Verwaltungsgericht Wiesbaden:
Beschluss vom 13. Februar 2009
Aktenzeichen: 6 L 93/09.WI (V)

(VG Wiesbaden: Beschluss v. 13.02.2009, Az.: 6 L 93/09.WI (V))

1. Die Normen des Bundeskriminalamtgesetzes sind derzeit nicht auf das Schengener-Informations-System anwendbar, weil keine Verbunddatei im Rahmen von § 11 BKAG vorliegt.

2. Im Falle des Vorliegens einer Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG wären die Daten schon deshalb zu löschen, weil es an einer entsprechenden Rechtsverordnung gem. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 6 BKAG fehlt.

3. Art. 110 SDÜ enthält keinen Anspruch auf Sperrung, sondern nur auf Löschung.

4. Die Voraussetzungen für eine Sperrung liegen auch vor, wenn die Daten des Antragstellers im SIS unrechtmäßig gespeichert sind und so eine Vorwegnahme der Hauptsache vermieden werden kann.

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweilen Anordnung verpflichtet, die im SIS über den Antragsteller vermerkte Ausschreibung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seinen Löschungsantrag zu sperren und diese Sperrung der zentralen D-Stelle nach Art. 108 SDÜ mitzuteilen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einsteiligen Anordnung die Sperrung seiner Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).

Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von E. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern seit Ende des Jahres 2006 in D. Dem Antragsteller und den Familienmitgliedern wurde durch das Amt der F-Landesregierung eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt, die bis zum 14.02.2008 gültig war. Am 17.01.2008 wurde ein Verlängerungsantrag gestellt. Hinsichtlich der Frau und der Kinder wurde dem Antrag stattgegeben. Im Zuge des Verfahrens hinsichtlich des Antragstellers wurde bekannt, dass gegen ihn im Schengener-Informations-System (SIS) ein Einreiseverbot für die Bundesrepublik Deutschland gespeichert ist. Das Bundeskriminalamt teilte am 07.11.2008 den D-Behörden als Ausschreibungsgrund mit:

Fahndungsausschreibung zur Einreiseverweigerung gemäß Artikel 96 II SDÜ erfolgte in Folge des Rechtshilfeverkehrs mit E. Grund für die Ausschreibung ist die sich aus dem Fahndungsersuchen ergebende und von der Person ausgehende Gefahr, unter anderem wegen der ihr in E drohenden Haftstrafe. Die Bundespolizeibehörde hat ihn am 00.00.2007 unter Aktenzeichen ....... zur Festnahme zum Zweck der Ausweisung/Abschiebung ausgeschrieben. Die Person ist national zur Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung nach E ausgeschrieben. € A.--gilt als gewalttätig.

Neben den Personaldaten und den Gründen enthält die Ausschreibung:

- Anlass der Ausschreibung: "Ausländer, dem die Einreise in das Schengener Gebiet zu verweigern ist"

- Zweck der Ausschreibung: "An der Außengrenze: Verweigerung der Ausreise in das Schengen Gebiet. Im Landesinneren: Prüfung des Aufenthalts ggf. Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch zuständige Ausländerbehörde."

- Ausschreibender Staat: "Deutschland"

- Eingabedatum der Fahndung: "00.00.2007"

- Löschdatum "00.00.2010"

- Personengebundener Hinweis: "gewalttätig"

- Kontaktdienststelle

- Einstellende Behörde: "Bundespolizeidirektion, Az.: ......."

- Einstellungsdatum: "00.00.2007"

Mit Bescheid vom 21. Januar 2009 wies die G den Antragsteller aus dem Bundesgebiet der D aus. Ihm habe kein neuer Aufenthaltstitel erteilt werden können, da gegen ihn ein Einreiseverbot in einem anderen Mitgliedstatt bestehe. Ein Konsultationsverfahren mit den deutschen Behörden müsse nicht eingeleitet werde. Der Aufenthalt widerstreite im Übrigen auch öffentlichen Interessen, worauf die Ausweisung ebenfalls gestützt werde. Der Bescheid ist noch nicht bestandskräftig.

Nach einer Mitteilung der D-Behörden an das Bundeskriminalamt vom 20.12.2008 stellte sich der Antragsteller der Festnahme. Er befindet sich in der Justizvollzugsanstalt G in Untersuchungshaft. Die Anordnung der Festnahme sei auf Grund eines Internationalen Haftbefehls von E vom ...... wegen Drogenaktivität und Umweltdelikten erfolgt.

