Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. November 2003
Aktenzeichen: 19 W (pat) 718/02

(BPatG: Beschluss v. 26.11.2003, Az.: 19 W (pat) 718/02)

Tenor

Das Restpatent 195 24 568 wird widerrufen.

Gründe

I Für die am 6. Juli 1995 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung, für die die innere Priorität vom 2. Juni 1995 (Aktenzeichen 195 19 738.0) in Anspruch genommen ist, ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 14. Oktober 1999 veröffentlicht worden. Es betrifft einen Kraftfahrzeugtürverschluss mit Ziehgriff.

Gegen das Patent hat die Einsprechende l am 10. Januar 2000 Einspruch erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Gegenstand des Patents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Einsprechende I behauptet zwei dem Patentgegenstand entgegenstehende offenkundige Vorbenutzungen und verweist auf die Druckschriften 1. EP 0 508 580 A1 2. DE 44 33 182 C2 3. DE 20 23 859 A1 sowie zum Nachweis einer der beiden Vorbenutzungen in der Öffentlichkeit auf die Anlagen C1: HUF-Zeichnung Zsb. Türaussengriff, Nr. 11.169.500.0 vom 8. August 1985 C2: in Verkleinerung einen Ausbruch der in (C1) gezeigten Rückansicht dieses Türaußengriffs C3: Verwendungsliste des Türaußengriffs der Zeichnung gemäß (C1)

C4: Inhalt der Bestandteile der in (C3) als dritte Position angeführten Schließgarnitur C5: Aufstellung der letzten Lieferungen der Schließgarnitur gemäß (C4) aus den Jahren 1990 und 1991 C6: Rechnungsbelege für die Lieferung der als 13. Position in (C5) angeführten Lieferung an BMW C7: Schreiben der Fa. BMW Group vom 24. Mai 2002 über die Lieferung von Huf-Türgriffen für bestimmte BMW-Typen C8.1: Schreiben der Fa. BMW Group vom 24. Juli 2003 über die bei BMW eingesetzten Türverschlüsse für die Fahrzeuge der 7-er Baureihe (intern E 32)

C8.2: Produktionsübersicht über die bei BMW produzierten -Fahrzeuge der 7er-Reihe zwischen 1986 und 1992 C9.1: Schreiben der Fa. BMW Group vom 28. Oktober 2003 mit Erläuterungen des bei BMW verwendeten Huf-Türgriffs C9.2: BMW-Werkstattzeichnung 1 908 123/124 C9.3: BMW-Werkstattzeichnung 1 908 203 C9.4: BMW-Bildtafel 41_0723 Türgriff vorne/ Verschluss Einzelteile C9.5: BMW-Bildtafel 41_0703 Türschloss vorne D: ECE-Regelung Nr. 11 (auszugsweise) Einheitliche Vorschriften für die Genehmigung hinsichtlich der Festigkeit der Türschlösser (Mit Änderungen zuletzt vom 20. April 1986)

In der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2003 überreicht die Einsprechende I ein Fax der Fa. Huf Hülsbeck & Fürst GmbH & Co KG bezüglich der amtlichen Anerkenntnis eines Daten-Fernübertragungsprotokolles, wie es die Anlage C6 darstellt.

Die Einsprechende ll hat am 14. Januar 2000 Einspruch erhoben und unter Hinweis auf §§ 1 bis 5 PatG behauptet, der Gegenstand des Patents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Neben der von der Einsprechenden l genannten EP 0 508 580 A1 nennt sie zum Stand der Technik die EP 0 508 580 B1 und noch folgende Druckschriften:

4. US 4 475 754 A1 5. DE 44 05 383 A1 6. EP 0 400 505 A1 Außerdem reicht sie eine - Fotografie Nr. K6-SL/ENG 7 91007/213D der Firma Bosch Bomoro eines Baumusters eines Türgriffes sowie eine - Faxkopie der BMW NL Essen vom 6. August 2002 mit Angaben zum Fertigungszeitraum der Baureihe E 32 ein.

Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2002 hat die Einsprechende ll gemäß § 147 Abs. 3 Nr. 2 den Antrag gestellt, den zuständigen Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts entscheiden zu lassen und dazu die Akten dem Bundespatentgericht vorzulegen; sie beantragt weiter, über den Einspruch nach einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, die Unterlagen der beiden Einsprechenden seien nicht geeignet, die Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzungshandlungen zu belegen. Sie ist der Meinung, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruhe auch gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechenden stellen übereinstimmend den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

nach Hauptantrag wie Patentschrift, hilfsweise mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 vom 4. November 2003 und Patentansprüchen 2 bis 6 wie Patentschrift, Patentansprüche 1 bis 5 nach Hilfsantrag 2, Patentansprüche 1 bis 4 nach Hilfsantrag 3, Patentansprüche 1 bis 3 nach Hilfsantrag 4, sämtliche vom 4. November 2003, in allen Fällen mit den Zeichnungen wie Patentschrift, in den Fällen der Hilfsanträge 2 bis 4 mit noch anzupassenden Beschreibungen.

Höchst hilfsweise erklärt die Patentinhaberin die Teilung des Patents.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet unter Hinzunahme der Gliederungszeichen a1 bis a7 und b1 bis b8 entsprechend einer von der Einsprechenden l vorgenommenen Gliederung:

"(a1) Kraftfahrzeugtürverschluss mit Schließelementen,

(a2) mit einem Verriegelungshebelsystem,

(a3) mit einem auf die Schließelemente wirkenden Betätigungshebelsystem

(a4) sowie mit einem Außenöffnungsgriff (1) zur Betätigung des Betätigungshebelsystems,

(a5) wobei die Schließelemente sowie das Verriegelungshebelsystem und das Betätigungshebelsystem in einer ein Funktionssubmodul (2) bildenden baulichen Einheit vereinigt sind,

(a6) wobei der Außengriff (1) auf einer Außenbetätigungselementeplatte (3) gelagert ist und mit dieser ein Außenbetätigungssubmodul (4) bildet und

(a7) wobei zwischen dem Außenbetätigungssubmodul (4) und dem Funktionssubmodul (2) zumindest eine auf das Betätigungshebelsystem wirkende Betätigungsstange (5) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet,

(b1) dass der Außengriff (1) als Ziehgriff (1) ausgebildet ist,

(b2) dass ferner auf der Außenbetätigungselementeplatte (3) ein an den Ziehgriff (1) sowie an die Betätigungsstange (5) angeschlossener Umlenkhebel (6) gelagert ist

(b3) zur Umsetzung eines im wesentlichen waagerechten Betätigungshubes (H1) des Ziehgriffs (1) in einen im wesentlichen senkrechten Betätigungshub (H2) der angeschlossenen Betätigungsstange,

(b4) dass weiter der Umlenkhebel (6) einen ersten Schenkel (25), auf welchen ein Mitnehmerhaken (24) des Ziehgriffs (1) wirkt,

(b5) sowie einen gegenüber dem ersten Schenkel (25) abgewinkelten zweiten Schenkel (26) zum Anschluss der Betätigungsstange (5) aufweist, und

(b6) dass der Umlenkhebel (6) weiterhin einen im wesentlichen dem ersten Schenkel (25) gegenüberliegenden

(b7) vorzugsweise vertikal ausgerichteten, dritten Schenkel (30) besitzt,

(b8) wobei der dritte Schenkel (30) ein Ausgleichsgewicht zum Ausgleich von bei einem Seitenaufprall auf den ersten Schenkel (25) wirkenden Drehmomenten bildet."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag dadurch, dass in dem dem Merkmal b3 entsprechenden Merkmal des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag die Worte "im wesentlichen" weggelassen sind.

Von dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 dadurch, dass in dem dem Merkmal b7 entsprechenden Merkmal des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag das Wort "vorzugsweise" weggelassen ist und dass er zusätzlich die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 2 aufweist.

Die Patentansprüche 1 nach Hilfsantrag 3 und 4 unterscheiden sich von dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag bzw und Hilfsantrag 2 dadurch, dass sie jeweils zusätzlich die Merkmale der erteilten Patentansprüche 4 und 5 enthalten.

