Bundespatentgericht:
Urteil vom 5. April 2011
Aktenzeichen: 3 Ni 15/10

(BPatG: Urteil v. 05.04.2011, Az.: 3 Ni 15/10)

Tenor

I. Das europäische Patent 0 992 194 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 300.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 30. September 1999 beim europäischen Patentamt angemeldeten, die Priorität der deutschen Anmeldung 198 46 305 vom 8. Oktober 1998 in Anspruch nehmenden mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 992 194 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentamt unter der Nummer 599 04 079 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine "Nahrungsmittelhülle" und umfasst 9 Patentansprüche. Der unabhängige Patentanspruch 1 lautet:

1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle aus zumindest einer wasserdampfund/oder gasundurchlässigen Folie (1) besteht und eine mit ihr verbundene saugfähige Innenlage (2) aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies trägt und dass diese Innenlage (2) mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist.

Die direkt oder indirekt rückbezogenen Ansprüche 2 bis 9, wegen deren Wortlaut auf die Streitpatentschrift verwiesen wird, betreffen besondere Ausgestaltungen der Nahrungsmittel-Barrierehülle nach Anspruch 1.

Die Klägerin greift das Patent in vollem Umfang an und stützt ihre Nichtigkeitsklage auf die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Ausführbarkeit und der fehlenden Patentfähigkeit.

Sie nennt dazu folgende Druckschriften:

GvR1: EP 0 992 194 B1, GvR 2: DPMA-Online-Registerauszug zu DE 599 04 079, GvR 3: Einspruch der Kalle GmbH & Co. KG vom 22. Oktober 2003 gegen das europäische Patent EP 0 922 194, 10 Seiten, GvR 4: Wikipedia-Auszug zum Stichwort "Verpackung", GvR 5: M. D. Nicholson "Flexible nonwoven composites for food packaging", Tappi Journal, Vol. 74, No. 5, May 1991, Seiten 227-231, Anlagenkonvolut GvR 6 betreffend offenkundige Vorbenutzung: GvR 6a: Produktdatenblatt der Viskase Corporation aus dem Jahr 1988 betreffend das Produkt "E-Z Smoke¨ MP¨ Shirmatic¨ Casings", 2 Seiten, GvR 6b: Produktinformation der Viskase Corporation aus dem Jahr 1987 "VISCORA: the dynamic strength of a team" zu den Produkten "Perflex¨", "Shirmatic¨", "MP Fibrous¨", "Fibrous¨", "Large cellulose casings" und "Nojax¨", 4 Seiten, GvR 6c: Technisches Datenblatt der Viskase Corporation bzw. Viskase Companies, Inc. aus dem Jahr 1998 zu den Produkten "MP¨ Fibrous Casings", 2 Seiten, GvR 6d: Verarbeitungsdatenblatt vom 1. Februar 1994 betreffend das Produkt "E-Z Smoke¨ MP¨ Shirmatic¨ Casings", 1 Seite, GvR 6e: Referenzliste zugelassener Verpackungsmaterialien in Kanada ("Reference Listing of Accepted Construction Materials, Packaging Materials and Non-Food Chemical Products") der Canadian Food Inspection Agency, 8 Seiten, GvR 6f: Historie der Firma Viskase¨, 1 Seite (http://www. viskase. com/aboutushistory. aspx), GvR 6g: Archivierte Verkaufszahlenauflistung "E-Z Smoke¨ MP¨ Shirmatic¨ Casings" betreffend die Jahre 1995 bis 1997, 6 Seiten, GvR 7: US 4 377 187 A, GvR 8a: JP Utility Model Application Publication No. S37-30274 entsprechend JP Utility Model Application No. S36-32710 mit Anmeldetag vom 29. Juni 1961 (Veröffentlichungstag: 12. November 1962), GvR 8b: Englische Übersetzung von GvR 8a, GvR 9: US 4 756 914 A, GvR 10a: JP Application Number S63-219757 entsprechend JP Publication of Unexamined Patent Application Kokai Number H2-69131 mit Anmeldetag vom 2. September 1988 (Veröffentlichungstag vom 8. März 1990), GvR 10b: Englische Übersetzung von GvR 10a, GvR 11: US 4 446 167 A, GvR 12: US 4 736 775 A, GvR 13: US 3 886 979 A, GvR 14: EP 0 315 965 A2, GvR 15: DE 694 31 559 T2, GvR 16: GvR 17: GvR 18: GvR 19: GvR 20: GvR 21: DE 41 41 924 A1, DE 43 20 746 A1, DE 41 23 745 A1, EP 0 559 084 A2, EP 0 700 637 A1, G. Effenberger, "Wursthüllen -Kunstdarm, HERSTELLUNG, EIGENSCHAFTEN, ANWENDUNG", 2. Auflage, 1991, Hans Holzmann Verlag GmbH & Co KG, Bad Wörishofen, Deckseite, Innenseite und Seiten 34/35, insgesamt 4 Seiten, GvR 22: WO 97/12758 A1 GvR 23: WO 98/31731 A1, GvR 24: DE 39 30 834 A1, GvR 25: WO 97/36798 A1, GvR 26: DE-OS 23 12 385, GvR 27: DE 40 01 131 A1, GvR 28: DE 44 17 244 A1, GvR 29: DE-AS 1504 982, GvR 30: DE 197 29 659 A1, GvR 31: DE 30 29 028 A1, GvR 32: DE 33 33 387 A1, GvR 33a: DE 42 20 957 A1, GvR 33b: WO 94/00020 A1, GvR 34: DE 295 16 517 U1, GvR 35: US 3 343 663 A, GvR 36: US 4 397 337 A, GvR 37: US 4 623 566 A, GvR 38: US 4 861 632 A, GvR 39: US 4 940 614 A, GvR 40: US 5 043 194 A, GvR 41: US 5 382 391 A, GvR 42: US 5 419 962 A, GvR 43: US 5 698 279 A, GvR 44: Wikipedia-Auszug "Cellulosehydrat", 3 Seiten, GvR 45: Wikipedia-Auszug "Beschichten", 4 Seiten, GvR 46: Befragung Dr. Nicholson im parallelen US-Verfahren, 11 Seiten, GvR 47a: EDV-Lexikon "Folie", 1 Seite, GvR 47b: Wikipedia-Auszug "Folie", 1 Seite, GvR 47c: RÖMPP Lexikon Chemie, 10. Auflage, Band 2, 1997, Georg Thieme Verlag Stuttgart/New York, Seite 1401, "Folien", 4 Seiten, GvR 47d: Winnacker-Küchler, CHEMISCHE TECHNOLOGIE, Sammelwerk in 7 Bänden, 3. Auflage, Band 5, 1972, Carl Hanser Verlag München, Seiten 108 bis 117, Kapitel "6.