Eine Selbstanzeige des Antragstellers wurde von der D-Staatsanwaltschaft bereits am ......2007 eingestellt.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12.01.2009 beantragte der Antragsteller beim Bundeskriminalamt die Löschung seiner Ausschreibung im SIS. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bedürfe keiner Fahndung, nachdem der Aufenthalt den Behörden von D und E bekannt sei. Der Tatvorwurf werde bestritten. Es handele sich nicht um grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Dem Antragsteller werde vorgeworfen, er habe die Gewährung eines Kredits simuliert, nicht aber, dass tatsächlich Geld geflossen sei. Ein Schaden sei nicht entstanden. Ein gewalttätiges Verhalten werde ihm nicht vorgeworfen.

Mit Schreiben vom 29.01.2009 wies das Bundeskriminalamt den Antragsteller darauf hin, dass er sich an das Bundespolizeipräsidium in H als ausschreibender Behörde wenden müsse.

Zunächst hatte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel gestellt, die Löschung der Ausschreibung im SIS zu erreichen (Az.: 6 L 79/09.WI). Diesen Antrag hat er am 02.02.2009 zurückgenommen, um nun den Antrag auf Sperrung der Daten zu verfolgen.

Am 04.02.2009 hat der Antragsteller den vorliegenden neuen Antrag gestellt. Er bringt vor, dass Bundeskriminalamt sei die für das Nationale Schengener-Informations-System (NSIS) zuständige Behörde und habe daher die Aufgabe, von anderen Behörden unzutreffend gespeicherte Daten zu löschen. Die Einreiseverweigerung setze eine Befugnis zur Ausschreibung nach nationalem Recht voraus. Daran fehle es aber. Wegen des erlaubten Aufenthalts in D hätte eine Konsultation nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ erfolgen müssen. Der Fernhaltung vom Schengen-Raum dürfe die Ausschreibung wegen Art. 8 EMRK nicht dienen, da damit die Trennung von der Familie in D verbunden sei.

Nach deutschem Recht liege keine Straftat, sondern lediglich eine arbeitsrechtliche Verfehlung in Form einer schriftlichen Lüge vor. Wenn Untreue vorliege, rechtfertige dies die Ausschreibung auch nicht zu strafprozessualen Zwecken. Eine Auslieferung sei nach § 3 IRG unzulässig, da es dafür keine Mindeststrafe von einem Jahr gebe. Eine Gewalttätigkeit sei schon wegen des vorgeworfenen Wirtschaftsdelikts unwahrscheinlich. Die Dringlichkeit des Antrages folge aus der drohenden Trennung von der Familie. Es liege keine Vorwegnahme der Hauptsache vor. Die Ausschreibung könne auch als nationale beibehalten werden. Der Antragsteller hat eine Übersetzung eines Haftbefehlersuchens vorgelegt.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweilen Anordnung zu verpflichten, die im SIS über den Antragsteller vermerkte Ausschreibung zu sperren und diese Sperrung den D-Behörden mitzuteilen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht. Die Ausschreibung sei durch die Bundespolizeidirektion erfolgt und deshalb sei diese Behörde für die Rücknahme zuständig. Deren Zuständigkeit für Ausschreibungen nach Art. 96 SDÜ ergebe sich aus §§ 30 Abs. 2 Nr. 3, 30 Abs. 5 BPolG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 5 AZRG. Das Bundeskriminalamt sei zwar zentrale Stelle nach Art. 108 Abs. 2 SDÜ. Die Ausschreibung sei danach über und nicht durch das Bundeskriminalamt erfolgt. Das NSIS sei eine Verbunddatei. Wie in anderen Mitgliedstaaten erfolge eine dezentrale Eingabe. Eine gesetzliche Regelung zur Anwendbarkeit der §§ 11 ff. BKAG auf das NSIS sei deshalb nicht erforderlich. Davon sei auch der Gesetzgeber ausgegangen, als mit Wirkung vom 01.03.2005 die Befugnis der Staatsanwaltschaften zum Abruf der im SIS gespeicherten Ausschreibungen vorgesehen habe. Die Antragsgegnerin hat die Errichtungsanordnung NSIS-Personenfahndung vorgelegt. Eine Rechtsverordnung sei nicht nötig, da die Datei nach § 7 BKAG geführt werde und die Rechtsverordnung nur Dateien nach §§ 8 und 9 BKAG zum Gegenstand haben könnte. Jedenfalls gehe der Umfang einer Ausschreibung nicht über das hinaus, was der Gesetzgeber schon in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BKAG vorgesehen habe. Eine Rechtsverordnung würde für die Ausschreibung im SIS auch nur deklaratorischen Charakter haben. Materiell sei die Ausschreibung rechtmäßig. Die Antragsgegnerin hat dazu die "Rotecke" zur internationalen Fahndung nach dem Antragsteller vorgelegt.

