Bundespatentgericht:
Urteil vom 16. Oktober 2008
Aktenzeichen: 3 Ni 30/06

(BPatG: Urteil v. 16.10.2008, Az.: 3 Ni 30/06)

Tenor

1. Das europäische Patent 0 957 066 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dassa) Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält:

"Verfahren zum Fällen von Inhaltstoffen aus Lösungen, wobei die Lösung mit mindestens einem Ionenaustauschermaterial in Kontakt gebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass ein schwachsaures Ionenaustauschermaterial an seiner Oberfläche funktionelle Gruppen aufweist, die vor dem Kontakt mit der Lösung mit Gegenionen beladen sind, wobei die Fällung katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung, bewirkt wird"

b) sich die Patentansprüche 2 bis 14, soweit angegriffen, unmittelbar oder mittelbar auf die geänderte Fassung des Patentanspruchs 1 rückbeziehen.

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.

Die Klägerinnen tragen und die Beklagte trägt der Kosten des Rechtsstreits.

4.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. März 1998 beim europäischen Patentamt angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 957 066 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 598 12 745 geführt wird. Das Streitpatent betrifft "Verfahren zum Fällen oder Ausflocken von Inhaltsstoffen aus Lösungen" und umfasst 14 Patentansprüche. Die Patentansprüche 1, 2, 3 und 12 gemäß EP 0 957 066 B1 lauten:

1.

Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, wobei die Lösung mit mindestens einem Ionenaustauschermaterial in Kontakt gebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial an seiner Oberfläche funktionelle Gruppen aufweist, die mit Gegenionen beladen sind, wobei die Fällung katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung, bewirkt wird.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenionen Kationen sind.

3.

Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenionen Ca2+ -, Fe2+ -oder Cu2+ -Ionen sind.

12. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial aus Polyacrylat, Polystyrol oder Aktivkohle besteht, dessen Oberfläche mit den funktionellen Gruppen versehen ist.

Die Patentansprüche 4 bis 11, 13 und 14 betreffen besondere Ausgestaltungen der Verfahren nach Anspruch 1 bzw. jeweils vorangehender Unteransprüche.

Die Klägerinnen bestreiten die Schutzfähigkeit des Streitpatents im Umfang der Patentansprüche 1 und 2, der Patentansprüche 4 bis 11, 13 und 14, sowie des Patentanspruchs 3 im Umfang der Alternative, dass die Gegenionen Ca2+ -Ionen sind und des Anspruchs 12 im Umfang der Alternativen, dass das Ionenaustauschermaterial aus Polyacrylat oder Polystyrol besteht, wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit. Sie stützen sich auf die Druckschriften:

K1: WO 95/26931 A1 K2: EP0754167B1 K3: DE2714297A1 K4: Technische Information Fa. Bayer, Lewatit¨ -

Selektivaustauscher (Ausgabe 3/98)

K5: englische Fassung von K4 (Edition June 1997)

Die Klägerinnen tragen vor, durch die Verfahren nach K1 und K4/5 seien alle Maßnahmen des Anspruchs 1 vorweggenommen, wobei das Merkmal, dass die Fällung katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung, bewirkt werde, unbeachtlich sei, da es eine -noch dazu technisch unzutreffende -Wirkungsangabe, aber kein Verfahrensmerkmal darstelle. Auch die nachgeordneten Unteransprüche seien im angegriffenen Umfang von K1 sowie K4/5 zum größten Teil neuheitsschädlich vorweggenommen bzw. demgegenüber nicht patentfähig.

Des Weiteren sei der Gegenstand des Patents nicht gewerblich anwendbar und nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann die beanspruchte Erfindung ausführen könne. Das Streitpatent gebe keine plausible Erklärung dafür, dass ein katalytisches Fällen im Sinne des Patentanspruchs 1 überhaupt möglich sei. Naturwissenschaftliche Logik lasse nämlich die Annahme einer katalytischen Fällung von Gegenionenmaterial aus einer Lösung durch einen mit solchen Gegenionen beladenen Ionenaustauscher nicht zu.

