Bundesgerichtshof:
Urteil vom 16. Dezember 2013
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 29/12

(BGH: Urteil v. 16.12.2013, Az.: AnwZ (Brfg) 29/12)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2012 (1 AGH 56/11) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.

Tatbestand

Mit Schreiben vom 17. Mai 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm die Befugnis zu verleihen, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht die Bearbeitung von mindestens 50 gerichts- oder rechtsförmlichen Verfahren innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung (§ 5 Abs. 1 Buchst. c FAO) nachgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom 20. Januar 2012 1 abgewiesen. Der Senat hat auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 15. Oktober 2012 die Berufung gegen diese Entscheidung zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

I.

1. Nach § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 2 Abs. 1 FAO hat der Antragsteller für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen. Solche liegen vor, wenn diese auf dem Fachgebiet erheblich das Maß dessen übersteigen, das üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Arbeitsrecht setzt dabei nach § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei 100 Fälle aus allen der in § 10 Nr. 1 Buchst. a bis Buchst. e und Nr. 2 Buchst. a und Buchst. b FAO bestimmten Gebiete bearbeitet hat, davon mindestens 5 Fälle aus dem Bereich des § 10 Nr. 2 FAO und mindestens die Hälfte gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren.

2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO, soweit danach die Bearbeitung von mindestens 50 gerichts- oder rechtsförmlichen Verfahren verlangt wird, nicht verfassungswidrig. 2 a) Sieht eine Norm die staatliche Anerkennung einer beruflichen Qualifikation vor, mit der Vorteile im beruflichen Wettbewerb verbunden sind, so wirkt sich die Verweigerung dieser Anerkennung als Eingriff in die Berufsfreiheit aus. Die Fachanwaltsordnung enthält insoweit eine an Art. 12 Abs. 1 GG zu messende Regelung der Berufsausübung. Eine solche ist zulässig, wenn ihr eine schutzwürdige Erwägung des Gemeinwohls zugrunde liegt, sie nach Art und Ausmaß geeignet und erforderlich ist, den vom Normgeber verfolgten Zweck zu erreichen, und eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn tragenden Gründe ergibt, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (vgl. nur BVerfG, BRAK-Mitt. 1998, 145 zum Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung, RAFachBezG, vom 27. Februar 1992, BGBl. I 369, außer Kraft getreten am 9. September 1994).

Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO gegeben. Die Vorschrift dient dem Schutz des rechtsuchenden Publikums; dies ist ein tragender Gemeinwohlbelang (BVerfG, aaO S. 146). Das Erfordernis einer Mindestanzahl bearbeiteter Fälle ist dabei geeignet und erforderlich, um sicherzustellen, dass bei den Fachanwälten tatsächlich besondere Fachkompetenz vorhanden ist (BVerfG, aaO; siehe auch BVerfG, NJW 1992, 816 und NJW 2007, 1945). Die Vorgabe der Bearbeitung von mindestens 50 gerichts- oder rechtsförmlichen Verfahren innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung ist nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen auch nicht unverhältnismäßig:

aa) Die Notwendigkeit der Bearbeitung einer bestimmten Menge von Fällen innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums soll sicherstellen, dass die durch-5 schnittliche Zahl der Mandate des Rechtsanwalts auf dem jeweiligen Fachgebiet die Zahl der Aufträge deutlich übersteigt, die von nicht spezialisierten Berufskollegen im betreffenden Zeitraum auf diesem Fachgebiet bearbeitet werden; das Erfordernis, dass dieser Zeitraum vor der Antragstellung liegen muss, soll gewährleisten, dass sich der Rechtsanwalt mit seinen praktischen Erfahrungen auf der Höhe der Zeit befindet (vgl. nur Senatsbeschluss vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, BGHZ 166, 292 Rn. 14 m.w.N.). Gegen die Drei-Jahres-Frist bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; mit drei Jahren ist die Beurteilungszeit im Verhältnis zur Anzahl der in der Fachanwaltsordnung geforderten Fälle angemessen, insbesondere nicht zu kurz bemessen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18. April 2005 - AnwZ (B) 31/04, NJW 2005, 1943 f. und vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 43/08, NJW 2009, 2381 Rn. 10).

