Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Juli 2002
Aktenzeichen: 25 W (pat) 246/01

(BPatG: Beschluss v. 18.07.2002, Az.: 25 W (pat) 246/01)

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Juni 1999 und vom 13. August 2001 aufgehoben, soweit die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet worden ist.

2. Die Widersprüche aus den Marken 1 070 322 und 1 188 306 werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Zeichen AIROLAN ist am 21. Februar 1997 für

"Arzneimittel, nämlich Atemwegstherapeutika"

in das Markenregister eingetragen worden.

Widerspruch erhoben haben die Inhaberin (Widersprechende I) der älteren, für

"ein Präparat zur Behandlung von Atemwegserkrankungen"

eingetragenen Marke Nr 1 070 322 AERODUR und die Inhaberin (Widersprechende II) der älteren, ua für

"Pharmazeutische Erzeugnisse"

eingetragenen Marke Nr 1 188 306 Aeromax.

Die Markenstelle für Klasse 5 hat in zwei Beschlüssen, wovon einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, auf Grund der Widersprüche aus den Marken 1 070 322 und 1 188 306 die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Es seien strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen, die von der angemeldeten Marke nicht erfüllt würden. Bei den Widerspruchszeichen sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen. Die Vergleichszeichen könnten zur Kennzeichnung identischer und rezeptfreier Arzneimittel verwendet werden. Im Gesamteindruck seien die Vergleichsmarken so ähnlich, dass bei identischen Waren eine klangliche Verwechslungsgefahr nicht auszuschließen sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke. Mit (sinngemäß) dem Antrag, die Beschlüsse der Markenstelle vom 15. Juni 1999 und 13. August 2001 aufzuheben und die Widersprüche aus den Marken 1 070 322 und 1 188 306 zurückzuweisen.

Die Marken wiesen sowohl schriftbildlich als auch klanglich so deutliche Unterschiede auf, dass keine Verwechslungsgefahr bestehe. Die Anfangsbestandteile der Marken (AIRO-, AERO-) seien verbraucht und kennzeichnungsschwach. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass in Deutschland in der Klasse 5 über 105 Markenrechte mit dem Wortanfang "AERO-" und 18 mit dem Wortanfang "AI-RO-" existierten. Die unterschiedlichen Wortenden würden stärker beachtet werden und einer Verwechslungsgefahr entgegenwirken.

Die Widersprechende I stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass bei identischen Waren eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken "AIROLAN" und "AERODUR" bestehe. Die Wortanfänge klängen gleich und die unterschiedlichen Wortendungen seien nicht ausreichend, um Verwechslungen zu verhindern. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Anfangsbestandteile "Aer" und "AIR" verbraucht seien. Die Rote Liste führe lediglich sieben weitere entsprechend gebildete Arzneimittel auf.

Die Widersprechende II stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Markenwörter "AIROLAN" und "Aeromax" könnten bei identischen Waren verwendet werden. Es sei von einer identischen Aussprache der Anfangsbestandteile auszugehen. Die Unterschiede in den Schlusssilben reichten nicht aus, Verwechslungen im Gesamteindruck zu verhindern.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die jeweils nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobenen Widersprüche sind gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückzuweisen, da nach Ansicht des Senats hinsichtlich beider Widerspruchsmarken keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht.

Der Senat geht bei seiner Entscheidung - wie bereits die Markenstelle - von einer noch durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken aus, auch wenn der jeweilige Anfangsbestandteil "AERO-" der Widerspruchsmarken als in Drittmarken desselben Indikationsgebietes (vgl Rote Liste 2002 (zB: AeroBec; Aerobin; Aerodesin; Aerodur; aeromax) und in den Fachbegriffen "Aerosole" und "Aerosoltherapie" enthaltenes Wortelement mit der Bedeutung "Luft" für Atemwegstherapeutika kennzeichnungsschwach ist sowie in zahlreichen in der Klasse 5 registrierten Marken enthalten ist, und die Silben "-dur" und "-max" beschreibende Anklänge (hart bzw dauerhaft; maximal) haben und bei Arzneimittelbezeichnungen ebenfalls öfter verwendet werden. Aus der Kennzeichnungsschwäche eines Wortbestandteils kann jedoch nicht ohne weiteres auf die allein maßgebende Kennzeichnungskraft der Gesamtbezeichnung geschlossen werden, zumal es bei pharmazeutischen Erzeugnissen sogar einer üblichen Praxis entspricht, Marken in der Weise zu bilden, dass diese als sogenannte sprechende Zeichen durch eine fantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fachmann erkennbarer Wirkstoff- und/oder Anwendungsangaben die stoffliche Beschaffenheit und /oder das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl BGH GRUR 1998, 815, 817 - Nitrangin). Die Wortbildungen weisen insgesamt jedenfalls keine relevante Kennzeichnungsschwäche auf.

Die angegriffene Marke und die beiden Widerspruchsmarken können sich bei identischen Waren begegnen, für die mangels Festschreibung einer Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen Laien als angesprochene Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind (vgl auch BGH MarkenR 2002, 49, 51 - ASTRA/ESTRA-PUREN). Auch insoweit ist allerdings davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTA-CHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 26. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal / Indohexal).

