Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2006
Aktenzeichen: 23 W (pat) 55/04

(BPatG: Beschluss v. 11.07.2006, Az.: 23 W (pat) 55/04)

Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juli 2004 wird aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 15, Beschreibungsspalten 1 bis 5 mit einem Einschub A (zwei Seiten), diese Unterlagen eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2006, und ursprüngliche Zeichnung, Figuren 1 bis 13.

Bezeichnung: Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten Anmeldetag: 23. Mai 2001

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse G 01 D des Deutschen Patent- und Markenamts hat die am 23. Mai 2001 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten" durch Beschluss vom 29. Juli 2004 aus den Gründen des Bescheids vom 30. Januar 2004 zurückgewiesen, nachdem sich der Anmelder zu diesem Bescheid innerhalb der gesetzten Äußerungsfrist einschließlich der beantragten Nachfrist in der Sache nicht geäußert hat.

Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik die Druckschriften:

- P. Profos "Handbuch der industriellen Messtechnik", Vulkan-Verlag Dr. W. Classen Nachf. GmbH & Co. KG, Essen, 1978, Seiten 168 bis 189 (Druckschrift 1)

- DE 42 31 314 A1 (Druckschrift 2)

- DE 41 34 960 A1 (Druckschrift 3)

- DE 40 39 648 A1 (Druckschrift 4) und - DE 40 06 948 A1 (Druckschrift 5)

in Betracht gezogen worden.

Mit dem dem vorgenannten Beschluss zugrunde liegenden Bescheid ist gerügt worden, dass gemäß Beschreibungsseite 8 in Figur 1 das generelle Prinzip der Erfindung in Zeilen a) bis f) dargestellt sei, die Figur 1 jedoch nur Zeilen a) bis e) aufweise. Auch würden in der Beschreibung nur Zeilen a) bis e) erläutert. Somit sei ein wesentlicher Verfahrensschritt in der Beschreibung nicht offenbart. Wegen dieses Offenbarungsmangels bestünden aber Zweifel an der Ausführbarkeit der Lehre des Patentanspruchs 1. Weitere Zweifel an der Ausführbarkeit bestünden zudem dahingehend, ob durch die Anwendung einer Fourier-Transformation auf die sogenannte Schmidt-Bauer-Transformation, wie auf Beschreibungsseite 10 mit Bezug auf Figur 6 dargelegt, ein Zuwachs an Information zu erzielen sei. Diese Aussage stehe anscheinend auch im Widerspruch zu den Ausführungen auf Beschreibungsseite 12 zur Figur 13. Hierzu werde auf die Druckschrift 1, Seite 168, Kapitel 2.5.2.2.1. hingewiesen, wonach der Zeit- und Frequenzbereich eines zeitabhängigen Messsignals über die Fourier-Transformation verbunden und daher gleich aussagekräftig seien. Insofern erscheine es nicht möglich, über ein zusätzliches mathematisches Verfahren ein Mehr an Information zu gewinnen. Hinsichtlich des in der Anmeldung durchgehend verwendeten Begriffs "Schmidt-Bauer-Transformation (SBT)" werde auf die Bestimmung des § 5 Abs. 1 Satz 3 PatV hingewiesen, wonach Phantasiebezeichnungen oder andere Bezeichnungen, die zur eindeutigen Angabe der Beschaffenheit eines Gegenstandes nicht geeignet seien, nicht verwendet werden dürften. Im Übrigen seien aus Druckschrift 1 (insbesondere Kap. 2.5.2.3.2. Ensemblemittelwerte, Seiten 182 bis 185) Verfahren bekannt, bei denen aus einem fortlaufenden Signalverlauf x(t) einzelne Abschnitte xi(t) - in der Anmeldung als Teilketten bezeichnet - einer bestimmten "Fensterlänge" TF herausgenommen und anschließend entsprechend Mittelwerte gebildet würden. Damit seien wesentliche Merkmale des Patentanspruchs 1 bekannt.

Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die am 9. September 2004 vorweg per Fax eingelegte Beschwerde des Anmelders.

