Landgericht Berlin:
Urteil vom 1. Februar 2007
Aktenzeichen: 52 S 253/06

(LG Berlin: Urteil v. 01.02.2007, Az.: 52 S 253/06)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 12.06.2006 verkündete Urteil des Amtsgericht Charlottenburg € 237 C 38/06 € wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils beizutreibenden Kosten zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 313a ZPO abgesehen

Gründe

I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.

Mit der Berufung wendet die Beklagte wie bereits im ersten Rechtszug ein, eine Überschuldung der Klägerin habe angesichts der vorhandenen umfangreichen stillen Rücklagen nicht bestanden. Insbesondere habe das Amtsgericht die Voraussetzungen der Nachschusspflicht verkannt. § 73 Abs. 2 S. 3 GenG sei eine Sondervorschrift für den Fall, dass ohne Anrechnung der Haftsumme eine Überschuldung, hingegen mit Anrechnung der Haftsumme gerade noch kein Insolvenzgrund vorliege. Hier liege aber bei Berücksichtigung der Rücklagen keine Überschuldung vor.

Das Amtsgericht habe zudem die Satzung (K 1, Bl. 5 ff. d. A.) fehlerhaft gewürdigt. Der Ausschluss der Nachschusspflicht ergebe sich bereits aus dem Inhaltsverzeichnis zu § 19 (K 1, Bl. 5 R d. A.). Jedenfalls sei ein Anspruch der Klägerin auf Nachschuss verjährt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des am 12.06.2006 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg € 237 C 38/06 € abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, das GenG kenne nur die gesetzliche Rücklage und die freiwillige Ergebnisrücklage. Weder aus der Systematik des GenG, noch aus der Gesetzgebungshistorie noch aus Sinn und Zweck des § 73 Abs. 2 S. 3 GenG folge, dass stille Reserven in die entsprechende Bilanz einzubeziehen seien.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zutreffend hat das Amtsgericht entschieden, dass die Beklagte gemäß § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F. in Verbindung mit § 19 Abs. 1 der Satzung (K 1, Bl. 5 ff. d. A.) verpflichtet ist, an die Klägerin nach Ausscheiden aus der Genossenschaft per 31.12.2003 einen Fehlbetrag in Höhe der Klageforderung zu zahlen, d. h. 205,00 Euro für jeden ihrer erworbenen 15 Geschäftsanteile.

Die Auseinandersetzung mit dem ausscheidenden Genossen erfolgt gemäß § 73 Abs. 2 S. 1 GenG "unter Zugrundelegung der Bilanz€. Hierunter ist € worüber inzwischen Einigkeit zwischen den Parteien besteht - die ordentliche Handelsbilanz, die ohnehin zum Ende des Geschäftsjahres aufzustellen ist, in dem die Mitgliedschaft endet, zu verstehen (vgl. Beuthien, GenG, 14. Aufl., § 73 Rn. 5; Lang/Weidmüller, GenG, 34. Aufl., § 73 Rn. 3; Hillebrand/Kessler, GenG, § 73 Rn. 13).

Aus dieser Bilanz muss für den Nachschussanspruch aus § 73 Abs. 2 S. 3 a. F. GenG eine Überschuldung der Genossenschaft hervorgehen. Ausweislich des Berichts über das 79. Geschäftsjahr 2003 (K 2, Bl. 12-21 d. A.) lag eine buchmäßige Überschuldung vor, da das Eigenkapital aufgezehrt ist und die Passivposten die Aktivposten übersteigen (vgl. (K 2, S. 13, Bl. 19 d. A.). Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag als rechnerische Differenz zwischen Aktiv- und Passivposten betrug 19.143,7 TEuro (13.236,9 TEuro). Ein bis zum 31.12.2003 aufgestellter Vermögensstatus ergab, dass durch die Einbeziehung sog. stiller Reserven, die buchmäßige Überschuldung ausgeglichen ist.

Diese stillen Reserven sind keine Rücklagen im Sinne des § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F.. Sie müssen bei der Frage im Rahmen des Rückzahlungsanspruchs gem. § 73 Abs. 2 SA. 3 GenG a. F., ob das Vermögen der Klägerin zur Deckung der Schulden ausreicht, außer Ansatz bleiben.

Der Begriff der Rücklage ist im HGB (§ 272), im AktG (§ 150) und im GenG derselbe und beinhaltet in keinem Fall stille Reserven. Anhaltspunkte dafür, dass auch stille Reserven von den Rücklagen umfasst sein sollten, bietet die Entstehungsgeschichte der Norm nicht. Vielmehr scheint der Begriff der Rücklage nicht näher problematisiert worden zu sein.