Die Klägerinnen stellen es in das Ermessen des Gerichts, hinsichtlich der Frage der Ausführbarkeit der Erfindung Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Klägerinnen beantragen, das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 und 2, der Patentansprüche 4 bis 11, 13 und 14, sowie des Patentanspruchs 3 im Umfang der Alternative, dass die Gegenionen Ca2+ -Ionen sind und des Anspruchs 12 im Umfang der Alternativen, dass das Ionenaustauschermaterial aus Polyacrylat oder Polystyrol ist, für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in eingeschränktem Umfang und beantragt, die Klage im Übrigen abzuweisen.

Sie verteidigt ihr Patent im Umfang des geänderten Patentanspruchs 1 vom 28. August 2006 und der erteilten Ansprüche 2 bis 14.

Der Patentanspruch 1 lautet:

Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, wobei die Lösung mit mindestens einem Ionenaustauschermaterial in Kontakt gebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass ein schwachsaures Ionenaustauschermaterial an seiner Oberfläche funktionelle Gruppen aufweist, die vor dem Kontakt mit der Lösung mit Gegenionen beladen sind, wobei die Fällung katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung bewirkt wird.

Sie verweist auf B2: Anschreiben der Klägerin an die Beklagte wegen Patentverletzungvom 14. Februar 2006 B3: Prospekt der Aquatron¨ GmbH (Klägerin) "MAITRON¨ Kalkstopp .

Natürlich . Wartungsfrei"

B4: EP1098706B1 B5: DVGW-Baumusterprüfzertifikate DW-9191BR0341-0343 B6: SVGW-SSIGE Zertifikat NR. 0411-4906 B7: Anlagenkonvolut aus IKZ 2/2008, 3/07, 6/07 und 24/06, weitere Prospekte Sie tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und macht geltend, dass der Patentanspruch in der neuen Fassung das Kriterium der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erfülle, weil nirgends im Stand der Technik die Lehre zu finden sei, schwachsaure Ionenaustauschermaterialien vorher mit Gegenionen zu beladen, um anschließend eine katalytische Fällung zu bewirken. Außerdem sei das Verfahren des Streitpatents ohne Zweifel gewerblich anwendbar und ausführbar.

Gründe

I.

Die zulässige Klage erweist sich als in der Sache teilweise begründet.

Rechtsgrundlage für die gegen ein europäisches Patent gerichtete Nichtigkeitsklage ist Artikel 138 EPÜ in Verbindung mit Artikel II § 6 IntPatÜG. Danach kann ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gem. Artikel 138 Abs. 1 lit a EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 1 IntPatÜG dann für nichtig erklärt werden, wenn sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig ist, oder nach Artikel 138 Abs. 1 lit b EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 2 IntPatÜG, wenn es die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Das Streitpatent ist zunächst schon ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es über die von der Beklagten in zulässiger Weise nur noch beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht (vgl. Benkard, PatG 10. Aufl., § 22 Rn. 50 mit Rechtsprechungsnachweisen).

Die weitergehende Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nach Artikel 138 Abs. 1 lit. a und b nicht vorliegen.

Soweit die Klägerinnen die Unteransprüche 3 und 12 nur teilweise angegriffen haben, hatte eine Entscheidung bezüglich nicht angegriffener Alternativen nicht zu erfolgen, die Unteransprüche bleiben insoweit mit Rückbezug auf die erteilten Ansprüche bestehen, während bei den mit der Entscheidung aufrechterhaltenen Alternativen die Rückbeziehung auf die beschränkten Ansprüche erfolgt.

1. Das Streitpatent betrifft in seiner verteidigten Fassung ein Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, wobei die Lösung mit mindestens einem Ionenaustauschermaterial in Kontakt gebracht wird.