Mit der Terminsladung ist der Anmelder zum Stand der Technik noch auf die Druckschrift:

- E. Meyer/D. Guicking "Schwingungslehre", Friedr. Vieweg + Sohn, Braunschweig, 1974, Seiten 108 bis 124 (Druckschrift 6)

hingewiesen worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2006 hat der Anmelder neue Patentansprüche 1 bis 15 mit angepasster Beschreibung vorgelegt und die Auffassung vertreten, dass die für die Zurückweisung der Anmeldung maßgeblichen Mängel nicht vorlägen und dass der Gegenstand des neugefassten Patentanspruchs 1 durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch nicht patenthindernd getroffen sei.

Der Anmelder beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Juli 2004 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 15, Beschreibungsspalten 1 bis 5 mit einem Einschub A (zwei Seiten), diese Unterlagen eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2006, ursprüngliche Zeichnung, Figuren 1 bis 13.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten, wobei vor der Auswertung den Messwerten ein Attribut zugeordnet wird, das für jeden Messwert aus anderen Messwerten der Messwertfolge abgeleitet wird und das für alle Messwerte die gleiche Eigenschaft aufweist, und ferner ein Kriterium für die Attribute und die Länge einer Kette aus der Folge von diskreten Messwerten festgelegt wird, wobei das Verfahren folgende Schritte aufweist:

aus den mit Attributen belegten Messwerten in einer Kette der festgelegten Länge diejenigen als bestimmte Ereignisse markiert, deren Attribut jeweils das festgelegte Kriterium erfüllt;

aus der Kette mit der bestimmten Länge werden Teilketten gebildet, die jeweils ein ausgewähltes Ereignis als Zentrum haben, wobei die übrigen Messwerte der Teilketten in der ursprünglichen Folge zu beiden Seiten des zentralen Ereignisses angeordnet werden;

die Messwerte der einzelnen Teilketten werden entsprechend ihrem Platz in der jeweiligen Teilkette einander zugeordnet, und zwar werden die Messwerte der zentralen Ereignisse einander zugeordnet und die Messwerte, die an dem gleichen Platz um das jeweilig zentrale Ereignis stehen;

sämtliche zugeordneten Messwerte für den gleichen Platz innerhalb der ausgewählten Teilketten werden gemittelt und die Folge der so gemittelten Messwerte in der durch die Kette der Messwerte vorgegebenen Reihenfolge aufgezeichnet."

Wegen der geltenden Unteransprüche 2 bis 15 sowie der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet; denn entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ist der angefochtene Zurückweisungsbeschluss aufzuheben, weil die dort genannten Gründe nicht zutreffen, und das Patent zu erteilen, weil der in der mündlichen Verhandlung eingereichte und nunmehr geltende Patentanspruch 1 durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen ist.

1. Die gerügten Mängel liegen nicht vor.

a) Entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ist die Erfindung in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen so klar und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG).

Ein die Ausführbarkeit in Frage stellender Offenbarungsmangel liegt insofern nicht vor, als für den Fachmann ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verfahrensschritte des ursprünglichen Patentanspruchs 1, die den Zeilen a) bis e) der Figur 1 entsprechen, das generelle Prinzip der Erfindung darstellen. Soweit in der ursprünglichen Beschreibung (vgl. Seite 8, Absatz 7) davon die Rede ist, dass in Figur 1 mit den Zeilen a), b), c), d), e) und f) das generelle Prinzip der Erfindung dargestellt sei, beruht dies - hinsichtlich der nicht vorhandenen Zeile f) - auf einem offensichtlichen Versehen (Schreibfehler). Denn weder die Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen noch der einschlägige Stand der Technik lassen den Schluss zu, dass im Patentanspruch 1 und in Figur 1 ein erfindungswesentlicher Verfahrensschritt fehlen könnte. So käme gemäß der Beschreibung als weiterer Verfahrensschritt allenfalls die Fourier-Transformation in Frage. Diese ist jedoch als Gegenstand von Unteransprühen (siehe die ursprünglichen Ansprüche 10 bzw. 16) eindeutig als nicht zum generellen Prinzip der Erfindung gehörend ausgewiesen.

