BSozialgericht:
Urteil vom 7. Oktober 2009
Aktenzeichen: B 11 AL 34/08 R

(BSG: Urteil v. 07.10.2009, Az.: B 11 AL 34/08 R)

Der Regelung, dass Konzernunternehmen bei der Ermittlung der Beschäftigungszeiten als ein Arbeitgeber gelten, kann nicht entnommen werden, dass vor Erlangung der Konzernunternehmenseigenschaft zurückgelegte Zeiten auszuklammern sind.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin gegenüber der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) einschließlich hierauf entfallender Beiträge verpflichtet ist.

Die Klägerin, eine durch formwechselnde Umwandlung aus einer Kommanditgesellschaft (KG) entstandene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), ist Rechtsvorgängerin und Rechtsnachfolgerin der zeitweise bestehenden "r-KG" (im Folgenden r-KG). Die Klägerin ist und die r-KG war ein Konzernunternehmen des von der M. Aktiengesellschaft (M-AG) beherrschten Konzerns.

Mit Anstellungsvertrag vom 22./30. Januar 1999 vereinbarte die Klägerin mit dem 1940 geborenen H. D. (D) dessen Tätigkeit als Vertriebsleiter ab 1. Januar 1999. Der Anstellungsvertrag sah ua die Anrechnung der "Betriebszugehörigkeit seit dem 01.11.1987" und eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten zum Monatsende vor. Vor seiner Tätigkeit für die Klägerin war D seit 1. November 1987 durchgehend bei der E. K. KG (im Folgenden K-KG) beschäftigt.

Die M-AG trat mit Wirkung vom 30. Juli 1998 bei der K-KG an die Stelle der bisherigen Kommanditisten und übernahm eine Einlage in Höhe von 30 Mio DM; weitere Kommanditistin war ab dem vorgenannten Zeitpunkt die K.-GmbH mit einer Einlage von 89.000 DM. Mit Ablauf des 31. Dezember 1998 schied die M-AG wieder als Kommanditistin der K-KG aus; ihre Einlage ging überwiegend, nämlich in Höhe von 27,1 Mio DM, auf die DIV Beteiligungs-AG & Co KG (im Folgenden DIV) über, an der die M-AG mit einem Anteil von weniger als 50 % beteiligt war.

Am 11. November 1999 erklärte der Geschäftsführer Vertrieb der r-KG gegenüber D mündlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2000. Danach kam es unter dem 30. November 1999 zu einem "Abwicklungsvertrag" zwischen der r-KG und D. Im Anschluss daran kündigte die r-KG mit an D gerichtetem Schreiben vom 9. Dezember 1999 das "bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich fristgerecht" zum 31. Dezember 2000.

Die Beklagte bewilligte D mit Bescheid vom 9. März 2001 Alg ab 1. Januar 2001 für 960 Tage. Außerdem übernahm sie für D Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Rentenversicherung. D bezog Alg bis zum 30. November 2001. Ab 1. Dezember 2001 nahm D eine bis 30. April 2002 befristete Beschäftigung auf. Für die Zeit ab 1. Mai 2002 bewilligte die Beklagte D wiederum Alg.