Störende ionische Wasserinhaltsstoffe lassen sich entfernen, indem man diese in die Form eines schwerlöslichen Salzes überführt und damit fällt. Viele Metallionen, wie Ca2+ -Ionen, lassen sich in Form schwerlöslicher Hydroxide oder als Kalk fällen, was über den pH-Wert gesteuert wird. Zur Abtrennung der gefällten Wasserinhaltsstoffe ist es wesentlich, dass diese flocken bzw. sedimentieren, wobei sie weiterwachsen und agglomerieren können. Dabei kann es bei der Einbringung des Fällungsmittels zu Überdosierungen mit nachteiligen Folgen kommen. Ionenaustauschermaterialien werden in der Wasseraufbereitung verwendet, um unerwünschte Ionen gegen erwünschte Ionen oder für den jeweiligen Einsatzzweck weniger störende Ionen auszutauschen. Bekannt sind z. B. Enthärtungsanlagen, die mittels Kationenaustauschern Ca2+ -und/oder Mg2+ -Ionen im Austausch gegen Na+ oder H+ -Ionen an sich binden. Diesen Verfahren ist gemeinsam, dass die aus dem Wasser entfernten Ionen an das Harz gebunden werden und das Harz nach Erschöpfung seiner Kapazität regeneriert werden muss, wonach die aufkonzentrierten störenden Ionen aus dem Regenerat entfernt werden können.

2.

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, insbesondere Wasser, anzugeben (Streitpatent Abs. [0002] bis [0005], [0007] und [0008]).

3.

Die Aufgabe wird durch ein Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen nach Patentanspruch 1 mit folgenden Merkmalen gelöst.

1.

Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, 2.

wobei die Lösung mit mindestens einem Ionenaustauschermaterial in Kontakt gebracht wird, 3.

wobei ein schwachsaures Ionenaustauschermaterial verwendet wird, 4.

das an seiner Oberfläche funktionelle Gruppen aufweist, 5.

die vor dem Kontakt mit der Lösung mit Gegenionen beladen sind, 6.

und die Fällung katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung, bewirkt wird.

4.

Zuständiger Fachmann ist ein Ingenieur der Verfahrenstechnik, Chemiker oder Physiker mit langjähriger Erfahrung in der Wasseraufbereitung.

II.

1.

Die von der Beklagten verteidigten Ansprüche 1 bis 14 entsprechen bis auf die Einfügungen im Patentanspruch 1 "schwachsaures" vor Ionenaustauschermaterial und "vor dem Kontakt mit der Lösung" vor "mit Gegenionen beladen" den erteilten Ansprüchen 1 bis 14 im Wortlaut. Diese Beschränkungen im geltenden Patentanspruch 1 sind aus den Absätzen [0012 bis 0014] der Streitpatentschrift abzuleiten und gehen auf S: 5 Abs.: 2 bis 4 und S: 10 Abs.: 3 der Erstunterlagen zurück. Dergeltende Patentanspruch 1 geht im Übrigen sinngemäß auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 4 i. V. m. S: 5 Abs. 3 und 5 der Erstunterlagen zurück. Die Patentansprüche 2 bis 14 sind sinngemäß aus S. 10 Abs. 3 (Ansprüche 2 bis 4, 12), S. 8 Abs. 5 (Ansprüche 11, 13) S. 9 Abs. 1 und 3 (Anspruch 13) der Erstunterlagen sowie den ursprünglichen Ansprüchen 4, 5, 7, 8, 9, 10 und 13 (Ansprüche 5 bis 10 und 14) ableitbar.

2.

Der Gegenstand des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann (Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ).

Soweit die Klägerinnen sich darauf berufen, dass ein Fachmann die patentgemäß beanspruchte Lehre nicht ausführen könne, weil es sich nicht um ein katalytisches Verfahren handle, teilt der Senat diese Auffassung nicht.

Zur Beurteilung der Frage, ob der Vorwurf der mangelnden Offenbarung des Gegenstands des verteidigten Patentanspruchs 1 zutrifft, ist der Sinngehalt der Patentansprüche in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Figuren durch Auslegung zu ermitteln. Dabei stellt die Patentschrift im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (vgl. BGH GRUR 2007, 410 [18] -Kettenradanordnung; 1999, 909 -Spannschraube).