Soweit im angefochtenen Beschluss zudem angezweifelt wird, ob durch die Anwendung der Fourier-Transformation auf eine vorausgegangene Schmidt-Bauer-Transformation ein Zuwachs an Information zu erzielen ist, kann dem insofern nicht beigetreten werden, als die Fourier-Transformation der Autokorrelationsfunktion einer Zeitfunktion ausweislich der vorgenannten Druckschrift 6 das Leistungsspektrum der Zeitfunktion - d. h. insoweit einen Zusatz an Information - ergibt (vgl. Seite 108, Absatz 1 i. V. m. dem Abschnitt 1.5.2.2. "Wienerscher Satz" auf den Seiten 113 bis 116, insbesondere Seite 114, Mitte). Dies gilt aber entsprechend auch für die erfindungsgemäße Schmidt-Bauer-Transformation, da diese - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 im Vergleich mit dem Stand der Technik nach Druckschrift 6 ergibt - eine spezielle Art der korrelierten Mittelung, d. h. eine messtechnisch vereinfachte Form der Autokorrelationsanalyse, ist (vgl. hierzu Druckschrift 6, Seite 123, letzter Absatz bis Seite 124, Absatz 1). Zudem erschließt sich das Mehr an Information dem Fachmann auch ohne weiteres aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen. Denn danach liefert ein durch Rauschen gestörtes Messsignal (vgl. das Tachogramm in Fig. 2 der Anmeldungsunterlagen) bei direkter Fourier-Transformation weniger Information (vgl. Fig. 3) als bei einer Fourier- Transformation nach vorausgegangener Störbefreiung des Messsignals durch die Schmidt-Bauer-Transformation (vgl. die Figuren 4 und 6 nebst der dazugehörigen Beschreibung auf Seite 10, letzter Absatz bis Seite 11, Absatz 1 der Anmeldungsunterlagen).

b) Der in Anmeldungsunterlagen verwendete Begriff "Schmidt-Bauer-Transformation (SBT)" stellt insofern keine gegen § 5 Abs. 1 Satz 3 PatV verstoßende Phantasiebezeichnung dar, als er - insoweit entsprechend dem nicht beanstandeten Begriff "Fourier-Transformation" - von den Namen der Erfinder der Transformation abgeleitet und in den Anmeldungsunterlagen anhand der Figur 1 zudem eindeutig definiert und ausreichend erläutert ist.

2. Gegen die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche 1 bis 15 bestehen keine Bedenken.

Der geltende Patentanspruch 1 findet inhaltlich eine ausreichende Stütze im ursprünglichen Patentanspruch 1 und der einen Variante des ursprünglichen Patentanspruchs 2 i. V. m. Figur 1 mit zugehöriger Beschreibung.

Die geltenden Unteransprüche 2 bis 15 entsprechen inhaltlich - in dieser Reihenfolge - den ursprünglichen Unteransprüchen 3 bis 16.

3) Technischer Charakter; Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG; Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 5, Abs. 2 PatG.

a) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 als Ganzes weist zweifellos technischen Charakter auf, denn er bezieht sich auf ein Verfahren zum Auswerten von diskreten Messwerten. Im Verständnis der Fachwelt ist ein Messwert der Wert einer Messgröße, der von einer Messeinrichtung geliefert wird, wobei eine Messgröße eine messbare Eigenschaft eines physikalischen Objektes oder Systems ist. Die Auswertung von Messwerten bezieht sich somit auf die Ermittlung von messbaren Eigenschaften eines physikalischen Objekts, erfordert mithin den Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolgs (vergl. BGH GRUR 2005, 141 "Anbieten interaktiver Hilfe", Abschnitt II.4.c., Abs. 1). Mit der Zweckangabe "zum Auswerten von diskreten Messwerten" ist die Lehre inhaltlich auf physikalischtechnische Größen festgelegt und somit dem Bereich der Technik zuzuordnen (vergl. BPatGE 36, 174 - "Viterbi-Algorithmus").

b) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unterfällt auch nicht den vom Patentschutz ausgeschlossenen Gegenständen nach § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG, insbesondere handelt es sich nicht um eine - von der Patentierung ausgeschlossene - mathematische Methode als solches (ev. auch unter Verwendung eines - hier nicht beanspruchten, gleichwohl aber vorteilhaft zu verwendenden - Computerprogramms). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, ob der Patentanspruch im Zusammenhang mit der Lösung des objektiven Problems auch auf die Verwendung einer mathematischen Methode bzw. eines Algorithmus abstellt, sofern - wie vorliegend - Anweisungen beansprucht werden, mit denen ein konkretes technisches Problem gelöst wird (vergl. BGH GRUR 2005, 141 "Anbieten interaktiver Hilfe", Abschnitt II.4.a, Abs. 1 und 2; BGH GRUR 2005, 143 "Rentabilitätsermittlung", Abschnitt III.4.a, Abs. 1 und 2). Dabei ist zu beachten, dass der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG schon dann nicht eingreift, wenn wenigstens einem Teil der Lehre ein konkretes technisches Problem zugrunde liegt (vergl. BGH a. a. O. "Anbieten interaktiver Hilfe", Abschnitt II.4.b, Abs. 1). Dies gilt unabhängig davon, ob die Lehre als Vorrichtung oder - wie vorliegend - als Verfahren beansprucht wird, da - unabhängig von der Einkleidung einer Idee - deren Patentfähigkeit nur dann zu bejahen ist, sofern die Lösung eines konkreten technischen Problems mit Mitteln gelehrt wird, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

Die beanspruchte Lehre enthält aber Anweisungen, die der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen. Dieses besteht in der Auswertung einer Folge von diskreten Messwerten physikalischer Größen ohne erkennbare periodische oder nicht periodische Wiederholungen und ohne synchronisierte zweite Folge von Messwerten. Insbesondere können damit verrauschte Signalen (z. B. bei der Schwingungsanalyse rotierender Wellen oder - im medizinischen Bereich - bei Langzeit-Elektrokardiogrammen) auf darin enthaltene latente Zusammenhänge und Abhängigkeiten analysiert und die Abhängigkeiten dargestellt werden. Der mit dem erfindungsgemäßen Verfahren erzielte, technische Effekt besteht dem entsprechend darin, diese vor Anwendung des Verfahrens nicht erkennbaren Strukturen diskreter Messwertfolgen und damit die dahinter liegenden technischen Zusammenhänge herauszuarbeiten und darstellbar zu machen.

Die im Anspruch 1 angegebene Lösung - durch korrelierte Mittelung der Messwerte in der Weise, dass für jeden Messwert ein Attribut aus anderen Messwerten derselben Messwertfolge abgeleitet wird und aus den mit Attributen versehenen Messwerten diejenigen als jeweiliges Zentrum für die zu mittelnden Teilketten von Messwerten ausgewählt werden, deren Attribute ein festgelegtes Kriterium erfüllen - ermöglicht bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit (siehe dazu im Einzelnen Abschnitt 5)) jedenfalls eine Aussage darüber, dass gegenüber dem im Verfahren betrachteten Stand der Technik eine den Patentschutz rechtfertigende Bereicherung des Standes der Technik vorliegt (BGH GRUR 2004, 667, "elektronischer Zahlungsverkehr", Leitsatz).

Das erfindungsgemäße Verfahren beinhaltet somit ein objektives technisches Problem, dessen aus dem Stand der Technik nicht nahe gelegte Lösung mit einem technischen Effekt verbunden ist. Damit ist der Ausschluss nach § 1 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 PatG überwunden.

c) Zur nach § 5, Abs. 2 ausgeschlossenen gewerblichen Anwendbarkeit von u. a. "... Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden..." ist festzustellen, dass - soweit mit dem patentgemäßen Verfahren auch Messwerte für die medizinische Diagnostik (z. B. physiologische Größen, insbesondere in Zusammenhang mit Blutdruck oder Herzschlag) verarbeitet werden, dies dem eigentlichen diagnostischen Schritt vorgelagert ist. Zwar können erfindungsgemäß ausgewertete physiologische Messwerte anschließend auch zu diagnostischen Zwecken verwendet werden, jedoch erfordert die Erstellung einer Diagnose die Angabe weiterer vergleichender und differenzierender Maßnahmen, die die Zuordnung zu einem bestimmten Krankheitsbild ermöglichen (vergl. BPatGE 41, 84 - "Speicherverfahren"). Das beanspruchte Verfahren liefert nämlich nur Untersuchungswerte, aus denen sich erst bei schlussfolgernder Wertung des Arztes eine Diagnose ergibt (vergl. BPatGE 35, 12).

