Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 6. Februar 2015
Aktenzeichen: 6 U 110/14

(OLG Köln: Urteil v. 06.02.2015, Az.: 6 U 110/14)

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 12. 6. 2014 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 64/13 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

3. Der Streitwert wird - auch für das erstinstanzliche Verfahren sowie das Beschwerdeverfahren 6 W 217/13 - wie folgt festgesetzt:

bis zum 19. 9. 2013 200.000 EUR,

danach 100.000 EUR.

Gründe

(anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO)

I.

Die Parteien vertreiben Blutzuckermessgeräte und zugehörige Teststreifen. Die Antragstellerin wendet sich gegen eine jedenfalls auf der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im Mai 2013 zum Einsatz gekommene Präsentation der Antragsgegnerin für Tablet-PCs, wobei das genaue Ausmaß des Einsatzes zwischen den Parteien streitig ist. Mit dieser Präsentation stellte die Antragsgegnerin ein von ihr vertriebenes Blutzuckermesssystem vor; unter anderem wurde dort im Zusammenhang mit einem Vergleich der konkurrierenden Produkte der Parteien eine - im Mai 2013 noch nicht veröffentlichte - NACT (North American Comparator Trial) -Studie erwähnt.

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Landgericht Köln der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 10. 6. 2013 durch einstweilige Verfügung untersagt,

"geschäftlich handelnd die Messgenauigkeit von Blutzuckermessgeräten bzw. Blutzuckerteststreifen mit dem Ergebnis der NACT-Studie zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, solange die Studie nicht so zugänglich ist, dass die durchgeführte Untersuchung und das daraus abgeleitete, in der Werbung angegebene Ergebnis nachvollzogen werden kann, insbesondere, wenn dies im Zusammenhang mit dem Vergleich mit der B.-D. Blutzuckermessgeräte bzw. B.-D.-Teststreifen betreffenden Messgenauigkeit geschieht, wie in der nachstehend eingelichteten eidesstattlichen Versicherung beschrieben:

- Grafik "Eidesstattliche Versicherung" nur in Originalentscheidung ersichtlich -

Die Antragsgegnerin hat gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt. Am 5. 9. 2013 wurde die NACT-Studie in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Daraufhin hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 19. 9. 2013 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin hat sich dieser Erklärung angeschlossen und anschließend beantragt, über die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Die Antragstellerin ist dem entgegengetreten und hat erklärt, die Aufhebung könne erst ab Ausspruch der Erledigungserklärung beansprucht werden.

Mit einem am 10. 10. 2013 verkündeten Beschluss hat das Landgericht die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens der Antragsgegnerin auferlegt und im Tenor klargestellt, dass die einstweilige Verfügung für den Zeitraum vor der Erledigungserklärung bestehen bleibe. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat der Senat mit Beschluss vom 4. März 2014 - 6 W 217/13 - (WRP 2014, 1093 = GRUR 2014, 1032) die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache insgesamt an das Landgericht zurückverwiesen, da der Rechtsstreit lediglich teilweise für erledigt erklärt worden sei. In dieser prozessualen Konstellation sei eine Entscheidung allein nach § 91a ZPO, wie sie das Landgericht getroffen habe, nicht möglich; vielmehr sei über den nicht erledigten Teil der einstweiligen Verfügung durch Urteil zu entscheiden.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht daraufhin die einstweilige Verfügung bestätigt, soweit der Rechtsstreit nicht mit Wirkung ab dem 19. 9. 2013 übereinstimmend für erledigt erklärt worden sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beanstandete Werbung sei irreführend gemäß §§ 3, 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UWG. Soweit sich die Antragsgegnerin darauf berufe, auf die NACT-Studie sei mit dem Hinweis "data on file" verwiesen worden, der branchenüblich dahingehend verstanden werde, dass die Daten bei dem Unternehmen vorhanden und dort anzufordern seien, so folge aus den vorgelegten Mitteln der Glaubhaftmachung nicht, dass dieser Hinweis im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verweis auf die NACT-Studie erfolgt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Antragsgegnerin weiter das Ziel der Aufhebung der einstweiligen Verfügung und der Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags. Das Landgericht habe über einen anderen Gegenstand als den Streitgegenstand entschieden, da die Antragstellerin beanstandet habe, dass die in Bezug genommene Studie nicht veröffentlicht sei, nicht aber den unterlassenen Hinweis auf die fehlende Veröffentlichung. Antrag und Tenor seien zu unbestimmt und nicht vollstreckungsfähig. Ferner fehle es an einer Wiederholungsgefahr; schließlich sei der Antrag rechtsmissbräuchlich. Die Antragstellerin verteidigt das Urteil.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist fernliegend. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Geltendmachung wettbewerblicher Ansprüche gemäß § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich ist (vgl. zusammenfassend Senat, GRUR-RR 2013, 466, 467 - Bach-Blüten; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 8 Rn. 4.10 ff., jeweils m. w. N.) fehlt es an jeglichem Sachvortrag. Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Umstände, die darauf hinauslaufen, die Antragstellerin habe den Sachverhalt unzutreffend vorgetragen, sind ersichtlich nicht geeignet, rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin zu belegen.