Das Verfahren gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 wird in der Beschreibung ausführlich anhand der Kalkkristallkeimbildung in kalkhaltigen Lösungen durch ein mit Ca2+ -Ionen vollständig beladenes schwachsaures Ionenaustauschermaterial, nämlich Lewatit CNP 80, erläutert (Abs. [0013, 0014, 0028, 0029, 0037, 0040]). Der Zusatz im Patentanspruch 1 "d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung" verdeutlicht, was unter einer katalytischen Fällung durch in Kontakt bringen mit einem Ionenaustauscher im Sinne der Lehre des Streitpatents im Gegensatz zur üblichen Anwendung eines Ionenaustauschers, d. h. Ionenaustausch des Gegenions mit den Ionen aus der Lösung und anschließender Regeneration, zu verstehen ist, um diese katalytische Wirkungsweise im Sinne des Streitpatents von der üblichen Wirkungsweise eines Ionenaustauschers abzugrenzen. Unter Katalyse ist nämlich die Erscheinung zu verstehen, dass die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion durch die Gegenwart eines Stoffes beeinflusst wird, der die Reaktion scheinbar unbeeinflusst übersteht. Solche Katalysatoren werden während der Reaktion, worunter hier eine Fällungsreaktion zu verstehen ist, nicht dauerhaft verändert und treten also nicht in der Brutto-Reaktionsgleichung auf (vgl. Römpps Chemie-Lexikon, 8. Aufl. Bd. 3 (1983), S. 20522059). Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass "d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung" für den Fachmann auch in diesem Sinne zu verstehen ist, dass der mit Gegenionen (Ca2+ -Ionen) beladene schwachbasische Ionenaustauscher die Fällungsreaktion nach außen hin nicht dauerhaft verändert übersteht, was auch ggf. einen Austausch von Gegenionen durch die gleichen Gegenionen der Lösung (z.B. Ca2+ -Ionen gegen Ca2+ -Ionen) am Ionenaustauscher während der Reaktion nicht ausschließt. Der Auffassung der Klägerinnen, dass es sich beim Verfahren gemäß Streitpatent nicht um ein katalytisches Verfahren handle, kann daher nicht gefolgt werden.

Auch soweit die Klägerinnen geltend machen, dass die patentgemäße Lehre nicht realisierbar bzw. die angestrebte Wirkung für den Fachmann im Zeitpunkt der Patentanmeldung und auch noch heute nicht nachprüfbar sei und damit auf die technische Brauchbarkeit als besonderer Aspekt der Ausführbarkeit abstellt (vgl. hierzu ausführlich BPatG GRUR 2006, 1015 -Neurodermitis-Behandlungsgerät; Schulte PatG 8. Aufl., § 34 Rdn. 361), führt die Klage nicht zum Erfolg. Im Gegensatz zum Vorbringen der Klägerinnen, dass eine Fällung mit einem mit Ca2+ -Ionen vollständig beladenen schwachbasischen Ionenaustauscher katalytisch, d. h. ohne einen Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung nicht bewerkstelligt werden könne, und damit das Verfahren gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 nicht funktioniere, ist nach Überzeugung des Senats eine katalytische Fällung von Inhaltsstoffen aus Lösungen im Sinne des Streitpatents durch in Kontakt bringen mit beim Streitpatent eingesetzten, mit Gegenionen beladenen, schwachsauren Ionenaustauschern sehr wohl möglich und für den Fachmann nacharbeitbar. Diese Auffassung wird sowohl durch die Ausführungsbeispiele 1 und 2 des Streitpatents, als auch durch die von der Beklagten vorgelegten Baumusterprüfzertifikate (B5) bzw. das Zertifikat (B6) der Deutschen Vereinigung des Gasund Wasserfaches (DVGW) und des Schweizerischen Vereins des Gasund Wasserfaches (SVGW) gestützt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass gemäß einschlägiger Rechtsprechung für die Beurteilung der Ausführbarkeit auf den Gesamtinhalt der Patentschrift abzustellen ist (vgl. BPatGE 37, 202), wobei sie dann als gegeben gilt, wenn in einem Ausführungsbeispiel ein gangbarer Weg nacharbeitbar offenbart ist, was hier der Fall ist (BGH GRUR 2003, 223 I.4 -Kupplungsvorrichtung II m. w. N.).