Demnach umfassen die im Anspruch 1 beschriebenen Verfahrensschritte ersichtlich nicht die Diagnose zu Heilzwecken im strengen Sinne, also die deduktive human- oder veterinärmedizinische Entscheidungsphase als rein geistige Tätigkeit sondern vorausgehende Schritte technischer Natur, die für das Stellen dieser Diagnose konstitutiv sind (G 1/04, Schlussfolgerung 1, vergl. EPA ABl 05, 334 - 361, 360).

Das erfindungsgemäße Verfahren wird somit vom Ausschluss nach § 5 Abs. 2 PatG nicht erfasst.

4. Nach den Angaben in der Beschreibung (vgl. Spalte 1, Absatz 2) geht die Erfindung von einem Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten aus, wie es z. B. bei Maschinen mit rotierenden oder hin und her bewegten Maschinenteilen zur Auswertung von Schwingungsmustern etwa mit Hilfe der Fourier-Analyse angewandt wird, um die in dem jeweiligen Schwingungsmuster enthaltenen Frequenzen zu bestimmen, aus denen auf ansonsten nicht erkennbare Funktionsstörungen - z. B. beginnende Schädigungen von Lagern - geschlossen werden kann.

Der Beschreibung nach (vgl. Einschub A, Seite 1, Absatz 1) ist es aus Druckschrift 6 zudem bekannt, verrauschte periodische Signale bei bekannter Periodendauer durch korrelierte Mittelung - d. h. phasenrichtige Addition einer Vielzahl von Signal-Perioden - vom Rauschen zu befreien und dieses Verfahren auch auf nicht periodische Signale anzuwenden, wenn das Signal nach einem Synchronisationssignal in stets gleicher Weise abläuft, wie dies beispielsweise bei durch äußere Reize (Licht, Schall, Berührung usw.) ausgelösten Hirnstromimpulsen der Fall ist.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Anmeldungsgegenstand als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten physikalischer Größen anzugeben, das ein Auswertung von Folgen diskreter Messgrößen ohne erkennbare periodische oder nichtperiodische Wiederholungen auch ohne eine synchronisierte zweite Folge von Messwerten ermöglicht (vgl. geltende Beschreibungsspalte 1, Absatz 3).

Diese Aufgabe wird mit dem Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten nach dem geltenden - einteiligen - Patentanspruch 1 gelöst.

Denn der geltende Patentanspruch 1 lehrt eine spezielle Art der korrelierten Mittelung, mit der verrauschte Folgen diskreter Messgrößen, die keine erkennbaren periodischen oder nichtperiodischen Wiederholungen enthalten, ohne eine synchronisierte zweite Messwertfolge aus dem Rauschen extrahierbar sind. Dabei ist die Verfahrensschrittfolge des Patentanspruchs 1 in Figur 1 der Anmeldungsunterlagen anhand der dortigen Zeilen a) bis e) veranschaulicht. Danach werden aus einer zu analysierenden Folge diskreter Messwerte (M1 bis M13; vgl. Fig. 1, Zeile a)) Teilketten (K1 bis K4) gebildet, in deren Zentrum sich jeweils ein anderer bestimmter Messwert (Ereignis E) befindet, und die Messwerte mit gleichem Platz in den Teilketten (K1 bis K4) jeweils einander zugeordnet, indem die Teilketten (K1 bis K4) entsprechend übereinander gelegt werden (vgl. Fig. 1, Zeile d)). Die einander zugeordneten - d. h. übereinander gelegten - Messwerte der Teilketten (K1 bis K4) werden gemittelt, indem sie jeweils aufsummiert und durch ihre Anzahl dividiert werden (vgl. Fig. 1, Zeile e)). Um die Teilketten (K1 bis K4) korreliert zu mitteln, wird jedem Messwert (M1 bis M13) der Folge ein Attribut (A) zugeordnet, das beispielsweise aus der Differenz zum jeweils vorangehenden Messwert bestehen kann (vgl. Fig. 1, Zeile b) i. V. m. den geltenden Unteransprüchen 2 und 3). Nach einem festgelegten Auswahl-Kriterium (K), das beispielsweise für alle Attribute, die größer als 0 sind, gleich 1 und für alle Attribute, die kleiner als 0 sind, gleich 0 sein kann, werden diejenigen Messwerte, deren Attribute das Kriterium erfüllen, als bestimmte Ereignisse (E1 bis E4) markiert (vgl. Fig. 1, Zeile c)). Die Korrelation der Teilketten (K1 bis K4) erfolgt dann in der Weise, dass jede Teilkette (K1 bis K4) jeweils um ein anderes Ereignis (E1 bis E4) als Zentrum gebildet wird und sämtliche Teilketten (K1 bis K4) bei der Mittelung mit ihren jeweiligen Ereignissen (E1 bis E4) einander zugeordnet - d. h. übereinander gelegt - werden (vgl. Fig. 1, Zeilen d) und e)). Da die Attribute für jeden Messwert dabei - wie dargelegt - aus anderen Messwerten derselben Messwertfolge abgeleitet werden, gelingt damit eine korrelierte Mittelung von Folgen diskreter Messgrößen, die keine erkennbaren periodischen oder nichtperiodischen Wiederholungen enthalten, auch ohne Zuhilfenahme einer synchronisierten zweiten Messwertfolge im Sinne der Druckschrift 6.

