Verwaltungsgericht Osnabrück:
Beschluss vom 14. März 2011
Aktenzeichen: 6 B 94/10

(VG Osnabrück: Beschluss v. 14.03.2011, Az.: 6 B 94/10)

Ein Apotheker, der seinen Kunden bei Einsendung eines Rezepts über verschreibungspflichtige Arzneimittel einen Rezeptbonus gewährt, der bei der nächsten Bestellung von freiverkäuflichen Apothekenartikeln mit dem Kaufpreis verrechnet wird, verstößt unabhängig davon, wie dieses Verhalten wettbewerbsrechtlich zu qualifizieren ist, gegen die Arzneimittelpreisbindung. Zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Apothekerkammer Niedersachsen bezüglich einer von dem betroffenen Apotheker in einem anderen Bundesland betriebenen Filialapotheke.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Inhaber der C. -Apotheke in D., bei der es sich um seine Hauptapotheke handelt, sowie (u.a.) der als Filialapotheke geführten E. -Apotheke in F.. Für die letztgenannte Apotheke, die im Versand als G. -Apotheke auftritt, wurde ihm von der Antragsgegnerin am 25.04.2007 die Erlaubnis für den Versand von Arzneimitteln erteilt; die Versandtätigkeit erfolgt aus den Räumen der C. -Apotheke in D.. Im Rahmen dieser Versandtätigkeit gewährt der Antragsteller seinen Kunden seit einiger Zeit bei Einsendung eines Rezeptes über mindestens ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel einen Rezeptbonus im Wert von 3,00 €, der bei der nächsten Bestellung von freiverkäuflichen Apothekenartikeln mit dem Kaufpreis verrechnet wird; für dieses Angebot wirbt er entsprechend auf seiner Homepage.

Nachdem die Antragsgegnerin von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, untersagte sie dem Antragsteller mit Bescheid vom 16.12.2010 nach vorheriger Anhörung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, Kunden bei der Einsendung oder Abgabe eines Rezepts über verschreibungspflichtige Arzneimittel eine Prämie in Form eines sog. Rezeptbonus im Wert von 3,00 € pro Rezept anzubieten und bei der nächsten Bestellung freiverkäuflicher Artikel mit dem Kaufpreis zu verrechnen. Außerdem gab sie ihm auf, sämtliche Werbung für diesen Rezeptbonus sowie dessen Gutschrift bzw. Verrechnung bei der nächsten Bestellung einzustellen. Zur Begründung führte sie aus, dass der Antragsteller durch das Versprechen und Gewähren des streitigen Rezeptbonus gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften des § 78 Abs. 3 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) i.V.m. § 3 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verstoße, weil er für das preisgebundene Arzneimittel als solches zwar den korrekten Preis ansetze, dem Kunden mit dem Erwerb dieses Arzneimittels zugleich aber einen geldwerten Vorteil gewähre, der das Arzneimittel für diesen wirtschaftlich günstiger erscheinen lasse. Diese rechtliche Bewertung von Boni im Zusammenhang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln werde durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bestätigt. Auch der BGH habe in mehreren Entscheidungen vom 09.09.2010 die Gewährung wirtschaftlicher Zuwendungen der hier in Rede stehenden Art als Verstoß gegen die öffentlich-rechtlichen Preisbindungsvorschriften bewertet und lediglich unter dem Gesichtspunkt des Heilmittelwerberechts, das den Kunden vor einer unsachlichen Einflussnahme beim Erwerb von Heilmitteln schützen solle, gefordert, dass die im konkreten Einzelfall geltend gemachte Wettbewerbsbeeinträchtigung erheblich sein müsse; eine derartige Erheblichkeit habe er bei Zuwendungen im Wert von 1,00 € verneint. Letzteres hindere sie (die Antragsgegnerin) als die für die Überwachung der Apotheken des Antragstellers sachlich und örtlich zuständige Behörde allerdings nicht daran, auch unterhalb der wettbewerbsrechtlichen Spürbarkeitsgrenze gegen Verstöße gegen die Arzneimittelpreisbindung durch den Erlass entsprechender Untersagungsverfügungen einzuschreiten, weil nur so das mit den diesbezüglichen Vorschriften verfolgte gesetzgeberische Ziel, eine flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, erreicht werden könne. Anderweitige geeignete Maßnahmen zur Unterbindung des vorliegend festgestellten Rechtsverstoßes stünden nicht zur Verfügung. Eine unverhältnismäßige Belastung des Antragstellers liege darin ebenfalls nicht, weil er die beanstandete Werbeaktion ohne nennenswerten Aufwand sofort einstellen und seinen Versandhandel künftig wie alle übrigen rechtstreuen Berufskollegen fortsetzen könne. - Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin u. a. damit, dass es nach umfassender Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt sei, die aufschiebende Wirkung einer etwaigen Klage nicht eintreten zu lassen. Die Untersagungsverfügung sei bei summarischer Prüfung nicht offensichtlich rechtswidrig. Es handele sich um eine verhältnismäßige Maßnahme, um die anhaltende Verletzung der Preisbindung verschreibungspflichtiger Medikamente zu unterbinden. Der Gesetzgeber wolle derartige Medikamente wegen ihres höheren Gefahrenpotentials zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung vom Wettbewerb ausgenommen wissen; dieses gesetzgeberische Ziel vereitle der Antragsteller, indem er die Bestellung verschreibungspflichtiger Medikamente mit geldwerten Zuwendungen honoriere. Ein Einschreiten gegen diese gesetzeswidrige Marketingaktion sei besonders dringlich, da sich die anhaltende Verletzung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung immer mehr verfestige und den Eindruck entstehen lasse, dass die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Disposition stünden und der Wettbewerb auf diesem Sektor eröffnet sei. Dies begründe zugleich die abstrakte Gefahr einer unerwünschten Nachahmungswirkung, die sich im Übrigen in mehreren Einzelfällen bereits realisiert habe; so gebe es mittlerweile weitere niedersächsische Apothekeninhaber, die vergleichbare Prämiensysteme im Zusammenhang mit der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel anböten. Hierdurch werde der Wettbewerb nachhaltig zu Lasten der rechtstreuen Berufskollegen verzerrt, denen dadurch irreparable Umsatzeinbußen entstünden.

