Bundespatentgericht:
Urteil vom 20. August 2003
Aktenzeichen: 4 Ni 39/02

(BPatG: Urteil v. 20.08.2003, Az.: 4 Ni 39/02)

Tenor

Das deutsche Patent 199 34 527 wird im Umfang der Ansprüche 1 bis 9, 11,12, 20 und 24 für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 22. Juli 1999 angemeldeten deutschen Patents 199 34 527 (Streitpatent), das eine Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen mit einer Video-Kamera betrifft. Die angegriffenen nebengeordneten Patentansprüche 1 und 2 lauten:

1. Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen, mit einer Video-Kamera (33), einem Signalkabel (29), und mit einem Gerätegestell (1), das zur Abstützung auf einer Aufstellfläche (10) dient und an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß

a) das Gerätegestell (1) eine Bezugsplattform aufweist, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist, und daß

b) an mindestens einem Ende des Gerätegestells (1) eine Aufstellstütze (8) angeordnet ist, die gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite ("B2") besitzt, die größer ist als das Höhenmaß ("HS") des Massenschwerpunktes ("S") des Inspektionsgeräts über der Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung.

2. Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen, mit einer Video-Kamera (33), einem Signalkabel (29), und mit einem Gerätegestell (1), das zur Abstützung auf einer Aufstellfläche (10) dient und an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß

a) das Gerätegestell (1) eine Bezugsplattform aufweist, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist, und daß

b) die Haspel (25) zumindest im wesentlichen waagrecht und mit zumindest im wesentlichen senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet ist.

Wegen der ebenfalls angegriffenen, unmittelbar bzw mittelbar auf die Ansprüche 1 und 2 rückbezogenen Ansprüche 7 bis 9, 11,12, 20 und 24 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents sei nicht ausreichend offenbart und sei nicht neu bzw beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 bis 9, 11, 12, 20 und 24 für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf offenkundige Vorbenutzung eines Inspektionsgerätes der Firma P... mit der Bezeich- nung "Mini flexiprobe" in Verbindung mit den entsprechenden Prospekten (K3, K4, K11, B1) sowie auf folgende Druckschriften bzw. Internetausdrucke:

1. Prospekte der Firma Tokyo Electronic Industries Co., Ltd. und der Firma KANTOOL (K 5)

2. DE 41 34 886 A1 (K6)

3. DE-Buch von Prof. Dr. Horst Stöcker "Taschenbuch der Physik", Verlag Harri Deutsch, 1994, S. 34 bis 37 (K7)

4. Katalog der Klägerin Nr. RT-199 vom Januar 1999 (K 14)

5. Katalogseite der Klägerin vom März 1996 (K 17)

6. Prospekt "EELCAM" der Firma Electric Eel (K 18)

7. Katalog der Fa. Tokyo Electronic Industry vom Juli 1996 (K 19)

8. Auszug aus der Homepage der dänischen Fa C-TV (K 20)

9. Auszug aus der Internetseite der Fa GEJOS in Traunstein (K 21).

Außerdem führt sie an, dass ein Mitarbeiter der Beklagten bereits im Jahre 1998 wesentliche Merkmale des Streitgegenstandes ohne jede Geheimhaltungsverpflichtung Dritten erläutert habe.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent, soweit es angegriffen ist, nur noch in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 26, die folgenden Wortlaut haben:

1. Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen, mit einer Video-Kamera (33), einem Signalkabel (29) und mit einem aus Rahmenprofilen bestehenden Gerätegestell (1), das zur Abstützung auf einer Aufstellfläche (10) dient und an dem ein Bildschirmgerät (15) und eine Haspel (25) für das Signalkabel (29) angeordnet sind dadurch gekennzeichnet, daß

a) das Gerätegestell (1) eine durch die Rahmenprofile vorgegebene Bezugsplattform aufweist, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist, b) an mindestens einem Ende des Gerätege3stells (1) eine Aufstellstütze (8) angeordnet ist, die gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite ("B2") besitzt, die größer als das Höhenma0 ("HS") des Massenschwerpunktes ("S") des Inspektionsgeräts über die Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung, c) die Haspel (25) zumindest im wesentlichen waagrecht und mit zumindest im wesentlichen senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet ist, d) das Bildschirmgerät (15) zumindest im wesentlichen über der Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) angeordnet ist und daß die mindestens eine Aufstellstütze (8) mit ihrer wirksamen Breite ("B2") nach beiden Seiten über die Seitenwände (17) des Bildschirmgeräts (15) übersteht, und daß

e) die optische Achse des Bildschirmgeräts in einer vertikalen Ebene verläuft, die zumindest im wesentlichen durch die Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) verläuft.

2. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß am jeweils anderen Ende des Gerätegestells (1) eine zweite Aufstellstütze (6) mit zwei um ein Maß ("B1") beabstandeten Aufstellpunkten (P3, P4) angeordnet ist.

3. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß daß Gerätegestell (1) ein erstes Rahmenteil (2) mit zwei parallelen Schenkeln (2a, 2b) besitzt, zwischen denen ein Boden (11) als Bezugsplattform angeordnet ist, wobei die parallelen Schenkel (2a, 2b) in Betriebsstellung zumindest im wesentlichen parallel zur Aufstellfläche (10) verlaufen.

4. Geräteeinheit nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Schenkel (2a, 2b) des ersten Rahmenteils (2) vor dem Bildschirmgerät (15) durch ein Joch (3) miteinander verbunden sind, das oberhalb der Bezugsplattform lieft und einen Handgriff zum Tragen bildet.

5. Geräteeinheit nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß der ersten Rahmenteil (2) mit einem zweiten Rahmenteil (5) verbunden ist, das unterhalb des als Handgriff vorgesehenen Jochs (3) eine weitere Aufstellstütze (6) bildet.

6. Geräteeinheit nach Anspruch 3. dadurch gekennzeichnet, daß das Gerätegestell (1 hinter dem Bildschirmgerät (15) ein drittes Rahmenteil (7) besitzt, das die wirksame Breite ("B2") bestimmt.

7. Geräteeinheit nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß das dritte Rahmenteil (7) auf dem Umfang geschlossen ausgebildet ist und einen unteren Teilbereich in Form eines Ovals besitzt, dessen unterer Teilabschnitt eine weitere Aufstellstütze (8) bildet, und einen oberen Teilabschnitt (9) besitzt, der in der Mitte U-förmig nach oben gebogen ist, wobei dieses dritte Rahmenteil (7) senkrecht zu den Schenkeln (2a, 2b) des ersten Rahmenteils ausgerichtet ist.

8. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Bezugsplattform auf ihrer Oberseite ein Gehäuse (12) für die Unterbringung des Bildschirmgeräts (15) besitzt.

9. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß an der Bezugsplattform ein nach unten ragendes Drehlager (24) mit einer Drehachse (A-A) für die Haspel (25) angeordnet ist.

10. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Haspel (25) aus einem Drahtkorb mit im wesentlichen radialen Speichen (26) besteht, die an ihren der Drehachse (A-A) abgekehrten Enden (27) angenähert halbkreisförmig nach oben und einwärts gebogen und durch einen Ring (26) verbunden sind, der einen geringeren Durchmesser aufweist als die am weitesten außen liegenden Umkehrpunkte der Speichen (26).

11. Geräteeinheit nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse (12) eine Vorderseite (13) besitzt, die unter einem Winkel von 10 bis 80 Grad zur Waagrechten geneigt ist und in der der Bildschirm (14) angeordnet ist.

12. Geräteeinheit nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorderseite (13) unter einem Winkel von 40 bis 60 Grad zur Waagrechten geneigt ist und in der der Bildschirm (14) angeordnet ist.

13. Geräteeinheit nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse (12) einen schwenkbaren Deckel (20) mit Seitenwänden (16) besitzt, der in aufgeklappter Stellung den Bildschirm (14) gegen Ober- und Seitenlicht abschirmt.

14. Geräteeinheit nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse (12) beiderseits des Bildschirms (14) seitliche Schlitze (18) besitzt, in die die Seitenwände (16) beim Einklappen des Deckels (20) einschwenkbar sind.