Es soll die Aufgabe gelöst werden, einen Kraftfahrzeugtürverschluss zu schaffen, bei welchem es insbesondere bei einem auf die Kraftfahrzeugtür wirkenden Seitenaufprall nicht zur Auslösung des (entriegelten) Kraftfahrzeugtürverschlusses und somit nicht zur unbeabsichtigten Öffnung der Kraftfahrzeugtür kommt (Sp 3 Z 4 bis 11der PS).

Die Einsprechenden l und ll halten den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nicht für erfinderisch. Sie sind übereinstimmend der Auffassung, dass sich dieser Kraftfahrzeugtürverschluss vom Kraftfahrzeugtürverschluss nach der US 4 475 754 im wesentlichen nur dadurch unterscheide, dass bei ihm zusätzlich ein Ausgleichsgewicht am Umlenkhebel angebracht sei. Sie meinen, dass die US 4 475 754 den Ausgangspunkt der Erfindung bilde. Gehe es einem Fachmann darum, den Kraftfahrzeugtürverschluss nach der US 4 475 754 so zu verbessern, dass er crashsicher wird, liege es für ihn nahe, das ihm aus der Anlage C1 bei einem Kraftfahrzeugtürverschluss bekannte Ausgleichsgewicht am Umlenkhebel des Kraftfahrzeugtürverschlusses nach der US 4 475 754 vorzusehen. Der Fachmann werde nach Auffassung der Einsprechenden II Ausgleichsgewichte, wie sie in der ebenfalls einen Türverschluss mit Ziehgriff betreffenden DE 20 23 859 A1 beschrieben sind, bei dem aus der US 4 475 754 bekannten Türschloss nicht vorsehen, da ihm diese als separate, nur im Crashfall benötigte bzw. wegen ihrer seltenen Betätigung zu unsicher bzw. als mit dem Türgriff fest verbundene, zusätzlichen Raum erfordernde Bauteile ungeeignet erscheinen. Eine verstärkte Rückstellfeder als Maßnahme, um im Crashfall einer Türgriffbewegung entgegenzuwirken zieht der Fachmann nach Meinung der Einsprechenden I nicht in Erwägung, da sich hierbei die Öffnungskraft für den Türgriff in unkomfortabler Weise erhöhte.

Die Einsprechende I ist der Auffassung, dass die Patentansprüche 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 aus den zum Hauptantrag genannten Gründen mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag fallen müssten. Zu den Patentansprüchen 1 nach Hilfsantrag 3 und 4 verweist sie zusätzlich auf die EP 0 400 505 A1 und meint, dass sich eine L oder U-Profilform für das das Funktionssubmodul und Außenbetätigungssubmodul verbindende Tragelement in Kenntnis der dort beschriebenen, viereckigen Profilform des Tragelementes für den Fachmann als einfache konstruktive Abwandlung ohne Weiteres ergebe.

Nach Ansicht der Einsprechenden II steht das in den Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 3 und 4 angegebene Tragelement auch in keinem technischen Zusammenhang mit dem Ausgleichsgewicht.

Die Patentinhaberin ist der Auffassung, beim Kraftfahrzeugtürverschluss nach Anlage C1 sei kein Umlenkhebel im Sinne der Erfindung vorhanden, denn es werde mit einem Klappgriff kein im wesentlichen waagrechter Betätigungshub in einen im wesentlichen senkrechten Betätigungshub der angelenkten Betätigungsstange umgesetzt. Sie meint ferner, dass sich ein Fachmann, ausgehend von einem Kraftfahrzeugtürverschluss mit Ziehgriff, wie er in der US 4 475 754 beschrieben sei, keine Anregung von dem Kraftfahrzeugtürverschluss mit Klappgriff nach Anlage C1 holen würde, da die Anbindung der Betätigungsstange an den Klappgriff bei einem Ziehgriff nicht funktionieren würde. Der Fachmann orientiere sich deshalb nur im Stand der Technik bei Ziehgriffen. Der Kraftfahrzeugtürverschluss des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sei daher patentfähig.