Im Hinblick auf die ratio des GenG ist eine Auslegung des Begriffs der Rücklagen dahin gehend, dass auch stille Reserven umfasst sind, nicht geboten. § 73 Abs. 2 schützt die Genossen davor, während der Genossenschaft Nachschüsse leisten zu müssen, auch wenn diese Not leidend wird. Die Bezugnahme auf das Insolvenzverfahren in § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F. bedeutet nur einen Hinweis auf den Umfang der Nachschusspflicht, da andernfalls § 105 GenG leer liefe. Unzutreffend wäre es hingegen, den Begriff der Überschuldung und den der Insolvenz bzw. des Insolvenzverfahrens miteinander zu vermengen. Wenn § 73 Abs. 2 S. 3 GenG dahin zu verstehen wäre, dass die Voraussetzungen des § 98 GenG vorliegen müssen € nur dann wäre ein Insolvenzverfahren durchzuführen -, so liefe die Vorschrift leer. Die Differenzierung nach dem Vorliegen einer Nachschusspflicht lässt sich aus § 73 GenG aber nicht herleiten, weil dort nicht auf die Überschuldung, die nicht immer zu einem Insolvenzverfahren führt, sondern auf das Insolvenzverfahren selbst abgestellt wird. Insoweit kann nur die Auffassung zutreffen, wonach die Regelung darauf abstellt, ob eine Nachschusspflicht nach § 105 GenG satzungsrechtlich geregelt ist. Ist dies aber so, so lässt sich auch nicht daraus für den Begriff der Rücklage etwas anderes herleiten.

Ferner ist auch nicht ersichtlich, dass der Begriff Rücklage in § 73 Abs. 2 S. 2 GenG a. F. anders zu verstehen wäre als in § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F.. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen bilanzrechtlichen terminus technicus (vgl. § 272 HGB, § 150 AktG) plötzlich in einem erweiternden Sinne verstehen wollte. Verstünde man den Begriff der Rücklage dahin, dass er auch stille Reserven umfasst, wäre fraglich, was noch unter den Begriff des "sonstigen Vermögens€ fallen könnte.

Sinn und Zweck der Regelung in § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F. ist, dass der ausscheidende Gesellschafter keinen Vorteil aus dem Umstand ziehen soll, dass ein Nachschuss erst erforderlich ist, wenn die Genossenschaft insolvent wird. Die verbleibenden Genossen brauchen den bestehenden Verlust zunächst nicht auszugleichen, sondern erst bei einer späteren Insolvenz. Da dies bei ausscheidenden Genossen nicht praktikabel ist, müssen jene schon im Zeitpunkt des Austritts aus der Genossenschaft die Verluste ausgleichen.

Auch unter den Begriff des Vermögens im Sinne des § 73 Abs. 2 S. 3 GenG a. F. lassen sich die stillen Reserven nicht subsumieren. Denn wäre der Begriff des Vermögens so weit zu verstehen, wäre die Aufzählung von Rücklagen und Geschäftsguthaben überflüssig. Vermögen in diesem Sinne ist das sich aus der handelsrechtlichen Bilanz ergebende Aktivvermögen.

Letztlich wäre ein Austritt aus einer Genossenschaft sonst auch mit völlig unkalkulierbaren Kosten verbunden. Um den Wert der stillen Reserven zu ermitteln, wäre es dann erforderlich sämtliche Grundstücke zum Jahresende nach festzulegenden Kriterien zu bewerten.

Auch nach der nach Auffassung des BGH im Fall einer Unterbilanzierung gemäß § 73 Abs. 2 S. 3 a. F. GenG vorrangigen Heranziehung von Rücklagen im o. g. Sinne zur Verlustdeckung (vgl., BGH, Urt. v. 26.05.2003 € II ZR 169/02, NZG 2003, Bl. 882, 883), wäre hier kein anderes Ergebnis gerechtfertigt. Denn die Rücklagen führen lediglich zu einer Verringerung des Fehlbetrages auf einen Betrag von abgerundet 13 Mio. Euro. Selbst mit diesem Fehlbetrag verbleibt aber bei 1.969 Mitgliedern eine fiktive Nachschusspflicht von 6.623,00 Euro je Mitglied, die hier infolge § 19 der Satzung bei der Beklagten auf 3.075,00 Euro bei 15 Anteilen begrenzt ist.

Die Nachschusspflicht im Falle der Überschuldung ist auch nicht durch die Satzung ausgeschlossen und damit gemäß § 105 Abs. 1 GenG die Regel.

Die Tatsache, dass die Überschrift zu § 19 der Satzung im Inhaltsverzeichnis "Ausschluss der Nachschusspflicht€ lautet, führt nicht zu einem solchen Ausschluss. Denn aus dem Wortlaut der Regelung in § 19 der Satzung folgt eindeutig, dass die Nachschusspflicht nur insoweit ausgeschlossen ist, als sie die Haftsumme übersteigt. Zudem hat sich die Beklagte in ihrer Beitrittserklärung (K 7, Bl. 60 d. A.) zur Leistung von Nachschüssen verpflichtet. §§ 305 ff. BGB sind nach § 310 abs. 4 BGB nicht anwendbar.

Der Anspruch ist auch nicht verjährt, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat. Denn auch die zweijährige Verjährungsfrist hätte erst 6 Monate nach dem Ausscheiden der Beklagten begonnen.

Abgesehen davon ist § 74 GenG a. F. weder unmittelbar noch analog auf Nachschussansprüche der Genossenschaft nach § 73 Abs. 2 S. 3 a. F. GenG anwendbar. Vielmehr war § 74 GenG dem Wortlaut nach nur auf den Anspruch auf Auszahlung des Geschäftsguthabens anwendbar, den das ausgeschiedene Genossenschaftsmitglied gegen die Genossenschaft vorbringt. Es fehlt an einer Regelungslücke. Auf die ausführlichen Darstellungen im Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 06.07.2006 € 4 S 10/06 € (Bl. 135-145 d. A.), denen sich die Kammer anschließt, wird Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.






LG Berlin:
Urteil v. 01.02.2007
Az: 52 S 253/06


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