5. Das Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Messsignalverarbeitung befasster, berufserfahrener Physiker oder Elektroingenieur mit Hochschulausbildung zu definieren ist.

a) Die Neuheit des Gegenstands des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften 1 bis 6 folgt ohne weiteres daraus, dass - wie sich implizit aus den nachfolgenden diesbezüglichen Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt - keine dieser Druckschriften ein Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten offenbart, bei dem eine korrelierte Mittelung von Messwerten in der Weise erfolgt, dass für jeden Messwert ein Attribut aus anderen Messwerten derselben Messwertfolge abgeleitet wird und aus den mit Attributen versehenen Messwerten diejenigen als jeweiliges Zentrum für die zu mittelnden Teilketten von Messwerten ausgewählt werden, deren Attribute ein festgelegtes Kriterium erfüllen, wie dies der geltende Patentanspruch 1 lehrt.

b) Die - dem Anmeldungsgegenstand noch am nächsten kommende - Druckschrift 6 vermag dem vorstehend definierten zuständigen Durchschnittsfachmann den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den Druckschriften 1 bis 5 nahezulegen.

Wie dargelegt offenbart die Druckschrift 6 ein Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten, mit dem verrauschte periodische Signale bei bekannter Periodendauer durch korrelierte Mittelung - d. h. phasenrichtige Addition einer Vielzahl von Signal-Perioden - vom Rauschen befreit werden können (vgl. Seite 123, letzter Absatz bis Seite 124, Absatz 1). Auf nicht periodische Signale ist dieses Verfahren jedoch nur dann anwendbar, wenn das Signal nach einem Synchronisationssignal in stets gleicher Weise abläuft, wie dies beispielsweise bei durch äußere Reize (Licht, Schall, Berührung usw.) ausgelösten Hirnstromimpulsen der Fall ist (vgl. Seite 124, Absatz 4). D. h. die korrelierte Mittelung der Hirnstromimpuls-Folge gelingt hier nur unter Zuhilfenahme der damit synchronisierten Folge äußerer Reize. Folglich findet sich in dieser Druckschrift keinerlei Hinweis darauf, dass Folgen diskreter Messgrößen, die keine erkennbaren periodischen oder nichtperiodischen Wiederholungen enthalten, auch ohne Zuhilfenahme einer solchen synchronisierten zweiten Messwertfolge vom Rauschen befreit und damit ausgewertet werden könnten, wenn die Korrelation bei der Mittelung dadurch herbeigeführt wird, dass für jeden Messwert ein Attribut aus anderen Messwerten derselben Messwertfolge abgeleitet wird und aus den mit Attributen versehenen Messwerten diejenigen als jeweiliges Zentrum für die zu mittelnden Teilketten von Messwerten ausgewählt werden, deren Attribute jeweils ein festgelegtes Kriterium erfüllen, wie dies der geltende Patentanspruch 1 lehrt.

Entsprechendes gilt aber auch für die Druckschrift 1, in der das Synchronisationssignal als Triggerimpuls (i) bzw. externes Triggersignal bezeichnet ist, d. h. die synchronisierte zweite Messwertfolge aus externen Triggerimpulsen besteht (vgl. Seite 183, ab dem zweiten Absatz und Seite 185, Absatz 1).