Nach Anhörung forderte die Beklagte von der r-KG mit Bescheid vom 19. Mai 2003 für die Zeit vom 1. Januar bis 30. November 2001 Erstattung von Alg sowie von Beiträgen gemäß § 147a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Gesamthöhe von 29.923,47 Euro. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, das Arbeitsverhältnis mit D habe weniger als zehn Jahre bestanden und sei außerdem durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Nach Klageerhebung erging ein weiterer Bescheid vom 27. April 2004, mit dem die Beklagte Erstattung von Alg bzw Beiträgen für den Zeitraum 1. Mai 2002 bis 21. Mai 2003 in der Gesamthöhe von 35.162,48 Euro forderte. Auf den Einwand der Klägerin, D habe schon ab 1. Juni 2002 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beanspruchen können, änderte die Beklagte mit an die r-KG gerichtetem Bescheid vom 18. Mai 2005 den vorhergehenden Bescheid und verlangte nur noch Erstattung für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Mai 2002 in Höhe von insgesamt 2.828,69 Euro. Dieses Teilanerkenntnis nahm die Klägerin an.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Dezember 2005). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 26. September 2008). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 147a Abs 1 Satz 1 SGB III seien erfüllt; einer Erstattungspflicht der Klägerin stehe jedoch der Befreiungstatbestand des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Buchst b SGB III entgegen. D habe innerhalb der letzten zwölf Jahre insgesamt weniger als zehn Jahre zur Klägerin in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Ob nach § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III auch der Zeitraum vom 30. Juli 1998 bis 31. Dezember 1998 einzubeziehen sei, hänge davon ab, ob die M-AG und die K-KG Konzernunternehmen iS des § 18 Aktiengesetz (AktG) gewesen seien. Dies brauche jedoch nicht entschieden zu werden, da selbst dann eine Dauer von wenigstens zehn Jahren innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem 1. Januar 2001 nicht erreicht werde. Die Beschäftigungszeit bei der K-KG vor dem 30. Juli 1998 müsse sich die Klägerin nämlich in keinem Fall anrechnen lassen. § 147a Abs 5 SGB III solle Umgehungsmöglichkeiten ausschließen; mittelbar solle aber der Konzern belastet werden. Eine solche mittelbare Belastung sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Gesichtspunkte, die die Erstattungspflicht des Arbeitgebers als angemessen erscheinen ließen, auch für den Konzern gelten würden. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Vorgängerregelung des § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) betonte erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gründe sich auf die lange Betriebszugehörigkeit und Betriebstreue des Arbeitnehmers. D habe aber weder zur M-AG noch zur Klägerin in einem hinreichend langen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Auch habe weder ein Betriebsübergang nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch eine Gesamtrechtsnachfolge aufgrund eines Verschmelzungsvertrages stattgefunden. Allein durch den Eintritt der M-AG als Kommanditistin werde keine umfassende Verantwortung der M-AG für die bei der K-KG zurückgelegten Beschäftigungszeiten begründet.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) sowie eine Verletzung des § 147a SGB III. Das LSG habe nicht ermittelt, ob die Klägerin zusammen mit anderen beteiligten Unternehmen ein Konzernunternehmen iS des § 18 AktG deshalb gebildet habe, weil zwischen den beteiligten Gesellschaften die Übernahme einer "gemeinsamen Herrschaft" über die K-KG zum 30. Juli 1998 abgesprochen gewesen sei, und ob die späteren Vorgänge dergestalt koordiniert gewesen seien, dass sich an der Herrschaftsmacht der M-AG und damit auch der Klägerin ab 1. Januar 1999 nichts geändert habe. Das Ausscheiden der M-AG als Kommanditistin zum 1. Januar 1999, der Eintritt der DIV, an der die M-AG Anteile gehalten habe, und das Ende der Arbeitsvertrages des D mit der K-KG bei gleichzeitiger Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin unter Anrechnung der bei der K-KG verbrachten Betriebszugehörigkeit ließen nur den Schluss auf ein zwischen allen Beteiligten abgestimmtes Vorgehen zu. Vor allem dränge sich die Vermutung auf, dass der zweimalige Wechsel der Kommanditistenstellung innerhalb von fünf Monaten ausschließlich zu dem Zweck erfolgt sei, die formaljuristische Bildung eines Konzerns zu Lasten der Beklagten zu verhindern. Auch spreche das ab 1. Januar 1999 herrschende Anteilverhältnis bei der K-KG dafür, dass ab diesem Zeitpunkt immer noch die M-AG herrschendes Unternehmen gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 26. September 2008 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 8. Dezember 2005 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, weder sie noch ihre Rechtsvorgängerin seien an der Entscheidung zum Kauf der K.-Gesellschaften oder an der Entscheidung des Verkaufs an die DIV beteiligt gewesen. Auch habe sie zu keinem Zeitpunkt eine Herrschaftsmacht über die K.-Gesellschaften gehabt. Die Motive für die gesellschaftsrechtlichen Vorgänge seien für die Beurteilung der Erstattungspflicht irrelevant. Es komme lediglich auf objektive Tatsachen an. Die Vermutung, dass Anteile nur deshalb an die DIV veräußert worden seien, um die Beklagte zu belasten, sei eine durch keinerlei Tatsachenvortrag gestützte Behauptung.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Nach den bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob in Betracht kommende gesetzliche Ausschlusstatbestände einer Erstattungspflicht entgegenstehen und, falls dies nicht der Fall sein sollte, ob der Erstattungsbetrag von der Beklagten der Höhe nach zutreffend festgesetzt worden ist.