15. Geräteeinheit nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse (12) vor und unter dem Bildschirm (14) ein Ablagefach (22) für die Zubehörteile besitzt.

16. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß dem Ablagefach (22) ein weiterer Deckel (23) zugeordnet ist.

17. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß seitlich am Gerätegestell (1) eine Hülse (30) befestigt ist, durch die das Signalkabel (29) in etwa tangentialer Richtung in die Haspel (25) herausziehbar und einschiebbar ist.

18. Geräteeinheit nach Anspruch 17, dadurch gekennzeichnet, daß in der Hülse (30) eine Führungs- und Bremsvorrichtung (31) für das Signalkabel (29) angeordnet ist.

19. Geräteeinheit nach Anspruch 18, dadurch gekennzeichnet, daß die Führungs- und Bremsvorrichtung (31) aus einer Schraubenfeder (37) besteht, deren der Hülse (30) abgekehrtes Ende mit dem Signalkabel bewegbar ist.

20. Geräteeinheit nach Anspruch 18, dadurch gekennzeichnet, daß die Führungs- und Bremsvorrichtung (31) aus einem Schlauch aus einem elastomeren Material besteht.

21. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Anordnung von Gehäuse (12) und Haspel (25) spiegelsymmetrisch zu einer senkrechten Symmetrieebene ("E") ausgebildet ist, in der auch die Längsmittenachse des Gerätegestells (1) und der Massenschwerpunkt ("S") der Geräteeinheit liegen.

22. Geräteeinheit nach den Ansprüchen 6 und 21, dadurch gekennzeichnet, daß die Mitte des Jochs (3) und der Massenschwerpunkt ("S") der Geräteeinheit auf einer Geraden liegen die in Normalrichtung zum dritten Rahmenteil (7) verläuft.

23. Geräteeinheit nach Anspruch 21, dadurch gekennzeichnet, daß der Massenschwerpunkt ("S") vom dritten Rahmenteil (7) einen Abstand ("DS") hat, der zwischen dem 0,3-Fachen und dem 0,5-Fachen der Länge ("L") zwischen den Aufstellstützen (6, 8) beträgt.

24. Geräteeinheit nach den Ansprüchen 1 und 18, dadurch gekennzeichnet, daß die Video-Kamera (33) am Ende einer Schraubenfeder (34) angeordnet ist, deren anderes Ende in das freie Ende der Führungs- und Bremsvorrichtung (31) einsteckbar ist.

25. Geräteeinheit nach den Ansprüchen 1 und 24, dadurch gekennzeichnet, daß die Video-Kamera (33) zu Transportzwecken in in eine Aufnahme (32) einsteckbar ist, die mit der Hülse (30) fluchtet.

26. Geräteeinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Haspel (25) mit waagrechter Drehachse (A-A) seitlich am Bildschirmgerät (15) angeordnet ist.

Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 199 34 527 im Umfang der Ansprüche 1 bis 9, 11, 12, 20 und 24 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass die in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 26 an die Stelle der angegriffenen Ansprüche treten.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent im verteidigten Umfang für bestandsfähig.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der die in § 22 Abs 2 iVm § 21 Abs 1 Nr 1 PatG vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Offenbarung geltend gemacht werden, ist auch begründet.

Das Streitpatent ist - im angegriffenen Umfang - ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären, soweit es über die von der Beklagten in zulässiger Weise beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht (vgl BGH GRUR 1962, 294 - Hafendrehkran -; GRUR 1996, 857, 858 - Rauchgasklappe -; Busse, PatG, 5. Aufl., § 83 Rdn 45 mwNachw). Es hat aber - soweit angegriiffen - auch in der beschränkt verteidigten Fassung keinen Bestand.

1. Das Streitpatent betrifft eine Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen in Form eines Inspektionsgerätes mit einer Haspel und einem flexiblen, aber genügend biegesteifen Signalkabel, durch das eine Videokamera über Entfernungen bis zu 40 Metern und mehr in enge Rohrleitungen eingeschoben und zurückgezogen werden kann, ohne dass am Kopf des Signalkabels ein Antrieb vorhanden sein müsste.

