Landgericht Hamburg:
Beschluss vom 21. März 2016
Aktenzeichen: 315 O 87/16

(LG Hamburg: Beschluss v. 21.03.2016, Az.: 315 O 87/16)

Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung € der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung € bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren,

verboten,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, für S.-Implantate

1) mit der nachstehend eingelichteten Graphik

und/oder

2) mit der Aussage

"Die Ergebnisse dieser Studie sind für jene Zahnärzte und Patienten sehr relevant, die ihre Implantatwahl auf unabhängige klinische Daten stützen."

und/oder

3) mit der Aussage

"Diese Ergebnisse verleihen den bereits veröffentlichten Daten, die die hohen Erfolgsraten mit S.-Implantaten belegen, mehr Gewicht."

und/oder

4) mit der als nachstehend abgebildeten Graphik

und/oder

5) mit dem Hinweis zu werben, dass D. in seiner Studie "Effectiveness of implant therapy in Sweden" für die Untersuchung des Risikos der Periimplantitis 427 Patienten zufällig ausgewählt hat,

wie jeweils (Ziffern 1 - 5) geschehen in der als Anlage beigefügten Werbeunterlage.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Streitwert in Höhe von € 500.000,--.

Gründe

Die Schutzschrift von Rechtsanwalt M. vom 24. Februar 2016 hat bei der Entscheidung der Kammer vorgelegen.

Der Unterlassungsanspruch rechtfertigt sich hinsichtlich aller fünf Anträge gemäß den §§ 8, 3, 5 UWG. Die streitgegenständlichen Werbeaussagen sind irreführend.

1. Die streitgegenständlichen Aussagen in der Grafik zu Antrag 1. basieren auf den Zahlen, die J. D. et. al in dem Aufsatz €Effectivness of implant therapy analyzed in a swedish population: prevalence of peri-implantitis€ in der Tabelle 5 veröffentlicht hat. Daraus ergibt sich, dass die Zahlen statistisch nicht signifikant sind. Denn für sämtliche Zahlen ist ein sog. Konfidenzintervall angegeben. Bei den angegebenen Werten handelt es sich aber lediglich um "einfache" Mittelwerte. Aus einem Vergleich von Mittelwerten kann indes nicht abgeleitet werden, ob das gefundene Ergebnis statistisch signifikant ist. Hierfür bedarf es vielmehr der Berücksichtigung des sogenannten Konfidenzintervalls, das in der Medizin üblicherweise mit 95% angesetzt wird. Das 95%ige-Konfidenzintervall ist der Bereich, der bei unendlicher Wiederholung eines Zufallsexperiments mit statistischer Signifikanz die wahre Lage des jeweiligen Parameters erschließt. Dies hat der von der Antragstellerin beauftragte Gutachter Prof. H. (Anlage Ast. 9) erläutert:

Allerdings weisen die in der Referenz 1 in Tabelle 5 genannten 95%-Konfidenzintervalle klar darauf hin, dass diese Unterschiede nach den üblichen Maßstäben der Medizin (Irrtumswahrscheinlichkeiten für den Fehler I. Art, auch Signifikanzniveau genannt, von 5 % oder 1 %) nicht statistisch signifikant unterschiedlich sind, denn die 95%-Konfidenzintervalle der beobachteten Periimplantationshäufigkeiten der verschiedenen Hersteller sind angesichts der kleinen Fallzahlen sehr weit und überlappe sich erheblich. (...) Es widerspricht aber den anerkannten Maßstäben der medizinischen Wissenschaft aus statistisch nicht signifikanten Unterschieden spezifische Produktempfehlungen herzuleiten.

Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber auf die Stellungnahme von W. und H. (Anlage S 6) verweist, spricht diese nicht gegen die konkrete Aussage von Prof. H., sondern stellt nur allgemein das Konzept der 95%-Konfidenzintervalle in Frage. Im Übrigen werden die Ergebnisse von Prof. H. auch durch das Statement von M. A. vom 19. Februar 2016 (Anlage Ast. 10) gestützt.

2. Die mit dem Antrag zu 2. angegriffene Aussage

Die Ergebnisse dieser Studie sind für jene Zahnärzte und Patienten sehr relevant, die ihre Implantatwahl auf unabhängige klinische Daten stützen.

Die streitgegenständliche Aussage suggeriert den angesprochenen Adressaten, dass es sich bei den in der Werbeunterlage vorgestellten Ergebnissen in Bezug auf das Risiko einer Periimplantitis um Daten handelt, die wissenschaftlich belegt und für die Auswahl eines Implantatsystems relevant sind. Wie jedoch vorstehend dargelegt, sind die von der Antragsgegnerin herausgestellten Ergebnisse der D. Studie für die Implantatwahl nicht wissenschaftlich relevant. Denn die dargestellten Ergebnisse sind statistisch nicht signifikant und damit als zufällig anzusehen.

