber im Zuge der Debatte um computerimplementierte Erfindungen selbst noch nicht kategorisch ausschließen wollen und spräche von "kann ... patentiert werden" und nicht von "muss". Hinter diesem Hintergrund würde sich besagte Aussage zur positiven Patentfähigkeit in historischer Auslegung stark relativieren.

Die Prüfungsstelle führt weiter aus, mit "juristischen Spitzfindigkeiten" (Melullis in "Einige ausgewählte Probleme des Patentrechts aus deutscher Sicht" Sonderausgabe ABI EPA 2007, Seite 184, Absatz 2) zu fordern, dem Wortlaut dieses isolieren Satzes uneingeschränkt zu folgen und den entgegenstehenden Wortlaut des Gesetzes dabei ignorieren zu müssen, rühre an den Grundfesten des in Art. 20 GG festgeschriebenen Rechtsstaatsprinzips. Dieser Forderung dürfe in systematischer Auslegung folglich nicht entsprochen werden.

Die Prüfungsstelle kommt in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis, aufgrund dieser Überlegungen verbiete es sich für die Prüfungsstelle, eigenmächtig und ohne vom Gesetzgeber explizit dazu ermächtigt zu werden, Eigentumsrechte an Computerprogrammprodukten wie den in den Ansprüchen 9 und 10 beanspruchten in Form eines Patents zu vergeben, da Inhalt und Schranken von Patentund Urheberrechtsschutz vom Gesetzgeber so Grund verschieden gestaltet worden seien; insbesondere verbiete sich die Patentierung der geltenden Patentansprüche 9 und 10 gemäß § 1 Abs. 4 PatG.

Abschließend stellt die Prüfungsstelle in ihrem Beschluss unter Punkt III fest, die Anmelderin lege die einschlägige Rechtsprechung in ihrer Eingabe vom 13. November 2007 völlig anders und im krassen Widerspruch zu den Urteilen der Urheberrechtssenate aus. Da solche Widersprüche nur zwischen den beiden BGH-Senaten I und X oder durch den GSZ, nicht aber auf Verwaltungsebene des DPMA geklärt werden könnten, sei die Fortführung der Prüfung nicht mehr geboten und die Anmeldung nach § 48 PatG zurückzuweisen.

Die Anmelderin beantragt, 1.

den Zurückweisungsbeschluss vom 28. November 2007 aufzuheben;

2.

die Patenterteilung in der zuletzt beantragten Fassung vom 13. November 2007 zu erteilen; hilfsweise 3. einen Termin für eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Zusätzlich legt die Anmelderin dem Verfahren geänderte Patentansprüche 9 und 10 zugrunde. Die Anmelderin meint, dass die Ansicht der Prüfungsstelle, ein Computerprogrammprodukt falle unter den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 i. V. m. § 4 PatG, mit einem Rechtsmangel behaftet sei. Dass die Prüfungsstelle die dem Verfahren zugrunde liegenden Patentansprüche 1 bis 8 nicht auf der Grundlage des § 1 i. V. m. § 1 Abs. 3, 4 PatG zurückgewiesen habe, lasse den Schluss zu, dass sie selbst von einem Verfahren ausgehe und dass die notwendige Technizität sowie die übrigen Patentierungsvoraussetzungen gemäß § 3 Abs. 1 und § 4 PatG für die zugrunde liegenden Patentansprüche 1 bis 8 vorliegen würden. Gemäß der ständigen Rechtsprechung (BGH-Elektronischer Zahlungsverkehr, BGH-Sprachanalyseeinheit, BPatG 19 W (pat) 61/03) sei bei gegebener Technizität eines zugrunde liegenden Verfahrens ebenfalls von einer gewährbaren Patentkategorie eines "Computerprogrammprodukts" auszugehen, wenn hierdurch formal eine Vorrichtung bezeichnet werde. Nach Artikel 27 TRIPS habe der Patentanmelder das Recht, die Erfindung auf jedwedem Gebiet -vorbehaltlich möglicher Ausschlusskriterien -als Patentanmeldung einzureichen. Insbesondere dürfe er in der Wahl der Patentkategorie nicht diskriminiert werden (Artikel 27, Abs. 1 TRIPS).