Verarbeitung von Kunststoffen", 13 Seiten, GvR 47e: Heinz Schmidt-Bachem "Tüten, Beutel, Tragetaschen Ñ

Zur Geschichte der Papier, Pappe und Folien verarbeitenden Industrie in Deutschland", Waxmann Verlag GmbH Münster, 2010, Vorwort, Seite 218, und diesbezüglicher Internet-Hinweis, 6 Seiten, GvR 48: Anschreiben der Viskase Companies, Inc. vom 26. Januar 2011 mit zwei Mustern einer PVDC-beschichteten Nahrungsmittelhülle mit cellulosefaserbasierter Innenschicht, beide Muster jeweils in einer Plastikhülle verpackt

(Muster nur für das Gericht), GvR 49: Paralleles US-Urteil mit der Feststellung der Nichtigkeit, 21 Seiten, GvR 50: Privatgutachten Prof. Dr. Gunter Weber mit Anlagen, 62 Seiten, GvR 51: US 5955126 A.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht ausführbar, weil das Streitpatent keine Angaben über die Beschaffenheit der Außenhaut enthalte. Außerdem sei durch die offenkundige Vorbenutzung der Muttergesellschaft der Beklagten in den USA, belegt durch das Anlagenkonvolut GvR6, sowie auch durch die Druckschriften GvR7, GvR8a/b, GvR9, GvR10a/b, GvR11, GvR12 und GvR51 der Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich vorweggenommen. Bei den im Stand der Technik nachweisbaren Beschichtungen handele es sich um Folien im Sinne des Streitpatents. Weiterhin beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik insbesondere gegenüber GvR7 bzw. GvR51 in Verbindung mit GvR10a/b. Die Gegenstände der Unteransprüche seien ebenfalls vom Stand der Technik zumindest nahegelegt. Die Hilfsanträge enthielten teilweise unzulässige Erweiterungen und deren Gegenstände seien im Übrigen auch nicht patentfähig.

Weiterhin beantragt die Klägerin, Sachverständigenbeweis zu den Fragen zu erheben, wie das Streitpatent und die Entgegenhaltungen aus der Sicht eines Fachmanns verstanden würden, ob der Gegenstand des Streitpatents ausgehend vom Stand der Technik nahegelegen habe und welcher Fachmann durch den Gegenstand des Streitpatents angesprochen sei.

Die Klägerin stellt den Antrag, das europäische Patent 0 992 194 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent im Umfang des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 5, die sie als jeweils geschlossene Anspruchssätze sieht, und beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung der Hilfsanträge 1, 2 bzw. 3 gemäß Schriftsatz der Beklagten vom 19. August 2010, weiter hilfsweise die Fassung der Hilfsanträge 4 und 5 gemäß Schriftsatz der Beklagten vom 23. März 2011 erhält.

In Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist im kennzeichnenden Teil das Merkmal "oder" gestrichen, so dass die Folie auf eine wasserdampfund gasundurchlässige Folie beschränkt wird. Die Unteransprüche bleiben gegenüber der erteilten Fassung unverändert.

