Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 15. September 2003
Aktenzeichen: 13 B 806/03

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 15.09.2003, Az.: 13 B 806/03)

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 250.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 K 115/03 VG Köln gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde vom 10. Dezember 2002 - BK 2g 02-024 - zu Recht stattgegeben, weil auch aus Sicht des Senats der angefochtene Bescheid bei der in der vorliegenden Verfahrensart nur möglichen summarischen Beurteilung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer Prüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalten wird und deshalb die Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Voraussetzungen für den angefochtenen Bescheid - soweit er Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - nach § 30 Abs. 4 i.V.m. § 25 Abs. 2 TKG, nämlich eine marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin auf dem relevanten Markt, nicht festgestellt sei; relevanter Markt sei ausgehend vom Bedarfsmarktkonzept nicht, wie im angefochtenen Bescheid angenommen, derjenige des Sprachtelefondienstes, sondern im Ergebnis derjenige der sprachorientierten Systemlösungen für geschlossene Benutzergruppen. Bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen Prüfungsdichte spricht eindeutig mehr für die Richtigkeit dieses entscheidungstragenden Ansatzes.

Nach dem Bedarfsmarktkonzept ist für die Frage der Zuordnung eines Produkts - hier die sprachorientierte Systemlösung "T-VPN tegut" - zu einem von der Behörde in den Blick genommenen Markt - hier einem einheitlichen Markt des Sprachtelefondienstes - maßgeblich darauf abzustellen, ob das Produkt aus der Sicht des Abnehmers/Kunden unter Berücksichtigung seiner Eigenschaft, seines Verwendungszwecks und der Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs durch andere Produkte dieses Marktes austauschbar ist. Ist das nicht der Fall, ist das betreffende Produkt einem anderen Markt zuzuordnen. Die so vorzunehmende Abgrenzung des relevanten Marktes durch Ermittlung der Einschätzung der Produktaustauschbarkeit durch den Abnehmer kann nur anhand von zu einem Gesamtbild führenden indiziellen Erwägungen und Vermutungen erfolgen und ist daher in Randbereichen notwendigerweise fließend.

Bei den gegenwärtigen Erkenntnisquellen des Senats verdichtet sich ein Gesamtbild dahin, dass von der Antragstellerin unter dem Begriff der sprachorientierten Systemlösungen angebotene Produkte aus Kundenperspektive nicht gegen die allgemeinen Produkte des Sprachtelefondienstleistungsmarktes adäquat austauschbar sind. Dabei kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass ein solches Produkt ein auf den Kunden individuell ausgelegtes Bündel verschiedener Leistungen ist. Ein so zugeschnittenes Produkt findet sich unter den allgemeinen Produkten des Sprachtelefondienstes nicht. Zwar lassen sich aus dem Bündel einige Leistungen herausgreifen, die auch als allgemeine Leistungen des Sprachtelefondienstes und eventuell auch gebündelt mit anderen Leistungen erhältlich sind, doch weisen sie nicht die Besonderheit und Leistungsbreite auf, die für den Abnehmer von besonderem Wert sind und weshalb er sich gerade mit Rücksicht auf bestimmte Effekte oder Verwendungszwecke nur für die Systemlösung entscheidet. Vor dem Hintergrund ist nicht allein entscheidend für die Austauschbarkeit aus Kundensicht die bei beiden Produkten im Mittelpunkt stehende Sprachkommunikation.

Die Antragstellerin hat im Laufe des Verfahrens glaubhaft aufgezeigt, dass die Systemlösung für geschlossene Benutzergruppen eine größere Leistungsbreite, weitere Verwendbarkeit und einen höheren Nutzeffekt für den Abnehmer aufweist als etwa das insoweit in Betracht kommende allgemeine Sprachtelefondienstleistungsprodukt BusinessCall. Sie hat überdies glaubhaft gemacht, dass die Leistung der sprachorientierten Systemlösung technisch anders vonstatten geht als die Leistungen des allgemeinen Sprachtelefondienstes. Unter Berücksichtigung dessen wird ein Kunde das Paket der sprachorientierten Systemlösung vermutlich als ein "aliud" zu den allgemeinen Produkten des Sprachtelefondienstes ansehen, das deshalb gegen letzteres nicht austauschbar ist.

