Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 27. Juni 2003
Aktenzeichen: 1 L 1223/03

(VG Köln: Beschluss v. 27.06.2003, Az.: 1 L 1223/03)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 3291/03 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2003 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 125.000,-- festgesetzt.

Gründe

Der Antrag nach §§ 80 a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Ziffer 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 80 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 K 3291/03 der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2003 hat Erfolg.

Der Antrag ist zunächst zulässig; insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO analog. Die mit dem angefochtenen Bescheid erteilte Genehmigung zur Erhebung des An- schlusskostenbeitrages in Höhe von 0,004 EUR/Verbindungsminute auf die Verbindungsentgelte für die Leistung U. -B. 2 (Ort) greift unmittelbar privatrechtsgestaltend in den Zusammenschaltungsvertrag der Antragstellerin mit der Beigeladenen ein, § 29 Abs. 2 Satz 1 TKG, und betrifft damit die Antragstellerin in ihren Rechten.

Gemäß §§ 80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes wiederherstellen, wenn das Interesse des Drittbetroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse bzw. dasjenige des Begünstigten am Sofortvollzug überwiegt. Das ist hier der Fall, da nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Vieles für die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29. April 2003 spricht.

Die Kammer hat starke Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides:

Die Antragsgegnerin hat den Anschlusskostenbeitrag als separaten "Zuschlag" zur Leistung U. -B.2 (Ort) gestützt auf § 43 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 39 TKG genehmigt und hierzu ausgeführt (Bescheid Seite 10), es stehe keine Entgeltgenehmigung nach § 39 i.V.m. §§ 24, 25 und 27 Abs. 1 Ziffer 1 TKG in Rede. Denn bei der Erbringung der Zusammenschaltungsleistung könnten gemäß § 27 Abs.1 Ziffer 1 TKG i.V.m. § 3 Abs. 2 der Telekommunikations- Entgeltregulierungsverordnung (TEntgV) nur die darauf entfallenden Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung berücksichtigt werden, nicht aber sonstige Kosten, wie diejenigen von Teilnehmeranschlüssen. Entsprechend hat sie im Weiteren nicht eine Kostenprüfung nach den Maßstäben des § 27 Abs. 1 Ziffer 1 TKG dahingehend durchgeführt, inwieweit die in Rede stehenden Kosten des Teilnehmeranschlusses auf die Leistung U. -B.2 (Ort) entfallen und ob es sich insoweit um Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung handelt. Vielmehr hat sie das von ihr ermittelte Anschlussdefizit, das der Beigeladenen durch den Wegfall von Erlösen aus Ortsverbindungen, die sie bislang mit zur Quersubventionierung heranzieht, erst entstehen soll (Bescheid Seite 20), losgelöst von der Frage, ob und in welchem Ausmaß es sich gerade bei der IC- Leistung U. -B.2 (Ort) auswirkt, im Wege des angegriffenen separaten An- schlusskostenbeitrages aufzufangen gesucht. Gegen diese Vorgehensweise bestehen indes erhebliche rechtliche Bedenken: Nach § 43 Abs. 6 Sätze 1 und 2 TKG hat der Marktbeherrscher u.a. das so genannte callbycall/preselection im Ortsnetz sicherzustellen. Im Rahmen der Ausgestaltung der zur Erfüllung dieser Verpflichtung erforderlichen Netzzusammenschaltung ist gemäß Satz 3 des § 43 Abs. 6 TKG bei Entscheidungen nach dem dritten, vierten und sechsten Teil des Gesetzes u.a. zu gewährleisten, dass Anreize zu effizienten Investitionen in Infrastruktureinrichtungen, die langfristig einen stärkeren Wettbewerb sichern, nicht entfallen. Gemäß § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG ist hierbei insbesondere sicherzustellen, dass der vom Nutzer ausgewählte Netzbetreiber angemessen an den Kosten des ihm bereitgestellten Teilnehmeranschlusses beteiligt wird. Aus der Verwendung des Wortes "hierbei" ergibt sich nach Auffassung der Kammer zwanglos, dass eine Entscheidung über die Erhebung eines etwaigen Anschlusskos- tenbeitrages nur im Rahmen eines einheitlichen Entgeltgenehmigungsverfahrens nach den §§ 39, 24, 25 Abs. 1 und 27 TKG ergehen kann, in dem - anders als vorlie- gend geschehen - auch eine Überprüfung des zu erhebenden Anschlusskostenbeitrages gemäß § 27 Abs. 1 Ziffer 1 TKG zu erfolgen hat. Dass vorliegend mit dem Anschlusskostenbeitrag letztlich doch ein Teil eines Zusam- menschaltungsentgeltes - allerdings unter Nichtbeachtung der Maßstäbe der §§ 24, 27 TKG - genehmigt worden ist, ergibt sich auch aus den Ausführungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2003 (Bescheid Seite 12/13), denenzufolge sich die Anschlusskostenbeiträge aus der Wettbewerber(-Sicht) nur als Bestandteil einer von ihnen insgesamt zu entrichtenden Gegenleistung für die von ihnen abgenommene Verbindungsleistung darstellten bzw. die Anschlusskostenbeiträge unmittelbar mit den Zusammenschaltungsentgelten verknüpft seien und damit deren regulatorischen Status teilten. Demgegenüber kann nicht angenommen werden, nur bei der Festlegung der Entgelte für Zusammenschaltungsleistungen im engeren Sinne seien die jeweils darauf entfallenden Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zu berücksichtigen, während § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG die Bemessung eines Beitrages zur Kostendeckung bei Teilnehmeranschlüssen in Abweichung von § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG derart ermögliche, dass das gesetzgeberische Ziel, chancengleichen Wettbewerb für alternative Ortsnetzbetreiber zu schaffen, erreicht werden könne, wie die Antragsgegnerin meint. Mit dem durch das Wort "hierbei" letztlich erfolgten Verweis auf das Regulierungsregime der §§ 39, 24, 25 und 27 TKG ist hinreichend klargestellt, dass es einen weiteren, von diesen Bestimmungen abweichenden Bemessungsmaßstab für Entgelte nicht geben soll. Zwar hatte der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates in seiner Stellungnahme zur Neufassung des § 43 Abs. 6 TKG angeregt, Anreize in Infrastruktureinrichtungen mit- tels eines Entgeltkonzeptes, das die Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Geschäftsmodellen des Telekommunikationsmarktes, insbesondere Teilnehmernetzbetrieb mittels eigener Infrastruktur, Verbindungsnetzbetrieb und Resale gewährleistet, zu schaffen und hierfür das in § 24 TKG verankerte Entgeltregulierungsregime so zu ergänzen, dass diese Wechselwirkung als gesetzliche Vorgabe der Entgeltregulierung bei sämtlichen Einzelfallentscheidungen u.a. zu den Zusammenschaltungsentgelten zu berücksichtigen sei,