Die Klägerinnen räumen in diesem Zusammenhang das Funktionieren der Kalkfällung an sich mit einem teilweise mit Ca2+ -Ionen beladenen schwachbasischen Ionenaustauscher ein, wobei sie ihr MAITRON-Verfahren gleich der Beklagten als katalytisch bezeichnet (vgl. B3 unter Der MAITRON-Effekt). Der Kalkfällung mit schwachbasischen Ionenaustauschern legen die Klägerinnen aber eine andere wissenschaftliche Erklärung der Funktionsweise zugrunde, nämlich eine beständige Regeneration des verwendeten Ionenaustauschergranulats durch die in einer Hauswasserleitung stets vorhandene Kohlensäure. Dabei führe der Druckabfall beim Öffnen der Hauswasserleitung zur Entsäuerung und Kalkfällung und nach dem Schließen finde dann unter dem Leitungsdruck wieder ein Austausch von Wasserstoffionen der Kohlensäure mit den Gegenionen des Ionenaustauschers statt, wodurch das Granulat in die Lage versetzt werde, Calciumionen aus dem Wasser wieder neu aufzunehmen. Dies sei aus der Druckschrift K3 lange bekannt, die die Regeneration schwachsaurer Ionenaustauscher mittels Kohlensäure unter gleichzeitiger Calciumcarbonatausfällung beschreibe. Es kann aber dahinstehen, ob diese von den Klägerinnen vorgetragene wissenschaftliche Erklärung in Bezug auf das vorliegende Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen zutrifft, was die Beklagte bestreitet. Denn es ist für die technische Brauchbarkeit bzw. Nacharbeitbarkeit einer Erfindung nicht maßgeblich, welche wissenschaftliche Erklärung ihrer Funktionsfähigkeit zugrunde liegt, sondern welches technische Ergebnis mit der Erfindung erzielt wird (vgl. Schulte PatG 8. Aufl., § 34 Rdn. 336, BGH GRUR 1994 357 3. Ls. -Muffelofen).

Nachdem der Senat auf Grund der Ausführungen in der Streitpatentschrift und der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen (B5 bis B7) davon überzeugt ist, dass mit den Maßnahmen des Patentanspruchs 1 das angestrebte Ziel, nämlich die Fällung von Inhaltsstoffen aus Lösungen erreicht wird, war es nicht erforderlich, ein gerichtliches Gutachten in Auftrag zu geben, wie es die Klägerinnen vorsorglich angeregt haben.

III.

Der von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) im Hinblick auf fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit und fehlende gewerbliche Anwendbarkeit ist nicht begründet.

1. Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu.

K1 betrifft eine Vorrichtung zur gezielten Bildung von Keimen oder Kristallen an der Oberfläche eines mit einer Lösung in Berührung stehenden Dielektrikums, insbesondere an den funktionellen Gruppen eines Polymers, und ein Verfahren zum Steuern der Keimbildung oder des epitaktischen Aufwachsens von Kristallen aus einer Lösung an einer Oberfläche eines Dielektrikums, insbesondere an den funktionellen Gruppen eines Polymers. Dies wird durch eine Einrichtung zum Erzeugen eines elektrischen Feldes erreicht bzw dadurch, dass das Dielektrikum im Bereich seiner Oberfläche einem einstellbaren elektrischen Feld ausgesetzt wird. Dabei können die funktionellen Gruppen Carboxylatgruppen für die Synthese von CaCO3 sein. Es lässt sich in diesem Fall mit einer negativ geladenen Elektrode das Verhältnis der Konzentrationen von Calciumionen und Carbonationen in der Doppelschicht zugunsten der Calciumionen verändern. Auch sind Mittel zum Ablösen der auf dem Dielektrikum gebildeten Keime vorgesehen, mit denen die Ausfällreaktionen für eine physikalische Wasserbehandlung gesteuert werden können