Der Antragsteller hat hiergegen am 27.12.2010 Klage erhoben (6 A 261/10) und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er macht geltend, dass die Antragsgegnerin für den Erlass der angefochtenen Untersagungsverfügung örtlich nicht zuständig sei. Deren Zuständigkeit beschränke sich auf die Überwachung seiner in Niedersachsen gelegenen Apotheken und die Erteilung einer Versandhandelserlaubnis für seine in Nordrhein-Westfalen gelegene Filialapotheke, während die Überwachung des Betriebes der letztgenannten Apotheke dem Gesundheitsamt H. obliege; dies gelte insbesondere auch deshalb, weil die beanstandete Tätigkeit allein durch die G. -Apotheke vorgenommen werde. Im Übrigen sei Niedersachsen das erste und bislang einzige Bundesland sei, das die Aufgabe der Aufsicht über die Apotheken der berufsständischen Apothekerkammer übertragen habe. Hierdurch werde der Antragsgegnerin, die dem Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel seit langem kritisch gegenüberstehe, im Ergebnis die Möglichkeit eröffnet, ihre berufsständischen Ziele mit vergleichsweise "einfachen" aufsichtsbehördlichen Mitteln durchzusetzen, anstatt - wie in den anderen Bundesländern - gegen den betreffenden Apotheker mit berufsrechtlichen Maßnahmen vorzugehen. Dies führe zu einer Benachteiligung der in Niedersachsen ansässigen Apotheker, weil berufsrechtliche Maßnahmen im hier interessierenden Zusammenhang nur dann in Betracht kämen, wenn ein wettbewerbsrechtlich relevanter Berufsrechtsverstoß vorliege; daran fehle es jedoch. Abgesehen davon könne die angefochtene Untersagungsverfügung ohnehin nicht auf § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG gestützt werden, weil diese Vorschrift nur Verstöße gegen das AMG selbst, insbesondere solche, die die Arzneimittelsicherheit berührten, erfasse. Die Arzneimittelsicherheit werde jedoch durch ein Abweichen von der AMPreisV oder durch entsprechende Werbung hierfür nicht beeinträchtigt; dies behaupte die Antragsgegnerin auch selbst nicht. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin ihre Untersagungsverfügung zu Unrecht allein mit einem abstrakten Verstoß gegen die AMPreisV begründet. Insbesondere treffe es nicht zu, dass der BGH in seinen Entscheidungen vom 09.09.2010 für die Erheblichkeit einer Wettbewerbsbeeinträchtigung nur auf das dem Verbraucherschutz dienende Heilmittelwerberecht abgestellt habe; vielmehr habe er es auch für einen Verstoß gegen solche Vorschriften, die - wie die AMPreisV - dazu bestimmt seien, den Preiswettbewerb unter den Apotheken zu regeln, als Voraussetzung angesehen, dass das beanstandete Verhalten geeignet sein müsse, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Insoweit hätte es dem BGH freigestanden, die spürbare Beeinträchtigung näher zu definieren, eine solche etwa schon bei jedem Verstoß gegen die AMPreisV anzunehmen. Dies habe er jedoch nicht getan, sondern darauf abgestellt, dass eine auf einem Verstoß gegen die AMPreisV beruhende spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung nur dann gegeben sei, wenn die von dem Apotheker angebotene wirtschaftliche Zuwendung den Wert erreiche, der geeignet sei, den Kunden i.S.v. § 7 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) unsachlich zu beeinflussen. Wollte man dies anders sehen, liefe die Regelung des § 7 HWG im Ergebnis leer; die Gewährung geringwertiger Kleinigkeiten an Kunden habe der Gesetzgeber jedoch gerade ermöglichen wollen. Um eine derartige geringwertige Kleinigkeit handele es sich - sowohl von der Höhe des Betrages her als auch im Hinblick darauf, dass keine Barauszahlung, sondern