Nach der Beschreibung der Streitpatentschrift sind im Stand der Technik Geräte bekannt (zB GB 2 172 079 A), bei denen Haspel, Videokamera und Monitor als getrennte Einheiten ausgeführt seien, die vor dem Einsatz aufgebaut und signaltechnisch verbunden werden müssten. Beim Betrieb dieser Geräte benötige die Bedienperson aber eine "dritte Hand" für das Nachrücken des Bildschirmgerätes.

Bekannt seien auch Geräte ("itv 25 M" und "OPTIMESS"), bei denen senkrecht stehende Haspeln in vierbeinigen Ständern gelagert seien. Durch den sehr hohen Masseschwerpunkt der Haspeln und die seitliche Anbringung der Monitore bestehe bei diesen Geräten eine große Kippneigung. Würden die Monitore über den Haspeln angebracht, wie dies bei ebenfalls bekannten Geräten ("Minispektor 2.3c" und "flexiprobe ELS") der Fall sei, werde die Kippgefahr bei Bewegungen des Signalkabels noch größer.

Weiter verweist die Streitpatentschrift auf ein Gerät "farb mini flexiprobe" der Firma P..., bei dem auf der Rückseite eines Kunststoffgehäuses eine senk- rechte Haspel mit waagrechter Achse für ein Signalkabel und in der Vorderseite ein Fenster mit einem um eine senkrechte Achse schwenkbares Bildschirmgerät angeordnet sei. Dieses Gerät könne nur mit herausgeschwenktem Bildschirm ergonomisch bedient werden. Dadurch werde aber der ohnehin hohe Schwerpunkt des Gerätes verlagert. Auch werde die Gebrauchsstellung durch die senkrechte Stellung der Haspel vorgegeben.

Die im Firmenprospekt der Firma I... von 1992 und in der DE 298 16 231 U1 beschriebenen Straßenfahrzeuge mit eingebauten Bildschirmarbeitsplätzen seien teuer und schwer zu handhaben. So müssten die "Kanalroboter" dieser Fahrzeuge mittels aus dem Fahrzeug herausgeschwenkter bzw teleskopartig ausgefahrener Seilwinden in große Kanalschächte abgeseilt werden. Für den Einsatz in beengten Räumen und für enge Rohrleitungen seien diese Geräte ungeeignet und auch nicht vorgesehen. Auch befassten sich die genannten Schriften weder mit der räumlichen Zuordnung eines Monitors noch mit der Standfestigkeit des Gerätes.

2. Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, eine Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen anzugeben, die eine Baueinheit von Bildschirmgerät, Gerätegestell und Haspel darstellt, eine ergonomische Bedienung, insbesondere durch eine Person ermöglicht und kleinstmögliche Abmessungen und größtmögliche Standfestigkeit hat. Insbesondere solle die Geräteeinheit von Hand tragbar und auch für kleinste Rohrdurchmesser einsetzbar sein.

3. Zur Lösung dieses Problems dient gemäß dem verteidigten Patentanspruch 1 eine Geräteeinheit mit folgenden Merkmalen:

1. Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen, insbesondere von Rohrleitungen, 1.1 mit einer Video-Kamera (33), 1.2 mit einem Signalkabel (29), und 1.3 mit einem Gerätegestell (1), das aus Rahmenprofilen besteht und das zur Abstützung auf einer Aufstellfläche (10) dient;

1.3.1 an dem Gerätegestell (1) ist ein Bildschirmgerät (15) angeordnet;

1.3.2 an dem Gerätegestell (1) ist eine Haspel (25) angeordnet;

1.3.3 das Gerätegestell (1) weist eine durch die Rahmenprofile vorgegebene Bezugsplattform auf, auf der das Bildschirmgerät (15) angeordnet ist;

1.3.4 an mindestens einem Ende des Gerätegestells (1) ist eine Aufstellstütze (8) angeordnet;

1.3.4.1 die Aufstellstütze (8) besitzt gegenüber der Aufstellfläche (10) eine wirksame Breite (B2);

