Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. November 2004
Aktenzeichen: 9 W (pat) 340/02

(BPatG: Beschluss v. 24.11.2004, Az.: 9 W (pat) 340/02)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für das Einspruchsverfahren ergibt sich aus PatG § 147 (Übergangsbestimmungen) Abs 3 Satz 1.

Gegen das am 7. Februar 1998 angemeldete und am 13. Juni 2002 veröffentlichte Patent 198 04 999 wurden innerhalb der Einspruchsfrist zwei Einsprüche eingelegt. Beide Einsprüche sind zwischenzeitlich zurückgenommen worden, wodurch die Beteiligung der beiden Einsprechenden am Verfahren erloschen ist. Das Verfahren wird ohne die Einsprechenden fortgesetzt, denn der Gesetzgeber hat für diesen Fall vorgesehen, das Einspruchsverfahren durch Beschluss zu beenden:

§ 61 (1) PatG

"Die Patentabteilung entscheidet durch Beschluss, ob und in welchem Umfang das Patent aufrechterhalten oder widerrufen wird. Das Verfahren wird von Amts wegen ohne den Einsprechenden fortgesetzt, wenn der Einspruch zurückgenommen wird."

Dabei ist der gesamte im Verfahren befindliche Stand der Technik im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes zu berücksichtigen, Schulte PatG 6. Aufl. § 59 Rdn 185/189. Ausgenommen davon sind bei Rücknahme des Einspruchs lediglich Widerrufsgründe wie zBsp widerrechtliche Entnahme oder offenkundige Vorbenutzung, welche ohne Mitwirkung des Einsprechenden nicht nachprüfbar sind, Schulte PatG 6. Aufl. § 59 Rdn 191.

Neben den bereits im Prüfungsverfahren diskutierten Druckschriften DE 44 18 172 A1, DE 44 11 283 C1, DE 44 42 543 A1, DE 44 18 582 A1, und EP 07 11 627 A2 sind die Patentierungsvoraussetzungen des Streitpatents somit insbesondere hinsichtlich der folgenden, im Einspruchsverfahren erstmalig genannten Druckschriften zu bewerten:

DE 196 36 429 C1, JP 1-127188 A, DE 44 09 405 A1.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Patentanspruch 1, eingegangen als Anlage 2 am 16. November 2004, allerdings unter Streichung von "insbesondere" in Zeile 1, Patentansprüche 2 bis 6, wie erteilt, noch anzupassende Beschreibung, Zeichnungen Figuren 1 und 2, wie erteilt.

Nach Ansicht der Patentinhaberin ist der mit Haupt- und Hilfsantrag verteidigte Gegenstand des jeweils geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem genannten Stand der Technik neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Innenverkleidungsteil für ein Kraftfahrzeug, mit einer integralen Abdeckung (2) für eine zum Schutz eines Insassen vorgesehene Airbag-Vorrichtung, wobei das Innenverkleidungsteil eine obere Dekorschicht, eine elastische bzw. nachgiebige Zwischenschicht sowie eine formstabile Trägerschicht aufweist und die Abdeckung (2) durch eine zumindest in der Trägerschicht ausgebildete Fuge (3) markiert ist, wobei die Dekorschicht (Folie 6) entlang der Fuge (3) eine zumindest bereichsweise reduzierte Dicke aufweist und die Fuge (3) in der Zwischenschicht (Schaumstoffschicht (8) als Hohlraum (11) mit einer - im Querschnitt gesehen - solchen Breite B ausgebildet ist, dass die Dekorschicht (Folie 6) unter Bildung einer an ihrer Oberfläche (10) sichtbaren Markierungslinie (9) in diesen Hohlraum (11) einfällt, dadurch gekennzeichnet, dass die Fuge (3) bzw. der Hohlraum (11) in der Zwischenschicht (Schaumstoffschicht 8) - im Querschnitt gesehen - breiter als in der Trägerschicht (Träger 4) ausgebildet ist.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 6 sind dem geltenden Patentanspruch 1 nachgeordnet.