Die Patentinhaberin hält auch die Kraftfahrzeugtürverschlüsse der Patentansprüche nach den Hilfsanträgen für patentfähig. Sie ist der Auffassung, der Fachmann komme von einem viereckigen Profil gemäß EP 0 400 505 A1 nicht zu einem L- oder U-förmigen Profil.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Einspruchsverfahren Auf den Antrag der Einsprechenden ll vom 23. Mai 2002 hin ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Der Senat hatte auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden (siehe BPatGE 46,134 - "gerichtliches Einspruchsverfahren" (mwN)).

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

2. Zur behaupteten öffentlichen Zugänglichkeit der Vorbenutzung gemäß Anlage C1 Auf Grund der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2003 ist der Senat davon überzeugt, dass - entgegen der von der Patentinhaberin mehrfach, erstmals in der Einspruchserwiderung geäußerten Ansicht - der Kraftfahrzeugtürverschluss, der in der Zeichnung Nr. 11 169 500 bzw. 11 169 600 der Firma Hülsbeck & Fürst, 5620 Velbert 1 vom 8. August 1985 mit Änderungen bis 12. Oktober 1992 (Anlage C1) dargestellt ist, auch durch Benutzung eines derartigen Türaußengriffs vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht war.

Der Zeuge W... hat ausgesagt, dass ihm die Zeichnung C1 (Huf Nr.:11 169 500 bzw. 600) vertraut sei; er hat an der Kundennummer (00050) erkannt, dass die Zeichnung den Fahrzeugtypen der 7er-Serie, (intern E32) der Firma BMW zugeordnet war. Weiterhin konnte er überzeugend Einzelheiten der Zeichnung interpretieren. Er konnte auch zu, in der Zeichnung nicht dargestellten Teilen, wie einem Schlosshebel und einer Verriegelungsstange Auskunft geben, die zu dem damals nicht von Huf gelieferten Türschloss gehören. Der Zeuge K... bestätigte diese Ausführungen. Beide Zeugen erläuterten, dass der im Schnitt I-J der Zeichnung C1 dargestellte Hebelarm mit einer Rolle versehen sei und dass das Ausgleichsgewicht 11 169 230 auch nach den in der Zeichnung vermerkten Änderungen stets vorhanden war.

Der Zeuge W... hat ferner zur Überzeugung des Senats glaubwürdig vorgetragen, dass ihm in seiner Eigenschaft als einziges Bindeglied zwischen Kunden- und Firmenentwicklung die zunächst von BMW prognostizierten Stückzahlen (200 000) und die Stückzahlen von tatsächlich von Huf ausgelieferten Türgriffen (80 000) bekannt waren. Denn solche Zahlen spielen in Verhandlungen zwischen Kfz-Firmen und deren Zulieferbetrieben schon im Hinblick auf Preiskalkulationen regelmäßig eine große Rolle und sind deshalb leicht zu merken. Er erkannte im Datenblatt (Anlage C6) eine Rechnung der Firma Huf an die Firma BMW.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Kraftfahrzeugtürverschlüsse der beschriebenen Art vor dem Prioritätstag des Streitpatents nicht nur in Serie hergestellt und an die Firma BMW geliefert, sondern von ihr auch in die Kraftfahrzeuge der 7er-Klasse eingebaut, mit diesen Einbauten ausgeliefert und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden waren.

3. Zur Patentfähigkeit Als zuständiger Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Konstruktion von Kraftfahrzeugtürverschlüssen mit Klapp- und Ziehgriffen anzusehen.

3.1 Zum Hauptantrag Aus der US 4 475 754 ist ein Kraftfahrzeugtürverschluss mit Schließelementen und einem Verriegelungshebelsystem bekannt (Fig 1 und Sp 1 Z 3 bis 6). Zwar sind Schließelemente, wie Drehfalle und Sperrklinke, sowie ein Verriegelungshebelsystem in der US 4 475 754 nicht gezeigt, aber vom Fachmann in Gedanken gleich mitlesbar, da die Druckschrift auf eine Betätigungsstange verweist (Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 1), die zwangsläufig zu einem Schlossmechanismus führen muss, der diese Teile, sowie ein auf die Schließelemente wirkendes Betätigungshebelsystem enthält (Merkmale a1 bis a3).