3. Die mit dem Antrag zu 3. angegriffene Aussage:

"Diese Ergebnisse verleihen den bereits veröffentlichten Daten, die die hohen Erfolgsraten mit S.-Implantaten belegen, mehr Gewicht."

Mit dieser Aussage führt die Antragsgegnerin die angesprochenen Verkehrskreise über die Vorteile ihrer Implantate in die Irre, immer unter Berücksichtigung des Umstands, dass die behaupteten Werte statistisch nicht signifikant sind.

4. Mit der unter 4. des Tenors verbotenen Grafik führt die Antragsgegnerin die angesprochenen Verkehrskreise ebenfalls in die Irre:

Die Behauptung, dass für die D. Studie "427 Patienten zufällig ausgewählt wurden", ist falsch. Für die Untersuchung zum Auftreten der Wahrscheinlichkeit einer Periimplantitis wurde die ursprünglich randomisierte Kohorte auf einen Bruchteil reduziert. Es waren nur 427 Patienten auswertbar, die aber nicht dem zufällig ausgewählten Studienkollektiv entsprachen. Mit der Angabe wird suggeriert, als wären alle Patienten der zufällig ausgewählten Stichprobe tatsächlich ausgewertet worden. Dies ist falsch und erweckt eine statistisch Stabilität und Belastbarkeit der Studiendaten, die ihnen nicht zukommt.

Dass die Zahl der zufällig ausgewählten Stichprobe bei ca. 900 Patienten lag und hiervon aufgrund verschiedener Gründe am Ende nur 427 Patienten ausgewertet wurden, ergibt sich aus dem Aufsatz von J. D. (Anlage Ast. 6) unter der Überschrift "Patient samples". Hier ist nicht von 427 zufällig ausgewählten Patienten die Rede. Prof. H. hat in seiner Stellungnahme die Vorgehensweise bei der Patientenauswahl und die damit einhergehenden Probleme wie folgt beschrieben (Anlage Ast. 9).

"Die 2. Abbildung gibt an, dass aus dieser Grundgesamtheit von ~ 25000 Patienten 427 Patienten zufällig ausgewählt wurden. Dies ist so nicht richtig dargestellt, weil die als 1.Referenz angeführte Publikation es ganz anders darstellt. Danach ergibt sich folgendes Bild: von den 4716 Patienten der Stichprobe erteilten 2765 (58,6%) Patienten ihre Zustimmung nach Aufklärung (1.Schritt). Aus diesen 2765 Patienten wurde eine Stichprobe von 900 Patienten gezogen, die eingeladen wurde, an einer kostenfreien zahnärztlichen Untersuchung neun Jahre nach Implantation teilzunehmen. 596 (66,22%) der 900 ausgewählten Patienten nahmen an der Nachuntersuchung teil. Nach Ausschluss weiterer sechs Patienten gingen in die Auswertung 588 Patienten ein (s.Ref. 1. S.44, z.B.Tab.1). Da jedoch nur von 427 Patienten bewertbare Röntgenbilder aus dem Jahre 2003 vorlagen, erfolgten die wesentlichen Auswertungen zur Perimplantitis, u.a. die Ergebnisse, die in dem Werbeblatt zitiert werden, nur an diesen 427 Patienten, d.h. an weniger als 50% (genau: 47,4%) der Zufallsstichprobe von 900 Patienten (2.Schritt). Die Darstellung im Werbeblatt ist daher irreführend, denn sie erweckt den Eindruck dass hier die Ergebnisse von 427 zufällig ausgewählten Patienten aus der Grundgesamtheit aller im Jahr 2003 vorgenommenen Zahnimplantationen in Schweden dargestellt werden. Zufallsstichprobe heißt ja, dass die Ergebnisse dieser Stichprobe auf die Grundgesamtheit verallgemeinert werden dürfen. Das ist hier aber nachgewiesenermaßen nicht der Fall, da zum einen nur bestimmte Altersgruppen ausgewählt wurden, und es zudem noch eine Nichteilnehmerrate in Höhe von 52,6 % (bezogen auf die Stichprobe von 900) gab. Zusätzlich muss hier berücksichtigt werden, dass die Einwilligungsrate zur Teilnahme an der Studie nur 58,6% betrug."

Damit ist nach Auffassung der Kammer belegt, dass die streitgegenständliche Grafik die angesprochenen Verkehrskreise in die Irre führt.

5. Damit ist auch belegt, dass die Aussage, dass

427 Patienten zufällig ausgewählt

wurden, als irreführend zu beurteilen und der Antrag zu 5. begründet.






LG Hamburg:
Beschluss v. 21.03.2016
Az: 315 O 87/16


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