lediglich eine Verrechnung bei einem Folgekauf möglich sei - auch bei dem hier streitigen Rezeptbonus. Dessen - wettbewerbsrechtlich zulässiges - Anbieten könne ihm daher auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung nicht auf öffentlich-rechtlicher Grundlage verboten werden. In jedem Fall aber sei die angefochtene Untersagungsverfügung unverhältnismäßig. Die AMPreisV sei kein abstrakter Wert, dessen Verletzung ein behördliches Einschreiten vorbehaltlos rechtfertige, sondern verfolge den Zweck, den Preiswettbewerb unter den Apotheken so zu regeln, dass eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werde. Diese Zielsetzung werde nur dann gefährdet, wenn die konkret beanstandete Werbemaßnahme zu einer spürbaren Wettbewerbsbeeinträchtigung und als Folge davon zu einer Existenzgefährdung einzelner Apotheken führe; dies sei hier jedoch nicht der Fall und nicht einmal von der Antragsgegnerin, die lediglich auf mögliche Umsatzeinbußen einzelner Apotheken hingewiesen habe, behauptet worden. Außerdem stelle die angefochtene Maßnahme eine regionale Beeinträchtigung der in Niedersachsen tätigen Apotheker, insbesondere derjenigen, die zugleich bundesweit operierten, dar, ohne dass die damit von der Antragsgegnerin bezweckten Vorteile eintreten könnten; denn in den übrigen Bundesländern werde eine derartige Wertreklame gerade nicht unterbunden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass insbesondere die beiden großen holländischen Versandapotheken DocMorris und Europa-Apotheek, zu denen er in unmittelbarer Konkurrenz stehe, ihren Kunden weit höhere Boni - nämlich bis zu 15 € pro Rezept bzw. Medikament - gewährten, ohne dass es deshalb auch nur ansatzweise zu einer Gefährdung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung gekommen sei. - Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung bestehe ebenfalls nicht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil die Untersagungsverfügung "nicht offensichtlich rechtswidrig" sei; vielmehr sei - umgekehrt - deren Rechtmäßigkeit Voraussetzung dafür, eine solche Verfügung überhaupt zu erlassen. Auch die von der Antragsgegnerin angeführte lediglich abstrakte Gefahr der Nachahmung durch weitere Apotheken begründe das erforderliche Vollzugsinteresse nicht. Im Übrigen verkenne die Antragsgegnerin, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zur Taler-/ Boni-Werbung eine spürbare Beeinträchtigung des (Preis-)Wettbewerbs unter den Apotheken nicht erfolge und demgemäß auch die flächendeckende Arzneimittelversorgung nicht gefährdet sei. Unter diesen Umständen könne auch kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen, zumal die Antragsgegnerin derzeit ohnehin die einzige Aufsichtsbehörde sei, die gegen derartige Taler-/Boni-Werbung vorgehe. Darüber hinaus lasse die Antragsgegnerin unberücksichtigt, dass Versandapotheken stärker als Präsenzapotheken auf Wertreklame angewiesen seien und regelmäßig nur mit anderen Versandapotheken im Wettbewerb stünden. Durch den angeordneten Sofortvollzug werde ihm zugemutet, sich ggf. über Jahre hinweg effektiver Werbemöglichkeiten enthalten zu müssen. Dies begründe die Gefahr, dass sein mit viel Kosten- und Werbeaufwand erarbeiteter Kundenstamm auf Dauer an andere Versandapotheken verloren gehe, wodurch er in seiner Berufsausübungsfreiheit erheblich eingeschränkt werde.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.12.2010 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter Vertiefung der Gründe des angefochtenen Bescheides und ergänzender Auseinandersetzung mit dem Antragsvorbringen,