bb) Die Vorgabe, dass ein Teil der nachzuweisenden Verfahren aus dem forensischen oder dem Bereich der rechtsförmlichen Verfahren stammen muss, soll sicherstellen, dass der Fachanwalt über seine außergerichtliche Bera- tungs-, Streitverhütungs- und Streitschlichtungstätigkeit hinaus über die erforderlichen prozessualen Kenntnisse und Fähigkeiten auf seinem Fachgebiet verfügt (vgl. nur Scharmer in Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 5 FAO Rn. 258). Zwar ist, worauf der Kläger zutreffend verweist, in den zurückliegenden Jahren die Anzahl der arbeitsgerichtlichen Klageverfahren rückläufig, während demgegenüber die Gesamtzahl der Rechtsanwälte gestiegen ist, sodass statistisch gesehen auf jeden Anwalt eine geringere Anzahl von arbeitsgerichtlichen Klageverfahren entfällt. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich daraus aber nicht ableiten, dass die streitgegenständliche Regelung unverhältnismäßig sei, weil - jedenfalls für den Einzelanwalt - keine faire Chance mehr bestehe, die Vorgaben der Fachanwaltsordnung zu erfüllen.

Zunächst entspricht ein Mindestquorum von 50 Fällen in drei Jahren lediglich einer durchschnittlichen Bearbeitung von weniger als 1 Fällen pro Monat. Soweit der Kläger vorträgt, dass heutzutage ein Anwalt fast fünf Jahre brauche, um die notwendige Fallzahl zu erreichen, sind seine Berechnungen in der Berufungsbegründung nicht nachvollziehbar. Der Kläger geht davon aus, dass ca. 25 % aller Anwälte zumindest auch im Arbeitsrecht tätig seien, und verteilt die Anzahl aller arbeitsgerichtlichen Klageverfahren auf diese 25 %, so dass ca. zehn Verfahren pro Jahr auf jeden Anwalt entfallen. Dem kann der Senat nicht folgen: Abgesehen davon, dass die Annahme eines Anteils von 25 % auf einer nicht belegten Vermutung beruht, ist es nicht Sinn des § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO, jedem Rechtsanwalt, der arbeitsrechtliche Verfahren bearbeitet, den Erwerb der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu ermöglichen. Mit der Festlegung der Fallzahlen konkretisiert die Vorschrift die Voraussetzung besonderer praktischer Erfahrungen. Ihr Zweck ist die Sicherung der herausragenden Qualität der Fachanwälte (siehe dazu zuletzt Senat, Urteil vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 54/11, NJW 2013, 1599 Rn. 27); das darf nicht aus den Augen verloren werden.

Im Übrigen übersieht der Kläger verschiedene Umstände:

Nach § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO ist es nicht notwendig, 50 gerichtliche Verfahren zu bearbeiten, vielmehr reichen auch rechtsförmliche Verfahren aus. Insoweit kommen die verschiedensten Fallgestaltungen in Betracht, z.B. Schlichtungsverfahren gemäß § 111 ArbGG, Verfahren vor kirchlichen Schlichtungsstellen, Widerspruchsverfahren vor dem Integrationsamt, dem Amt für Arbeitsschutz im Rahmen des Kündigungsschutzes für Schwangere oder der Bundesagentur für Arbeit und schließlich Einigungsstellenverfahren nach dem Betriebsverfassungsgesetz oder den Bundes- und Landespersonalvertretungs-9 gesetzen (vgl. nur Scharmer, aaO § 5 Rn. 109; Offermann-Burckart, Fachanwalt werden und bleiben, 3. Aufl., Rn. 573). Bei den gerichtlichen Verfahren muss es sich zudem nicht zwingend um arbeitsgerichtliche Verfahren gehandelt haben. Ein "Fall" im Bereich des jeweiligen Fachgebiets liegt dann vor, wenn ein Schwerpunkt der Bearbeitung im jeweiligen Fachgebiet liegt, wozu genügt, dass eine Frage aus dem Fachgebiet erheblich ist oder wenigstens erheblich werden kann bzw. Fragen aus dem jeweiligen Fachgebiet für die argumentative Auseinandersetzung eine Rolle spielen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, BGHZ 166, 292 Rn. 22 und vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 48/08, BRAK-Mitt. 2009, 177 Rn. 8 f.). Deshalb können unter Umständen auch Verfahren vor dem Land-, Verwaltungs- oder Sozialgericht zählen (vgl. auch Scharmer, aaO Rn. 109, 261).

