Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg:
Beschluss vom 21. April 2016
Aktenzeichen: OVG 12 N 41.14

(OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 21.04.2016, Az.: OVG 12 N 41.14)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Beschluss vom 21. April 2016 über die Frage des Informationszugangs bei einer Habilitationsschrift entschieden. Es ging um eine Habilitationsschrift, die vor über einem Jahrzehnt nach erfolgreicher Habilitation noch nicht veröffentlicht worden war, obwohl dies verpflichtend war. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte in einem Urteil entschieden, dass dem Kläger Einsicht in die Habilitationsschrift sowie in das Protokoll der Fachbereichsratssitzung gewährt werden muss. Die Beklagte, eine Hochschule, hatte daraufhin gegen das Urteil Berufung eingelegt, deren Zulassung nun durch das Oberverwaltungsgericht abgelehnt wurde. Das Oberverwaltungsgericht führte aus, dass die geltend gemachten Zulassungsgründe für die Berufung nicht dargelegt bzw. nicht vorlagen. Es war keine Ernstlichkeit der Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO oder der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erkennbar. Das Gericht erläuterte ausführlich die verschiedenen Gründe für die Ablehnung der Berufung und kam zu dem Schluss, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hatte. Es wurde festgelegt, dass die Beklagte die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt und der Streitwert auf 5.000,00 EUR festgesetzt wird. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 21.04.2016, Az: OVG 12 N 41.14


Zur Frage des Informationszugangs bei einer Habilitationsschrift, die nach erfolgreicher Habilitation des Verfassers vor über einem Jahrzehnt entgegen der Publikationsverpflichtung noch nicht veröffentlicht wurde.

Tenor

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Mai 2014 wird abgelehnt.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

I. Die Beigeladene wurde im Jahre 199... vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin habilitiert und hat seit dem Jahre 200... eine Professur für das Fach €Öffentliches Recht€ an der Technischen Universität inne. Sie wendet sich mit dem unbeschränkten Zulassungsantrag gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, durch das die beklagte Hochschule verpflichtet wird, dem Kläger Einsicht in ihre im Habilitationsverfahren eingereichte, bislang nicht veröffentlichte Habilitationsschrift €€ sowie in das Protokoll der Fachbereichsratssitzung vom zu gewähren, soweit es um die Namen der zur Habilitationskommission bestellten Mitglieder im Habilitationsverfahren der Beigeladenen geht.

II. 1. Der Begründung des Zulassungsantrages können keine Ausführungen entnommen werden, die einen der gesetzlichen Zulassungsgründe mit Blick auf die in dem angefochtenen Urteil ausgesprochene Verpflichtung, Einsicht in das Sitzungsprotokoll des Fachbereichsrats hinsichtlich der Namen der Mitglieder der Habilitationskommission zu gewähren, erläutern. Insofern scheidet eine Zulassung der Berufung bereits mangels Darlegung von Zulassungsgründen aus.

2. Im Übrigen ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, für die es einer schlüssigen Gegenargumentation bedarf, mit der ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Feststellung in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 € NVwZ 2000, 1163, juris Rn. 15), aus dem Vorbringen der Beigeladenen nicht:

a) Das Vorbringen genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes, soweit es die Richtigkeit des Urteils in Zweifel ziehen möchte, als darin unter dem Stichwort €kein Vorrang des Prüfungsrechts€ ein Ausschluss des Informationsanspruchs für den Bereich von Prüfungen abgelehnt wird. Die Beigeladene möchte diesen Ausschluss schlichtweg aus der Natur von Prüfungsakten herleiten, die in Gestalt der Prüfungsleistung und ihrer Bewertung höchstpersönliche Züge aufweisen. Dieser Ansatz verfehlt die Systematik des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG Bln), das in § 2 umfassend den Anwendungsbereich regelt, den Informationsanspruch in § 3 Abs. 1 nach Maßgabe dieses Gesetzes ausgestaltet und in § 3 Abs. 3 lediglich weitergehende Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften unberührt lässt. Die Einschränkungen des Informationsrechts ergeben sich danach ausschließlich aus dem entsprechend überschriebenen zweiten Abschnitt des Gesetzes, den §§ 5 ff. IFG Bln. Diese Bestimmungen sehen für den Bereich von Prüfungen keine Bereichsausnahme vor. Eine solche ist auch nicht aus der Natur der Sache herzuleiten, denn die höchstpersönlichen Züge der Prüfungsleistungen und ihrer Bewertungen werden als personenbezogene Daten von Prüflingen und Prüfern ohne weiteres begrifflich durch den Ausschlussgrund des Schutzes personenbezogener Daten (§ 6 IFG Bln) erfasst, den das Verwaltungsgericht folgerichtig in der weiteren Urteilsbegründung zum Prüfungsgegenstand erhoben hat.