den Antrag abzulehnen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde - wie hier - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO mit einer den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Begründung angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und das private Interesse an der Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit andererseits gegeneinander abzuwägen, wobei insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt danach als voraussichtlich rechtmäßig, verdient das an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bestehende Interesse des Betroffenen grundsätzlich keinen Schutz, während umgekehrt dessen privates Interesse, vorläufig vom Vollzug der Maßnahme verschont zu bleiben, regelmäßig Vorrang genießt, wenn sich die Maßnahme als mutmaßlich rechtswidrig erweist. Diese Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung spricht.

11Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Insoweit beanstandet der Antragsteller zunächst zu Unrecht, dass die Antragsgegnerin für den Erlass der streitigen Untersagungsverfügung örtlich nicht zuständig sei. Gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist in Angelegenheiten, die sich (u.a.) auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer seiner Betriebsstätten beziehen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk das Unternehmen oder die Betriebsstätte betrieben wird. Als "Betrieb" im Sinne dieser Vorschrift ist dabei nicht die organisatorisch-technische Einheit, in der die in Rede stehende Tätigkeit ausgeübt wird, sondern der aktive Vorgang im Sinne eines "Betreibens" zu verstehen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 3 Rn. 21; Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 3 Rn. 15, jew. m.w.N.). Hiernach spricht Überwiegendes dafür, dass der Ort der tatsächlichen Betriebtätigkeit des Antragstellers in D. und damit im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin liegt. Nach den eigenen Angaben des Antragstellers, die Grundlage für die ihm am 25.04.2007 für die E. -Apotheke in F. erteilte Versandhandelserlaubnis waren, wird der gesamte Versand von Arzneimitteln (Lagerung und Logistik) nämlich in den Betriebsräumen der C. -Apotheke in D. - und lediglich unter der Adresse der E. -Apotheke - abgewickelt; die genannte Erlaubnis sieht darüber hinaus vor, dass auch sämtliche Versandvorgänge in der C. -Apotheke zu dokumentieren sind. Selbst wenn man jedoch mit Blick auf die Filialapotheke des Antragstellers in F. vom Grundsatz her eine - den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 VwVfG eröffnende - konkurrierende Zuständigkeit des Gesundheitsamtes H. in Betracht ziehen wollte, würde dies im vorliegenden Fall an der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin aller Voraussicht nach nichts ändern, weil dann zumindest von einer "zweifelhaften" Zuständigkeit i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 3 VwVfG auszugehen wäre. In solchen Fällen entscheidet die gemeinsame Aufsichtsbehörde der betreffenden Behörden über die örtliche Zuständigkeit; fehlt eine solche Aufsichtsbehörde, treffen die fachlich zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam (§ 3 Abs. 2 Satz 4 VwVfG). Letzteres ist hier nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin in der Weise geschehen, dass die zuständigen Fachministerien der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vereinbart haben, dass die Antragsgegnerin die örtlich zuständige Behörde sein soll.

