Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Juni 2006
Aktenzeichen: 8 W (pat) 4/03

(BPatG: Beschluss v. 08.06.2006, Az.: 8 W (pat) 4/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 16 H des Patentamts vom 23. Oktober 2002 aufgehoben und das Patent 195 11 866 wie folgt erteilt:

Bezeichnung: Verfahren zur zyklischen Anpassung einer Kennlinie für die Umschaltung von Gängen bei einem automatischen Getriebe eines Kraftfahrzeuges Anmeldetag: 31. März 1995 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zu Grunde:

Patentansprüche 1 bis 11, Beschreibung, Seiten 1 bis 15, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie 12 Blatt Zeichnungen, Bild 1 bis 11, wie Offenlegungsschrift.

Gründe

I Die Patentanmeldung 195 11 866.9-14 mit der ursprünglichen Bezeichnung "Anordnung zur zyklischen Anpassung einer Kennlinie für die Umschaltung von Gängen bei einem automatischen Getriebe eines Kraftfahrzeuges" ist am 31. März 1995 beim Patentamt eingegangen und von dessen Prüfungsstelle für Klasse F 16 H mit Beschluss vom 23. Oktober 2002 zurückgewiesen worden, weil der geltende Patentanspruch 1 in seinem Kennzeichen keine nacharbeitbare Lehre zum technischen Handeln erkennen lasse.

Im Verfahren vor dem Patentamt ist noch der folgende druckschriftliche Stand der Technik in Betracht gezogen worden:

EP 0 531 567 A1 EP 0 512 596 A1 DE 42 15 406 A1.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung neugefasste Unterlagen (Patentansprüche 1 bis 11 und Beschreibung Seiten 1 bis 15 eingereicht.

Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur zyklischen Anpassung einer Kennlinie für die Umschaltung von dem einen in den anderen von zwei nach ihrer Übersetzung benachbarten Gängen eines automatischen Getriebes eines Kraftfahrzeuges, bei dem die Schaltpunkte der Kennlinie durch Koordinatenwerte eines Kennfeldes bestimmt sind, in welchem ein von der Fahrgeschwindigkeit abhängiger Parameter über einem dem Motormoment zugeordneten Parameter oder umgekehrt aufgetragen ist, und bei dem gemäß einer Schaltstrategie, welche anhand eines fahrzeugspezifische und fahrzustandsspezifische Einflussgrößen in Beziehung setzenden Algorithmus und unter Auswertung gemessener Istwerte der Einflussgrößen in jedem Berechnungszyklus einen Korrekturwert ermittelt, die Kennlinie an die Änderung der Einflussgrößen in Abhängigkeit von dem jeweiligen Korrekturwert angepasst wird, dadurch gekennzeichnet, dass für jeden der beiden Koordinatenwerte (20-m; 21-m für m = 16 bis 19 in Bild 4) von ausgewählten Schaltpunkten (16 und 17 oder 18 und 19) ein Korrekturwert (ddkw; dnab) festgelegt wird, und dass für die ausgewählten Schaltpunkte (16 und 17 oder 18 und 19) ein gemeinsamer Korrekturwert (ddkw) für die Anpassung ihrer Koordinatenwerte (20 - 16 und 20 - 17 oder 20 - 18 und 20 - 19) des dem Motormoment zugeordneten Parameters (DKW) bestimmt wird".

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 11 wird auf die Akten Bezug genommen.

Die Anmelderin vertritt die Auffassung, es habe einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, um zu dem Verfahren nach Patentanspruch 1 zu gelangen. Auch stelle das Verfahren nach Anspruch 1 eine klare, nacharbeitbare Lehre zum technischen Handeln dar.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 16 H des Patentamts vom 23. Oktober 2002 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 11 und Beschreibung, Seiten 1 bis 15, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie 12 Blatt Zeichnungen, Bild 1 bis 11, wie Offenlegungsschrift.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Anmeldungsgegenstand stellt eine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG § 1 bis § 5 dar.

1. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 und der Inhalt der nachgeordneten Ansprüche 2 bis 11 ist in den ursprünglichen Unterlagen als zum Anmeldungsgegenstand gehörend offenbart.