1.3.4.2 die wirksame Breite (B2) ist größer als das Höhenmaß (HS) des Massenschwerpunktes (S) des Inspektionsgeräts über der Aufstellfläche (10) in der Betriebsstellung;

1.3.5 die Haspel (25) ist zumindest im wesentlichen waagerecht und mit zumindest im wesentlichen senkrechter Drehachse (A-A) unter der Bezugsplattform angeordnet;

1.3.6 das Bildschirmgerät (15) ist zumindest im wesentlichen über der Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) angeordnet;

1.3.7 die mindestens eine Aufstellstütze (8) steht mit ihrer wirksamen Breite (B2) nach beiden Seiten über die Seitenwände (17) des Bildschirmgeräts über;

1.3.8 die optische Achse des Bildschirmgeräts verläuft in einer vertikalen Ebene, die zumindest im wesentlichen durch die Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells (1) verläuft.

Ein wesentliches Ziel des Streitpatentes besteht in der Erhöhung der Standfestigkeit der bekannten Inspektionsgeräteeinheiten. Zur Erhöhung der Standsicherheit ist die Haspel 25 unter der Bezugsplattform waagerecht mit senkrechter Drehachse angeordnet, so dass die Geräteeinheit eine geringe Bauhöhe aufweist (vgl die vorstehend wiedergegebene Figur 1 der Streitpatentschrift, die eine erfindungsgemäße Geräteeinheit in Seitenansicht zeigt). Außerdem ist "an mindestens einem Ende des Gerätegestells eine Aufstellstütze 8 vorgesehen, die gegenüber der Aufstellfläche eine wirksame Breite B2 besitzt, die größer ist als das Höhenmaß HS des Massenschwerpunktes des Inspektionsgerätes über der Aufstellfläche" (Merkmale 1.3.4 bis 1.3.4.2). Diese Merkmale umfassen auch eine Geräteeinheit mit einer einzigen Aufstellstütze mit zwei Abstützpunkten. Damit kann jedoch offensichtlich keine standfeste Positionierung der Geräteeinheit erreicht werden, da für eine Abstützung mindestens drei Abstützpunkte erforderlich sind. Merkmal 1.3.4 des Patentanspruchs 1 ist daher so zu verstehen, dass neben der einen Aufstellstütze 8 am anderen Ende des Gerätegestells mindestens ein weiterer Abstützpunkt realisiert ist, wie zB im erteilten Patentanspruch 3 angegeben .

4. Die verteidigten Patenansprüche sind zulässig.

Patentanspruch 1 umfasst die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 und ist beschränkt durch die Aufnahme der Merkmale der erteilten Patentansprüche 4 und 5 sowie durch das Merkmal 1.3.5, das sowohl dem erteilten Patentanspruch 2 als auch Sp 3, Z 39 bis 43 der Streitpatentschrift zu entnehmen ist. Die Patentansprüche 2 bis 26 entsprechen den erteilten Patentansprüchen 3 und 6 bis 29, von denen lediglich die Patentansprüche 2 bis 6, 8, 9, 17 und 21 von der Klägerin mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.

5. Es kann dahingestellt bleiben, ob die beanspruchte Geräteeinheit gegenüber dem von der Klägerin angeführten Stand der Technik neu ist, da sie zumindest nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit darstellt.

Vor dem Anmeldetag des Streitpatentes hat die Firma PEARPOINT unstreitig eine Geräteeinheit für die Inspektion von Hohlräumen unter der Bezeichnung "Mini flexiprobe" (MF) allgemein bekannt gemacht.

Die von der Klägerin eingereichten und nachstehend wiedergegebenen Photos zeigen die Geräteeinheit "MF" in vertikaler Position zum einen in Vorderansicht mit Blick auf das Bildschirmgerät und zum anderen in Rückansicht mit Blick auf die Haspel. Die von der Klägerin in die vorstehenden Photos eingetragenen Bezugszeichen werden zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen aufgegriffen. In der mündlichen Verhandlung wurden Geräteeinheiten dieser Art sowohl von der Klägerin als auch der Beklagten dem Senat vorgeführt.