Der Hinweis der Prüfungsstelle auf das Urheberrecht gehe in der Sache fehl. Vielmehr habe der Gesetzgeber ausdrücklich ein Nebeneinander der Schutzrechtsarten Urheberrecht und Patentrecht für notwendig erachtet, da er sonst anderenfalls den § 1 Abs. 4 PatG hätte ersatzlos streichen können. Vielmehr gehe der Gesetzgeber davon aus, dass ein Computerprogramm bezüglich des Quellcodes urheberrechtlich Schutz genieße und für Verfahren, die mit technischen Mitteln ein technisches Problem lösen würden und dabei die weiteren Patentierungsvoraussetzungen erfüllen würden, gleichsam ein Patentschutz ermöglicht sein solle.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die fristund formgerecht erhobene Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und auch begründet, denn der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen, da der Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG).

1) Gemäß § 45 Abs. 2 PatG hat die Prüfungsstelle, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass keine nach §§ 1 bis 5 patentfähige Erfindung vorliegt, dies der Patentsucherin unter Angabe der Gründe mitzuteilen, d. h. die Umstände oder Gründe, auf denen die spätere Entscheidung der Prüfungsstelle beruht, sind der Anmelderin vor der Entscheidung mitzuteilen. Bereits dies hat die Prüfungsstelle unterlassen. Sie hat somit der Anmelderin das rechtliche Gehör versagt.

Im einzigen Bescheid vom 27. Februar 2007 weist die Prüfungsstelle lediglich pauschal darauf hin, dass Ansprüche auf Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche der Patentfähigkeit entgegenstehen würden, und Computerprogramme in jeder Gestalt, also selbstverständlich auch als Computerprogrammprodukt, durch das Urheberrecht geschützt würden.

Im Beschluss führt die Prüfungsstelle zur Definition von Computerprogrammprodukt die Literaturstelle Balzert, H. "Lehrbuch der Software-Technik" neu in das Verfahren ein, um hieraus Schlussfolgerungen für ihre Entscheidung zu ziehen. Im weiteren Entscheidungstext benennt die Prüfungsstelle eine Reihe von weiteren Umständen, die nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens waren, warum sie die Anmeldung zurückweist.

Diese Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Prüfungsstelle wird auch formal dadurch deutlich, dass sie in ihrem Bescheid auf lediglich 8 Zeilen pauschal angibt, warum die Ansprüche 9 und 10 nicht gewährbar seien, in ihrem Beschluss jedoch auf 9 Seiten ausführt, warum aus ihrer Sicht die Patentanmeldung zurückzuweisen sei. Dieses krasse Missverhältnis zeigt auch, dass den Anforderungen des § 45 Abs. 2 PatG nicht genüge geleistet worden ist und somit zugleich § 48 Abs. 1 i. V. m. § 42 Abs. 3 Satz 2 PatG verletzt ist.

2) Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 sind die Beschlüsse der Prüfungsstelle zu begründen.

Als Begründung genügen insbesondere nicht allgemeine Behauptungen oder in sich unklare und widersprüchliche, unverständliche und verworrene Ausführungen, die nicht erkennen lassen, welche Überlegungen bzw. Gründe für die Entscheidung maßgebend waren (vgl. Schulte PatG, 8. Aufl. § 47 Rdn. 19 bis 22; Busse PatG, 6. Aufl. § 47 Rdn. 26, 27; vgl. auch BPatG 21 W (pat) 15/05). Dies ist hier der Fall:

Die Prüfungsstelle verweist zu Beginn des Abschnitts II ihres Zurückweisungsbeschlusses darauf, dass "die geltenden Ansprüche 9 und 10 ... der Patentfähigkeit nach § 1 Abs. 4 PatG entgegen" stehen würden. Sodann beschäftigt sich die Prüfungsstelle mit dem Begriff "Computerprogrammprodukt", ohne weiter auf Einzelheiten der Anspruchsformulierung, also auf die einzelnen Merkmale in den Ansprüchen 9 und 10, im Detail einzugehen. Mit Hilfe einer neu in das Verfahren eingeführten Druckschrift folgert die Prüfungsstelle allein aus dem Begriff "Computerprogrammprodukt", dass hiermit "die aus Kundenoder Auftraggebersicht gewünschte Funktionalität unter Schutz gestellt werden soll", "schon aus der Rechtspraxis" würde sich die "Patentierung solcher Wunschansprüche verbieten". Ohne inhaltliche Untersuchung der Anspruchsgegenstände ist dies lediglich eine allgemeine Behauptung.