vgl. Bundesrats-Drucksache 333/1/02 vom 21. Mai 2002.

Jedoch kann - wie dargelegt - dem in Kraft getretenen Gesetzeswortlaut nicht entnommen werden, dass hinsichtlich der Kosten des Teilnehmeranschlusses die §§ 24, 27 TKG einer Modifikation unterworfen worden wären.

Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung nunmehr vortragen lässt, Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides sei auch § 27 Abs. 1 Ziffer 1 TKG, findet dies im Bescheid, dessen Begründung allein maßgeblich ist,

vgl. etwa Urteil der Kammer vom 13. Februar 2003- 1 K 8003/98 -,

gerade keine Stütze.

Dass für alle im Zusammenhang mit callbycall/preselection im Ortsnetz vom ICP erhobenen Entgelte allein der Grundsatz der Kostenorientierung gilt, ergibt sich auch aus Art. 12 Abs. 7 der Richtlinie 97/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl. L 199, S. 32) in der Fassung der Richtlinie 98/61/EG vom 24. September 1998 (ABl. L 268, S. 37) - Zusammenschaltungsrichtlinie -. Die genannte Vorschrift, in der die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung von callbycall/preselection auch im Ortsnetz bis zum 01. Januar 2000 statuiert wurde und deren Umsetzung die Neufassung des § 43 Abs. 6 TKG diente,

vgl. Bundestags-Drucksache 14/9711 vom 03. Juli 2002,

verpflichtet die nationalen Regulierungsbehörden, dafür zu sorgen, dass für die Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienstleistung eine Gebühr festgelegt wird, die den tatsächlichen Kosten entspricht,

vgl. insoweit auch Art. 19 Abs. 3 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07. März 2002 (ABl. L 108, S. 51) - Universaldienstrichtlinie n.F. -, demzufolge die nationalen Regulierungsbehörden bei callbycall und preselection dafür sorgen, dass die Gebühren für Zugang und Zusammenschaltung mit der Bereitstellung der genannten Dienste kostenorientiert festgelegt werden.