1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die nach Klageerhebung ergangenen Bescheide vom 27. April 2004 und vom 18. Mai 2005 entsprechend § 96 SGG in der vor dem 1. April 2008 geltenden Fassung Gegenstand des Verfahrens geworden sind (vgl zur aus Gründen der Prozessökonomie gebotenen Einbeziehung von Bescheiden, die verschiedene Zeiträume betreffen, BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 17 f). Über den durch den Bescheid vom 18. Mai 2005 ersetzten Bescheid vom 27. April 2004 ist allerdings nach Annahme des Teilanerkenntnisses nicht mehr zu entscheiden.

b) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht etwa deshalb, weil mehrere Bescheide an die r-KG auch dann noch adressiert waren, als diese bereits nicht mehr bestand; denn die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin der r-KG die Bescheide jeweils entgegengenommen und sie in ihr Anfechtungsbegehren einbezogen (vgl BSGE 93, 159, 160 = SozR 4-4100 § 128 Nr 3).

2. Das LSG hat seiner Entscheidung zutreffend die Vorschrift des § 147a SGB III in der Fassung des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes (EEÄndG) vom 24. März 1999 (BGBl I 396) zu Grunde gelegt, die in den als einschlägig in Betracht kommenden Abschnitten mit der Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) übereinstimmt (vgl §§ 431 Abs 2, 434l Abs 3 und 4 SGB III; zur Nichtanwendbarkeit einer späteren Fassung des im vorliegenden Fall nicht einschlägigen § 147a Abs 2 Nr 2 SGB III vgl Urteil des Senats vom 6. Mai 2009, B 11 AL 4/07 R - SozR 4-4300 § 147a Nr 9). Das LSG hat weiter zutreffend ausgeführt, dass unter den festgestellten tatsächlichen Umständen die Grundvoraussetzungen für eine Erstattungspflicht der Klägerin gemäß § 147a Abs 1 Satz 1 SGB III - Dauer des Versicherungspflichtverhältnisses, Lebensalter des D bei Beginn des Leistungsbezugs, Erstattungspflicht für längstens 24 Monate - erfüllt sind.

3. Ob allerdings, wie das LSG angenommen hat, die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Buchst b SGB III iVm § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III vorliegen, kann nach den bisherigen Feststellungen nicht entschieden werden. Der Rechtsauffassung des LSG zu § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III iVm § 18 AktG vermag der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen.

a) Nach § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Buchst b SGB III tritt die Erstattungspflicht bei Arbeitslosen, deren Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 57. Lebensjahres beendet worden ist, nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass der Arbeitslose innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 124 Abs 1 SGB III die Rahmenfrist bestimmt wird, insgesamt weniger als zehn Jahre zu ihm in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Bei Ermittlung der Beschäftigungszeiten gelten gemäß § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III Konzernunternehmen iS des § 18 AktG als ein Arbeitgeber; die Erstattungspflicht richtet sich gemäß § 147a Abs 5 Satz 2 SGB III gegen den Arbeitgeber, bei dem der Arbeitnehmer zuletzt in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat.

Nach § 18 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 AktG bilden ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen, sofern sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind, einen Konzern (sogenannter "Unterordnungskonzern", vgl Bayer in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl, § 18 RdNr 26 ff; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2004, § 147a RdNr 91). Die einzelnen auf diese Weise zusammengefassten Unternehmen sind gemäß § 18 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 AktG Konzernunternehmen. § 18 Abs 1 Satz 2 und 3 AktG enthalten Beweisregeln, die den Rückschluss auf das Vorliegen eines Unterordnungskonzerns erleichtern sollen (Voelzke aaO RdNr 93). Nach § 18 Abs 2 Halbsatz 1 AktG können selbständige Unternehmen auch ohne Vorliegen einer Abhängigkeit bei Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung einen "Gleichordnungskonzern" bilden (vgl Bayer aaO § 18 RdNr 49 ff); auch in einem solchen Fall sind die einzelnen Unternehmen Konzernunternehmen (§ 18 Abs 2 letzter Halbsatz AktG). Für die Anwendung des § 18 AktG im Rahmen des § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III ist anerkannt, dass von den in Betracht kommenden Konzernunternehmen nicht unbedingt eines - wie dies in § 18 AktG vorausgesetzt ist - eine Aktiengesellschaft (AG) oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) sein muss; der Verweisung in § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III auf § 18 AktG ist vielmehr zu entnehmen, dass unabhängig von der Rechtsform eine Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten bei allen Unternehmen vorzunehmen ist, die nach näherer Maßgabe des § 18 AktG unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind (vgl Voelzke aaO RdNr 89; Pawlak in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand 2006, § 147a RdNr 122; Rolfs in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 2008, § 147a SGB III, RdNr 280; vgl insoweit auch Durchführungsanweisungen der BA zu § 147a SGB III, Stand 01/2001, 3.2 RdNr 147a.24).