Die neugefassten Ansprüche 1 bis 9 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 9 bis auf die Änderung jeweils im ersten Wort, wo statt ursprünglich "Anordnung" nunmehr der Ausdruck "Verfahren" gebraucht wird. Bereits die ursprüngliche Aufgabenformulierung (vgl. DE 195 11 866 A1, S. 2, Z. 58 bis 62) lässt erkennen, dass das Schaltverhalten eines Automatikgetriebes beeinflusst werden soll, um es an unterschiedliche Fahrzustände anzupassen. Dies lässt bereits ein Verfahren zur Einflussnahme auf das Schaltverhalten eines entsprechenden automatischen Getriebes erkennen.

Dem Anspruch 1 wurde ferner durch Streichung des Ausdrucks "zueinander benachbarte" vor "Schaltpunkte" auf die vorher schon bezeichneten ausgewählten Schaltpunkte zum Zwecke der Klarstellung beschränkt.

Der Anspruch 10, welcher ursprünglich nebengeordneten Charakter durch Bezugnahme auf lediglich den Oberbegriff des Anspruchs 1 hatte, ist nunmehr als "echter" Unteranspruch formuliert worden, d. h. er bildet die gesamten Merkmale des Anspruchs 1 weiter. Insoweit ist er schon enger gefasst als der ursprüngliche Anspruch 10. Seine Merkmale beruhen auf denen des ursprünglichen Anspruchs 10, wobei einige klarstellende Hinweise hinzugenommen sind, die aus Bild 5 und 6 ersichtlich sind.

Der geltende Anspruch 11 beruht ebenfalls auf dem ursprünglichen Anspruch 11 unter Hinzunahme einiger aus Bild 5 und 6 ersichtlicher Klarstellungen.

2. Gegenstand der Anmeldung ist nach dem geltenden Anspruch 1 ein Verfahren zur zyklischen Anpassung einer Kennlinie für die Umschaltung von dem einen in den anderen von zwei nach ihrer Übersetzung benachbarten Gängen eines automatischen Getriebes eines Kraftfahrzeuges.

Bei diesem Verfahren sind die Schaltpunkte der Kennlinie durch Koordinatenwerte eines Kennfeldes bestimmt.

In dem Kennfeld ist ein von der Fahrgeschwindigkeit abhängiger Parameter über einem dem Motormoment zugeordneten Parameter (oder umgekehrt) aufgetragen.

Bei dem anmeldungsgemäßen Verfahren wird gemäß einer Schaltstrategie die Kennlinie an die Änderung der Einflussgrößen in Abhängigkeit von dem jeweiligen Korrekturwert angepasst.

Die Schaltstrategie ermittelt dazu anhand eines fahrzeugspezifische und fahrzustandspezifische Einflussgrößen in Beziehung setzenden Algorithmus und unter Auswertung gemessener Istwerte der Einflussgrößen in jedem Berechnungszyklus einen Korrekturwert.

Nach dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 wird für jeden der beiden Koordinatenwerte von ausgewählten Schaltpunkten ein Korrekturwert festgelegt. Für die ausgewählten Schaltpunkte wird ferner ein gemeinsamer Korrekturwert (im Anspruchstext ddkw genannt) für die Anpassung ihrer Koordinatenwerte des dem Motormoment zugeordneten Parameters (DKW) bestimmt.

3. Der geltende Patentanspruch 1 kennzeichnet eine nacharbeitbare, klare und von anderem Stand der Technik unterscheidbare Lehre zum technischen Handeln.

Die Lehre des geltenden Anspruchs 1 ist nicht auf eine Vorgehensweise zur Ermittlung von Korrekturwerten gerichtet - diese geschieht nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 in bekannter Weise dadurch, dass Korrekturwerte anhand eines fahrzeugspezifische und fahrzustandsspezifische Einflussgrößen in Beziehung setzenden Algorithmus und unter Auswertung gemessener Istwerte der Einflussgrößen in jedem Berechnungszyklus ermittelt werden - sondern auf die Art und Weise, wie mit den ermittelten Korrekturwerten weiterhin verfahren wird.