2. Das vom Landgericht ausgesprochene Verbot hält sich im Rahmen des von der Antragstellerin geltend gemachten Streitgegenstandes.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, GRUR 2011, 521, 522 - TÜV I). Der Lebenssachverhalt, der die Grundlage der Streitgegenstandsbestimmung bildet, wird durch alle Tatsachen gebildet, die bei einer vom Standpunkt der Parteien ausgehenden natürlichen Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. In Fällen, in denen sich die Klage gegen die konkrete Verletzungsform richtet, ist in dieser Verletzungsform der Lebenssachverhalt zu sehen, durch den der Streitgegenstand bestimmt wird (BGHZ 194, 314 = GRUR 2013, 401 Tz. 19, 24 - Biomineralwasser).

Im vorliegenden Fall wird der Streitgegenstand daher durch die Werbemaßnahme bestimmt, die in der in den Tenor eingeblendeten eidesstattlichen Versicherung des Zeugen C2 näher beschrieben wird. Der Umstand, dass nach der vorangestellten Verbalisierung die Antragstellerin in erster Linie beanstandete, dass die erwähnte Studie nicht veröffentlicht war, während das Landgericht die Werbemaßnahme unter dem Gesichtspunkt untersagt hat, dass es an ausreichenden Hinweisen auf die fehlende Veröffentlichung der Studie fehlte, führt aus diesem Streitgegenstand nicht heraus. Die Antragstellerin hat sich bereits in der Antragsschrift auch darauf berufen, dass die Werbung irreführend sei. Eine Irreführung besteht regelmäßig aus zwei Elementen: Einer bestimmten Äußerung und einem objektiven Sachverhalt, auf den diese Äußerung bezogen ist, wobei die Irreführung gerade darin besteht, dass der Erklärungswert der Äußerung und der Sachverhalt auseinanderfallen.

Die Irreführung kann daher immer sowohl unter dem Aspekt beanstandet werden, dass der Sachverhalt nicht mit der Äußerung übereinstimmt (hier: dass die Studie nicht veröffentlicht war), oder unter dem Aspekt, dass die Äußerung den Sachverhalt nicht zutreffend wiedergibt (hier: dass in der Werbung nicht auf die fehlende Veröffentlichung hingewiesen wurde). Dementsprechend führen aus dem Verbot irreführender Äußerungen immer zwei Wege heraus: Der Sachverhalt kann der Äußerung angepasst werden (hier: die Studie wird veröffentlicht), oder die Äußerung kann dem Sachverhalt angepasst werden (hier: in der Werbung wird auf die fehlende Veröffentlichung hingewiesen). Das ändert nichts daran, dass sich das Verbot auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt bezieht (hier: die Werbung unter Bezug auf eine unveröffentlichte Studie, ohne dass auf die fehlende Veröffentlichung hingewiesen wird).