Der Bevollmächtigte des Antragstellers und die Antragsgegnerin haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Neben der Akte dieses Verfahrens liegt ein Heftstreifen Unterlagen des Bundeskriminalamts und die Akte des Vorgängerverfahrens 6 L 79/09.WI vor, dessen Vortrag auch in diesem Verfahren berücksichtigt wurde. Die der Ausschreibung im SIS zugrunde liegenden Unterlagen (Fahndungsersuchen, Haftbefehl) wurden von Seiten des Bundeskriminalamtes nicht vorgelegt.

II.

Der Antrag ist zulässig.

Die begehrte Verpflichtung ist als Regelungsanordnung statthaft (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Es besteht auch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.

Der Antragsteller hat sich an das Bundeskriminalamt als zuständige Behörde gewandt. Die ausschreibende Bundespolizeibehörde war nicht nach § 11 Abs. 3 BKAG zuständig. Die Norm des Bundeskriminalamtgesetzes ist nicht anwendbar, weil keine Verbunddatei im Rahmen von § 11 BKAG vorliegt. Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Bundeskriminalamtes als zentraler Stelle ist Art. 6 des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 15.07.1993 (BGBl II S. 1010) und nicht das Bundeskriminalamtgesetz. Schon der Bundesrat hat im Gesetzgebungsverfahren 1992 auf das Problem hingewiesen (BR-Drs. 121/1/92, insbesondere R 6., Zur Zuständigkeit von Bundesbehörden: "Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zu prüfen, ob insoweit ergänzende gesetzliche Regelungen erforderlich sind, insbesondere, ob das Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes im Hinblick darauf ergänzt werden muß, daß dem Bundeskriminalamt möglicherweise Aufgaben übertragen werden sollen, die bisher nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. "), ohne das der Gesetzgeber 1997 bei Erlass des neuen Bundeskriminalamtgesetztes darauf reagiert hätte. Die spätere Einfügung einer Abrufbefugnis der Staatsanwaltschaften aus dem SIS in § 11 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG macht dieses noch nicht zum Teil des Polizeilichen Informationssystems. Dazu hätte es angesichts des planvollen gesetzgeberischen Unterlassens einer ausdrücklichen Regelung bedurft (siehe auch VG Wiesbaden, Urteil vom 28.11.2006, Az. 6 E 864/06). Dies sieht der vom Bundestag am 30.01.2009 in der Ausschussfassung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS-II-Gesetz) nunmehr in Art. 2 Nr. 2 vor, wenn in § 3 BKAG in einem neuen Absatz 1a) der nationale Teil des Schengener Informationssystems Teil des polizeilichen Informationssystems nach § 11 BKAG werden soll (BT-Drs. 16/10816, 16/11763). Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Insoweit kann derzeit durch eine andere Behörde € hier die Bundespolizei € kein Eintrag im SIS erfolgen und ist das Bundeskriminalamt die verantwortliche Behörde und damit der richtige Antragsgegner (Art. 108 SDÜ; Art. 6 des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen).

Die Errichtungsanordnung der "NSIS-Personenfahndung" mag zwar gemäß § 34 BKAG erlassen worden sein, die in ihr genannten Rechtsgrundlagen entsprechen jedoch nicht dem derzeit geltendem Recht. Auch kann durch die Errichtungsanordnung kein neues Recht geschaffen werden.

Der Antrag ist auch begründet.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus Art. 118 Schengener Durchführungsüberein-kommen (SDÜ). Das SDÜ ist weiterhin anwendbar, weil die Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlament und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (Abl. Nr. L 381, S. 4) nach ihrem Art. 55 zwar schon in Kraft getreten ist, aber der danach zur Anwendbarkeit notwendige Beschluss des Rates über den Start des SIS II fehlt.