b) Aus der vorstehend beschriebenen Gesetzeslage folgt zunächst, dass eine Zurechnung der von D bei der K-KG zurückgelegten Beschäftigungszeiten zur Klägerin nur dann in Betracht kommt, wenn sowohl diese selbst als auch die K-KG Konzernunternehmen iS des § 18 AktG sind oder waren (zum maßgeblichen Zeitpunkt nachfolgend unter d). Denn nach § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III gelten bei der Ermittlung von Beschäftigungszeiten nur Konzernunternehmen als ein Arbeitgeber. Insofern ist es missverständlich, wenn das LSG in den Gründen seiner Entscheidung ausführt, ob bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses auch Zeiten vor dem 1. Januar 1999 einzubeziehen seien, hänge davon ab, ob die M-AG und die K-KG Konzernunternehmen iS des § 18 AktG seien. Da D nicht bei der M-AG, sondern nur bei der K-KG und danach bei der Klägerin bzw deren Rechtsvorgängerin beschäftigt war, kommt es vielmehr darauf an, ob die Klägerin und die K-KG deshalb Konzernunternehmen sind, weil sie iS des § 18 AktG unter einheitlicher Leitung zB der M-AG zusammengefasst bzw als zusammengefasst anzusehen sind oder waren.

c) Entgegen der Auffassung des LSG kann die Frage, ob die K-KG Konzernunternehmen iS des § 18 AktG war, nicht deshalb offen bleiben, weil die K-KG möglicherweise - insoweit sind noch eindeutige Feststellungen zu treffen - erst durch den Eintritt der M-AG als Kommanditistin mit Wirkung ab 30. Juli 1998 zum Konzernunternehmen geworden ist. War dies der Fall, folgt daraus nicht, dass die von D bei der K-KG vor Erlangung der Konzernunternehmenseigenschaft zurückgelegten Beschäftigungszeiten auszuklammern sind und nur Zeiten ab dem 30. Juli 1998 der Klägerin mit der Folge der Unterschreitung der Zehnjahresgrenze gemäß § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Buchst b SGB III zugerechnet werden können. Ein derart eingeschränktes Verständnis des § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III ist weder durch den Gesetzeswortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift geboten.

Dem Wortlaut des § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III ist keine ausdrückliche Regelung dahingehend zu entnehmen, es seien bei einem Arbeitgeber zurückgelegte Beschäftigungszeiten nur eingeschränkt zu berücksichtigen. Geregelt ist nur, dass bestimmte Konzernunternehmen bei der Ermittlung von Beschäftigungszeiten als ein Arbeitgeber gelten. Liegt also bei mehreren Arbeitgebern jeweils die Voraussetzung "Konzernunternehmen" vor, hat dies für die Ermittlung von Beschäftigungszeiten eine fiktive Zusammenfassung als "ein Arbeitgeber" zur Folge. Der Gesetzeswortlaut lässt somit die Auslegung zu, dass im Rahmen der fiktiven Zusammenfassung jeder einzelne Arbeitgeber die bei ihm insgesamt vorhandenen Beschäftigungszeiten in eine Gesamtbetrachtung einzubringen hat. Dagegen ist eine Ausklammerung von Beschäftigungszeiten, die bei einem Arbeitgeber vor Erlangung der Konzernunternehmenseigenschaft zurückgelegt worden sind, nicht ausdrücklich vorgeschrieben.