Gemäß Hilfsantrag 2 lauten die Patentansprüche 1 und 7:

1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle aus zumindest einer wasserdampfund gasundurchlässigen Folie (1) besteht und eine mit ihr verbundene saugfähige Innenlage (2) aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies trägt und dass diese Innenlage (2) mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist, wobei die Hülle an ihrer Außenseite aus zumindest einer dichten Kunststofffolie (1a) und einer Polyamidfolie (1b) besteht, die flächig miteinander verbunden sind.

7. Barrierehülle nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle an ihrer Außenseite aus zumindest einer dichten Polyethylen-Folie (1a) und einer Polyamidfolie (1b) besteht, die flächig miteinander verbunden sind.

Die Patentansprüche 2 bis 6 sowie 8 und 9 bleiben gegenüber der erteilten Fassung unverändert.

Gemäß Hilfsantrag 3 lautet Patentanspruch 1:

1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle aus zumindest einer wasserdampfund gasundurchlässigen Folie (1) besteht und eine mit ihr verbundene saugfähige Innenlage (2) aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies trägt und dass diese Innenlage (2) mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist, wobei die Hülle an ihrer Außenseite aus zumindest einer dichten Kunststofffolie (1a) aus Polyethylen und einer Polyamidfolie (1b) besteht, die flächig miteinander verbunden sind.

Die Patentansprüche 2 bis 6 bleiben gegenüber der erteilten Fassung unverändert. Anspruch 7 entfällt. Darauf folgen Ansprüche 8 bis 9 wie erteilt, jedoch umnummeriert als Ansprüche 7 und 8.

Gemäß Hilfsantrag 4 lautet Patentanspruch 1:

1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle aus zumindest einer wasserdampfund gasundurchlässigen Folie (1) besteht und eine mit ihr verbundene saugfähige Innenlage (2) aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies trägt und dass diese Innenlage (2) mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist zur Übertragung der Farbund/oder Aromastoffe auf das eingefüllte Nahrungsmittel.

Die Patentansprüche 2 bis 9 bleiben gegenüber der erteilten Fassung unverändert.

Gemäß Hilfsantrag 5 lautet Patentanspruch 1:

1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülle aus zumindest einer wasserdampfund gasundurchlässigen Folie (1) besteht und eine mit ihr verbundene saugfähige Innenlage (2) aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies trägt, dass diese Innenlage (2) mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist und dass die Hülle (1) aus 2 Polyethylenfolien (1a, 1c) und einer dazwischen angeordneten Polyamidfolie (1b) besteht, wobei die der Hülleninnenseite zugeordnete Polyethylenfolie (1c) nass aufextrudiert ist und als Kleber für die anschließend aufgebrachte saugfähige Innenlage (2) fungiert.

Die Patentansprüche 2 bis 7 bleiben gegenüber der erteilten Fassung unverändert, ebenso Anspruch 9, jedoch umnummeriert als Anspruch 8.

Die Beklagte, die sich dem Antrag der Klägerin auf Erhebung eines Sachverständigenbeweises anschließt, tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Die patentgemäße Verpackungsfolie habe einen sensationellen Markterfolg erzielt und sei mit einem Innovationspreis ausgezeichnet worden, was belege, dass der Patentgegenstand neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Bezüglich der geltend gemachten Vorbenutzung werde bestritten, dass die vorgelegten Druckschriften der Öffentlichkeit zugänglich gewesen seien. Auch könne die Hülle mit der Bezeichnung "E-Z Smoke¨ MP¨ Shirmatic¨ Casing" (GvR6a) das Streitpatent weder vorwegnehmen noch nahelegen, da dieses Produkt keine mehrlagige Hülle mit einer eigenständigen wasserdampfund/oder gasundurchlässigen Folie sei, sondern lediglich eine feuchtigkeitsdichte Beschichtung (moisture proof coating) auf einer faserigen Hülle aufweise. Auch GvR7, GvR9, GvR11, GvR12 und GvR51 beträfen einlagige Cellulosefaserdärme mit einer feuchtigkeitsdichten Beschichtung. Bei GvR8 sei die Innenlage nicht mit der Außenlage verbunden und GvR10 weise keine saugfähige Innenlage im Sinne des Streitpatents auf. Die im Nichtigkeitsverfahren genannten Entgegenhaltungen könnten weder allein noch in Kombination den Gegenstand des Streitpatents nahelegen. Es sei auch kein Anlass ersichtlich, weshalb der Fachmann aus der Fülle des Standes der Technik ausgerechnet GvR 7 und GvR 10 herausgreifen und miteinander kombinieren solle.