(S.1 Abs.1, 2, S.2 Abs.3 bis S.3 Abs.1, S.8 Abs.3, S.11 Abs.3 i.V.m. Anspruch 1 und 32). K1 kann damit lediglich die Merkmale 1 bis 4 des verteidigten Patentanspruchs 1 vorwegnehmen. Dies aber auch nur, wenn unter den Polymeren mit funktionellen Gruppen, insbesondere Carboxylatgruppen, ein schwachsauerer Ionenaustauscher verstanden wird. Das Merkmal 5 des verteidigten Patentanspruchs 1 fehlt in K1 vollständig, da nicht beschrieben wird, das Dielektrikum, d. h. die funktionellen Gruppen des Polymers, vor dem Einsatz mit Gegenionen zu beladen und anschließend eine katalytische Fällung zu bewirken. Auch der in K1 beschriebene Vergleichsversuch, bei dem zur Prüfung der Funktionsweise von zwei identischen Vorrichtungen eine ohne Potentialdifferenz betrieben wird, nimmt das Verfahren nach dem verteidigten Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht vorweg, da auch beim ohne Potentialdifferenz betriebenen Vergleichsversuch die funktionellen Gruppen des Dielektrikums vor dem Kontakt mit der Lösung nicht mit Gegenionen beladen sind (S. 6 Z. 26 bis S. 7 Z. 26). K2 ist die Patentschrift zu K1 und kann natürlich gleichfalls die Neuheit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 nicht in Frage stellen.

Aus K3 ist ein Verfahren zur Regeneration schwachsaurer mindestens teilweise mit Calciumionen beladener Ionenaustauscher mittels Kohlensäure unter Ausfällung von gebildetem Calciumcarbonat bekannt. Bei diesem Verfahren wird der mit Calciumionen durch eine Entkarbonisierung von Wasser beladene, schwachsaure Ionenaustauscher kontinuierlich oder diskontinuierlich mit Kohlendioxid regeneriert, das durch Lösen in der Regenerierflüssigkeit eine Wasserstoffionenkonzentration entstehen lässt, die die Regeneration des Austauschers bewirkt. Der dann auf diese Weise regenerierte Ionenaustauscher wird dann erneut zur Wasserbehandlung eingesetzt und wieder mit Calciumionen beladen (Anspruch 1, 5 und 6 i. V. m. den Beispielen 1 und 2, insbesondere S. 15 Abs. 2, S. 18 Abs. 2 und S. 19 Abs. 2 bis S. 20 Abs. 1). Im Gegensatz dazu wird beim Verfahren gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 der Ionenaustauscher nicht regeneriert, d. h. ein Austausch des Gegenions (z. B. Calciumionen) durch Ionen aus der Lösung (z. B. Wasserstoffionen) findet nach außen nicht statt. Die Calciumionen verbleiben beim Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen gemäß Patentanspruch 1 auf dem Ionenaustauscher und bewirken eine katalytische Fällung von Inhaltsstoffen aus Lösungen gemäß den Merkmalen 1 und 6.

Der Firmenprospekt K4 bzw. K5 beschreibt Eigenschaften und Anwendungen von Lewatit TP 207, einem schwachsauren Ionenaustauscher. Aus der unbestritten als vorveröffentlichter Stand der Technik zu wertenden Ausgabe in englischer Sprache K5 ist zu entnehmen, dass dieser Ionenaustauscher zu 100 % seiner Kapazität mit Ca2+ beladen werden kann, und in dieser Form vorzugsweise bei kalkneutralisierten Abwässern und der Grundwassersanierung angewendet werden kann (vgl. S. 4 Mitte, Ca2+ -Form bis Application). Bei der auf S. 12 Abs. 1 bis 3 beschriebenen Behandlung von Grundwasser mit dem Ionenaustauscher in seiner Calciumform handelt es sich aber im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen um ein selektives Ionenaustauschverfahren, bei dem Schwermetallionen aus belasteten Grundwässern entfernt werden, d. h. diese Ionen werden mit den Ionen des Ionenaustauschers getauscht und werden an den Ionenaustauscher gebunden, wogegen beim Verfahren gemäß Streitpatent Inhaltsstoffe aus Lösungen gefällt werden, ohne dass ein Ionenaustausch des Gegenions mit Ionen aus der Lösung bewirkt wird.