Zunächst soll für jeden der beiden Koordinatenwerte von ausgewählten Schaltpunkten ein - wie auch immer ermittelter - Korrekturwert festgelegt werden, d. h. die Kennlinie für die Schaltungen - wie immer diese im Einzelnen aussehen mag - soll für beide Koordinaten des Kennfeldes mit Hilfe der jeweiligen Korrekturwerte angepasst werden. Ferner soll bezogen auf einen bestimmten Parameter (Motormoment) für die ausgewählten Schaltpunkte ein gemeinsamer Korrekturwert bestimmt werden. Alles dies gibt an, für welche Parameter eines Kennfeldes Korrekturwerte ermittelt werden sollen - nämlich für alle beide - um die Kennlinie anzupassen und wie die Kennlinienanpassung für einen bestimmten Parameter (Motormoment) erfolgen soll, nämlich durch einen gemeinsamen Korrekturwert für die ausgewählten Schaltpunkte.

Damit wird einem Fachmann, einem Fachhochschulingenieur des allgemeinen Maschinenbaus mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Schaltstrategien eine Richtung vorgegeben, wie nach der anmeldungsgemäßen Lehre die Korrekturwerte zur Anpassung der Kennlinie eingesetzt werden sollen.

Auch die Angabe "gemeinsamer Korrekturwert für die Anpassung ..." ist hier für den maßgeblichen fachmännischen Personenkreis als "Richtungsangabe" zur Nacharbeitung ausreichend, denn es kann dem Fachmann überlassen bleiben, wie er zu einem gemeinsamen Korrekturwert kommt. Die Beschreibung gibt hier beispielhaft eine Zusammenfassung der Werte im Wege der Maximalwertermittlung an (S. 12, 3. Abs.), wobei dies nur als Lösungsansatz i. S. eines bevorzugten Ausführungsbeispiels zu sehen ist, worauf aber der Patentanspruch nicht beschränkt ist. Vielmehr bleibt die Bestimmungsart des gemeinsamen Korrekturwertes auch hier der zu bewältigenden Situation und dem Handeln des Fachmanns überlassen. Durch den im Anspruch 1 insgesamt vorgegebenen Umgang mit den Korrekturwerten ist es möglich, nicht mehr mehrere Schaltkennfelder abspeichern zu müssen, sondern alle Anwendungsfälle mit einer einzigen grundlegenden Schaltkennlinie (Grundschaltprogramm) zu regeln, welche dann durch den im Anspruch 1 angegebenen Einsatz der Korrekturwerte allen Fahrsituationen und -zuständen angepasst werden kann.

4. Das anmeldungsgemäße Verfahren nach Patentanspruch 1 hat als neu zu gelten, da keine der zum Stand der Technik in Betracht gezogenen Druckschriften dieses Verfahren vollständig vorbeschreibt.

Bei der Kennlinienanpassung nach der EP 0 531 567 A1 und der EP 0 512 596 A1 wird jeweils nur für einen Parameter (Getriebeabtriebsdrehzahl bzw. Drehmoment des Motors) ein Korrekturwert ermittelt und entsprechend eingesetzt, so dass sich das anmeldungsgemäße Verfahren von diesem Stand der Technik zumindest dadurch unterscheidet, dass für jeden der beiden Koordinatenwerte von ausgewählten Schaltpunkten ein Korrekturwert festgelegt wird.

Das Steuersystem zum Schalten eines automatischen Getriebes nach der DE 42 15 406 A1 arbeitet auf der Basis der sog. Fuzzy-Logik-Methoden und hat daher keine gemeinsamen Merkmale mit dem anmeldungsgemäßen Verfahren.