Die Beklagte bezieht sich auf folgende Dokumente:

B1 Urkunde des "European Foodtec Award" in Gold (2006)

nebst Presseveröffentlichung der DLG e.V., B2 Internetauftritt der Beklagten bzw. der mit ihr verbundenen World-Pac International AG, B3 Einspruchserwiderung der Beklagten vom 5. Juli 2004 ausdem europäischen Einspruchsverfahren gegen das Streitpatent, B4 Declaration von Herrn Dr. Gerhard Grolig vom 23. März 2010, B5 Statement von Herrn Takahiro Ishikuro (RENGO CO., LTD)

vom 17. August 2010, B6 Auszug aus Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl., Stichwort

"Polyvinylidenchlorid", B7 Auszug aus Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl., Stichwort

"Barrierekunststoffe", B8 Auszug aus Römpp Chemie Lexikon, 6. Aufl., Stichwort

"Nylon", B9 Auszug aus Römpp Chemie Lexikon, 6. Aufl., Stichwort

"Polyäthylen", B10 US 6,450,994 B1, B11 Dr. Seymour Gilbert Expert Rebuttal Report.

Der Streitwert wird von den Parteien übereinstimmend mit 300.000,--€ veranschlagt.

Gründe

Die auf die Nichtigkeitsgründe mangelnder Ausführbarkeit und mangelnder Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich aber als begründet.

I.

1. Das Streitpatent betrifft eine Nahrungsmittelbarrierehülle für Lebensmittel, die in der Hülle gebrüht, gekocht oder anderweitig erhitzt werden, insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse.

Brühwurst und Kochpökelwaren werden auch heute noch in großem Umfang im Cellulosefaserdarm hergestellt. Dieser Cellulosefaserdarm hat eine hohe Wasserdampfund Gasdurchlässigkeit, um die Produkte während des Produktionsprozesses zu räuchern, und kann auch mit Flüssigrauch imprägniert werden, um die Räucherzeit zu verkürzen. Die Herstellung von Lebensmitteln im Cellulosefaserdarm ist jedoch immer durch die Wasserdampfund Gasdurchlässigkeit der Hülle mit Gewichts-, Geschmacksund Aromenverlust beim Herstellungsprozess, beim Kühlen und Lagern verbunden. Um die Haltbarkeit solcher Produkte zu verbessern, müssen diese mittels einer Barriereverpackung zweitverpackt werden. Deshalb wurden bereits wasserdampfund gasundurchlässige Kunsthüllen entwickelt, die ohne zusätzliche Zweitverpackung auskommen. Damit entstehen zwar keine Verluste beim Produktionsprozess und bei der Lagerung, das Fertigprodukt weist jedoch nicht den vom Verbraucher vielfach erwünschten typischen Rauchgeschmack auf. Die Imprägnierung von reinen Kunststoffhüllen mit Aromastoffen hat wegen deren geringen Aufnahmefähigkeit und Speicherfähigkeit nicht zum Erfolg geführt. Für ein nachträgliches Räuchern musste die Kunststoffhülle in einem nachgeschalteten Prozess wieder umständlich und nachteilig entfernt werden und das Produkt zweitverpackt werden. (vgl. Streitpatent Abs. [0002] bis [0010]).

2.

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine Nahrungsmittelbarrierehülle anzugeben, die einerseits hohe Dichtheit, andererseits aber auch gute Aufnahmefähigkeit und Speicherkapazität für die gewünschten Aromaund/oder Farbstoffe aufweist und sich durch eine spätere, ausreichende Übertragung dieser Stoffe auf das Nahrungsmittel auszeichnet (Streitpatent Abs. [0011]).

3.

Die Aufgabe wird nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag gelöst durch eine 1. Nahrungsmittel-Barrierehülle für Lebensmittel, 1.1 die in der Hülle gebrüht, gekocht oder auf andere Weise erhitzt werden, 1.2 insbesondere für Kochoder Brühwürste, Schinken, Pökelwaren oder Schmelzkäse, dadurch gekennzeichnet, dass 2.

die Hülle besteht aus 2.1 zumindest einer wasserdampfund/oder gasundurchlässigen 2.2 Folie, 3.

dass die Hülle trägt 3.1 eine mit ihr verbundene 3.2 saugfähige 3.3 Innenlage 3.4 aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise aus einem Vlies, 3.5 und dass diese Innenlage mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist.

4.

Zuständiger Fachmann ist vorliegend ein Ingenieur der Lebensmitteltechnik oder ein Lebensmittelchemiker mit langjähriger Erfahrung in der Fleischverarbeitung, der mit Hüllmaterialen für Lebensmittel vertraut ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein, an einer Fachschule ausgebildeter Fleischereitechniker nicht als zuständiger Fachmann anzusehen, da dieser nur die Anforderungen bestimmt, die vom vorgenannten Fachmann technisch umzusetzen sind (vgl. BGH GRUR 2009, 1039 -Fischbissanzeiger).

II.

1. Die von der Beklagten gemäß Hauptantrag verteidigten, der Patenterteilung zu Grunde liegenden Patentansprüche 1 bis 9, die den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 9 im Wortlaut entsprechen, sind unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung nicht angegriffen.