Auch hieraus ergibt sich, dass allein der Maßstab der Kostenorientierung für die Bemessung von Zusammenschaltungsentgelten maßgeblich sein darf. Für die Berücksichtigung weiterer Ziele, wie dasjenige der Schaffung chancengleicher Wettbewerbsbedingungen, ist bei der Ermittlung der Entgelthöhe daneben kein Raum.

Soweit durch diese Auslegung § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG leerlaufen sollte, beruhte dieses Ergebnis auf dem Anwendungsvorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Dieser fordert, dass nationales Recht, das gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, ohne Weiteres außer Acht gelassen wird, wobei den nationalen Gerichten und Behörden ein Prüfungs- und Verwerfungsrecht zukommt,

vgl. EuGH, Rs. 103/88, Slg 1989, 1839/1871, Rn 31; Streinz, Europarecht, 5. Auflage, Rdn. 223 a.

Die Zusammenschaltungsrichtlinie, der - wie ausgeführt - mit der Neufassung des § 43 Abs. 6 TKG und damit auch mit der angefochtenen Genehmigung Rechnung getragen werden sollte, ist hinsichtlich der Verpflichtung der nationalen Regulierungsbehörden, dafür zu sorgen, dass für die Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Erbringung von callbycall und preselection eine Gebühr festgelegt wird, die den tatsächlichen Kosten entspricht, unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht. Die Umsetzungsfrist ist - wie dargelegt - abgelaufen. Auch ist die Zusammenschaltungsrichtlinie hinsichtlich des Gebots der Kostenorientierung unbedingt und bestimmt. Damit haben die nationalen Behörden und Gerichte auch im Verfahren des Wettbewerbers gegen die auf der Grundlage der Richtlinie erfolgte Erteilung einer Genehmigung an einen anderen Wettbewerber diese Richtlinie anzuwenden und ihr Geltung zu verschaffen,

vgl. EuGH, Rs C-201/94, Slg. 1996, 5819, Rn 35 - 39.

Soweit schließlich die Empfehlungen der Kommission zur Zusammenschaltung in einem liberalisierten Telekommunikationsmarkt 98/195/EG bzw. 98/322/EG vom 08. Januar bzw. 08. April 1998 (ABl. L 73, S. 42 bzw. ABl. L 141, S. 6) in Anhang 1, Ziffer 1 bzw. Anhang 2.2. Ausgleichszahlungen für Zugangsdefizite für zulässig erklärten, ist auf Folgendes zu verweisen:

Den genannten Empfehlungen, die die nationalen Gerichte bei der Entscheidungsfindung insbesondere dann zu berücksichtigen verpflichtet sind, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindlich gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen,

vgl. EuGH, Rs C-322/88, Slg. 1989, 4416/4421, Rn 18,

ist zum einen zu entnehmen, dass Abgaben zum Ausgleich von Zugangsdefiziten im Grundsatz europarechtlich unerwünscht sind. In Ziffer 1 des Anhanges 1 der Empfehlung 98/195/EG heißt es nämlich insoweit, dass Regelungen zum Ausgleich von Zugangsdefiziten immer ineffiziente Investionssignale gäben und die Gesamtkosten des Wirtschaftszweiges erhöhten. Darüberhinaus seien sie schwierig zu verwalten, und es fehle ihnen an Transparenz. Zum anderen ist die in beiden zitierten Empfehlungen genannte Frist, innerhalb derer Ausgleichszahlungen für Zugangsdefizite (ADC) längstens zulässig sein sollten, auch bei Weitem überschritten. Die Erreichung ausgewogener Tarife (ohne ADC) sollte nämlich bereits bis zum 01. Januar 2000 abgeschlossen sein.

Spricht demnach Überwiegendes für ein Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.






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Beschluss v. 27.06.2003
Az: 1 L 1223/03


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