Die Geräteeinheit "MF" weist ein Gerätegestell auf, das zur Abstützung auf einer Aufstellfläche dient. Zur Abstützung sind zum einen Aufstellstützen für die vertikale Betriebsstellung vorgesehen, die auf der dem Tragegriff 3 gegenüberliegenden Seite des Gerätes angeordnet sind. Außerdem sind vier die Haspel übergreifende Gehäusevorsprünge 6, 8 vorgesehen, die eine horizontale Aufstellung des Gerätes auf der Aufstellfläche ermöglichen.

Beim nachfolgenden Vergleich mit dem Streitgegenstand wird die horizontale Betriebsstellung der Geräteeinheit "MF" zugrunde gelegt (vgl nachfolgendes Photo).

Die für die Inspektion von Rohrleitungen verwendete Geräteeinheit "MF" weist eine an einem Signalkabel 29 angeordnete Video-Kamera 33 auf (Merkmale 1., 1.1 und 1.2). Sie besteht aus einem Gerätegestell 1 aus Kunststoff, an dem eine Haspel 25 angeordnet ist (M 1.3.2). Am Gerätegestell 1 sind vier die Haspel übergreifende Gehäusevorsprünge 6, 8 angeordnet, die zur Abstützung des Gehäuses auf einer Aufstellfläche dienen (Teil von M 1.3). Das Gerätegestell weist auch eine Bezugsplattform auf. Darunter ist nach Sp 3, Z 14 bis 19 der Streitpatentschrift eine "virtuelle Bezugsebene, für eine orientierende Betrachtungsweise" zu verstehen, die "auch durch eine Öffnung zwischen Rahmenprofilen des Gerätegestells gebildet sein kann". Als derartige für die orientierende Betrachtungsweise wesentliche Ebene drängt sich die horizontale Ebene oberhalb der Haspel auf, die durch eine weitgehend geschlossene Wand des Gerätegestells gebildet ist. Am Gerätegestell ist oberhalb dieser Bezugsplattform ein Bildschirmgerät 15 angeordnet, das an einem viergelenkigen Arm beweglich befestigt ist (M 1.3.3). An beiden Enden des Gerätegestells sind jeweils eine Aufstellstütze mit je zwei Abstützpunkten angeordnet, die durch die Gehäusevorsprünge 6, 8 des Gerätegestells gebildet sind (M 1.3.4). Der Abstand der Abstützpunkte ist größer als der Abstand des Massenschwerpunktes des Inspektionsgerätes über der Aufstellfläche in der Betriebsstellung. Wie der von der Beklagten vorgelegten Bedienungsanleitung der Geräteeinheit "MF" mit dem Titel "User Manual for the P271 Colour Mini flexiprobe Inspection System" (Anlage B1) zu entnehmen ist, weist die Geräteeinheit in horizontaler Lage eine Höhe von 33 cm, eine Breite von 54 cm und eine Tiefe von 57,5 cm auf (S A3-1 des Manuals unter "Dimensions"). Den Photos ist zu entnehmen, dass der Abstand der Abstützpunkte in etwa dem der Breite und der Tiefe der Geräteeinheit entspricht. Die Höhe des Massenschwerpunktes ist nicht unmittelbar zu erkennen. Der Masseschwerpunkt muss jedoch innerhalb des Gerätebereiches liegen, so dass sein Abstand von der Aufstellfläche weniger als 33 cm betragen muss und somit weit geringer als der Abstand der Abstützpunkte ist, der etwa 54 cm bzw 57,5 cm beträgt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die das Gewicht der Geräteeinheit im wesentlichen bestimmende Haspel mit einem Gewicht von 5 bzw 6 kg und das Batteriepack mit weiteren 5,2 kg im unteren Bereich der Geräteeinheit angeordnet sind, liegt der Massenschwerpunkt offensichtlich in der unteren Hälfte der Geräteeinheit, so dass die Differenz zwischen den beiden Abständen in der Tat noch weit größer ist (M 1.3.4.1 und M 1.3.4.2).