Die sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die angefochtene Maßnahme ergibt sich aus § 1 Nr. 2 lit. d) der Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Übertragung von staatlichen Aufgaben auf die Kammern für Heilberufe vom 18.08.2008 (Nds. GVBl. S. 271), wonach der Apothekerkammer Niedersachsen die Überwachung u. a. von Betrieben nach § 64 AMG - zu denen die Apotheke des Antragstellers gehört - übertragen worden ist. Der vom Antragsteller als unbefriedigend empfundene Umstand, dass die Antragsgegnerin gleichzeitig die Standesvertretung bzw. Selbstverwaltungskörperschaft der niedersächsischen Apotheker ist und aufgrund dieser Doppelfunktion - seiner Auffassung nach - in die Lage versetzt wird, bestimmte berufsständische Ziele mit "einfacheren" aufsichtsbehördlichen Mittel durchsetzen zu können (statt auf ansonsten notwendige berufsrechtliche Maßnahmen zurückgreifen zu müssen), ändert daran nichts. Abgesehen davon liegt es keineswegs auf der Hand, dass bei einem Einschreiten auf berufsrechtlicher Grundlage strengere rechtliche Maßstäbe als bei aufsichtsbehördlichen Maßnahmen zugrunde gelegt werden (müssten). So hat es etwa das VG Minden (U. v. 14.05.2008 - 7 K 134/08 -, juris) in einem nach nordrhein-westfälischem Landesrecht gegen den Antragsteller eingeleiteten berufsrechtlichen Verfahren für eine entsprechende Untersagungsverfügung ausreichen lassen, dass der Antragsteller seinerzeit objektiv gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbindungsvorschriften verstoßen hatte.

Soweit es den Gegenstand aufsichtsbehördlicher Maßnahmen nach § 69 Abs. 1 AMG betrifft, beschränken sich diese nicht auf Verstöße gegen Vorschriften des AMG selbst, sondern erfassen auch solche gegen die auf der Grundlage des AMG erlassenen Rechtsverordnungen, im vorliegenden Fall mithin auch Verstöße gegen die Bestimmungen der auf § 78 AMG beruhenden AMPreisV. Eine sachliche Beschränkung auf unmittelbar im AMG selbst enthaltene Regelungen, insbesondere etwa auf solche, die die Arzneimittelsicherheit betreffen, lässt sich der Vorschrift des § 69 Abs. 1 AMG nicht entnehmen. Diesen Standpunkt hat die Kammer bereits in ihrem - den Beteiligten bekannten - Beschluss vom 17.03.2008 (- 6 B 73/07 -, bestätigt durch Beschluss des Nds. OVG vom 20.06.2006 - 13 ME 61/08 -, juris = NJW 2008, 3451) eingenommen; daran ist festzuhalten. Dass die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang zitierte Kommentarstelle (Rehmann, AMG, 3. Aufl., § 78 Rn. 5) für den Fall der Nichtbeachtung der AMPreisV die Möglichkeit einer aufsichtsbehördlichen Untersagungsverfügung nicht erwähnt, ändert daran nichts, zumal der genannte Autor an anderer Stelle (§ 69 Rn. 2) selbst darauf hinweist, dass die Behörde - ohne Beschränkung auf bestimmte Handlungsalternativen - alle zur Unterbindung eines festgestellten Verstoßes notwendigen Maßnahmen ergreifen darf.