Bestärkt wird dies durch die Erwägung, dass der Kunde sich für eine Systemlösung der hier zu betrachtenden Art regelmäßig gerade deshalb entscheidet, weil sie im Vergleich zu Produkten des allgemeinen Sprachtelefondienstes Personal erspart oder freisetzt und eine intensivere Sprachkommunikation erlaubt sowie verzögerungsfreie Abläufe erwarten lässt. Diese durch allgemeine Sprachtelefondienstleistungen nicht erzielbaren zu einem Gesamterfolg geschnürten Effekte lassen aus Kundensicht einen Austausch des hier zu betrachtenden Produkts durch solche des Sprachtelefondienstmarktes nicht in Betracht kommen. Das gilt umso mehr, als sich für den Kunden die Preisgestaltung für eine Systemlösung der hier zu betrachtenden Art als weitaus günstiger erweist als möglicherweise in Betracht zu ziehende allgemeine Sprachtelefondienstleistungen. Für den mit dem hier zu betrachtenden Produkt gezielt angesprochenen informierten Kunden wird daher schon auf Grund des Preis-Leistungs-Verhältnisses eine Austauschbarkeit gegen allgemeine Sprachtelefondienstleistungen nicht in Frage stehen. Dieser Eindruck der Nichtaustauschbarkeit aus Kundensicht wird bestärkt durch den Umstand der Ausschreibung von sprachorientierten Systemlösungen. Die unter Beachtung der Ausschreibungsvorgaben eingehenden Angebote sind aus Abnehmersicht in Prinzip austauschbar und daher demselben Markt zuzuordnen; mit ihnen sind vorgabeninkonforme, ausschreibungsfreie Angebote im Prinzip nicht austauschbar. In Anwendung des Bedarfsmarktskonzepts ist dies jedenfalls ein Indiz für eine Abgrenzung zwischen einer ausschreibungsgebundenen und einer ein substanzielles "aliud" darstellenden ausschreibungsfreien Leistung.

Abgerundet wird das sich so zusammenfügende Gesamtbild durch die Entwicklung der Sprachkommunikationsdienstleistungen für geschlossene Benutzergruppen, die noch vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes etwa 1994 eingesetzt hat und einen vom Sprachtelefondienst losgelösten Verlauf bis hin zu einem funktionierenden Wettbewerb genommen hat. Diese Sachlage sowie die erkennbare Vorstellung des Gesetzgebers, dass es neben Sprachtelekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit (§ 3 Nr. 19 TKG) auch solche für von dieser sich abhebende geschlossene Benutzergruppen gibt, vermittelt unabhängig von der Frage nach der Austauschbarkeit der Leistungen aus Abnehmersicht gemäß dem Bedarfsmarktkonzept auch einem objektiven Dritten den Eindruck, dass der Markt der sprachorientierten Systemlösungen für geschlossene Benutzergruppen von dem des allgemeinen Sprachtelefondienstes abgesetzt ist und demgemäß einer gegenüber diesem gesonderten Beurteilung unterliegt. Wäre das hier zu betrachtende Produkt der Systemlösung für eine geschlossene Benutzergruppe dem Sprachtelefondienstmarkt zuzuordnen, müsste es auch für den "normalen" Endkunden als Alternative für seinen Anschluss in Betracht kommen. Das dürfte aber nicht der Fall sein.

Zeichnet sich somit gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Gesamtbild eines für den vorliegenden Regulierungsstreit relevanten Marktes der sprachorientierten Systemlösungen für geschlossene Benutzergruppen ab und ist diesbezüglich eine marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin weder von der Antragsgegnerin festgestellt noch dem Senat sonst ersichtlich, fehlt die wesentliche Voraussetzung für die Regelungen des angefochtenen Bescheids, soweit sie Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.

Auf die sonstigen Angriffe der Antragstellerin - insbesondere auf die Bedenken gegen eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten und eine fehlende sachliche Rechtfertigung sowie gegen eine Gebundenheit der Entscheidung nach §§ 30 Abs. 5 Satz 2, 29 Abs. 2 Satz 2 TKG - kommt es nicht an.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 15.09.2003
Az: 13 B 806/03


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