Außerdem ist ein Außenöffnungsgriff (14) zur Betätigung des Betätigungshebelsystems gezeigt (Merkmal a4).

Da zu dem Kraftfahrzeugtürverschluss nach der US 4 475 754 eine über ein Hebelsystem betätigbare Türverriegelung gehört - wie es bei Kraftfahrzeugtürverschlüssen die Regel ist -, entnimmt der Fachmann aus der US 4 475 754, dass ein im Schlossmechanismus befindliches Verriegelungshebelsystem vorhanden sein muss, das wegen der erforderlichen örtlichen Nähe zusammen mit dem Betätigungshebelsystem und den Schließelementen in einer baulichen Einheit vereinigt ist, die bei Verwendung mit dem gezeigten Türgriff auch ein Funktionssubmodul bildet (Merkmal a5).

Der Außengriff (14) ist auf einer Außenbetätigungselementeplatte (20) gelagert (Fig 1 iVm Sp 2 Z 62 bis 65) und bildet mit dieser ein Außenbetätigungssubmodul (Merkmal a6).

Zwischen dem Außenbetätigungssubmodul (14, 20) und dem Funktionssubmodul ist eine auf das Betätigungshebelsystem wirkende Betätigungsstange (Fig 1 iVm Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 1) angeordnet (Merkmal a7).

Der Außengriff (14) ist als Ziehgriff ausgebildet (Fig 1 und 2) (Merkmal b1).

Weiterhin zeigt die US 4 475 754, dass auf der Außenbetätigungselementeplatte (20) ein an den Ziehgriff (14) sowie an die Betätigungsstange (Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 1) angeschlossener Umlenkhebel (68) gelagert ist (Lagerachse 78) (Merkmal b2).

Der Umlenkhebel (68) dient auch zur Umsetzung eines im wesentlichen waagrechten Betätigungshubes des Außengriffs (14) in einen im wesentlichen senkrechten Betätigungshub der angeschlossenen Betätigungsstange (Fig 2 iVm Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 1)(Merkmal b3).

Nach der US 4 475 754 weist der Umlenkhebel (68) schließlich auch einen ersten Schenkel (72) auf, auf welchen ein Mitnehmerhaken (64) des Ziehgriffs (14) wirkt (Merkmal b4) und weiterhin einen gegenüber dem ersten Schenkel (72) abgewinkelten zweiten Schenkel (70) (Fig 1 und 2 iVm Sp 3 Z 1 bis 5) (Merkmal b5).

Von dem in der US 4 475 754 dargestellten Kraftfahrzeugtürverschluss unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag dadurch

"(b6, b7) dass der Umlenkhebel weiterhin einen im wesentlichen dem ersten Schenkel gegenüberliegenden vorzugsweise vertikal ausgerichteten, dritten Schenkel besitzt,

(b8) wobei der dritte Schenkel ein Ausgleichsgewicht zum Ausgleich von bei einem Seitenaufprall auf den ersten Schenkel wirkenden Drehmomenten bildet".

Diese Unterschiede können jedoch nicht patentbegründend sein.

Ausgehend von einem Kraftfahrzeugtürverschluss mit Ziehgriff, wie er in der US 4 475 754 dargestellt ist, stellt sich für den Fachmann die Aufgabe, diesen so zu verbessern, dass es insbesondere bei einem auf die Kraftfahrzeugtür wirkenden Seitenaufprall nicht zur Auslösung des (entriegelten) Kraftfahrzeugtürverschlusses und somit nicht zur unbeabsichtigten Öffnung der Kraftfahrzeugtür kommt, in der Praxis von selbst, wenn der Kunde diese sicherheitstechnischen Anforderungen stellt, weil z.B. gesetzliche Vorschriften, wie die von der Einsprechenden I genannte ECE-Vorschrift (siehe dort insb Punkt 5.2.3) zu beachten sind.

Von einem pflichtgemäß handelnden Fachmann ist zu erwarten, dass er die Modifizierung des Kraftfahrzeugtürverschlusses nach der US 4 475 754 im Hinblick auf die genannte Aufgabe mit möglichst geringen Änderungen bewerkstelligt. Er wird sich daher bei Kraftfahrzeugtürverschlüssen umsehen und zur Gewährleistung der Crashsicherheit, solche Lösungen berücksichtigen, die einfache Realisierungsmöglichkeiten anbieten.