Die Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 sind aus den ursprünglichen Unterlagen ableitbar und deshalb zulässig. Die Beschränkung im Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrags auf zumindest eine wasserund gasundurchlässige Folie wird bereits vom erteilten Patentanspruch 1 gestützt und ist zusätzlich aus Abs. [0014] der Streitpatentschrift ableitbar, der S. 4 Abs. 3 der ursprünglichen Unterlagen entspricht. Der Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags basiert zusätzlich auf Anspruch 7 der Streitpatentschrift, der dem ursprünglichen Anspruch 7 entspricht. Dieser Anspruch ist im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nicht gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert, denn der erteilte und ursprünglich eingereichte Anspruch 7 weist das Merkmal einer dichten Kunststofffolie (1a) im Wortlaut auf, wogegen deren Beschaffenheit aus einer Polyethylenfolie in diesem Anspruch eine bevorzugte Ausgestaltung betrifft. Auf diese besondere Ausgestaltung gemäß dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 7 stützt sich dann der Patentanspruch 1 des 3. Hilfsantrags. Der Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags basiert auf dem erteilten Anspruch 1 sowie Abs. [0014] des Streitpatents, der S. 4 Abs. 3 der ursprünglichen Unterlagen entspricht. Diese Anspruchsformulierung stellt keine -unzulässige -Klarstellung dar, sondern beschränkt den Anspruch auf die Übertragung der Farbund Aromastoffe auf das Lebensmittel gegenüber solchen Stoffen, die in der Hülle verbleiben. Dieser Patentanspruch ist daher im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden. Der Patentanspruch 1 des 5. Hilfsantrags ist von den ursprünglichen und erteilten Ansprüchen 1 und 8 ableitbar.

2.

Das Streitpatent vermittelt auch eine ausführbare Lehre zum technischen Handeln. In der Anspruchsfassung wird zwar für die Hülle auf eine wasserdampfund/oder gasundurchlässige Folie und für die Innenlage auf ihre Saugfähigkeit abgestellt, ohne dass in der Beschreibung konkrete Parameter zu diesen Eigenschaften zu finden sind. Dies ist aber nicht erforderlich, da sich der Fachmann bezüglich dieser Eigenschaften am Einsatzbereich für die Barrierehülle orientiert, der in der Beschreibung ausführlich dargestellt und durch ein Ausführungsbeispiel belegt ist. Die Wasserdampfund Gasundurchlässigkeit der Hülle hat sich demnach daran zu orientieren, dass Farboder Aromastoffe während des Kochprozesses nicht ausgewaschen werden und die Saugfähigkeit der Innenlage eine hohe Aufnahmeund Haltefähigkeit für Farbund Aromastoffe aufweist und diese während des anschließenden Kochoder Brühprozesses auf das Nahrungsmittel überträgt (vgl Abs. [0014] und Testbeispiel). Beispielhafte Ausführungsformen für Hülle und Innenlage sind ebenfalls beschrieben (Abs. [0018] bis [0023]). Auch kennt der Fachmann die im Nahrungsmittelbereich, insbesondere der Fleischverarbeitung, einsetzbaren Hüllen aus Polyethylen und Polyamid und deren Eigenschaften, wie das Fachbuch von G. Effenberger, "Wursthüllen -Kunstdarm" (GvR21) mit den Diagrammen auf S. 35 zeigt. Es steht daher der Ausführbarkeit insbesondere des Gegenstandes der jeweiligen Patentansprüche 1 des 2., 3. und 5. Hilfsantrages im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nicht entgegen, dass im Streitpatent zu diesen Folienmaterialien nichts weiter ausgeführt ist.

3.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gegenstände der Patentansprüche 1 in den gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 4 verteidigten Fassungen neu i. S. v. Art. 54 EPÜ sind.

Es bestehen zwar bereits erhebliche Bedenken, ob nicht im Hinblick auf die in den jeweiligen Patentansprüchen 1 gemäß diesen Anträgen beanspruchte Nahrungsmittelhülle und den insoweit sehr allgemein gefassten Patentansprüchen bereits der aus den vorveröffentlichten Druckschriften, insbesondere GvR7, 9, 11, 12, 13 und der der GvR51 entsprechenden vorveröffentlichten spanischen Patentschrift ES 2 076 904 A1 bekannte Stand der Technik die beanspruchte Lehre neuheitsschädlich trifft und auch die eine Folie betreffenden Merkmale 2.1 und 2.2 von der dort beschriebenen Beschichtung umfasst sind. Desgleichen bestehen Bedenken, ob nicht die Nahrungsmittel gemäß diesen Patentsprüchen von dem aus der Druckschrift GvR 8a/b bekannten Stand der Technik vorweggenommen wird und auch die Merkmale 3.1 und 3.2 von der dort nur punktuell mit der Außenlage verbundenen Innenlage aus Cellophanpapier oder Japanpapier offenbart sind.

4.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ.

Zur Lösung der Aufgabe, eine Nahrungsmittelbarrierehülle anzugeben, die einerseits hohe Dichtheit, andererseits aber auch gute Aufnahmefähigkeit und Speicherkapazität für die gewünschten Aromaund/oder Farbstoffe aufweist und sich durch eine spätere, ausreichende Übertragung dieser Stoffe auf das Nahrungsmittel auszeichnet, wird sich der Fachmann an bekannten Nahrungsmittelhüllen orientieren, mit denen die Übertragung von Farbund/oder Aromastoffen von den Nahrungsmittelhüllen auf die Nahrungsmittelfüllung ermöglicht wird.