b) Die erstinstanzliche Annahme, der Kläger verfolge nicht überwiegend Privatinteressen im Sinne des § 6 Abs. 1 1. Alt. IFG Bln, ist nicht schon im Ansatz ernstlich zweifelhaft, weil sie auf dem logischen Kettenschluss beruht, €durch€ die Verweigerung der Einsichtnahme in die Habilitationsschrift sei aus dem privaten Interesse ein Interesse an der Kontrolle der Verwaltung erwachsen. Das Verwaltungsgericht hat im Urteil formuliert, dass das Interesse des Klägers ursprünglich privat motiviert gewesen sein mag € und zwar unabhängig davon, ob die Motivation aus einem eigenen Interesse am Inhalt der Habilitationsschrift der Beigeladenen herrührte oder aus einem solchen Interesse eines Dritten, der den Kläger als Rechtsanwalt mandatiert hatte €, er sich aber erst auf das Informationsfreiheitsgesetz und das diesem immanente Kontrollinteresse berufen habe, als er den Verdacht hatte, dass €irgendetwas nicht stimmen€ könne. Hiernach ist das Kontrollinteresse nur akzidentiell entstanden und beruht nicht im logischen Sinne kausal auf der Verweigerung der Einsicht aus privatem Interesse. Von einem unzulässigen Kettenschluss kann dabei schon angesichts des Hergangs, insbesondere des vorangegangenen Schriftwechsels, nicht die Rede sein. Das Stellen des Antrages durch den Kläger im eigenen Namen spricht im Übrigen dafür, dass er das Kontrollinteresse auch im eigenen Interesse und nicht lediglich in Verfolgung des durch seine Mandatierung durch Dritte begründeten Privatinteresses wahrnehmen wollte.

c) Auch aus den von der Beigeladenen für ihr Schutzinteresse angeführten Erwägungen ergibt sich nicht schlüssig, dass dieses Interesse entgegen der Abwägung des Verwaltungsgerichts überwiegt (§ 6 Abs. 1 2. Alt. IFG Bln).

8aa) Das Vorbringen, die Habilitationsarbeit sei eine € höchstpersönlich zu erbringende € Prüfungsleistung, führt nicht schlüssig auf eine Zuordnung zur Privat- und Intimsphäre der Beigeladenen. Mit dieser Begrifflichkeit wird gemeinhin der jedem Einzelnen durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde gesicherte autonome Bereich privater Lebensgestaltung bezeichnet, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann, zu dem insbesondere auch das Recht gehört, in diesem Bereich "für sich zu sein", "sich selber zu gehören", ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen; davon umfasst sind das Recht am eigenen Bild und gesprochenen Wort sowie das Verfügungsrecht über Darstellungen der Person (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 € 1 BvR 536/72 €, BVerfGE 35, 202, juris Rn. 44). Der Schutz der Privat- und Intimsphäre umfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 € 1 BvR 472/14 €, BVerfGE 138, 377, juris Rn. 29). Eine Berührung dieses Bereichs zeigt das Zulassungsvorbringen mit dem bloßen Hinweis auf die fehlende Veröffentlichung einer bereits € erfolgreich € erbrachten Habilitationsleistung nicht auf. Die einschlägige Habilitationsordnung trennt insoweit zwischen dem nichtöffentlichen Prüfungsverfahren (§§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 4, 14 Abs. 1 HabilO) und den öffentlich oder hochschulöffentlich zu erbringenden (§§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 12 Abs. 1 bis 3) bzw. zu veröffentlichenden Habilitationsleistungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 15 ff. HabilO). Jeder Habilitand weiß darum, dass er die von ihm verfasste Monographie in der vorgesehenen Form innerhalb bestimmter Frist veröffentlichen muss. Das schließt jedenfalls € wie im Fall der Beigeladenen € nach Zuerkennung der Lehrbefähigung eine Verweigerung der Veröffentlichung unter Berufung auf die Privat- und Intimsphäre, also den vor Einblicken Dritter unbedingt geschützten Bereich privater Lebensgestaltung, unter Hinweis auf den Charakter als Prüfungsleistung im Habilitationsverfahren aus. Der Öffentlichkeitsbezug ist hiernach mit der Zuerkennung der Lehrbefähigung, also dem erfolgreichen Abschluss der Prüfung, gegeben. Die von der Beigeladenen angeführten Beispiele der Rücknahme des Habilitationsantrages nach Abgabe der Habilitationsschrift (die nach § 18 Abs. 1 S. 1 HabilO bis zur Empfehlung der Kommission über die Annahme der schriftlichen Leistungen möglich ist) oder der Aufgabe der wissenschaftlichen Laufbahn (die nach der HabilO nicht von der Veröffentlichung entbindet) ändern an diesem Öffentlichkeitsbezug nichts, zumal diese Beispiele im Fall der Beigeladenen ohnehin nicht einschlägig sind, weil ihr die Lehrbefähigung zuerkannt wurde und sie die wissenschaftliche Laufbahn auf dieser Grundlage beschritten hat. Ein Wertungswiderspruch ist mit alledem nicht verbunden; die Habilitation dient dem Nachweis der Befähigung, ein wissenschaftliches Fach in Forschung und Lehre selbständig zu vertreten. Das Vertreten eines wissenschaftlichen Fachs bedingt den öffentlichen Auftritt als forschender und lehrender Wissenschaftler in Wort und Schrift. Daraus folgt, dass die Habilitationsleistungen öffentlich zu erbringen oder zu veröffentlichen sind.