Die DE 20 23 859 A1 zeigt ihm durch das Ausführungsbeispiel nach Figur 4 (iVm S 7 Abs 3 bis S 8 Abs 1 und Anspr 6) eine einfache Möglichkeit die beim Seitenaufprall auf einen Ziehgriff wirkende Beschleunigungskraft dadurch unwirksam zu machen, dass er ein Ausgleichsgewicht (23) in einer Verlängerung (24) des Ziehgriffs (27) anbringt. Diese Möglichkeit wird der Fachmann aufgreifen, wenn ihm der hierfür nötige Einbauraum in der Tür zur Verfügung steht. Andernfalls muss er sie verwerfen. Die in der DE 20 23 859 A1 noch angebotene Möglichkeit, ein separat gelagertes und zusätzlich federbelastetes Ausgleichsgewicht vorzusehen (Fig 1 bis 3: 11, 15 bzw Fig 5, 6: 31, 35), das nur im Crashfall benötigt wird (S 6 Z 4 bis 7), wird der Fachmann als konstruktiv zu aufwändig nicht in Betracht ziehen. Denn ihm ist es in Zusammenhang mit dem vorbenutzten Kraftfahrzeugtürverschluss mit Klappgriff nach Anlage C1 bekannt, ein Ausgleichsgewicht 11.169.230.3 in Form eines dritten Schenkels an dem die Bewegung des Klappgriffs (Schnitt C-D) in eine Bewegung für einen am Schloss angebrachten Schlosshebel umlenkenden Umlenkhebel anzubringen, dh in einfacher Weise und ohne mechanischen Zusatzaufwand. Dem Fachmann sind sowohl Kraftfahrzeugtürverschlüsse mit Klapp- als auch mit Ziehgriff gleichermaßen geläufig, weil - wie der Zeuge W... glaubhaft vorgetragen hat - beide Türgriffe Vor- und Nachteile haben, und die Entscheidung für eine der beiden Varianten zum Beispiel aus Design-Gründen regelmäßig eine Vorfeld-Entscheidung ist. Der Fachmann erkennt daher aufgrund der bei jedem Türgriff erforderlichen Kraft-Weg-Umlenkungen ohne weiteres, dass der Umlenkhebel des einen Klappgriff umfassenden Kraftfahrzeugtürverschlusses nach der Anlage C1 wegen seiner Umlenkfunktion mit dem Umlenkhebel (68) des einen Ziehgriff aufweisenden Kraftfahrzeugtürverschlusses nach der US 4 475 754 vergleichbar ist. Der Ansicht der Patentinhaberin, der Umlenkhebel gemäß Anlage C1 sei kein Umlenkhebel im Sinne der Erfindung konnte sich der Senat nach alledem nicht anschließen. Der Fachmann wird deshalb den Krftfahrzeugtürverschluss nach der US 4 475 754 zum Ausgleich von bei einem Seitenaufprall auf den ersten Schenkel wirkenden Drehmomenten so ausgestalten, dass der Umlenkschenkel (68) einen weiteren im wesentlichen dem ersten Schenkel (72) gegenüberliegenden vorzugsweise vertikal ausgerichteten, dritten Schenkel besitzt, wobei der dritte Schenkel ein Ausgleichsgewicht bildet.

Damit gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag. Man würde die Fähigkeiten des Fachmanns unterschätzen, würde man ihm solches nicht zutrauen.

Die erteilten Unteransprüche 2 bis 6 nach Hauptantrag fallen mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag.