Nahrungsmittelhüllen aus einem faserverstärktem Cellulosedarm, die mit Farboder Aromastoffen getränkt und mit einer Außenbeschichtung versehen sind, die als Barriere gegen Wasserdampf dient, werden in mehreren Druckschriften und zwar in GvR7, wie auch GvR9 und GvR11 sowie der GvR51 entsprechenden vorveröffentlichten Druckschrift ES 2 076 904 A1 beschrieben. Im Einzelnen offenbart die GvR7 faserverstärkte mit Flüssigrauch getränkte Cellulosedarmhüllen, die mit Nahrungsmitteln, speziell Fleischwurstbrät (bologna) oder Schinken gefüllt werden und dann bei erhöhter Temperatur behandelt werden. Dabei wird das Raucharoma auf die Nahrungsmittelfüllung übertragen und erzeugt eine vom Rauch herrührende Färbung des Nahrungsmittels nach Abziehen der Nahrungsmittelhülle. Die mit Rauch behandelten Hüllen können mit einer Außenbeschichtung aus einem feuchtigkeitsdichten Film, speziell einer Barrierebeschichtung aus einem Polyvinylidenchloridcopolymer, versehen werden (Ansprüche 1, 10und11i.V.m.Sp.1 Z.57 bis 63,Sp.4Z.23bis 27,Sp.22Z.59bis 63sowie Beispiel II, insbesondere Sp. 17 Z. 3 bis 30, Sp. 18 Z. 22 bis Sp. 19 Z. 41). Damit sind aus GvR7 Nahrungsmittel-Barrierehüllen bekannt, die bis auf das Merkmal 2.2 "Folie" alle Merkmale des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 aufweisen.

Die Beklagte hat demgegenüber eingewendet, dass aus GvR7 nicht hervorgehe, dass die Beschichtung wasserdampfund/oder gasundurchlässig sei, da nur eine Feuchtigkeitsbeständigkeit erwähnt werde und die Materialangaben kein Synonym für bestimmte Materialeigenschaften seien. Diesem Einwand kann aber nicht gefolgt werden. Denn der Fachmann wird die Materialangaben, nachdem weder im Streitpatent noch in der Entgegenhaltung etwas Gegenteiliges zu entnehmen ist, auf die ihm geläufigen üblichen Wursthüllen und Kunstdärme beziehen, da es zu seinem Fachwissen gehört, dass ein mit einem Polyvinylidenchloridcopolymer (PVDC) beschichteter Cellulosefaserdarm sowohl gegen Wasserdampf als auch Sauerstoff undurchlässig ist (vgl. von G. Effenberger a. a. O. (GvR21), S. 35, Angaben zu außen PVDC beschichtetem Cellulosefaserdarm auf den Diagrammen betreffend Sauerstoffdurchlässigkeiten und Wasserdampfdurchlässigkeiten). Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kann auch kein Unterschied in der Beschaffenheit der Innenlage der Hülle der GvR7 und der Innenlage aus Einzelfasern oder einem Gewebe, Gewirk, Gestricke, vorzugsweise einem Vlies gemäß Merkmal 3.4 des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Streitpatent gesehen werden. Denn eine faserverstärkte Cellulosehülle fällt unter diese Angaben, nachdem eine solche Hülle Fasern aufweist und damit nicht von einem Gewebe, Gewirk oder Gestricke unterschieden werden kann.

Wie auch die Beklagte selbst ausführt, ist eine hohe Dichtheit von solchen Nahrungsmittelhüllen gemäß GvR7, die insbesondere in geraffter Form eingesetzt werden (Anspruch 7, Sp. 2 Z. 62 bis 66 und Sp. 3 Z. 5 bis 11), nicht immer gegeben. Um gemäß der zu lösenden Aufgabe Barrierehüllen mit hoher Dichtheit bereitzustellen, wird sich der Fachmann ausgehend von GvR7 bei weiteren bekannten Nahrungsmittelbarrierehüllen umsehen, bei denen eine hohe Dichtheit gegenüber Hüllen, die nur mit einer Barrierebeschichtung versehen sind, anzunehmen ist. Aus GvR10a/b sind Hüllen aus Folien mit einer mit Farbstoff beaufschlagten mit der Folie verbundenen Innenlage aus einem Cellophanfilm oder einem Material gleicher Eigenschaften bekannt, die im Gegensatz zum Merkmal 3.4 des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 des Streitpatents keine Fasern aufweist, bei denen ein Farbstoff auf diese Innenlage aufgebracht wird, und der Farbstoff beim Kochen oder Dämpfen die Außenseite des eingebrachten Nahrungsmittels, hier eines Schinkens, färbt, also der Farbstoff von der Nahrungsmittelhülle auf das eingebrachte Nahrungsmittel übertragen wird (10b: Ansprüche 1 und 3 i. V. m. S. 1 re. Sp., S. 2 re. Sp. Abs. 4 und 5). Bei diesen Hüllen handelt es sich um Schrumpffolien, die entsprechend den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 7 aus Polyamid, in GvR10b als Nylon bezeichnet, und einer Polyethylenaußenlage aufgebaut sind (vgl. Fig. 3 BZ 3, 4 i. V. m. Bezugszeichenliste S. 3 re. Sp.). In 10a/b wird zwar nicht ausdrücklich angegeben, dass diese Folien entsprechend den Forderungen des Anspruchs 1 wasserdampfund gasundurchlässig sind, wie die Beklagte zutreffend feststellt (10b: Fig. 2 S. 3 li.