3. Der Antrag ist hinreichend bestimmt.

a) Ein bestimmter Antrag ist erforderlich, um den Streitgegenstand und den Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) festzulegen, sowie die Tragweite des begehrten Verbots zu erkennen und die Grenzen der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft festzulegen (BGH, GRUR 2011, 521 Tz. 9 - TÜV I). Der Verbotsantrag darf daher nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der Gegner nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, GRUR 2010, 749 Tz. 21 - Erinnerungswerbung im Internet; GRUR 2011, 152 Tz. 22 - Kinderhochstühle im Internet; GRUR 2011, 539 Tz. 11 - Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; Senat, GRUR 2015, 75, 78 - 50 De-Mails inklusive). Zur Umschreibung des zu unterlassenden Verhaltens ist allerdings vielfach die Verwendung mehr oder weniger unbestimmter oder mehrdeutiger Begriffe und damit in gewissem Umfang die Vornahme von Wertungen durch das Vollstreckungsgericht bei der Prüfung eines Verstoßes nicht zu vermeiden, soll nicht wirksamer Rechtsschutz verweigert werden (BGH, WRP 2009, 1076 = GRUR 2009, 977 Tz. 22 - Brillenversorgung; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. 2015, § 12 Rn. 2.35).

b) Die Antragsgegnerin beanstandet zunächst die Formulierung "solange die Studie nicht so zugänglich ist, dass die durchgeführte Untersuchung und dass das abgeleitete, in der Werbung angegebene Ergebnis nachvollzogen werden kann", da sich daraus nicht ergebe, welche Form der Zugänglichmachung ausreichend sein solle.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist dabei unproblematisch, in welchem Ausmaß die Studie zugänglich sein muss, um aus dem Verbotstenor herauszuführen. Die Werbung mit unveröffentlichten Studien, ohne diesen Umstand offenzulegen, ist wettbewerbswidrig, da diese dem angesprochenen Fachpublikum nicht ohne weiteres zur selbstständigen Überprüfung zur Verfügung stehen (vgl. OLG Hamburg, GRUR-RR 2002, 365 f. - Quellenangaben). Diese Nachprüfung ist nur möglich, wenn die gesamte Studie zugänglich ist. Es genügt nicht, wenn nur das Studiendesign, einzelne Teile oder nur eine Zusammenfassung ("Abstract") zugänglich gemacht werden. Ebenso genügt der als Anlage AG 3 vorgelegte Text, den die Antragsgegnerin ausdrücklich als "Zusammenfassung" bezeichnet hat, nicht als Zugänglichmachen "der Studie". So fehlen zum Beispiel in der Zusammenfassung sämtliche Tabellen und grafischen Auswertungen der als Anlage AG 11 vorgelegten Studie.

Hinsichtlich des Begriffs des "Zugänglichmachens" besteht zwar ein gewisser Auslegungsbedarf. Dieser ist jedoch nicht so groß, dass er nicht im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen wäre. So ist es aufgrund des beiderseitigen Sachvortrags nicht zweifelhaft, dass die vollständige Studie zum Zeitpunkt der Werbung nicht zugänglich war, da es keine Möglichkeit gab, sich über ihren Inhalt aus öffentlich zugänglichen Quellen zu informieren. Dass dies nicht der Fall war, hat die Antragsgegnerin selber vorgetragen, da in dem Fall, dass die Studie insgesamt vorveröffentlicht worden wäre, sie von einer Fachzeitschrift nicht mehr zur Veröffentlichung angenommen worden wäre. Nur die Herausgabe einzelner Informationen gegenüber Dritten sei insoweit unschädlich gewesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Antragsgegnerin noch in der Widerspruchsbegründung vom 22. 7. 2013 (dort S. 4) auf den Standpunkt gestellt hat, sie sei nicht verpflichtet, "dem Wettbewerber eigene Studiendaten ohne Grund auf Anfrage zur Verfügung zu stellen", weshalb der Zeuge Dr. H auf eine entsprechende Anfrage seitens eines Mitarbeiters der Antragstellerin lediglich auf die bevorstehende Veröffentlichung der Studie hingewiesen habe. Die Antragsgegnerin hat daher nicht einmal auf Anfrage die Studie oder Teile daraus ohne weiteres herausgegeben. Ob diese Anfrage im Zusammenhang mit der beanstandeten Werbemaßnahme der Antragsgegnerin erfolgte, ist unerheblich; hier steht allein die "Zugänglichkeit" der Studie für den wissenschaftlichen Diskurs in Rede, die bis zu ihrer Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift nicht uneingeschränkt gegeben war.