Bei dem geltenden Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag sind dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag die fett gedruckten Merkmale hinzugefügt:

Innenverkleidungsteil für ein Kraftfahrzeug, mit einer integralen Abdeckung (2) für eine zum Schutz eines Insassen vorgesehene Airbag-Vorrichtung, wobei das Innenverkleidungsteil eine obere Dekorschicht, eine elastische bzw. nachgiebige Zwischenschicht sowie eine formstabile Trägerschicht aufweist und die Abdeckung (2) durch eine zumindest in der Trägerschicht ausgebildete Fuge (3) markiert ist, wobei die Dekorschicht (Folie 6) entlang der Fuge (3) eine zumindest bereichsweise reduzierte Dicke aufweist und die Fuge (3) in der Zwischenschicht (Schaumstoffschicht (8) als Hohlraum (11) mit einer - im Querschnitt gesehen - solchen Breite B ausgebildet ist, dass die Dekorschicht (Folie 6) unter Bildung einer an ihrer Oberfläche (10) sichtbaren Markierungslinie (9) in diesen Hohlraum (11) einfällt, dadurch gekennzeichnet, dass die Fuge (3) bzw. der Hohlraum (11) in der Zwischenschicht (Schaumstoffschicht 8) - im Querschnitt gesehen - breiter als in der Trägerschicht (Träger 4) ausgebildet ist, wobei die Fuge (3) bzw. der Hohlraum (11) durch Anwendung eines Lasers dosierter Intensität hergestellt ist, bei welcher der Laserstrahl bzw. eine Folge von Laser-Einzelimpulsen dabei derart gezielt gesteuert wird, dass das Material des Innenverkleidungsteils in den entsprechenden Bereichen der Fuge (3) bzw. des Hohlraums (11) durch Erhitzen, Verbrennen und Entgasen entfernt wird.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 6 sind dem geltenden Patentanspruch 1 nachgeordnet.

II.

Die beiden Einsprüche sind unbestritten zulässig. Sie haben zusätzlichen, vom Deutschen Patent- und Markenamt nicht aufgefundenen Stand der Technik in das Verfahren eingeführt, insbesondere die DE 196 36 429 C1.

Das jeweilige Patentbegehren nach Haupt- und Hilfsantrag ist der Patentschrift zu entnehmen und ohne weiteres ersichtlich in den ursprünglichen Unterlagen offenbart.

Die gewerblich anwendbaren Innenverkleidungsteile nach den jeweils geltenden Patentansprüchen 1 mögen neu sein. Zu ihrer Ausgestaltung reichen allerdings die am Anmeldetag im einschlägigen Stand der Technik vorhandenen Informationen in Verbindung mit dem Wissen und Können eines durchschnittlichen Fachmannes aus, eine erfinderische Tätigkeit war dazu nicht erforderlich.

Als Durchschnittsfachmann, der den Stand der Technik am Anmeldetag kennt und bewertet, ist ein Maschinenbauingenieur, insbesondere der Fahrzeugtechnik, anzunehmen, der bei einem Kfz-Hersteller oder -Zulieferer als Konstrukteur für Fahrzeuginnenräume arbeitet und über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.

A. zum Hauptantrag Am Anmeldetag des Streitpatents war im einschlägigen Stand der Technik ein Verfahren zur Herstellung einer Schwächungslinie in einem Flachmaterial durch einseitig örtliches Abtragen des Flachmaterials mittels steuerbarer gepulster Laserstrahlung bekannt, welches zur Herstellung von Airbag-Abdeckungen verwendet wird, vgl DE 196 36 429 C1 insb Sp 1 Z 3 bis 7 und 19/20. Gemäß einem ausführlich erläuterten Ausführungsbeispiel besteht die Airbag-Abdeckung aus einem 3-Schicht-Verbundmaterial mit einer Dekorschicht, einer elastischen bzw. nachgiebigen Zwischenschicht sowie einer formstabilen Trägerschicht, vgl insb Sp 6 Z 8 bis Z 13. Die Schwächungslinie mit einer Struktur unterschiedlicher Sacklöcher ist auch in der Trägerschicht ausgebildet und schwächt diese entsprechend, vgl insb Sp 6 Z 27 bis 29. Die Dekorschicht weist entlang der Schwächungslinie eine zumindest bereichsweise reduzierte Dicke auf, vgl insb Sp 6 Z 18 bis 23.