Sp. Abs. 2). Dem Fachmann ist aber bekannt, dass solche Folien diese Forderungen des geltenden Patentanspruchs 1, Merkmal 2.1 erfüllen. Dazu wird wiederum auf GvR21 verwiesen, woraus hervorgeht, dass Polyamidkunstdärme (PA) sowohl wasserdampfals auch gasundurchlässig sind und Polyethylenkunstdärme (PE) eine sehr hohe Gasundurchlässigkeit aufweisen (vgl. GvR 21 S.

35 a. a. O.). Diese äußere Folie GvR 10a/b wird als starke Folie beschrieben, um die Ausdehnung und Dichte des Fleisches während des Kochvorganges kontrollieren zu können (10b S. 1 re. Sp. Abs. 3). Der Fachmann erhält damit aus GvR10a/b die Anregung, eine Nahrungsmittelbarrierehülle mit einer Folie anstelle der Beschichtung gemäß GvR7 zu verwenden, um die eingangs genannte Aufgabe zu lösen und insbesondere eine Nahrungsmittelbarrierehülle mit hoher Dichtheit bereitzustellen.

Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, dass die Kombination der Entgegenhaltungen GvR7 und GvR10a/b für den Fachmann fern liege, denn bei GvR7 handele es sich um eine schlauchförmige Hülle, wogegen GvR10a/b ein aus mehreren flachen Folien gebildetes Laminat beschreibt, das erst nach der Laminatbildung zum Schlauch geformt wird. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Denn dem Fachmann ist geläufig, aus einer Schlauchfolie durch Aufschneiden eine Flachfolie zu bilden und aus dieser durch Zusammenfügen wieder eine schlauchförmige Folie zu formen. Hierzu wird auf GvR5 verwiesen, die Cellulosefaserhüllen betrifft, vgl. S. 227 mittl. Sp. Abs. 2. Auch im Streitpatent und bei GvR10a/b wird ein flaches Laminat zunächst in Schlauchform gebracht und dann an den überlappenden Längsrändern durch ein aufsiegelbares Band zu einer schlauchförmigen Hülle verformt (Streitpatent S. 3 Abs. [0020] und GvR10b Fig. 2 bis 5 i. V. m. S. 3 li. Sp. Abs. 4). Der Fachmann zieht also ausgehend von einer schlauchförmigen Hülle ohne weiteres auch eine Flachfolie als relevanten Stand der Technik in Betracht. Auch spricht im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten die große Anzahl an entgegengehaltenen Schriften nicht bereits für sich gegen das Naheliegen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1. Denn unter diesen Entgegenhaltungen wird nur eine kleine Anzahl sehr relevanter Entgegenhaltungen genannt, die bereits die Neuheit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags in Frage stellen könnten, wie vorstehend ausgeführt. Die Mehrzahl der weiteren genannten Dokumente beleuchten hingegen unschwer erkennbar das technische Verständnis und das weitere Umfeld des Streitgegenstandes. Nach alledem ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags also vom Stand der Technik nahegelegt.

5. Die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 beruhen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ.

Der Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrags ist gegenüber dem Patentanspruch 1 des Hauptantrags im Merkmal 2.1 auf zumindest eine wasserdampfund gasundurchlässige Folie beschränkt. Dieser Patentanspruch ist entsprechend dem Patentanspruch 1 des Hauptantrags zu bewerten und ebenfalls vom Stand der Technik nahegelegt, da die aus GvR7 und GvR10a/b bekannten Außenbeschichtungen bzw. Außenfolien, wie vorstehend erläutert, diese Eigenschaft gleichfalls aufweisen.

Der Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags weist gegenüber dem Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrags das zusätzliche Merkmal auf, dass die Hülle an ihrer Außenseite aus zumindest einer dichten Kunststofffolie (1a) und einer Polyamidfolie (1b) besteht, die flächig miteinander verbunden sind. Auch der Gegenstand dieses Patentanspruchs ist vom Stand der Technik, und zwar von GvR7 in Zusammenschau mit GvR10a/b nahegelegt. Denn die aus GvR10a/b bekannten Außenfolien weisen ebenfalls eine dichte Kunststofffolie, und zwar, wie bereits vorstehend erläutert, aus Polyethylen und eine Polyamidfolie auf. Diese Folien sind bei GvR10a/b auch flächig miteinander verbunden und die Polyethylenfolie bildet entsprechend den Angaben des Anspruchs 1 des 2.