Bei horizontaler Aufstellung der Geräteeinheit ist die Haspel 25 waagerecht unter der Bezugsplattform angeordnet und somit - da sie drehbar ist - zwangsläufig um eine senkrechte Drehachse drehbar (M 1.3.5). Die Außenabmessungen des Bildschirmgerätes sind deutlich geringer als die Abmessungen des Gerätegestells, so dass die außen am Gerätegestell angeordneten Abstützpunkte 6, 8 nach beiden Seiten über die Seitenwände des Bildschirmgerätes überstehen (M 1.3.7).

Die gesamte Anordnung der Geräteeinheit "MF" ist spiegelsymmetrisch zu einer vertikalen Symmetrieebene ausgebildet, die von der Mitte des Tragegriffs 3 durch die Rotationsachse der Haspel 25 geht. Dies gilt auch für das Bildschirmgerät 15 in seiner in die Geräteeinheit versenkten Position. In dieser Symmetrieebene liegt die Mittenlängsachse der Bezugsplattform des Gerätegestells. Da die Bezugsplattform unter dem Bildschirmgerät liegt, folgt daraus, dass das Bildschirmgerät über der Mittenlängsachse der Bezugsplattform angeordnet ist (M 1.3.6). Wegen der Symmetrie des Bildschirms zur vertikalen Symmetrieebene verläuft auch die optische Achse des Bildschirmgeräts in dieser vertikalen Symmetrieebene (M 1.3.8).

Der Gegenstand nach dem verteidigten Anspruch 1 unterscheidet sich hiervon lediglich dadurch, dass das Gerätegestell aus Rahmenprofilen besteht. Außerdem macht die Beklagte geltend, dass die Geräteeinheit "MF" nicht in horizontaler Lage betrieben werde, so dass bei einem Vergleich mit dem Streitgegenstand ausschließlich die vertikale Position zu berücksichtigen sei. Die die Haspel übergreifenden Gehäusevorsprünge seien filigran und lediglich als "Schutzeinrichtungen" für die Haspel zu verstehen, wohingegen die bei senkrechter Position eingesetzten Füße durch zusätzliche Gummipuffer einen sicheren Stand böten. Außerdem enthalte die Gebrauchsanweisung der Geräteeinheit "MF" keinen Hinweis auf die horizontale Betriebsweise. Bei einer Aufstellung auf sandigem Untergrund würden die Gehäusevorsprünge in den Boden einsinken, so dass die Haspel nicht mehr drehbar sei. Weiter sprächen die Führung des Signalkabels mit einem nach unten gerichteten Austritt des Signalkabels aus der Geräteeinheit und die Ausbildung des Tragarms für den Bildschirm dafür, dass eine horizontale Benutzung nicht sinnvoll sei. Ein von ihr gekauftes gebrauchtes Gerät weise keine Kratzspuren an den Gehäusevorsprüngen auf, woraus folge, dass das Gerät nicht in einer horizontalen Position verwendet worden sei. Für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit spreche weiter, dass die Konkurrenten einen anderen Weg gegangen wären und weiter hochbeinige Geräteeinheiten eingesetzt hätten und dass die Beklagte mit ihrem Gerät einen großen Markterfolg erzielt habe.