Ebenso ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Studie nach der Veröffentlichung in einer medizinischen Fachzeitschrift zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht allgemein zugänglich war. Allein der Umstand, dass sich hypothetische Fälle konstruieren lassen, in denen es zweifelhaft sein könnte, ob die Studie "zugänglich" war, rechtfertigt es nicht, der Antragstellerin den begehrten Rechtsschutz zu versagen.

c) Unbedenklich ist ferner die Formulierung "im Zusammenhang mit einem Vergleich mit der B.-D. Blutzuckermessgeräte bzw. B.-D.-Teststreifen betreffenden Messgenauigkeit". Aus der in den Tenor als konkrete Verletzungsform eingeblendeten eidesstattlichen Versicherung wird hinreichend deutlich, dass sich die Antragstellerin gegen eine Bezugnahme auf die unveröffentlichte Studie im Zusammenhang mit einem Vergleich der Produkte der Parteien wendet. Unter welchen Bedingungen eine solche Bezugnahme ohne Hinweis darauf, dass die betreffende Studie unveröffentlicht ist, zulässig sein solle, zeigt auch die Antragsgegnerin nicht auf. Welches konkrete Produkt der Antragsgegnerin dabei beworben wird, ist unerheblich; das Charakteristische des beanstandeten Verhaltens liegt in der Werbung unter Bezugnahme auf eine unveröffentlichte Studie, ohne dies offenzulegen.

d) Schließlich führt auch die Formulierung "Messgenauigkeit von Blutzuckermessgeräten bzw. Blutzuckerteststreifen" im Tenor nicht zu dessen Unbestimmtheit. Blutzuckermessgeräte und Blutzuckerteststreifen sind zusammengehörige Produkte, die üblicherweise auch gemeinsam beworben werden. Die Antragsgegnerin weist selber darauf hin, dass "beziehungsweise" im allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung von "oder" haben kann. Aus dem Tenor der einstweiligen Verfügung wird hinreichend deutlich, dass die Antragstellerin die beanstandete Bewerbung sowohl in Bezug auf Messgeräte als auch auf Teststreifen untersagen möchte.

e) Nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass die konkrete Verletzungsform in Gestalt einer eidesstattlichen Versicherung in den Tenor eingeblendet worden ist. Dass die Antragstellerin einen Ausdruck der beanstandeten Werbung bei der hier in Rede stehenden Werbeform nicht vorlegen kann, liegt in der Natur der Sache. Ob die Mitarbeiter der Antragsgegnerin es geduldet hätten, wenn Mitarbeiter der Antragstellerin die Präsentation bei ihrer Vorführung abfotografiert oder gefilmt hätten, erscheint zweifelhaft; zumutbar war dies den Mitarbeitern der Antragstellerin jedenfalls nicht. Unüberwindliche Zweifel, welches Verhalten der Antragsgegnerin verboten ist, können bei dieser Fassung des Tenors nicht aufkommen; jedenfalls hat die Antragsgegnerin während des gesamten Verfahrens keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr bewusst war, welche Werbemaßnahme die Antragstellerin beanstandet hat. Beim Einsatz eines flüchtigen Werbemediums in individuellen Gesprächen, wie bei der hier in Rede stehenden Präsentation auf einem Tablet-PC, kann vom Anspruchsteller nicht verlangt werden, die fragliche Werbung 1:1 in seinen Antrag als konkrete Verletzungsform aufzunehmen, da sonst nicht hinzunehmende Rechtsschutzlücken entstehen würden.

Soweit die Antragsgegnerin beanstandet hat, die Formulierung "C data on file" sei in der eingeblendeten eidesstattlichen Versicherung nicht enthalten, so führt dies nicht zur Unbestimmtheit des Antrags, sondern könnte allenfalls - wegen Verfehlung der konkreten Verletzungsform - zu seiner Unbegründetheit führen (vgl. BGH, WRP 2014, 424 = GRUR 2014, 393 Tz. 47 - wetteronline.de).

f) Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin wird ihr durch die einstweilige Verfügung die beanstandete Werbung nicht in Bezug auf "jedwedes Medium" untersagt. Das Verbot bezieht sich in erster Linie auf die in der eingeblendeten eidesstattlichen Versicherung genannte Präsentation auf einem Tablet-Computer (iPad). Inwieweit Werbemaßnahmen in anderen Medien in den Kernbereich des so definierten Verbots fallen, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung.