Dass alle vom jeweiligen Arbeitnehmer insgesamt zurückgelegten Beschäftigungszeiten dann einzubeziehen sind, wenn ein Arbeitnehmer von einem Konzernunternehmen in ein anderes zum selben Konzern gehörendes Unternehmen wechselt, folgt aber aus dem Zweck des § 147a Abs 5 SGB III. Die Vorschrift, die dem früheren § 128 Abs 5 AFG bzw Abs 4 des Entwurfs entspricht, soll Umgehungsmöglichkeiten der juristischen Personen, die Konzernunternehmen iS des § 18 AktG sind, ausschließen und eine Zurechnung von Beschäftigungszeiten bei diesen Unternehmen zu dem Unternehmer ermöglichen, bei dem der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war (BT-Drucks 12/3211 S 26, zu Abs 4). Der Gesetzgeber will also Gestaltungen innerhalb eines Konzerns unterbinden, die zu einer Aufspaltung der erforderlichen Mindestbeschäftigungsdauer mit der Folge des Entfallens der Erstattungspflicht führen. Beim Wechsel eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers innerhalb eines Konzerns soll demnach der BA auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Prüfung erspart bleiben, ob der Wechsel auf eine Umgehung der Erstattungspflicht ausgerichtet ist; vielmehr sind typisierend und generalisierend alle Beschäftigungszeiten dem letzten Arbeitgeber zuzurechnen. Mit diesem Gesetzeszweck lässt sich aber eine Ausklammerung länger zurückliegender Beschäftigungszeiten nicht vereinbaren. Eine Sichtweise wie die des LSG würde gerade die Umgehungsmöglichkeiten eröffnen, die der Gesetzgeber verhindern wollte. Denn ein Konzernunternehmen könnte dann einen langjährig beschäftigten älteren Arbeitnehmer an ein anderes Konzernunternehmen im Zusammenwirken mit diesem abgeben und die Umstände der späteren Entlassung iS einer Vermeidung der Erstattungspflicht gestalten.

Die Einbeziehung auch der vor Erlangung der Konzernunternehmenseigenschaft zurückgelegten Zeiten folgt ferner aus Sinn und Zweck der Erstattungsregelung insgesamt. Mit der Anordnung der Erstattungspflicht gemäß § 147a SGB III bezweckt der Gesetzgeber vor allem, den Arbeitgeber zu veranlassen, ältere und langjährig beschäftigte Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen und nicht in die Arbeitslosigkeit mit anschließender Frühverrentung zu entlassen (vgl zur verhaltenssteuernden Funktion BVerfGE 81, 156 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 6 ff). Insoweit korrespondiert das besondere Schutzbedürfnis älterer und betriebstreuer Arbeitnehmer mit einer erhöhten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (vgl auch Urteil des Senats vom 3. Mai 2001, B 11 AL 85/00 R, juris RdNr 19; BSG SozR 4-4100 § 128 Nr 5 RdNr 16 mwN). Ist aber eine solche aus Alter und Betriebstreue des Arbeitnehmers resultierende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers besonders zu beachten, kann im Rahmen des § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III nicht angenommen werden, es seien bei einem in mehreren Konzernunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer einzelne Beschäftigungszeiten auszuklammern.

Soweit das LSG in diesem Zusammenhang der Auffassung ist, durch § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III solle mittelbar der Konzern belastet werden, eine Belastung der lediglich am 30. Juli 1998 als Kommanditistin eingetretenen M-AG erscheine aber mangels Verantwortung für bei der K-KG zurückgelegte Beschäftigungszeiten nicht angemessen, folgt ihm der Senat nicht. Denn abgesehen davon, dass entgegen der Formulierung des LSG nicht die M-AG selbst einen Konzern darstellt, sondern allenfalls herrschendes Unternehmen in einem Konzern ist, zielt § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III - wie ausgeführt - auf den Ausschluss von Umgehungsmöglichkeiten, die Konzernunternehmen offenstehen. Die dem Konzern vom Gesetzgeber mit § 147a Abs 5 Satz 1 SGB III zugewiesene Verantwortung gründet sich also bereits auf die Tatsache, dass ein langjährig beschäftigter älterer Arbeitnehmer innerhalb dieses Konzerns den Arbeitgeber wechselt, wobei § 147a Abs 5 Satz 2 SGB III aus Praktikabilitätsgründen die Zurechnung aller zurückgelegten Beschäftigungszeiten zum letzten Arbeitgeber ermöglicht. Gerade im Hinblick auf diese Verantwortung des Konzerns ist entgegen der Auffassung des LSG nicht zu erkennen, inwiefern eine Einbeziehung aller zurückgelegten Beschäftigungszeiten einen Verstoß gegen das Übermaßverbot iS der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 81, 156 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 12 ff) darstellen sollte.