14Die Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall auch aller Voraussicht nach zu Recht von einem Verstoß gegen die Vorschriften der AMPreisV ausgegangen. Gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AMG ist für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten. Zu diesem Zweck legt die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 AMG ergangene AMPreisV für verschreibungspflichtige Arzneimittel sowohl die Preisspannen des Großhandels im Wiederverkauf an Apotheken (§ 2 AMPreisV) als auch die Preisspannen der Apotheken im Wiederverkauf (§ 3 AMPreisV) - jeweils einschließlich Handelszuschlägen - verbindlich (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. Abs. 4 AMPreisV) fest und gelangt auf diese Weise zu einem einheitlichen, bei der Abgabe an den Endverbraucher verbindlichen Apothekenabgabepreis. Gegen diese gesetzliche Preisbindung verstößt der Antragsteller durch die Gewährung des streitbefangenen Rezeptbonus. Ein derartiger Verstoß liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der AMPreisV zu berechnenden Preis an seine Kunden abgibt, sondern auch dann, wenn er für das betreffende Arzneimittel zwar den korrekten Preis ansetzt, seinen Kunden beim Erwerb des Arzneimittels zugleich jedoch Vorteile gewährt, die den Erwerb des Arzneimittels für diese wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (vgl. BGH, U. v. 09.09.2010 - I ZR 98/08 -, juris = GRUR 2010, 1133; U. v. 09.09.2010 - I ZR 193/07 -, juris = NJW 2010, 3721, jew. m.w.N.; Nds. OVG, B. v. 20.06.2008, aaO). Einen solchen - arzneimittelrechtlich unzulässigen - wirtschaftlichen Vorteil stellt der vom Antragsteller gewährte Rezeptbonus, bei dem es sich der Sache nach um eine auf einen bestimmten Geldbetrag lautenden, bei einem Folgekauf einlösbaren Gutschein handelt, dar (vgl. BGH, aaO). Soweit der Antragsteller meint, der BGH habe in den genannten Entscheidungen (auch) einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass das beanstandete Verhalten geeignet sein müsse, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat der BGH in seinen Urteilen vom 09.09.2010 (vgl. Rn. 13 u. 17 im Verfahren I ZR 98/08; Rn. 15 u. 19 im Verfahren I ZR 193/07) die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile im oben umschriebenen Sinne unmissverständlich als Verstoß gegen die im AMG und in der AMPreisV enthaltenen Preisbindungsvorschriften qualifiziert und dies mit dem mit dieser Preisbindung verfolgten Gesetzeszweck, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen, begründet (vgl. insoweit Rn. 14 im Verfahren I ZR 98/08; Rn. 16 im Verfahren I ZR 193/07). Die nachfolgenden Ausführungen (Rn. 20 ff. im Verfahren I ZR 98/08 bzw. Rn. 23 ff. im Verfahren I ZR 193/07) betreffen dagegen ausschließlich die Frage, inwieweit die Gewährung derartiger Vorteile i.S.d. §§ 3, 4 Nr. 11 UWGwettbewerbsrechtlichrelevant ist, was der BGH sodann im Einzelnen anhand der Maßstäbe des § 7 Abs. 1 HWG untersucht und insoweit eine bestimmte (wettbewerbsrechtliche) "Spürbarkeitsschwelle" für erforderlich gehalten hat. Diese Frage ist jedoch streng zu unterscheiden von der (im vorliegenden Fall zu bejahenden) Frage, ob eine bestimmte Werbe- bzw. Marketingaktion einen Verstoß gegen dieöffentlich-rechtlichenPreisbindungsvorschriften darstellt; dies hat auch der BGH in den genannten Entscheidungen (Rn. 18 im Verfahren I ZR 98/08; Rn. 21 im Verfahren I ZR 193/07) unter Hinweis darauf, dass die Regelungen des Arzneimittelpreisrechts und des - in erster Linie dem Verbraucherschutz dienenden - Heilmittelwerberechts unterschiedliche Zielsetzungen aufweisen, ausdrücklich klargestellt (ebenso Nds. OVG, B. v. 20.06.2008, aaO; Wesser, Anmerkung zum Urteil des BGH vom 09.09.2010 - I ZR 98/08 -, juris; Mand, Rabatte und Zugaben durch Apotheken, NJW 2010, 3681 <3684, 3686>). Angesichts dieser unterschiedlichen gesetzlichen Zielrichtungen ist für die Annahme, unter dem Gesichtspunkt der "Einheit der Rechtsordnung" könne dem Antragsteller auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nicht etwas verboten werden, was wettbewerbsrechtlich (ggf.) zulässig sei, kein Raum. Demgemäß muss im vorliegenden Verfahren auch nicht darüber entschieden werden, ob der Wert des vom Antragsteller gewährte Rezeptbonus die im Urteil des BGH vom 09.09.2010 (- I ZR 98/08 -, Rn. 22) umschriebene "Spürbarkeitsschwelle" überschreitet oder nicht. Ebenso wenig ist der Auffassung des Antragstellers zu folgen, dass die Regelung des § 7 HWG im Ergebnis leer liefe, wenn die zuständige Behörde in der Abgabe geringwertiger Kleinigkeiten i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG generell einen Verstoß gegen die AMPreisV sehe und diesen mit aufsichtsbehördlichen Mitteln unterbinde. Vielmehr liegt der Sinn dieser Regelung jedenfalls auch darin, den in § 3 Abs. 1 UWG enthaltenen Begriff der "spürbaren Beeinträchtigung" von Mitbewerber- bzw. Verbraucherinteressen (entsprechend der zitierten Rechtsprechung des BGH) im Bereich der Werbung für Arzneimittel näher zu präzisieren und auf diese Weise unabhängig davon, ob die zuständige Aufsichtsbehörde in Fällen der vorliegenden Art auf öffentlich-rechtlicher Grundlage einschreitet, zumindest dem in § 8 Abs. 3 UWG genannten Personenkreis die Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu ermöglichen.