Art. 110 SDÜ enthält zwar keinen Anspruch auf Sperrung, sondern nur auf Löschung. Hier handelt es sich aber um ein Minus zur Löschung, weil es nicht um eine Sperrung wegen bestrittener Tatsachen geht (vgl. § 20 Abs. 4 BDSG), sondern um eine vorläufige Maßnahme in einem Löschungsverfahren wegen unrechtmäßig gespeicherten Daten geht (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, Art. 110 2. Alt. SDÜ). Die Voraussetzungen für eine Sperrung liegen auch vor, weil die Daten des Antragstellers im SIS unrechtmäßig gespeichert sind und so eine Vorwegnahme der Hauptsache vermieden werden kann.

Rechtsgrundlage für diese Ausschreibung ist ausschließlich Art. 96 SDÜ. Im SIS wurde der Antragsteller zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Die Ausschreibung zur Fahndung erfolgte rein national und ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Art. 96 Abs. 1 SDÜ sieht vor, dass durch die ausschreibenden Stellen die nationalen Verfahrensregeln einzuhalten sind. Das ist hier nicht geschehen. Die Bundespolizei ist zurzeit nicht befugt, Ausschreibungen im SIS vorzunehmen, weil § 11 Abs. 2 BKAG für das SIS nicht anwendbar ist. Nur das Bundeskriminalamt hätte ausschreiben dürfen. Der Antragsgegnerin ist jedoch insoweit recht zu geben, dass nur über eine Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG die Einhaltung datenschutzrechtliche Prinzipien gewährleistet wird. Das kann aber nicht dazu führen, auf Grund der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers nicht anwendbare Normen dennoch direkt oder analog anzuwenden. Das würde gegen das Prinzip der Nomenklarheit verstoßen, dem im Datenschutzrecht eine besondere Bedeutung zukommt. Aus den von der Antragsgegnerin angegebenen Normen ergibt sich nichts anderes. § 2 Abs. 2 Nr. 5 AZRG regelt lediglich, dass im Ausländerzentralregister bei einer Ausschreibung Daten gespeichert werden. Die Norm setzt eine Ausschreibung voraus und schweigt zu der dafür befugten Behörde. § 30 BPolG regelt, wie sich schon aus der gesetzlichen Überschrift ergibt, die Ausschreibung zur Fahndung. Bei der Grenzfahndung (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BPolG) werden Daten in einer dafür vorgesehenen Datei gespeichert. Eine Ausschreibung im SIS ist nicht vorgesehen. Dass § 30 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 BPolG Grundlage für die nationale Ausschreibung des Antragstellers zur Festnahme waren, ist hier nicht von Belang.

Eine Befugnis der Bundespolizei ist auch deshalb nicht entbehrlich, weil es sich bei Art. 96 SDÜ seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages um Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage von Titel IV des EG-Vertrags handelt. Einerseits verweist Art. 96 Abs. 1 SDÜ auf das nationale Recht, andererseits hätte die Gemeinschaft gar nicht die Kompetenz, die Zuständigkeit nationaler Behörden zu regeln.

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht vor. Danach kann die Ausschreibung auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei gestützt werden.

Allerdings ist nicht gegen Art. 25 Abs. 2 SDÜ verstoßen worden. Nach dieser Norm konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die einen Aufenthaltstitel erteilt hat, wenn sich herausstellt, dass der zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene Drittausländer über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt. Aus der Regelung der Konsultation kann der Antragsteller kein Anhörungsrecht vor einer Ausschreibung herleiten. Schon aus dem Wortlaut "Stellt sich heraus" (französisch "L€orsqu€il apparaît") ergibt sich, dass der ausschreibende Staat nicht anfragen muss, ob eine Person über einen Aufenthaltstitel verfügt. Dazu wäre er auch nicht in der Lage, weil das SIS gerade kein gemeinschaftsweites Ausländerzentralregister darstellt. Da das BKA erst durch die Anfrage von D im Rahmen des dortigen Verwaltungsverfahrens von dem Aufenthalt des Antragstellers erfahren hat, musste es keine Konsultation einleiten. Diese haben die Behörden von D nach Art. 25 Abs. 1 SDÜ für entbehrlich gehalten, weil sie selbst keinen neuen Aufenthaltstitel erteilen wollten.