Auch ist der Zeitrahmen von drei Jahren vor Antragstellung nicht so zu verstehen, dass die Verfahren innerhalb dieser Frist begonnen sowie abgeschlossen sein müssen. Vielmehr genügt es, dass eine - nicht notwendig die wesentliche - inhaltliche Bearbeitung innerhalb dieser Zeitspanne erfolgt ist (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 6. März 2006, aaO Rn. 14 und vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 43/08, NJW 2009, 2381 Rn. 10). Mithin sind auch Fälle zu berücksichtigen, bei denen die Bearbeitung vor Beginn des Drei-Jahres-Zeitraums begonnen hat oder nach deren Ende abgeschlossen wurde.

Ferner können bei überdurchschnittlichem Gewicht einzelner eingereichter Fälle Defizite bei den Fallzahlen im Rahmen der Regelung des § 5 Abs. 4 FAO ausgeglichen werden (vgl. Senat, Urteil vom 8. April 2013, aaO Rn. 27). Dadurch wird bei geringeren Fallzahlen, aber überdurchschnittlichem Gewicht eingereichter Fälle auch dem Interesse des Bewerbers Rechnung getragen, 12 den Fachanwaltstitel zu erlangen, ohne übermäßig hohe Hürden überwinden zu müssen.

Vor diesem Hintergrund entbehrt der Vorwurf des Klägers, die streitgegenständliche Regelung verstoße gegen Art. 12 GG, einer ausreichenden Grundlage.

b) Ebenso wenig verletzt § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, unter stetiger Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365, 385; 116, 164, 180).

Insofern verweist der Kläger darauf, dass es für Rechtsanwälte, die in einer Sozietät tätig sind, leichter ist, praktische Erfahrung in einem Fachgebiet nachzuweisen. Das mag sein. Dafür spricht manches. Dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, für Einzelanwälte die Anforderungen an die Qualifikation eines Fachanwalts zu verringern. Die Einhaltung von Mindeststandards dient dem Schutz der Rechtsuchenden vor irreführender Werbung. Die Unterscheidung nach dem Umfang der nachgewiesenen Kenntnisse und der praktischen Erfahrung ist sachgerecht (so bereits BVerfG, NJW 1992, 816). Allgemein kann die bloße Tatsache, dass für bestimmte Gruppen von Anwälten der Nachweis praktischer Erfahrungen auf einem Fachgebiet leichter zu erbringen ist als für andere, nicht zu einer Verringerung der Anforderungen an die Qualifikation der Bewerber aus den "benachteiligten" Gruppen führen (BVerfG, NJW 2007, 1945).

Dass für andere in § 5 Abs. 1 FAO geregelte Fachgebiete teilweise weniger als 50 Verfahren verlangt werden, spielt schon deshalb keine Rolle, da das Fallaufkommen in den jeweiligen Fachgebieten ungleich ist und deshalb zum Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen (im Vergleich zu anderen Anwälten) zwangsläufig nicht identische Fallzahlen verlangt werden können. Auch sind die Regelungen in § 5 FAO nicht durchgängig vergleichbar, weil - je nach Fachgebiet - von gerichtlichen Verfahren, von rechtsförmlichen Verfahren, von beidem oder auch von anderen formalisierten Verfahren die Rede ist. Im Übrigen kann, selbst wenn das Zahlenverhältnis in einzelnen anderen Fachgebieten etwa günstiger für die dortigen Bewerber sein sollte, daraus nicht abgeleitet werden, dass der Kläger nunmehr von Verfassungs wegen für den Erwerb des Fachanwaltstitels für Arbeitsrecht keine 50 Verfahren mehr nachweisen müsste.

Soweit statistisch gesehen auf jeden Fachanwaltsbewerber eine geringere Anzahl von arbeitsgerichtlichen Klageverfahren als früher entfällt und somit die Bedingungen für den Erwerb des Fachanwaltstitels schwieriger geworden sind, führt auch dies nicht zur Verfassungswidrigkeit von § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO. Art. 3 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch darauf, dass die tatsächlichen Rahmenbedingungen für den Erwerb eines Fachanwaltstitels gleichbleibend sein müssen, was in letzter Konsequenz auch bedeuten würde, dass der Satzungsgeber ständig seine Regelung nachzubessern hätte, wenn sich die Verfahrenszahlen oder die Anzahl der Berufsangehörigen ändern. Nicht zu Unrecht hat im Übrigen auch die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Bewertung der Rahmenbedingungen durch den Kläger nur nach den angesprochenen Zahlen einseitig ist und der Kläger z.B. unberücksichtigt lässt, dass sich der Konkurrenzdruck auf dem Fachanwaltsmarkt durch die erhebliche Ausweitung - von ursprünglich vier auf heute zwanzig - der Gebiete, auf denen eine Fachan-18 waltsbezeichnung erworben werden kann, entschärft hat. Denjenigen Rechtsanwälten, die am Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung interessiert sind, steht heute ein wesentlich breiteres Spektrum zur Verfügung, was zwangsläufig zu einer Verringerung des "Runs" auf einzelne Gebiete führt.

3. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass er innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei mindestens 50 gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren nach § 5 Abs. 1 Buchst. c FAO bearbeitet hat. Vielmehr ist von lediglich 44 Fällen auszugehen.

a) Der Anwaltsgerichtshof, auf dessen zutreffende - und von beiden Parteien im Berufungsverfahren auch nicht näher in Frage gestellte - Ausführungen der Senat Bezug nimmt, hat für den Referenzzeitraum vom 17. Mai 2008 bis zum 16. Mai 2011 insgesamt 40 Fälle festgestellt. Soweit der Kläger mit Schriftsätzen vom 22. Juli, 12. August und 22. September 2011 vier weitere Fälle mit einem Tätigkeitsbeginn nach Ende des ursprünglichen Referenzzeitraums nachgemeldet hat, hat der Anwaltsgerichtshof offengelassen, ob durch die damit verbundene Verschiebung des Beginns des Dreijahreszeitraums auf den Zeitpunkt des jeweiligen Eingangs der Schreiben bei der Beklagten (zuletzt damit den 22. September 2011) - Nachmeldung als alternative Antragstellung (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 9/11, Rn. 7) - nicht am Beginn des Referenzzeitraums von den o.a. 40 Verfahren einige entfallen. Dies ist allerdings nicht der Fall, da keines der von den für den ursprünglichen Referenzzeitraum vom 17. Mai 2008 bis zum 16. Mai 2011 angemeldeten Verfahren vor dem 22. September 2008 abgeschlossen worden ist. Der Umstand, dass bei den ältesten Fällen B 8 (Bearbeitungszeitraum 19. September 2008 bis 4. November 2008), B 15 (Bearbeitungszeitraum 9. September 2008 bis 12. März 2009) und B 16 (Bearbeitungszeitraum 9. September 2008 bis 18. Juni 20 2009) die Fallbearbeitung vor dem Stichtag (22. September 2008) begonnen hat, ist unerheblich. Es reicht aus, dass innerhalb des Referenzzeitraums eine inhaltliche Bearbeitung stattgefunden hat, bei der es sich auch nicht um die wesentliche Bearbeitung gehandelt haben muss (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, BGHZ 166, 292 Rn. 14).

b) Eine Erhöhung der Zahlen nachgewiesener gerichts- oder rechtsförmlicher Verfahren ergibt sich auch nicht daraus, dass einzelne der vom Kläger bearbeiteten Sachen mit einem höheren Faktor als 1 in Ansatz zu bringen wären.

Zwar ist nach der Senatsrechtsprechung (vgl. Urteil vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 54/11, NJW 2013, 1599 Rn. 20 ff.) im Anschluss an die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Fälle jeweils zu prüfen, welches Gewicht den einzelnen Fällen zukommt, d.h. ob Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen (§ 5 Abs. 4 FAO). Hierbei stellt der "durchschnittliche" und mit dem Faktor "1" zu bewertende Fall naturgemäß keine punktgenaue Größe dar, sondern umfasst eine gewisse Bandbreite. Das Spektrum durchschnittlicher Fälle reicht von Mandaten, die sich an der Grenze zur Überdurchschnittlichkeit bewegen, bis hin zu Fällen, die an der Schnittstelle zur Unterdurchschnittlichkeit anzusiedeln sind (aaO Rn. 34). Diese Spannbreite hat zur Folge, dass für eine Höher- oder Mindergewichtung tragfähige Anhaltspunkte vorliegen müssen, die eine zuverlässige Beurteilung dahin zulassen, dass sich der zu beurteilende Fall in seinem Gewicht in der einen oder anderen Richtung vom Durchschnitt abhebt, wobei, wenn sich trotz ausreichender Fallbeschreibung (und ggfs. eingeholter Arbeitsproben) nicht abschließend beurteilen lässt, ob sich die bearbeitete Sache vom Durch-22 schnittsfall unterscheidet, sie als durchschnittliche Angelegenheit einzuordnen und mit dem Faktor "1" zu bewerten ist (aaO Rn. 35).