5. Das Verfahren nach Patentanspruch 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die EP 0 531 567 A1 hat es sich zum Ziel gesetzt, unterschiedliche Beladungszustände, Fahrwiderstände und Fahrbahnneigungen - anders als der Anmeldungsgegenstand - nur über die Auswertung der Fahrzeuggeschwindigkeit oder der Getriebeabtriebsdrehzahl zu erkennen (vgl. S. 2, Z. 14 bis 18). Demzufolge wird hier lediglich ein Parameter in Betracht gezogen, nämlich die Abtriebsdrehzahl des Getriebes oder eine mit dieser gleichwertige Größe (vgl. Ansprüche 1 und 6), wobei natürlich Kennlinien vorgesehen sind, bei denen dieser Parameter gegen z. B. das Motormomemt aufgetragen ist, wie aus den Ansprüchen 3 bis 5 abzuleiten ist. Die Änderung der Schaltkennlinien zum Zwecke der Anpassung an unterschiedliche Fahrsituationen erfolgt hier entweder dadurch, dass aus vielen verschiedenen gespeicherten Kennliniensätzen die passende bzw. nächstkommende ausgesucht wird, bzw. alternativ durch Abspeicherung von nur einem Kennliniesatz, der dann stetig gemäß einem Algorithmus in Abhängigkeit von dem jeweiligen Wert des Korrekturterms geändert wird (vgl. S. 5, Z. 7 bis 10).

Diese Entgegenhaltung kann deshalb keine Hinweise zum Auffinden der anmeldungsgemäßen Lehre vermitteln, weil sie entweder viele Kennlinien speichern will, aus denen die entsprechende ausgesucht werden kann, eine Variante, die der Anmeldungsgegenstand gerade vermeiden will (vgl. dessen Aufgabe "... ohne dabei ... auf die Abspeicherung von mehreren Schaltkennfeldern angewiesen zu sein"). Im Unterschied hierzu wird beim anmeldungsgemäßen Verfahren jeweils nur mit einer Kennlinie gearbeitet, welche unter dem Einfluss geeigneter Korrekturwerte den geänderten Bedingungen und Fahrsituationen angepasst wird. Eine solche Variante ist zwar als Alternativlösung in der EP 0 531 567 A1 angegeben, jedoch wird hier die Kennlinie nur über den einen Wert, den Koordinaten-Wert des fahrgeschwindigkeitsabhängigen Parameter, verändert (vgl. hierzu Fig. 5 bzw. S. 4, Z. 52 bis S. 5, Z. 6 der Entgegenhaltung). Im Unterschied dazu werden beim Anmeldungsgegenstand beide Koordinatenwerte mit Korrekturwerten (ddkw, dnab) versehen und nicht nur einer. Weiterhin wird beim anmeldungsgemäßen Verfahren noch für einen bestimmten Parameter (DKW) für die ausgewählten Schaltpunkte ein gemeinsamer Korrekturwert bestimmt. Für all dies finden sich in der Entgegenhaltung weder Hinweise noch Anregungen.

Auch beim Verfahren nach der EP 0 512 596 A1 wird lediglich ein einziger Parameter, nämlich das Motordrehmoment betrachtet (vgl. z. B. Anspruch 1). Ein Korrekturwert wird hier lediglich für den Koordinaten-Wert des dem Motormoment zugeordneten Parameters des Kennfeldes ermittelt (vgl. Fig. 2b und S. 8, Z. 3 bis 10 oder Entgegenhaltung), wobei dieser dann zur Parallelverschiebung der Kennlinie verwendet wird.

Das Steuersystem zum Schalten eines automatischen Getriebes nach der DE 42 15 406 A1 arbeitet auf der Basis der sog. Fuzzy-Logik-Methoden (vgl. Zusammenfassung, Anspruch 1), was der Anmeldungsgegenstand ausweislich seiner Aufgabenstellung gerade verhindern will. Im Unterschied zum anmeldungsgemäßen Verfahren sollen daher bei dem entgegengehaltenen Steuersystem "die Nachteile einer Kennfeld-Steuerung" vermieden werden. Demzufolge beschreitet das Steuersystem nach der DE 42 15 406 A1 einen gänzlich anderen Weg, bei dem kein Schaltkennfeld verwendet wird, so dass diese Entgegenhaltung gegenüber dem anmeldungsgemäßen Verfahren keinen relevanten Stand der Technik bilden kann.

Nach alledem ist das Verfahren nach Patentanspruch 1 patentfähig und dieser Anspruch somit gewährbar.

Mit diesem zusammen sind auch die Unteransprüche 2 bis 11 gewährbar, die auf vorteilhafte Ausgestaltungen eines Verfahrens nach Anspruch 1 gerichtet sind.






BPatG:
Beschluss v. 08.06.2006
Az: 8 W (pat) 4/03


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