Der Aufenthalt des Antragstellers stellt nach derzeitiger summarischer Prüfung keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Das Regelbeispiel Art. 96 Abs. 2 b) SDÜ ist nicht erfüllt. Ein konkreter Hinweis, der Antragsteller plane Straftaten, besteht nicht. Der Antragsteller steht auch nicht in dem Verdacht, schwere Straftaten, insbesondere solche im Sinne des Art. 76 SDÜ (Betäubungsmittel), begangen zu haben. Zwar soll die Festnahme in D nach der dortigen Sirenemitteilung wegen Drogenaktivität und Umweltdelikten erfolgt sein, jedoch ergibt sich aus der vorgelegten Übersetzung des Haftbefehlsantrages der Staatsanwaltschaft, Abteilung für Delikte in Bezug auf Banken, Versicherungsgesellschaften und Finanzinstitute, dass der zuständige Richter auch für Drogen-und Umweltdelikte zuständig ist.

Der Antragsteller steht zwar nach dem Haftbefehl in dem Verdacht, einen Kredit in Höhe von 30 Millionen J, das sind knapp 3 Millionen Euro (vgl. www.wikipedia.de, Stichwort "E", Abruf 12.02.2009), zur Geldwäsche vorgetäuscht zu haben. Darin liegt aber keine "Schwere Straftat".

Da es sich bei Art. 96 SDÜ um Gemeinschaftsrecht handelt, ist diese Regelung autonom auszulegen. Ein Rückgriff auf Wertungen des deutschen Rechts, auch des Auslieferungsrechts, ist nicht möglich. Aus dem Vergleich mit dem Regelbeispiel a), der Verurteilung zu einer Straftat mit Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, ergibt sich, dass eine schwere Straftat unabhängig von der Höhe de Schadens jedenfalls auch diese Mindeststrafe von einem Jahr voraussetzt. Das ist in Deutschland weder für Geldwäsche (§ 261 StGB) noch für Betrug (§ 263 StGB) und Untreue (§ 266 StGB) der Fall, auch nicht für besonders schwere Fälle. Auf den Strafrahmen in E € die "Rotecke" teilt nur die Höchststrafen, aber nicht die Mindeststrafen mit € kommt es hierbei nicht an, weil Art. 96 Abs. 2 SDÜ zur Bekämpfung einer Gefahr auf dem Hoheitsgebiet der ausschreibenden Vertragspartei abstellt und insoweit das Normengefüge des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland zu Grunde zu legen ist.

Auch unabhängig von dem Verdacht einer Straftat besteht keine Gefahr. Der Hinweis in der "Rotecke", der Antragsteller sei gewalttätig, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und wird auch von der Antragsgegnerin in weiter substantiiert. Dem Antragsteller wird kein Gewaltverbrechen vorgeworfen und weitere konkrete Angaben fehlen. Deshalb wäre auch der personenbezogene Hinweis "gewalttätig" nach Art. 93 Abs. 3 lit. b SDÜ auf jeden Fall zu löschen.

Die Frage der endgültigen Löschung ist jedoch einem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Der Anordnungsanspruch für die Mitteilung an die Behörden von D ergibt sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch, der aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird und gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Durch die Übermittlung rechtswidrig gespeicherter Daten ist ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, den es zu beseitigen gilt.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Sache ist dringlich. Es schwebt ein Verfahren zur Überprüfung des Ausweisungsbescheids, der auf die Ausschreibung und den Hinweis auf die Gewalttätigkeit des Antragstellers gestützt wurde.

Sollte vor der Erhebung der Hauptsacheklage keine neue Rechtslage eintreten, wäre für diese das Verwaltungsgericht Wiesbaden weiterhin zuständig. Andernfalls sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Falle des Vorliegens einer Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG die Daten schon deshalb zu löschen wären, da es an einer entsprechenden Rechtsverordnung gem. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 6 BKAG fehlt (siehe schon VG Gießen, Urteil vom 29.04.2002, Az. 10 E 141/01, Rdnrn. 55 ff. € nach Juris; aktuell OVG Niedersachsen, Urteil vom 16.12.2008, Az. 11 LC 229/08).

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Da es sich um eine vorläufige Entscheidung handelt, wird der halbe Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG zu Grunde gelegt.






VG Wiesbaden:
Beschluss v. 13.02.2009
Az: 6 L 93/09.WI (V)


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