Auch bei den weiteren Ausführungen im Beschluss geht die Prüfungsstelle nicht auf die einzelnen Merkmale in den Ansprüchen 9 und 10 ein.

Wenn sie etwa ausführt, "Die Simulation eines Energieversorgungsnetzes" lasse "kein konkretes Problem erkennen. .... Aber selbst wenn .... zugestanden werden sollte, dass dem ein konkretes und zugleich technisches Problem zugrunde liegt .... läge diese Protokollierung für den Fachmann immer auf der Hand, ... . Die weiteren Anweisungen der Ansprüche 9 und 1 mit 10 ermöglichen keine Aussage darüber, ob eine Bereicherung der Technik vorliegt, ..." bleibt offen, ob es sich hier um Zurückweisungsgründe handeln soll, bzw. um welchen.

Im weiteren gibt der Beschluss die Meinung der Prüfungsstelle wieder, z. B. müsse zur Untersuchung der Patentfähigkeit computerimplementierter Erfindungen die Frage "nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung" gestellt werden. Dies gelte auch für den Schutz von Computerprogrammen durch das Patentgesetz einerseits und das Gesetz über Urheberrechte und verwandte Schutzrechte andererseits. Die Prüfungsstelle kommt letztlich zu dem Schluss, dass "Technische Patentprüfer ... für die Bestimmung von Inhalt und Schranken bei Computerprogrammen gesetzlich nicht zuständig sind". Welche Folge für das Patentprüfungsverfahren die Prüfungsstelle hieraus ableiten will, oder ob hierauf die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsstelle beruhen soll, bleibt offen. Die Prüfungsstelle macht z. B. Ausführungen zu einem "unbestritten technischen Verfahren, wie dem HaberBosch-Verfahren", ohne im Einzelnen darauf einzugehen, in welchem Zusammenhang dieses Verfahren zu dem anspruchsgemäßen Computerprogrammprodukt stehen soll. Weiter legt die Prüfungsstelle die BGH-Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" "historisch, systematisch und teleologisch" aus, wobei sie zum Ergebnis kommt, der Wortlaut der Entscheidung könne nicht maßgeblich sein, und zitiert Artikel 20 GG, um schließlich zu folgern: "Aufgrund dieser Überlegungen verbietet es sich für die Prüfungsstelle eigenmächtig und ohne vom Gesetzgeber explizit dazu ermächtigt zu werden, Eigentumsrechte an Computerprogrammprodukten wie den in den Ansprüchen 9 und 10 beanspruchten in Form eines Patentes zu vergeben, da Inhalt und Schranken von Patentund Urheberrechtsschutz vom Gesetzgeber so Grund verschieden gestaltet wurden."

Es handelt sich um eine verworrenen Ansammlung von Überlegungen und Feststellungen der Prüfungsstelle, die in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand der Patentansprüche 9 und 10 stehen. Die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen in logischer Gedankenführung, die zu dem Zurückweisungsbeschluss geführt haben, sind im Beschluss der Prüfungsstelle nicht erkennbar. Somit bleibt auch unklar, mit welchem Grund des Patentgesetzes und mit welcher Begründung die Zurückweisung letztendlich erfolgt ist.

3) Im Prüfungsbescheid ist ausgeführt: "Anspruch 8 ist nicht gewährbar, da Ansprüche auf Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche der Patentfähigkeit entgegenstehen. Computerprogramme werden in jeder Gestalt, also selbstverständlich auch als Computerprogrammprodukt, durch das Urheberrecht geschützt. ..... Gleiches gilt für Anspruch 9". Am Ende des Zurückweisungsbeschlusses ist ausgeführt: "Die Anmelderin legt die einschlägige Rechtsprechung in ihrer Eingabe vom 13. November 2007 völlig anders und im krassen Widerspruch zu den Urteilen der Urheberrechtssenate aus. Da solche Widersprüche nur zwischen den beiden BGH-Senaten I und X oder durch den GSZ, nicht aber auf Verwaltungsebene des DPMA geklärt werden könnten, ist die Fortführung der Prüfung nicht mehr geboten und die Anmeldung nach § 48 PatG zurückzuweisen."

Dies legt den Schluss nahe, dass als Zurückweisungsgrund ein Vorrang des Urheberrechts gemeint sein soll. Nach § 48 PatG ist dies aber kein Zurückweisungsgrund.