Aus der Druckschrift erfährt der Durchschnittsfachmann außerdem ausdrücklich, was er bei diesem Verfahren, angewendet auf das 3-Schicht-Verbundmaterial beachten muss, um eine unsichtbare Schnittfuge zu erzeugen, vgl insb Sp 3 Z 54 bis 59. Dazu ist die Schwächungslinie in der Zwischenschicht als Hohlraum mit einer solchen Breite ausgebildet, dass sie zur Stützung der Dekorschicht ausreicht und die Dekorschicht gerade nicht in diesen Hohlraum einfällt, vgl insb Sp 6 Z 27 bis 29. Mit anderen Worten ist der Durchmesser der Sacklöcher, bezogen auf die dadurch gebildete Schwächungslinie, also deren Breite, ursächlich dafür offenbart, ob die Schwächungslinie sichtbar oder unsichtbar ist.

Sollte der Durchschnittsfachmann bei gleichem Material und Anwendungsgebiet vor die Aufgabe gestellt sein, an Stelle einer unsichtbaren nunmehr eine markante, sichtbare Schwächungslinie auszubilden, gibt ihm das bekannte Verfahren dazu eine ohne weiteres anwendbare Lehre. Denn durch eine entsprechende Verbreiterung der Schwächungslinie fällt die Dekorschicht unter Bildung einer an ihrer Oberfläche sichtbaren Markierungslinie erwartungsgemäß darin ein. Um die dafür notwendige Breite der Schwächungslinie zu ermitteln, sind allenfalls einfache Versuche im Rahmen des vorbekannten Verfahrens erforderlich. Damit geht nach ständiger Rechtsprechung noch keine erfinderische Tätigkeit einher.

Darüber hinaus entnimmt der Durchschnittsfachmann der DE 196 36 429 C1 auch, dass in einem Verbundmaterial eine gleiche Fugenbreite insbesondere durch Veränderung der Pulsdauer erreicht werden kann, vgl insb Sp 6 Z 53 bis 62. Damit wird offensichtlich dem unterschiedlichen Abtrageverhalten bei Laseranwendungen auf Materialien unterschiedlicher Dichte Rechnung getragen, wie sie bei dem 3-Schicht-Verbundmaterial unvermeidlich auftreten. Der um ein sachgerechtes Verständnis des Standes der Technik bemühte Durchschnittsfachmann kann aufgrund dieser Offenbarung nicht übersehen, dass die jeweilige Fugenbreite vom Material und der eingestellten Laserintensität abhängig ist. Insoweit obliegt es einer sachgerechten Lasersteuerung, bedarfsweise, zBsp aus Festigkeitsgründen der gesamten Airbag-Abdeckung, die Schwächungslinie in der Zwischenschicht breiter als in der Trägerschicht auszubilden. Vor diesem Hintergrund beruht die streitpatentgemäße Innenverkleidung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist daher nicht patentfähig.

B. zum Hilfsantrag Soweit die Merkmale des beanspruchten Innenverkleidungsteils nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag mit denjenigen des Hauptantrages übereinstimmen, gelten die vorstehenden Ausführungen gleichermaßen.

Das zusätzlich aufgenommene Merkmal betrifft die Herstellung der Schwächungslinie durch Anwendung eines Lasers dosierter Intensität, wobei der Laserstrahl bzw. eine Folge von Laser-Einzelimpulsen derart gezielt gesteuert wird, dass das Material des Innenverkleidungsteils in den entsprechenden Bereichen der Schwächungslinie (Fuge) durch Erhitzen, Verbrennen und Entgasen entfernt wird. Wie vorstehend erläutert, wird bereits auf die gleiche Weise die Schwächungslinie bei dem Verfahren nach der DE 196 36 429 C1 hergestellt, vgl insb Anspruch 1 iVm Sp 3 Z 15 bis 21, Z 28/29 sowie Sp 4 Abs 1. Somit vermag auch dieses zusätzliche Merkmal den Senat nicht davon zu überzeugen, dass das Beanspruchte nur durch erfinderische Tätigkeit zu erreichen war.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist mithin ebenfalls nicht patentfähig.

C. zu den Unteransprüchen Mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 fallen auch die jeweiligen Unteransprüche, denn nach gefestigter Rechtsprechung kann über einen Antrag nur in seiner Gesamtheit entschieden werden.

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bülskämper Bb






BPatG:
Beschluss v. 24.11.2004
Az: 9 W (pat) 340/02


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