3.2 Zu den Hilfsanträgen 1 und 2 Aus der US 4 475 754 ist auch die Umsetzung eines waagerechten Betätigungshubes des Ziehgriffs (14) in einen im wesentlichen senkrechten Betätigungshub der angeschlossenen Betätigungsstange bekannt (Fig 2 und 4 iVm Sp 2 Z 44 bis 53). Weiterhin erkennt der Fachmann in den Figuren 2 und 4 auf den ersten Blick, dass der zweite Schenkel (70) zum Anschluss der Betätigungsstange (Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 1) gegenüber dem ersten Schenkel (72) etwa um 90¡ abgewinkelt ist. Auch ohne weiteren Hinweis in der Beschreibung wird der Fachmann deshalb einen 90¡-Winkel vorsehen, wenn er den bekannten Türverschluss bauen soll.

Schon der vorbenutzte Türverschluss weist im Schnitt A-B der Anlage C1 einen im wesentlichen vertikal ausgerichteten dritten Schenkel (11.169.230.3) auf und es ist lediglich eine handwerkliche Anpassung an die Neigung des Türaußenblechs, den dritten Schenkel exakt senkrecht auszurichten.

Damit stellen die in den Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 vorgenommenen Beschränkungen im Hinblick auf den zum Patentanspruch 1 nach Hauptantrag genannten Stand der Technik einfache handwerkliche Maßnahmen dar. Die Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 enthalten daher nichts Patentfähiges. Die auf den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 fallen mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und die auf den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 fallen mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2.

3.3 Zu den Hilfsanträgen 3 und 4 Aus der EP 0 400 505 A1 (Fig 4) ist ein Kraftfahrzeug-Türverschluss bekannt, bei dem das Funktionssubmodul (11) und das Außenbetätigungssubmodul (14) (Fig 4 iVm Sp 2 Z 22 bis 36) über ein Tragelement (bei Pos 20) verbunden sind (Fig 1 iVm Sp 2 Z 37 bis 39) und ein vormontiertes und funktionsfähiges Kraftfahrzeugtürverschlussmodul bilden (Fig 4 und 6 iVm Sp 1 Z 23 bis 29), wobei die Ausbildung und die Anordnung des Tragelementes so getroffen ist, dass das Tragelement zusätzlich eine Funktion als Sicherheitsabdeckung für zumindest eine auf das Verriegelungshebelsystem wirkende Betätigungsstange (Sp 1 Z 15 bis 18 und Sp 2 Z 41 bis 49) erfüllt.

Zwar ist das Tragelement (bei Pos 20) im wesentlichen rechteckprofilförmig ausgebildet (Fig 6) und damit nicht L- oder U-profilförmig und es ist auch kein Ziehgriff sondern ein Klappgriff (14) vorgesehen (Fig 1 und 4).

Nach Auffassung des Senats kommt es aber in Bezug auf die Konstruktion des Tragelementes als Sicherheitsabdeckung nicht darauf an, ob das Außenbetätigungsmodul mit einem Zieh- oder einem Klappgriff ausgestattet ist, ob der Griff vormontiert ist oder nicht und ob ein Ausgleichsgewicht vorgesehen ist oder nicht.

Die Reduzierung eines rechteckprofilförmig ausgebildeten Tragelementes in ein L- oder U-profilförmiges ist als einfache konstruktive Maßnahme anzusehen, die der Fachmann vornimmt, wenn er die Zugänglichkeit zu den im Innern des Tragelementes befindlichen Teilen zu verbessern hat.

Hinsichtlich der übrigen Merkmale der Patentansprüche 1 nach Hilfsantrag 3 bzw. 4 wird auf die Ausführungen zum Patentanspruch 1 nach Hauptantrag bzw. nach Hilfsantrag 2 verwiesen.

Der Fachmann muss somit nicht erfinderisch tätig werden um zu einem Kraftfahrzeugtürverschluss nach den Patentansprüchen 1 gemäß Hilfsanträgen 3 und 4 zu gelangen. Die auf den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 fallen mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 und die auf den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 3 fallen mit dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4.

Nach alledem ist das Patent gemäß dem höchst hilfsweise gestellten Antrag geteilt. Der Senat konnte jedoch über den Bestand des Restpatents abschließend entscheiden, da ein Schwebezustand für das Stammpatent nicht entsteht (vgl BPatGE 46, 136 - Unterbrechungsbetrieb).

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Kaminski Groß

Be






BPatG:
Beschluss v. 26.11.2003
Az: 19 W (pat) 718/02


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