4. Der Antrag ist auch begründet.

a) Die Werbung für Arzneimittel oder Medizinprodukte mit einer unveröffentlichten Studie, ohne auf den Umstand der fehlenden Veröffentlichung hinzuweisen, ist grundsätzlich irreführend und wettbewerblich unzulässig (§§ 3, 4 Nr. 11, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG, 3 S. 1 HWG; Gröning, Heilmittelwerberecht, Stand: Juni 2011, § 6 HWG Rn. 8, 21; Ring, in: Bülow u. a., HWG, 4. Aufl. 2012, § 6 Rn. 14; vgl. BGH, GRUR 2013, 649 Tz. 17 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil: "Die Irreführung ergibt sich vielmehr bereits daraus, dass die durch die uneingeschränkt aufgestellte werbliche Behauptung in Bezug genommene Studie selbst die Aussage nicht oder nicht uneingeschränkt trägt und der Arzt in seinem Vertrauen enttäuscht wird, die durch eine Studie angeblich wissenschaftlich belegte Aussage unmittelbar durch diese Studie überprüfen zu können, ohne gewärtigen zu müssen, dass die als Beleg aufgeführte Studie nur teilweise, mittelbar oder nur im Zusammenhang mit anderen, nicht genannten Studien (möglicherweise) valide ist und die Werbebehauptung stützen kann", Hervorhebung nicht im Original). Eine Studie, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden ist, hat im Regelfall nicht nur vor der Veröffentlichung einen Peer-Review-Prozess durchlaufen, sondern stellt sich durch die Veröffentlichung auch der wissenschaftlichen Diskussion. Sie hat daher ein höheres Maß an fachlicher Überzeugungskraft als eine Studie, die nicht veröffentlicht worden ist, selbst wenn sie in Einzelfällen an Interessierte herausgegeben wird.

b) Auch die Antragsgegnerin stellt nicht in Abrede, dass in der Präsentation mit Messergebnissen geworben wurde, für die als Quelle die NACT-Studie angegeben wurde. Dies folgt nicht nur aus der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen C2 (Anlage ASt 3), sondern auch aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Zeugin Dr. L (Anlage AG 13). Eine solche Werbung ohne ausdrücklichen und unmissverständlichen Hinweis darauf, dass die Studie noch nicht veröffentlicht ist, ist nach den vorstehenden Ausführungen irreführend. Auch die Antragsgegnerin stellt nicht in Abrede, dass die Präsentation jedenfalls gegenüber dem Zeugen C2 verwendet worden ist. In welchem Ausmaß sie sonst zum Einsatz gekommen ist, ist unerheblich, da bereits ein einmaliger Einsatz einen Verstoß darstellt und geeignet ist, die Wiederholungsgefahr zu begründen.

c) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin genügte der - seitens der Antragstellerin bestrittene - Hinweis "data on file" nicht, um für die Adressaten der Werbung hinreichend deutlich zu machen, dass es sich bei der Studie um eine unveröffentlichte Studie handelt. Es kann dabei dahinstehen, ob ein solcher Hinweis von Ärzten in diesem Sinne verstanden würde, wie es das OLG Hamburg in der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung MD 2010, 1204 = juris Tz. 81 in Erwägung gezogen hat. Auch nach dem dort wiedergegebenen Verständnis besagt der Hinweis - seinem Wortlaut entsprechend - lediglich, dass ein bestimmter "Datenbestand" bei einem Unternehmen verfügbar sei. Der vorliegende Fall betrifft dagegen eine komplette Studie (also nicht nur Daten, sondern auch deren Auswertung und Diskussion), die nicht einmal vollständig "verfügbar" (im Sinne von zugänglich) war, sondern - bis zur Veröffentlichung - allenfalls einzelnen Dritten auszugsweise zugänglich gemacht worden ist.