Die Prüfungsstelle hat bei der Zurückweisung der Anmeldung einerseits die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht beachtet bzw. die Nichtbeachtung auf eine angebliche widersprüchliche Rechtsprechungspraxis verschiedener Senate des Bundesgerichtshofs gestützt, andererseits die Auffassung vertreten, es verbiete sich für sie, eigenmächtig und ohne vom Gesetzgeber explizit dazu ermächtigt zu werden, Eigentumsrechte an Computerprogrammprodukten zu vergeben, da hierfür das Urheberrecht zu gelten habe.

Die Ausführungen der Prüfungsstelle zum "Vorrang" des Urheberrechts vor dem Patentrecht beruhen auf einem falschen Verständnis des Verhältnisses beider Materien. Das von der Prüfungsstelle selbst genannte Beispiel eines technischen Lehrbuchs belegt dies eindeutig: Würde ein Autor vor Veröffentlichung dieses Buches eine darin beschriebene Erfindung zum Patent anmelden, käme niemand auf die Idee, ihm wegen des gesetzlich bestehenden Urheberrechts am Buch ein Patent zu versagen. Einen konkreten Beleg aus der Rechtsprechung des I. Zivilsenats dazu, dass Patentschutz zu Computerprogrammprodukten wegen vorrangigen Urheberrechts ausgeschlossen sei, hat die Prüfungsstelle nicht genannt. Die von ihr zitierte Stelle zur "grundsätzlichen abschließenden Regelung des Urheberrechts" (angefochtener Beschluss Seite 8 / erster Absatz) hat die Prüfungsstelle missverstanden. Wäre ihre Auffassung zutreffend, litten alle von ihr genannten Entscheidungen des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs an dem grundsätzlichen Mangel, den Vorrang des Urheberrechts nicht beachtet bzw. zumindest nicht geprüft zu haben.

Allein schon dieser Umstand hätte die Prüfungsstelle darauf hinweisen müssen, dass eine ordnungsgemäße Prüfung der Anmeldung nicht eine unzulässige Eigenmächtigkeit dargestellt hätte, sondern Eigenmächtigkeit eher darin gesehen werden muss, diese Prüfung trotz Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung des X. Zivilsenats zu unterlassen.

III.

Die Zurückverweisung an die Prüfungsstelle erfolgt, da bisher kein geordnetes Prüfungsverfahren hinsichtlich der vorliegenden Anmeldung durchgeführt worden ist und dies einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG darstellt.

Bei der Fortführung des Prüfungsverfahrens ist die Prüfung der Patentanmeldung auf der Grundlage des Patentgesetzes durchzuführen, wobei die Prüfungsstelle die in den Entscheidungen des X. Senats des BGH und des BPatG genannten Kriterien zu Technizität, Computerprogrammen als solchen und Computerprogrammprodukten anzuwenden hat. Zur Feststellung, ob ein Computerprogramm als solches vorliegt, hat sie sich mit allen Merkmalen eines Patentanspruchs auseinanderzusetzen und festzustellen, ob ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst wird. Wenn verfahrensmäßigen Anweisungen der technische Charakter zuerkannt wird, betreffen hierauf Bezug nehmende Patentansprüche als Sachansprüche kein Computerprogramm als solches (BGH GRUR 2002, 143, 146

- Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGH GRUR 2005, 749, 753 -Aufzeichnungsträger; BPatG 19 W (pat) 61/03).

IV.

Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 80 Abs. 3 PatG ist dann veranlasst, wenn bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre und damit die Erhebung der Beschwerde sowie die Einzahlung der Beschwerdegebühr hätte vermieden werden können.

Wenn ein Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, liegt ein Grund vor, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt (siehe auch Schulte PatG, 8. Aufl. § 73 Rdn. 120 bis 141 -jeweils mit weiteren Hinweisen).

V.

Da mit der Aufhebung des Beschlusses der Prüfungsstelle dem Antrag der Anmelderin in der Hauptsache gefolgt worden ist und über eine Patenterteilung wegen des fehlerhaften Prüfungsverfahrens noch nicht zu entscheiden war, konnte die hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung unterbleiben.

Bertl Dr. Mayer Gutermuth Dr. Scholz Pü






BPatG:
Beschluss v. 19.11.2008
Az: 19 W (pat) 13/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/f26bbbf04208/BPatG_Beschluss_vom_19-November-2008_Az_19-W-pat-13-08




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