Auch wenn danach unter Berücksichtigung dieser Umstände zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG noch strenge Anforderungen an den von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand zu stellen sind, so ist die Ähnlichkeit der Widerspruchsmarken "AERODUR" und "Aeromax" mit der angegriffenen Marke "AIROLAN" nach Auffassung des Senats dennoch in keiner Richtung derart ausgeprägt, dass die Gefahr von Verwechslungen zu bejahen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Anfangsbestandteil "AE-RO/Aero" wegen der formalen Registerlage mit über 100 Zeichen mit dem Bestandteil "Aero", der Verwendung dieses Wortbestandteils in Arzneimittelbezeichnungen desselben Indikationsgebiets und in Fachausdrücken eine erhebliche Kennzeichnungsschwäche anhaftet. Einer klanglichen Identität oder Ähnlichkeit der Anfangsbestandteile der Vergleichsmarken kann daher bei der Gesamtbeurteilung kein zu starkes Gewicht beigemessen werden.

Es ist damit zu rechnen, dass die Anfangsbestandteile der jeweiligen Vergleichsmarken "Airo-" und "Aero-" von weiten Verkehrskreisen identisch ausgesprochen werden, nämlich wie "äro". Das Wort "air" ist das englische, auch den deutschen Verkehrskreisen bekannte Wort für "Luft". Bei einer Buchstabenkombination "ae" ist ebenfalls mit einer Aussprache wie "ä" zu rechnen. Doch selbst wenn von beachtlichen Verkehrskreisen "aero" eher wie "aero" ausgesprochen wird, verschleifen sich die Anfangsvokale im Gesamtklangbild zu einem dem Laut "ä" sehr ähnlichen Klangbild. Da der Bestandteil "Air" bzw "aero" bei Atemwegstherapeutika als Hinweis auf "Luft" einen Indikationshinweis oder Wirkungshinweis enthält und zudem in anderen Arzneimittelbezeichnungen in der Roten Liste enthalten ist, wird der Verkehr jedoch verstärkt auch auf die übrigen Zeichenbestandteile achten. Die klanglichen Abweichungen in ihrer Gesamtheit sorgen für eine hinreichende Differenzierung des jeweiligen Gesamteindrucks der Wörter und gewährleisten bei der angegriffenen Marke zu den Widerspruchsmarken ein noch hinreichend sicheres Auseinanderhalten. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Verkehrsauffassung erfahrungsgemäß eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird (st Rspr, vgl EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints).

Die angegriffene Marke "AIROLAN" und die Widerspruchsmarke "AERODUR" weisen zwar klanglich, wenn man "AIRO"/"AERO" wie "ÄRO" ausspricht, die gleiche Silbenzahl und den gleichen Zeichenanfang auf. Jedoch ist die Vokal- und die Konsonantenfolge in den Zeichen so verschieden, dass die Marken selbst aus der ungenauen Erinnerung heraus nicht verwechselt werden. Wegen des beschreibenden Gehalts der Zeichenanfänge wird der Verkehr die klanglichen Unterschiede in den jeweils letzten Silben beachten und diese Silben nicht als bloße Endungen vernachlässigen. Die Silbe "lan" beginnt mit dem Seitenlaut "l", gefolgt von dem eher hellen Vokal "a" und dem Nasenlaut "n". Die Silbe "dur" dagegen beginnt mit dem Verschlusslaut "d", gefolgt von dem dunklen Vokal "u" und einem vokalisch ausgesprochenen "r".

Von der Widerspruchsmarke "Aeromax" hält die angegriffenen Marke "AIROLAN" den erforderlichen Zeichenabstand ebenfalls ein. Bei identischer Aussprache der Anfangsbestandteile weisen die Marken zwar die gleiche Silbenzahl und die gleiche Vokalfolge auf, jedoch werden auch hier die letzten Silben im Gesamtklangbild wegen des beschreibenden Gehalts der Anfangsbestandteile besonders beachtet. Dabei fällt im Gesamtklangbild besonders der Laut "x" auf, der hart, zischend und klangstark gegenüber den weichen Konsonanten, die in den übrigen Teilen der Marken verwendet werden, nicht zu überhören ist, und auch im Erinnerungsbild nicht verblasst.

Ebenso weist die angegriffene Marke im Schriftbild von den beiden Widerspruchsmarken einen hinreichenden Abstand auf, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen, zumal insoweit zu den auffälligen Abweichungen in den Endbestandteilen noch die unterschiedliche Schreibweise in den Anfangssilben hinzukommt. Die Summe der in den Marken "AIROLAN" und in den Widerspruchsmarken "AERO-DUR" und "Aeromax" unterschiedlichen Buchstaben bewirkt ein deutlich unterschiedliches Schriftbild der jeweiligen Vergleichsmarken.

Eine Verwechslungsgefahr aus anderen Gründen ist ebenfalls nicht ersichtlich und wurde von den Widersprechenden auch nicht geltend gemacht.

Nach alledem war der Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke stattzugeben, die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 aufzuheben und die Widersprüche zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Brandt Bayer Pü






BPatG:
Beschluss v. 18.07.2002
Az: 25 W (pat) 246/01


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