bb) Die Ausführungen zu § 3 Abs. 9 BDSG (= § 6a BlnDSG) bedingen weder als solche einen Ausschlussgrund für den Informationszugang noch vermögen sie ein Überwiegen des Schutzinteresses der Beigeladenen zu begründen. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr und bezieht sich auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben. Die Beigeladene legt nicht dar, dass personenbezogene Daten dieser Art mit der Einsicht in ihre Habilitationsschrift offenbart würden. Soweit sie geltend macht, die Inhalte ließen politische Meinungen und philosophische Überzeugungen erkennen, verbleiben ihre Ausführungen allgemein und konturenlos, was bereits das Verwaltungsgericht zutreffend beanstandet hat. Das Thema der Arbeit der Beigeladenen führt per se nicht ohne weiteres auf besonders geschützte Daten der in Rede stehenden Art; dass die Beigeladene sich mit ihren Anschauungen der wissenschaftlichen Diskussion und damit einer mehr oder weniger breiten Öffentlichkeit stellen muss, kann angesichts der dargestellten Regelungen der Habilitationsordnung nicht zweifelhaft sein.

cc) Aus dem gleichen Grund entbehrt die Zulassungsbegründung der Schlüssigkeit, soweit sie meint, die Einsichtnahme eines Dritten in die Habilitationsschrift vor einer Veröffentlichung durch die Beigeladene könne diese in ihrem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) verletzen. Abgesehen davon, dass das abermals angeführte Beispiel der jederzeitigen Aufgabe der wissenschaftlichen Laufbahn nicht die Situation der Beigeladenen und ihr in die Abwägung einzustellendes Schutzinteresse nach § 6 Abs. 1 IFG Bln beschreibt, entspricht die Auffassung nicht der Rechtslage, eine nach der einschlägigen Habilitationsordnung eingereichte Habilitationsschrift gehöre bis zu ihrer Veröffentlichung zur Privatsphäre des Habilitanden. Dieser kann den Antrag nach § 18 Abs. 1 HabilO nur bis zur Empfehlung der Kommission nach § 10 Abs. 1 HabilO über Annahme, Ablehnung oder Rückgabe zur Überarbeitung zurücknehmen, hat das Prüfungsverfahren hingegen seinen Fortgang genommen und ist mit der Zuerkennung der Lehrbefähigung abgeschlossen worden, stellt sich nach dem klaren Wortlaut der Vorschriften der Habilitationsordnung weder die Frage nach dem €Ob€ der Veröffentlichung noch diejenige nach der zu veröffentlichenden Fassung der Schrift, denn die gedruckte Schrift muss nach § 15 Abs. 2 Satz 1 HabilO mit der Habilitationsschrift, die Gegenstand der Bewertung war, übereinstimmen. Der Vorbehalt bezüglich der Regelungen in § 15 Abs. 2 Satz 2 und 3 HabilO betrifft Auflagen des Fachbereichsrats für die Drucklegung und gestattet sonstige Abweichungen nur mit Billigung des Dekans, wenn sie die wissenschaftliche Substanz nicht verändern oder mit anderen Worten die Übereinstimmung des inhaltlichen Substrats der Bewertung nicht berühren. Diese Regelungen sind mit dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, was den Habilitanden als Grundrechtsträger angeht, ohne weiteres vereinbar, weil das Verfahren nur mit seinem Willen eingeleitet wird und er, wenn er nach Abgabe der Annahmeempfehlung der Kommission an seinem Antrag festhält, weiß, dass er sich mit seiner schriftlichen Leistung der Öffentlichkeit stellen muss. Diese Anforderungen beruhen auf