Anhaltspunkte für eine solche abweichende Bewertung sind hier aber weder ersichtlich noch von den Parteien geltend gemacht worden.

4. Die Beklagte hat auch zu Recht den Antrag des Klägers abgelehnt, ohne ihm zuvor die Möglichkeit eines Fachgesprächs zu geben.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FAO führt der Ausschuss zum Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse oder der praktischen Erfahrungen ein Fachgespräch. Er kann jedoch davon absehen, wenn er seine Stellungnahme gegenüber dem Vorstand hinsichtlich der besonderen theoretischen Kenntnisse oder der besonderen praktischen Erfahrungen nach dem Gesamteindruck der vorgelegten Zeugnisse und schriftlichen Unterlagen auch ohne ein Fachgespräch abgeben kann (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FAO).

Nach der ständigen Senatsrechtsprechung tritt das Fachgespräch damit jedoch nicht als zusätzliche Prüfung der fachlichen Qualifikation des Bewerbers neben die in der Fachanwaltsordnung geforderten Nachweise; hat ein Antragsteller ausreichende Unterlagen (§ 6 FAO) vorgelegt, ist für ein Fachgespräch kein Raum (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2005 - AnwZ (B) 11/04, BRAK-Mitt. 2005, 123 f., vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, NJW 2006, 1513 Rn. 32 und vom 30. Mai 2012 - AnwZ (Brfg) 3/12, BRAK-Mitt. 2012, 243 Rn. 6).

Der Fachausschuss hat allerdings auch dann keine Veranlassung, ein Fachgespräch durchzuführen, wenn ein Antragsteller die in § 5 Abs. 1 FAO vorgesehenen Fallzahlen - auch unter Berücksichtigung einer eventuell nach 24 § 5 Abs. 4 FAO vorzunehmenden Höhergewichtung einzelner Fälle - verfehlt. In einem solchen Fall kann der Ausschuss seine Stellungnahme gegenüber dem Vorstand auch ohne ein Fachgespräch abgeben (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FAO). Insoweit unterscheidet sich die Situation beim Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse (§ 4 FAO) von dem Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen (§ 5 FAO). Während der Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse nach § 4 Abs. 1 FAO nur "in der Regel" den Besuch eines fachanwaltsspezifischen Lehrgangs voraussetzt (zur Frage der Durchführung eines Fachgesprächs im Rahmen des alternativen Nachweises nach § 4 Abs. 3 FAO vgl. Senat, Urteil vom 30. Mai 2012, aaO), sind die Fallzahlen in § 5 FAO vom Satzungsgeber absolut formuliert. Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Arbeitsrecht setzt danach nicht im Regelfall, sondern - gegebenenfalls nach angepasster Gewichtung - ausnahmslos die Mindestzahl von 50 gerichts- oder rechtsförmlichen Verfahren voraus (§ 5 Abs. 1 Buchst. c FAO).

Allerdings mag es Situationen geben, in denen ein Ausschuss - auch durch Auflagen (§ 24 Abs. 4 FAO) nicht behebbare - Zweifel am Verfehlen der erforderlichen Fallzahl hat, weil ihm z.B. die Wertung oder Gewichtung einzelner Fälle problematisch erscheint, und er sich deshalb außerstande sieht, allein anhand der schriftlichen Unterlagen eine Stellungnahme gegenüber dem Vorstand abzugeben. Wird in einem solchen Grenzfall ein Fachgespräch durchgeführt, hindert dies - bei negativem Ausgang - den Bewerber jedoch nicht, geltend zu machen, dass er bei richtiger Bewertung die erforderliche Fallzahl erreicht hätte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG. Die Bemessung des Streitwerts mit 12.500 € in Verfahren betreffend das Führen einer Fachanwaltsbezeichnung entspricht der ständigen Praxis des Senats (vgl. nur Urteile vom 26. November 2012 - AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175 Rn. 13 und vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 16/12, NZA 2013, 750 Rn. 17). Umstände, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von dieser Praxis erfordern könnten, sind nicht ersichtlich.

Tolksdorf König Seiters Quaas Braeuer Vorinstanz:

AGH Hamm, Entscheidung vom 20.01.2012 - 1 AGH 56/11 - 30






BGH:
Urteil v. 16.12.2013
Az: AnwZ (Brfg) 29/12


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