2. Der Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgangspunkt für die patentgemäße Lösung der Aufgabe, ein verbessertes Verfahren zum Fällen von Inhaltsstoffen aus Lösungen, insbesondere Wasser, bereitzustellen, und den nächstliegenden Stand der Technik bildet K1, die auch die Fällung von Inhaltsstoffen aus Wasser beschreibt. Dabei ist jedoch ein an einem Dielektrikum mit funktionellen Gruppen angebrachtes elektrisches Feld erforderlich (vgl. Anspruch 1, S. 1 Abs. 1, S. 4 Abs. 2 und S. 11 Abs. 3). K1 beschreibt zwar auch einen Vergleichsversuch, bei dem ohne Anlegen einer Potentialdifferenz gearbeitet wird, aber gleich den Versuchen mit Anlegen einer Potentialdifferenz ein Dielektrikum eingesetzt wird, dessen funktionelle Gruppen nicht vor dem Kontakt mit der Lösung mit Gegenionen beladen sind. Dabei wird dann aus übersättigten Lösungen bei einem pH-Wert von 10 deutlich weniger Kalk abgeschieden als mit elektrischem Feld. Eine Anregung zur Lösung gemäß Patentanspruch 1, kein elektrisches Feld anzulegen und ein mit Gegenionen vor dem Kontakt mit der Lösung beladenes schwachsaures Ionenaustauschermaterial einzusetzen, das dann eine katalytische Fällung gemäß den Merkmalen 5 und 6 bewirkt, kann K1 daher nicht liefern. Einen solchen Hinweis kann auch das aus K3 bekannte Regenerierverfahren nicht geben, da die bei der Regeneration vor dem Kontakt mit der Regenerierlösung bei der Beladung auf dem schwachsauren Ionenaustauscher aufgebrachten Gegenionen, hier Calciumionen, mit Ionen aus der Regenerierlösung, hier Wasserstoffionen, ausgetauscht werden und die vom Ionenaustauscher in die Regenerierflüssigkeit abgegebenen Calciumionen als Calciumcarbonatkristalle unter Hilfe von bereits in der Regenerierlösung vorhandenen Calciumcarbonatkristallkeimen ausgefällt werden (S. 15 Abs. 2). Auch K5 kann weder für sich betrachtet noch in Zusammenschau mit K1 den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegen, da K5 lediglich ein selektives Ionenaustauschverfahren beschreibt, bei dem die aus der Lösung entfernten Ionen an das Harz gebunden werden. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wird daher vom Stand der Technik nicht nahegelegt.

3.

Der Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 ist auch zweifelsfrei gewerblich anwendbar, denn er ist seiner Art nach geeignet in einem technischen Gewerbe, hier der Wasseraufbereitung, Verwendung zu finden. Nachdem das Verfahren gemäß dem verteidigten Patentanspruch 1, wie vorstehend dargelegt, auch technisch brauchbar und ausführbar ist, liegt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen kein Mangel an gewerblicher Anwendbarkeit vor (vgl. Schulte PatG 8. Aufl., § 5 Rdn. 8, 9), wobei die gewerbliche Anwendbarkeit im Übrigen nicht einmal voraussetzt, dass die erfindungsgemäße Lehre den angestrebten Zweck erreicht. Es muss lediglich die Möglichkeit der Benutzung auf irgendeinem gewerblichen Gebiet bestehen (vgl. BGH BlPMZ 1985, 117, 118 -Energiegewinnungsgerät).

4.

Der Patentanspruch 1 in seiner verteidigten Fassung hat daher Bestand. Mit ihm haben die darauf rückbezogenen, vorteilhafte Ausführungsformen des Patentanspruchs 1 betreffenden Patentansprüche 2 bis 14, soweit angegriffen, ebenfalls Bestand.

IV.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i.V.m.§ 709 S. 1 ZPO.

Dr. Schermer Gutermuth Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Schuster Be






BPatG:
Urteil v. 16.10.2008
Az: 3 Ni 30/06


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