gesetzlicher Grundlage (§ 36 Abs. 5 Nr. 1 BerlHG), die die im Lichte des Grundrechts wesentlichen Regelungen (€Monographie (Habilitationsschrift) oder publizierte Forschungsergebnisse, die in ihrer Gesamtheit einer Habilitationsschrift gleichwertige wissenschaftliche Leistungen darstellen€) selbst trifft (vgl. zu den Anforderungen der Rechtfertigung von Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit: BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 € 1 BvL 8/10 € juris Rn. 59 m.w.N.). Sie sind auch objektiv zur Sicherung der Garantie der Wissenschaftsfreiheit geboten und verhältnismäßig, weil das Habilitationsverfahren und seine €Öffentlichkeit€ sicherstellen und mit Publizitätswirkung gewährleisten müssen, dass Nachwuchswissenschaftler über die Qualifikation zur Wahrnehmung der besonderen Verantwortlichkeit und Betroffenheit in der herausgehobenen Funktion als Hochschullehrer verfügen, die ihnen namentlich im universitären Wissenschaftsbetrieb zukommt (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 € 1 BvR 424/71 u.a. €, BVerfGE 35, 79, juris Rn. 137 ff.; Beschluss vom 01. März 1978 € 1 BvR 333/75 u.a. €, BVerfGE 47, 327, juris Rn 214). Bei den zum Nachweis der Lehrbefähigung zu erbringenden Leistungen ist die jedem Wissenschaftler zuzubilligende Freiheit, über den Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse selbst zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 a.a.O., Rn. 191), diesem aus der verfassungsrechtlichen Wertaussage des Grundrechts abgeleiteten Interesse in dem hier durch die Habilitationsordnung fehlerfrei bestimmten Ausmaß nachrangig.

dd) Den von der Beigeladenen gesehenen Überarbeitungsbedarf der eingereichten Fassung der Habilitationsschrift und die Verlängerung der Ablieferungsfrist hat das Verwaltungsgericht nicht als für den Informationszugang hinderlich angesehen. Das Zulassungsvorbringen vermag demgegenüber nicht darzulegen, weshalb es für den Schutz personenbezogener Daten der Beigeladenen darauf ankommt. Die € erstmals mit dem Zulassungsvorbringen angesprochene € Beseitigung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern in der eingereichten Fassung mag ein uneingeschränktes Recht auch unter Geltung der hier einschlägigen Habilitationsordnung sein, und es liegt fraglos im Interesse des Habilitanden, für die Drucklegung davon Gebrauch zu machen. Ebenso auf der Hand liegt aber, dass dieser Aspekt bei einer Habilitationsschrift, die vom Fachbereich offenbar ohne Überarbeitungsaufträge in dieser Hinsicht angenommen worden ist, nur von geringem Gewicht ist und in der Abwägung das durch den Gesetzeszweck in § 1 IFG Bln bestimmte Offenlegungsinteresse nicht überwiegen kann. Die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts zielt auf einen sachlichen Überarbeitungsbedarf, soweit er durch § 15 Abs. 2 HabilO zugelassen wird, aber die Billigung des Dekans erfordert. Das Verwaltungsgericht hat damit eine Begrenzung des Schutzinteresses der Beigeladenen hinsichtlich der Einsicht in die eingereichte Fassung der Habilitationsschrift kennzeichnen wollen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Grenzziehung sind mit dem Hinweis auf den typischen redaktionellen Überarbeitungsbedarf vor Drucklegung einer Monografie nicht dargetan.