Die beanstandete Werbung ist (mindestens) auf der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft 2013 zum Einsatz gekommen. Mitglieder dieser Gesellschaft sind nicht nur Ärzte, sondern sie wendet sich ausdrücklich auch an Angehörige medizinischer Assistenzberufe und Studenten mit Interesse an Diabetologie (http://www.XXX.html, abgerufen am 8. 1. 2015). Dementsprechend richten sich auch die Diabeteskongresse der DDG unter anderem an "Krankenschwestern, Pflegepersonal, Podologen, Arzthelfer/-innen, Diabetesberater/-innen, Diätassistent/-innen, Diabetesassistent/-innen" (Flyer des Diabeteskongresses 2015, zugänglich unter http://www.XXX abgerufen am 8. 1. 2015). Auch die Antragstellerin hat sich darauf berufen, dass davon auszugehen sei, dass die Werbung beispielsweise gegenüber Diabetesberatern zum Einsatz komme. Es handelt sich dabei mithin um Fachkreise, bei denen gewisse medizinische Kenntnisse vorausgesetzt werden können, die aber nicht über eine abgeschlossene fachwissenschaftliche Ausbildung verfügen. Bei diesem Personenkreis kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass er die Formulierung "data on file" im Zusammenhang mit einer als Beleg herangezogenen Studie dahingehend versteht, dass es sich um eine unveröffentlichte Studie handelt, der aufgrund dieses Umstands nur eine verminderte wissenschaftliche Aussagekraft zukommt. Glaubhaft gemacht hat die Antragsgegnerin jedenfalls einen derartigen Kenntnisstand der Adressaten ihrer Werbung nicht.

Die Antragsgegnerin hat auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass bei der Werbung gegenüber Fachkreisen mit unveröffentlichten Studien dies "branchenüblich" durch die Formulierung "data on file" gekennzeichnet würde. Hierzu genügen weder die denkbar allgemeinen Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin Dr. M die vereinzelten Werbetexte (allein) der Antragstellerin aus den Jahren 2009 und 2011, die die Antragsgegnerin als Beleg für die von ihr behauptete Branchenübung vorgelegt hat. Die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit dieser Werbemittel der Antragstellerin ist an dieser Stelle nicht zu beurteilen.

Unabhängig davon wäre die Bezugnahme auf die Studie nur dann zulässig gewesen, wenn der Hinweis auf ihre fehlende Veröffentlichung so unmissverständlich und eindeutig erfolgt wäre, dass er von den Adressaten der Werbung ohne weiteres wahrnehmbar gewesen wäre. In der eidesstattlichen Versicherung ASt 3 des Zeugen C2 ist ein solcher Hinweis jedenfalls nicht erwähnt worden; ihr lässt sich vielmehr entnehmen, dass ihrem Verfasser nicht positiv bekannt war, dass die Studie nicht veröffentlicht war, da er anschließend nach ihr recherchiert hat. Der von der Antragsgegnerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Zeugin Dr. L (Anlage AG 13) lassen sich Einzelheiten zur Gestaltung der Fußnote, in der der Hinweis enthalten sein soll, nicht entnehmen. Weder wird in ihr die konkrete Darstellung der Überschrift und des zugehörigen Fußnotenzeichens wiedergegeben, noch wie der Betrachter der Präsentation zu ihr geführt wird. Bedenklich wäre es bereits (wie es die eidesstattliche Versicherung nahelegt), wenn das Fußnotenzeichen nicht direkt auf die Fußnote verweisen würde, sondern deren Text erst angezeigt würde, wenn der in der eidesstattlichen Versicherung angesprochene "Button" "Literatur" betätigt würde, wobei in der eidesstattlichen Versicherung auch keine Einzelheiten zur Ausgestaltung und Lokalisierung dieser Schaltfläche genannt werden.

Bei dieser Sachlage hätte es der Antragsgegnerin oblegen, die beanstandete Werbung dem Landgericht und dem Senat zur Beurteilung vorzulegen, um eine Überprüfung zu ermöglichen, ob der Hinweis in einer hinreichend wahrnehmbaren Form erfolgt ist. Dies ist, obwohl es vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich beanstandet worden ist (S. 5 UA), auch im Berufungsverfahren nicht geschehen. Auch wenn die Antragstellerin für die eine Irreführung begründenden Umstände grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet ist, trifft die Antragsgegnerin in der vorliegenden Konstellation, in der sie sich darauf beruft, dass eine an sich gegebene Irreführungsgefahr durch einen aufklärenden Hinweis in der nur ihr in Einzelheiten bekannten Werbung beseitigt worden sei, eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Ausgestaltung dieses Hinweises.

d) Die Wiederholungsgefahr wurde - für den Zeitraum vor der übereinstimmenden Erledigungserklärung - durch die Verletzungshandlung indiziert.