Eine Anregung zu der Problemlösung nach dem geltenden Patentanspruch 1 kann der Fachmann zudem auch nicht bei Einbeziehung der Druckschriften 2 bis 5 erhalten.

Die Druckschrift 2 betrifft nämlich eine Garnbruch-Detektoreinrichtung. Es bleibt ein Geheimnis der Prüfungsstelle, weshalb sie diese Druckschrift als Stand der Technik der einen völlig anderen Gegenstand betreffenden vorliegenden Anmeldung entgegengehalten hat.

Die Druckschrift 3 offenbart ein Verfahren zur ganzheitlichen Analyse des Gesundheitszustandes eines Menschen oder Tieres, bei dem die Häufigkeitsverteilung der Messwerte analysiert wird, wobei auch die Korrelationsanalyse zur Anwendung kommen kann (vgl. die Ansprüche 1 und 14). Von einer Mittelwertbildung unter Verwendung im Sinne des geltenden Patentanspruchs 1 korrelierter Teilketten von Messwerten ist dabei keine Rede.

Die Druckschrift 4 befasst sich mit einem Messverarbeitungssystem für ein biologisches Objekt, das mehrkanalig anfallende Messdaten mit vorgegebenen Messwertstrukturen vergleicht, wobei die mehrkanalig anfallenden Daten zur Datenreduktion mathematisch bewertet werden, wodurch sich besonders kurze Messwertverarbeitungszeiten ergeben (vgl. das Abstract i. V. m. dem Anspruch 1). Die Bewertungseinrichtung kann dabei beispielsweise zur Bildung von Mittelwerten der Messwertfolge (vgl. Anspruch 11), zur Bildung von gleitenden Mittelwertschätzungen der Messwertfolge (vgl. Anspruch 14), zur Bildung von rekursiven Schätzungen für Werte der Autokorrelationsfunktion der Messwerte (vgl. Anspruch 19), zur Bildung von rekursiven Schätzungen von Funktionen akkumulierter Differenzen der Messwertfolge (vgl. Anspruch 20) bzw. zur Bildung rekursiver Kreuzkorrelationsfunktionen auf der Basis der Messwertfolgen oder der Folgen von Werten zweier Kanäle (vgl. Anspruch 26) ausgebildet sein. Ein Hinweis auf die Vergabe eines aus anderen Messwerten derselben Messwertfolge abgeleiteten Attributs an jeden Messwert und auf ein Auswahl-Kriterium, mit dem aus den mit Attributen versehenen Messwerten Zentren für die Bildung korrelierter Teilketten von Messwerten bestimmt werden, findet sich auch in dieser Druckschrift nicht.

Entsprechendes gilt auch für die ein Verfahren und eine Anordnung zum Überwachen des Verschleißes oder der Ermüdung eines zyklisch belasteten Bauteils betreffende Druckschrift 5, gemäß der die Momentanwerte von zwei am Bauteil auftretenden Messgrößen - eines Belastungssignals Xa und eines dazugehörigen Antwortsignals Xe - fortlaufend erfasst werden, wobei dann die statistische Verteilung des Differenzsignals dieser beiden Messgrößen mit der gespeicherten statistischen Verteilung desselben Differenzsignals desselben Bauteils im praktisch neuwertigen Zustand verglichen wird (vgl. Anspruch 1 i. V. m. den Figuren 1 bis 5 mit zugehöriger Beschreibung). Eine korrelierte Mittelung findet dabei nicht statt.

Das Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist demnach patentfähig.

6. An den geltenden Patentanspruch 1 können sich die darauf direkt oder indirekt zurückbezogenen geltenden Unteransprüche 2 bis 15 anschließen, die vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsarten des Verfahrens zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten nach dem Patentanspruch 1 betreffen.

7. In der geltenden Beschreibung ist der maßgebliche Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, angegeben und das beanspruchte Verfahren zum Auswerten einer Folge von diskreten Messwerten anhand der Zeichnung ausreichend erläutert.

Bei der dargelegten Sachlage war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Patent antragsgemäß zu erteilen.






BPatG:
Beschluss v. 11.07.2006
Az: 23 W (pat) 55/04


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