Nichts anderes gilt für die Unerheblichkeit der Verlängerung der Ablieferungsfrist nach § 16 Abs. 3 HabilO. Die Ausführungen der Beigeladenen fußen insoweit ersichtlich auf ihrer unzutreffenden Auffassung, erst der Vollzug der Veröffentlichung lasse das Schutzinteresse des Habilitanden gegenüber einer Einsichtnahme Dritter in seine schriftliche Leistung entfallen. Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber zum Ausdruck gebracht, dass der Habilitand jedenfalls mit dem Abschluss des Prüfungsverfahrens die Disposition über die Veröffentlichung in beträchtlichem Umfang verliert. Darüber hinaus hat es die Abwägung durchaus einzelfallbezogen vorgenommen und dabei € anders sind die erstinstanzlichen Ausführungen nicht zu verstehen € berücksichtigt, dass die in § 16 Abs. 1 und 2 HabilO vorgesehenen Ablieferungsfristen bereits lange abgelaufen waren, ohne dass eine Ablieferung der Pflichtexemplare seitens der Beigeladenen erfolgt war, und § 16 Abs. 3 HabilO nur eine angemessene Verlängerung der Ablieferungsfrist und zudem auch nur aus wichtigem Grund vorsieht. Dass es dabei verkannt habe, dass mit einer angemessenen Fristverlängerung zweifellos die Angemessenheit des gewährten Aufschubs gemeint sei, kann dem Urteil, das von einer Verlängerung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt - mithin etwa fünfzehn Jahre seit Abschluss des Habilitationsverfahrens € spricht (Urteilsabdruck, S. 12 2. Absatz), nicht entnommen werden. Mit seinen Ausführungen hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass sich die Beigeladene, die ihre Verpflichtung hinsichtlich der Zugänglichmachung ihrer Habilitationsschrift bislang nicht erfüllt hat, nicht mehr mit nennenswertem Gewicht auf schutzwürdige Interessen hinsichtlich einer anstehenden Veröffentlichung berufen kann, wie dies möglich wäre, solange die Ablieferungsfrist einschließlich einer vor ihrem Ablauf erkennbar in Übereinstimmung mit der Habilitationsordnung erfolgten Verlängerung noch nicht abgelaufen ist. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander, denn es beschränkt sich im Kern darauf, die Möglichkeit der Verlängerung einer bereits abgelaufenen Frist zu problematisieren, was für die Richtigkeit des Maßstabs des Verwaltungsgerichts für die Bewertung des Schutzinteresses der Beigeladenen bedeutungslos ist.

ee) Die Erwägung, dass die Beigeladene ihrer Verpflichtung zur Veröffentlichung bislang nicht nachgekommen ist und sich nach Ablauf einschlägiger Fristen nicht auf schutzwürdige Rechte an der Veröffentlichung berufen kann, steht auch einer Anknüpfung an das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers wie auch einer Bewertung der Veröffentlichungspflicht als unvollkommene Verbindlichkeit entgegen. Dem Zulassungsvorbringen fehlen allerdings schon Ausführungen zum Verhältnis zwischen der Berechtigung nach dem Urheberrecht und dem Informationsfreiheitsrecht. Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, in welcher Weise das Berliner Informationsfreiheitsgesetz den Schutz des geistigen Eigentums gewährleistet und sich darauf beschränkt, die Beigeladene könne sich auf das Erstveröffentlichungsrecht des § 12 UrhG schon deshalb nicht berufen, weil sie es mit Einreichung der Habilitationsschrift konkludent ausgeübt habe. Das Zulassungsbegehren müsste dagegen von seinem Ausgangspunkt, der die Ausübung des Erstveröffentlichungsrechts bezweifelt, zunächst herleiten, inwiefern dieses den Anspruch des Klägers auf Informationszugang nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz beschränkt. Daran fehlt es. Davon abgesehen lässt das Vorbringen eine Auseinandersetzung mit dem Verfahren nach der Habilitationsordnung vermissen und verhält sich nicht dazu, dass mit der Einreichung und Bewertung der Habilitationsschrift und dem erfolgreichen Abschluss des Habilitationsverfahrens sowohl das €Ob€ der Veröffentlichung und als auch das €Wie€ einschließlich der Festlegung von Fristen soweit umrissen ist, dass sich die verbleibende urheberrechtliche Position derart minimiert, dass jedenfalls nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist eine Berufung auf schutzwürdige Belange im Sinne des § 6 Abs. 1 IFG Bln nicht mehr möglich ist und der Kontrollzweck des Informationsfreiheitsgesetzes entsprechend an Gewicht gewinnt.

3. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Hierfür bedarf es der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, die entscheidungserheblich ist und bislang in der obergerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt ist, und im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts einer über den Einzelfall hinausgehenden, verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich ist. Insofern ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich der Fall der Beigeladenen in singulärer Weise von anderen Habilitationsverfahren unterscheidet, denn andere Fälle aus dem rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Beklagten, in denen die Pflichtexemplare der Habilitationsschrift nach der Zuerkennung der Lehrbefähigung nicht abgeliefert wurden, sind nach den aktenkundigen Angaben des zuständigen Mitarbeiters der Beklagten seit 1995 nicht bekannt (Bl. 130 der Streitakte). Die These der Beigeladenen, Fragestellungen ihres Falles würden sich genauso in anderen Habilitationsverfahren stellen, ist deshalb von vornherein mit einem Fragezeichen zu versehen, zumal die singuläre Fallgestaltung auch zu singulären Bewertungen von rechtlichen oder tatsächlichen Einzelfragen führen kann, die auf den €Normalfall€, in dem der Habilitand in der Regel ein erhebliches Eigeninteresse an der Veröffentlichung der Habilitationsschrift verfolgt, nicht übertragbar sind. Die von der Beigeladenen aufgeworfenen Fragen haben keine grundsätzliche Bedeutung. Im Einzelnen:

a) Die Frage, ob ein €Vorrang des Prüfungsrechts€ besteht, beantwortet sich € wie bereits oben ausgeführt (unter 2 a) € aus dem Gesetz selbst dahin, dass der Schutz personenbezogener Daten und persönlicher Belange nach § 6 Abs. 1 IFG Bln gewährleistet wird.

b) Entgegen der Ansicht der Beigeladenen wirft der Fall nicht die Frage auf, ob einem ursprünglich privat motivierten Informationsanspruch deswegen § 6 Abs. 1 IFG Bln nicht entgegensteht, weil die aktenführende Stelle und die Autorin die Einsichtnahme in die nicht veröffentlichte Habilitationsschrift verweigern. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Prüfungsgang grundsätzlich für die Erheblichkeit der aufgeworfenen Frage abzustellen ist, hat dem Urteil zugrunde gelegt, dass der Kläger ab seinem ausdrücklich auf das IFG Bln gestützten Antrag ein Kontrollinteresse im Sinne des § 1 IFG Bln verfolgt habe, so dass es für die Entscheidung unerheblich ist, wie das Begehren ursprünglich motiviert war. Ob das Verhalten der Beklagten und der Beigeladenen dieses Kontrollinteresse erst ausgelöst oder befördert haben, ist für die Frage, inwieweit der Schutz personenbezogener Daten oder persönlicher Belange einer Offenlegung entgegensteht, ohne Belang. Dass das Verwaltungsgericht von einem solchen Zusammenhang ausgehen durfte, ist in einem Berufungsverfahren nicht klärungsbedürftig.

c) Soweit es um die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit der Beigeladenen geht, beantwortet sich die Frage nach der Zulässigkeit des Eingriffs durch die Veröffentlichungspflicht zwar nicht allein aus der Habilitationsordnung des rechtswissenschaftlichen Fachbereichs der Beklagten, wohl aber in Verbindung mit dem Eigeninteresse des Habilitanden und der objektiven Wertaussage des Grundrechts, wie sie sich in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung darstellt (s. oben 2 c) cc). Danach ist die Zuerkennung der Befähigung zur selbständigen Vertretung eines wissenschaftlichen Fachs in einem Geheimverfahren ohne Offenlegung der schriftlichen Leistung verfassungsrechtlich ausgeschlossen.