Auch im Übrigen wird die angefochtene Untersagungsverfügung aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden sein. Ein aufsichtsbehördliches Einschreiten gegen festgestellte Rechtsverstöße erweist sich in aller Regel nicht als ermessenswidrig. Dies folgt schon daraus, dass - worauf auch die Antragsgegnerin ausdrücklich hingewiesen hat - letztlich nur auf diese Weise eine rechtlich unerwünschte, nach Darstellung der Antragsgegnerin in Einzelfällen tatsächlich bereits erfolgte Nachahmung des beanstandeten Verhaltens und der dadurch ggf. entstehende Eindruck, die gesetzliche Arzneimittelpreisbindung stehe zur Disposition des einzelnen Apothekers, vermieden werden kann. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vermag die Kammer ebenfalls nicht zu erkennen. Die streitige Maßnahme steht in Übereinstimmung mit dem mit der arzneimittelrechtlichen Preisbindung verfolgten Gesetzeszweck, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen und insoweit einen Preiswettbewerb unter den Apotheken generell - d.h. ungeachtet wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeitsmaßstäbe - auszuschließen. Angesichts dessen ist es entgegen der vom Antragsteller auch in diesem Zusammenhang vertretenen Auffassung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht erforderlich, dass die Behörde eine spürbare Beeinträchtigung im Sinne des Wettbewerbsrechts oder gar eine konkrete Existenzgefährdung anderer Apotheken darlegen und ggf. nachweisen muss. Vielmehr reicht die abstrakte Gefahr, dass es durch Nachahmung des beanstandeten Verhaltens und damit verbundene Umsatzeinbußen anderer (rechtstreuer) Apotheker zu einer Beeinträchtigung der flächendeckenden und gleichmäßigen Arzneimittelversorgung kommt, als Rechtfertigung für die angefochtene Maßnahme aus. Deren Verhältnismäßigkeit wird schließlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach Darstellung des Antragstellers die Aufsichtsbehörden zahlreicher anderer Bundesländer in vergleichbaren Fällen nicht einschreiten; selbst wenn dies zutreffen sollte, würde dies allein dem Antragsteller keinen Anspruch darauf vermitteln, dass die Antragsgegnerin genau so verfährt und von einem - nach den vorstehenden Ausführungen rechtlich zulässigen - Einschreiten absieht.

Erweist sich die angefochtene Untersagungsverfügung daher als mutmaßlich rechtmäßig, so ist es - ungeachtet dessen, dass nach Auffassung des Antragstellers selbst ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse nicht besteht - nach den eingangs dargestellten Abwägungsgrundsätzen auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung angeordnet hat; auf damit ggf. verbundene Wettbewerbsnachteile gegenüber konkurrierenden (insbesondere holländischen) Versandapotheken kann sich der Antragsteller insoweit nicht mit Erfolg berufen.






VG Osnabrück:
Beschluss v. 14.03.2011
Az: 6 B 94/10


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