5. Die Kostenentscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Aus dem Zusammenhang der Antragsschrift wird hinreichend deutlich, dass sich die Antragstellerin von vornherein nur gegen die in der eidesstattlichen Versicherung (Anlage ASt 3) beschriebene konkrete Werbemaßnahme gewendet hat. Die Aufnahme dieser eidesstattlichen Versicherung in den Tenor, die das Landgericht in der einstweiligen Verfügung unter Hinweis auf § 938 Abs. 1 ZPO vorgenommen hat, stellt daher lediglich eine Konkretisierung des Begehrens der Antragstellerin, nicht aber eine teilweise Zurückweisung des Antrags dar, wie es das Landgericht in dem Beschluss vom 10. 6. 2013 (unter 4.) ausdrücklich klargestellt hat. Ob der so gefassten Tenor auf den Einsatz der Präsentation auf einer Messe beschränkt ist, oder ob ihre Verwendung durch einen Vertreter in einer Arztpraxis in den Kernbereich des Verbots fallen würde, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung.

6. Der Streitwert war, wie von der Antragstellerin in der Berufungserwiderung beantragt, entsprechend der Wertangabe in der Antragsschrift abweichend von der niedrigeren Festsetzung des Landgerichts bis zum 19. 9. 2013 auf 200.000 EUR, anschließend (und damit insgesamt sowohl für das Beschwerdeverfahren 6 W 217/13 als auch das Berufungsverfahren) allerdings nur auf 100.000 EUR festzusetzen.

Gemäß den §§ 51 Abs. 2 und 4 GKG, 3 ZPO ist der Gegenstandswert für das Verfahren nach der sich aus dem Antrag des Anspruchstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach billigem Ermessen zu bestimmen. Dieses Interesse wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt (BGH, GRUR 1990, 1052, 1053 - Streitwertbemessung). Einer Streitwertangabe in der Anspruchsbegründung - zu einem Zeitpunkt, in dem der Ausgang des Verfahrens noch ungewiss ist - kommt dabei indizielle Bedeutung zu (Senat, OLGR Köln 1993, 242 f.). Im vorliegenden Fall entspricht der Ansatz von 200.000 EUR der Größenordnung, in der auch der Senat in vergleichbaren Fällen den Wert festgesetzt hat (Beschluss vom 27. 2. 2013 - 6 W 41/13: 150.000 EUR für angeblich irreführende Werbung für Diabetesarzneimittel; Beschluss vom 16. 7. 2013 - 6 W 111/13: 180.000 EUR für unzutreffende Werbung mit Auszeichnungen für Blutzuckermessgeräte). Eine begrenzte Reichweite der beanstandeten Werbemaßnahme kann in diesem Zusammenhang nicht angenommen werden. Für die Festsetzung des Streitwerts ist allein auf den (streitigen) Vortrag der Antragstellerin abzustellen, nach dem die Präsentation auch durch Außendienstmitarbeiter der Antragsgegnerin in Arztpraxen eingesetzt worden sei. Eine solche Werbung wäre hinsichtlich ihrer Reichweite und ihrem Gefährdungsgrad der Werbung in einer Fachzeitschrift vergleichbar.

Allerdings führt der Umstand, dass die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht mit Wirkung ab dem 19. 9. 2013 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, zu einer Reduzierung des Streitwerts. Im - hier gegebenen - Fall der teilweisen übereinstimmenden Erledigungserklärung bestimmt sich der Streitwert allein nach dem Wert des nicht erledigten Teils des Rechtsstreits (Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 3 Rn. 16 Stw. "Erledigung der Hauptsache: Übereinstimmende Erledigungserklärung", m. w. N.). Im Hinblick darauf, dass der Rechtsstreit mit Wirkung für die Zukunft für erledigt erklärt worden ist, erscheint eine Reduzierung auf die Hälfte des ursprünglichen Streitwerts angezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.






OLG Köln:
Urteil v. 06.02.2015
Az: 6 U 110/14


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ee3a4d79a947/OLG-Koeln_Urteil_vom_6-Februar-2015_Az_6-U-110-14




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share