Hilfsantrags die äußere Schicht (GvR10b S. 3 li. Sp. Abs. 2 i. V. m. Fig. 2).

Aus den gleichen Gründen ist auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des 3.

Hilfsantrags nahegelegt. Denn gemäß diesem Antrag besteht gegenüber dem Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags die dichte Kunststofffolie aus Polyethylen, was auch bei GvR10a/b der Fall ist (S. 3 li. Sp. Abs. 2).

Der Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags weist gegenüber dem Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrags das Merkmal auf, dass die Innenlage mit Farbund/oder Aromastoffen getränkt ist zur Übertragung der Farbund/oder Aromastoffe auf das eingefüllte Nahrungsmittel. Auch dieses Merkmal ist aus dem Stand der Technik bekannt. Denn bei den aus GvR7 bekannten Nahrungsmittelhüllen wird der auf die Innenlage, nämlich den faserverstärkten Cellulosedarm, eingebrachte Flüssigrauch gleichfalls auf das eingefüllte Nahrungsmittel übertragen, wie vorstehend dargelegt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des 4. Hilfsantrags ist damit ebenfalls vom Stand der Technik nahegelegt.

Nicht anders ist auch der Patentanspruch 1 des 5. Hilfsantrags zu bewerten. Dieser Anspruch enthält gegenüber dem Patentanspruch 1 des 1. Hilfsantrags das zusätzliche Merkmal, dass die Hülle (1) aus 2 Polyethylenfolien (1a, 1c) und einer dazwischen angeordneten Polyamidfolie (1b) besteht, wobei die der Hülleninnenseite zugeordnete Polyethylenfolie (1c) nass aufextrudiert ist und als Kleber für die anschließend aufgebrachte saugfähige Innenlage (2) fungiert. Auch der Gegenstand dieses Anspruchs ist von GvR7 in Kombination mit GvR10a/b nahegelegt. Denn die aus GvR10a/b bekannte Hülle ist aus einer äußeren Polyethylenfolie, einer darunter angeordneten Nylonfolie (Polyamidfolie) und einer Klebeschicht aufgebaut, die die Innenlage aus Cellophan an den Nylonfilm bindet (S. 3 li. Sp. Abs. 2 und 3 i. V. m. Fig. 3). Auch die innere Polyethylenfolie gemäß Anspruch 1 des 5. Hilfsantrags verbindet die Innenlage mit der Außenlage aus Polyamid wie ein Kleber (vgl. auch die erteilten Ansprüche 5 und 6 des Streitpatents). Polyethylenschichten als Kleber von einzelnen Folien zum Verbinden zu einem Laminat zu verwenden ist dem Fachmann geläufig. Hierzu wird z. B. auf GvR 35 verwiesen, woraus Laminate bekannt sind, die mittels eines Polyethylenklebers miteinander verbunden werden (Sp. 1 Abstr., Sp. 2 Z. 25 bis 29 und 42 bis 45). Auch ist es aus GvR31 bekannt, auf mit einem Faservlies verstärkte Kunstdarmhüllen bevorzugt Polyethylen zur Beschichtung in Form einer Schmelze aufzubringen (Anspruch 1 i. V. m. S. 5 Abs. 2 und 3). Ausgehend von GvR10a/b Polyethylen als Klebeschicht zwischen Innenund Außenlage zu verwenden ist daher für den Fachmann naheliegend und stellt eine rein handwerkliche Maßnahme dar.

6.

Mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 fallen auch die übrigen, mit dem Hauptund den Hilfsanträgen verteidigten Unteransprüche, da die Hauptund Hilfsanträge von der Beklagten als jeweils geschlossene Anspruchssätze verteidigt wurden. Im Übrigen lassen auch die Gegenstände der mit Hauptund Hilfsanträgen verteidigten Unteransprüche keinen eigenen erfinderischen Gehalt erkennen. Es handelt sich auch bei den dem Patentanspruch 1 des 5. Hilfsantrags nachgeordneten Untersprüchen 2 bis 8, die den erteilten Unteransprüchen 2 bis 7 und 9 entsprechen, lediglich um Wiederholungen von Merkmalen dieses Patentanspruchs (Anspruche 4 bis 7) bzw. um naheliegende Ergänzungen zum Patentanspruch 1 (Ansprüche 2, 3 und 8).

7.

Der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht, da die von den Parteien für beweiserheblich gehaltenen Fragen in erster Linie rechtliche Bewertungen betreffen und der Senat außerdem fachkundig besetzt ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

IV.

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der übereinstimmenden Einschätzung der Parteien.

Schramm Guth Dr. Gerster Dr. Schuster Dr. Münzberg Bb






BPatG:
Urteil v. 05.04.2011
Az: 3 Ni 15/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/99f86cd06a18/BPatG_Urteil_vom_5-April-2011_Az_3-Ni-15-10




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