d) Die Frage, ob das € von der Beigeladenen nur mit einer Bezugnahme auf § 15 Abs. 2 HabilO näher umschriebene € Überarbeitungsrecht des Habilitanden einer Einsicht in die eingereichte Habilitation vor Veröffentlichung durch den Habilitanden allgemein entgegensteht, würde sich in einem Berufungsverfahren nach Lage des Falles nicht stellen. Soweit die Beigeladene, die sämtliche Fristen zur Ablieferung der Belegexemplare ungenutzt hat verstreichen lassen, den Überarbeitungsbedarf lediglich in der Bereinigung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern sieht, begründet dies kein schützenwertes Interesse. Dass es einen weitergehenden Bearbeitungsbedarf gibt, hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt und die Beigeladene nicht vorgetragen. Im Übrigen lässt sich die Frage nicht unabhängig vom Einzelfall beantworten: Vor Ablauf der Ablieferungspflichten dürfte die Schutzwürdigkeit der Vorbereitung einer Drucklegung für eine Verlagsveröffentlichung deutlich anders zu beurteilen sein als im Fall der Beigeladenen, deren Prüfungsverfahren im Jahre 199... stattgefunden hat und die im Jahre 200... als Hochschullehrerin an einer Universität berufen worden ist.

e) Auch die Frage nach der Verlängerung der Ablieferungsfrist, deren Klärungsbedürftigkeit die Beigeladene nicht hinreichend erläutert, würde sich in der Allgemeinheit, in der sie formuliert ist, in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Die Verlängerung der Ablieferungsfrist darf nach § 16 Abs. 3 HabilO nur aus wichtigem Grund erfolgen; im Falle der Beigeladenen wäre daher zunächst diese Voraussetzung zu prüfen. Die Beigeladene geht zudem davon aus, dass der Informationsanspruch bei einer Verlängerung der Ablieferungsfrist abzulehnen wäre. Davon kann im Rahmen einer Abwägung nach § 6 Abs. 1 IFG Bln in einem Fall, in dem die Veröffentlichung nach über zehn Jahren noch nicht erfolgt ist und die Habilitation mutmaßlich Voraussetzung für eine Berufung in das Amt des Hochschullehrers war, nicht ausgegangen werden.

f) Die Ausführungen zur Frage nach der Ausübung des Erstveröffentlichungsrechts gemäß § 12 UrhG zeigen € nicht anders als die Erläuterungen der Beigeladenen zum Vorliegen ernstlicher Richtigkeitszweifel € den gesetzlichen Anknüpfungspunkt für den Schutz des geistigen Eigentums und damit die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend auf. Im Rahmen einer Abwägung nach § 6 Abs. 1 IFG Bln könnte nach den Ausführungen des Senats auch ein weitgehender Dispositionsverlust über €Ob€ und €Wie€ der Veröffentlichung der Habilitationsschrift auf der Grundlage der Vorschriften der Habilitationsordnung bereits genügen, um unter Berücksichtigung der sonst im Einzelfall der Beigeladenen gegebenen Umstände die Schutzbedürftigkeit ihrer diesbezüglichen Belange zurücktreten zu lassen. Die Beantwortung der konkret aufgeworfenen Frage ist daher nicht entscheidungserheblich.

g) Die Frage, ob angesichts des Fehlens einer Sanktion in der Habilitationsordnung der Beklagten überhaupt von einer Veröffentlichungspflicht €i.e.S.€ die Rede sein kann, ist aufgrund von §§ 15 und 16 HabilO im Lichte der gesetzlichen Grundlage in § 36 Abs. 5 Nr. 1 BerlHG, die ersichtlich von einer zu publizierenden wissenschaftlichen Einzelleistung ausgeht (s.o.), zu bejahen, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Die Zugänglichmachung der Habilitationsschrift zumindest für die wissenschaftliche Fachwelt ist im Lichte der Wertaussage der Wissenschaftsfreiheit und den sich aus ihr ergebenden Anforderungen an die Rekrutierung des Hochschullehrernachwuchses notwendig und damit einhergehende Einschränkungen der grundrechtlich gewährleisteten Dispositionsbefugnis des Habilitanden sind gerechtfertigt. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung relativiert sich durch das Fehlen einer Sanktion nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).






OVG Berlin-Brandenburg:
Beschluss v. 21.04.2016
Az: OVG 12 N 41.14


Link zum Urteil:
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