d) Entscheidungserheblich ist somit, ob zur Zeit des Wechsels des Arbeitnehmers D von der K-KG zur Klägerin der frühere und der nachfolgende Arbeitgeber Konzernunternehmen iS des § 18 AktG waren. In Bezug auf die Klägerin ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG deren Eigenschaft als Konzernunternehmen iS des § 18 AktG nicht zweifelhaft. Zur Frage, ob die K-KG jedenfalls in der Zeit bis 31. Dezember 1998 Konzernunternehmen iS des § 18 AktG war, wird das LSG die noch notwendigen Feststellungen zu treffen haben. Die Tatsache, dass die M-AG in dieser Zeit als Kommanditistin die weitaus überwiegende Mehrheit der Einlagen hielt, könnte dafür sprechen, dass auch die K-KG ein von der M-AG abhängiges Unternehmen iS der §§ 16 Abs 1, 17 Abs 2 AktG war, so dass die Vermutung des § 18 Abs 1 Satz 3 AktG greifen könnte. Vom LSG ist allerdings auch zu prüfen, ob tatsächliche Umstände vorliegen, die die Vermutung widerlegen (vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2004, § 147a RdNr 94).

War die K-KG bis Ende 1998 Konzernunternehmen iS des § 18 AktG, ändert sich entgegen der Auffassung der Klägerin an der Einbeziehung aller Beschäftigungszeiten auch dann nichts, wenn die K-KG infolge des "Verkaufs" an die DIV mit Wirkung ab 1999 die Konzernzugehörigkeit verloren haben sollte. Denn nach Sinn und Zweck der Erstattungsvorschrift insgesamt wie der Regelungen des § 147a Abs 5 SGB III muss es beim nahtlosen Wechsel eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers von einem Unternehmen zum anderen ausreichen, dass zur Zeit der Beendigung des ersten Beschäftigungsverhältnisses beide Arbeitgeber Konzernunternehmen iS des § 18 AktG waren. Ein späterer Wegfall der Konzernunternehmenseigenschaft bei einem der beteiligten Arbeitgeber ändert nichts an der gebotenen Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten.

e) Sollte die K-KG auch in der Zeit bis Ende 1998 kein Konzernunternehmen iS des § 18 AktG gewesen sein, können die bei ihr zurückgelegten Beschäftigungszeiten nach den bislang getroffenen Feststellungen der Klägerin nicht zugerechnet werden. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass allein aus der im Anstellungsvertrag mit D vereinbarten Anrechnung der Betriebszugehörigkeit seit dem 1. November 1987 noch keine Übernahme der entsprechenden Verpflichtung gegenüber der BA folgt (vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. September 2008, L 1 AL 17/07, bei juris RdNr 29 ff). Bei Fehlen einer Konzernunternehmenseigenschaft der K-KG wäre unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im Rahmen der Revisionsbegründung in tatsächlicher Hinsicht noch aufzuklären, ob - wofür allerdings bislang konkrete Anhaltspunkte nicht zu erkennen sind - bezogen auf den nahtlosen Wechsel des D ein planmäßiges Zusammenwirken zwischen K-KG und Klägerin im Sinne einer Vermeidung der Erstattungspflicht vorliegen könnte.

4. Sollte nach dem Ergebnis der noch durchzuführenden Ermittlungen der Ausschlusstatbestand des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Buchst b nicht zu Gunsten der Klägerin eingreifen, ist noch die vom LSG nicht behandelte Frage zu beantworten, ob sich die Klägerin auf den Tatbestand des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III berufen kann (Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch sozial gerechtfertigte Kündigung). Dies kann nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl BSGE 93, 159, 161 ff = SozR 4-4100 § 128 Nr 3 S 5 f; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2004, § 147a RdNr 147).

5. Falls kein die Erstattungspflicht ausschließender Tatbestand eingreifen sollte, wird das LSG eindeutige Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Höhe der festgesetzten Erstattungsbeträge zu treffen haben.

6. Das LSG wird auch insgesamt über die Kosten einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.






BSG:
Urteil v. 07.10.2009
Az: B 11 AL 34/08 R


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