Es kann dahinstehen, ob der Benutzer im Rahmen seiner Arbeit mit der Geräteeinheit "MF" bereits von sich aus die horizontale Aufstellung als zweite mögliche Betriebsstellung in Betracht zieht. Denn aus den veröffentlichten Katalogen K14 und K17 der Klägerin sind aus Rohrprofilen bestehende Gerätegestelle für eine Haspel bekannt, die - wie im nachstehend wiedergegebenen Bild an den schwarzen Gummipuffern auf den unteren und seitlichen Rohrenden zu erkennen ist, sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Betriebsstellung eingesetzt werden. Als Beispiele sind dort auf S 112 der Anlage K14 eine horizontale Positionierung der Geräteeinheit bei einer Tätigkeit auf einem Flachdach und eine vertikale Positionierung bei einer Untersuchung eines Abwasserrohres in einem Gebäude dargestellt. Hierdurch erhält der Fachmann, ein Dipl.-Ing. mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Konstruktion von Geräten für Rohrinspektoren auf jeden Fall die Anregung, auch bei der Geräteeinheit "MF" beide Aufstellungen als Betriebsstellungen in Betracht zu ziehen, zumal für die horizontale Positionierung die dort bereits vorhandenen Gehäusevorsprünge 6, 8 ohne Veränderung nutzbar sind. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend am Modell vorführte, ist die Geräteeinheit "MF" in beiden Stellungen voll funktionsfähig. Durch diesen Standes der Technik ist beim Streitgegenstand die horizontale Betriebsstellung daher nahegelegt. Gleichzeitig zeigen diese zuvor zitierten Kataloge als Alternative zum Gerätegestell aus Kunststoff ein Gerätegestell aus Rahmenprofilen, und es liegt im Ermessen des Fachmanns, im Rahmen seines fachüblichen Könnens je nach Bedarf entweder weiter das Kunststoffgerätegestell zu verwenden oder es durch ein Gerätegestell aus Rahmenprofilen zu ersetzen.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend vorgeführt, dass die Gehäusevorsprünge als Abstützpunkte geeignet sind. Bei ordnungsgemäßer Anbringung der Schutzabdeckung für den Bildschirm an der Haspel war die Haspel auch bei erheblicher zusätzlicher Belastung frei drehbar. Die Geräteeinheit kann daher zumindest auf festem Untergrund zB bei der Inspektion von Rohrleitungen in Gebäuden oder wie im Katalog K14 bei Verwendung auf einem Dach bildlich dargestellt ohne weiteres in einer horizontalen Position eingesetzt werden, wobei die viergelenkige Ausbildung des Tragarms für den Bildschirm ermöglicht, den Bildschirm in die jeweils erforderliche Richtung zu drehen. Ein ausdrückliches Verbot, die Geräteeinheit "MF" in horizontaler Stellung zu benutzen ist der zugehörigen Gebrauchsanweisung (Anlage B1) nicht zu entnehmen. Der zuständige Fachmann ist daher nicht gehindert, Anregungen zu einer anderen Positionierung der Geräteeinheit in Betracht zu ziehen. Dem steht auch die Führung des Signalkabels in der Geräteeinheit nicht entgegen, da das Signalkabel im wesentlichen aus einem Federdraht besteht, der nahezu beliebig biegbar ist. Ein einziges gebraucht gekauftes Gerät reicht nicht als Gegenbeweis aus, dass derartige Überlegungen nicht möglich sind, da es sich hierbei um ein Einzelstück handelt und es nicht darauf ankommt, ob tatsächlich eine Verwendung der Geräteeinheit in horizontaler Position stattgefunden hat, sondern ob diese dem Fachmann durch den Stand der Technik am Anmeldetag des Streitpatentes nahegelegt war.

Wie die Kataloge K14 und K17 zeigen, hat auch kein Vorurteil gegen eine Verwendung von Geräteeinheiten sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Position bestanden. Vielmehr wird hierdurch gerade gezeigt, dass je nach Einsatzbedingungen beide Positionen in Betracht kommen. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob die Geräteeinheiten "hochbeinig" ausgebildet sind, da nach einem Umlegen in eine horizontale Position dieser Nachteil nicht mehr vorliegt. Zu dem von der Klägerin noch angeführten Markterfolg wurde nicht ausreichend begründet vorgetragen, dass dieser allein auf den im Patentanspruch angegebenen Weiterbildungen beruht. Vielmehr sprechen die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung dafür, dass vor allem das von der Beklagten herausgestellte wesentlich geringere Gewicht der Geräteeinheit, das zumindest teilweise auf einer Weiterentwicklung der Batterien und auf einem Einsatz kürzerer Signalkabel beruht, zu diesem Erfolg beigetragen hat.

6. Die von der Klägerin noch angegriffenen Patentansprüche 2 bis 6, 8, 9, 17 und 24 lassen keine Merkmale erkennen, die zusammen mit vorangehenden Patentansprüchen zu einem patentfähigen Gegenstand führen. Gegenteiliges wurde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Dr. Schwendy Sperling Müllner Küstner Bülskämper Pr






BPatG:
Urteil v. 20.08.2003
Az: 4 Ni 39/02


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