Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 6. Juli 2009
Aktenzeichen: AnwZ (B) 81/08

(BGH: Beschluss v. 06.07.2009, Az.: AnwZ (B) 81/08)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist nach Tätigkeit im Bezirk der Rechtsanwaltskammer D. seit dem 9. Juli 2007 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwalt zugelassen. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 1. November 2007 gab diese dem Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten der Amtsärztin des Landkreises S. Dipl. med. M. darüber vorzulegen, ob er nach den in einem Vermerk des Polizeipräsidiums M. vom 26. Februar 2007 festgehaltenen Vorkommnissen gesundheitlich in der Lage sei, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Sie setzte ihm ein Frist zur Vorlage des Gutachtens bis zum 14. Dezember 2007 und, nach Abschluss des gegen diese Anordnung geführten Gerichtsverfahrens vor dem Anwaltsgerichtshof, mit Schreiben vom 31. Januar 2008 eine neue Frist bis zum 3. März 2008. Das angeforderte Gutachten legte der Antragsteller nicht vor. Mit Bescheid vom 20. März 2008 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft, weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht imstande sei, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Das werde nach Versäumung der Frist zur Vorlage des Gutachtens vermutet.

Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit welcher dieser die Aufhebung des Widerrufs erreichen will. Die Antragsgegnerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Der Senat kann in der Sache entscheiden. An der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs hat zwar ein berufsrichterliches Mitglied mitgewirkt, das nicht mehr ständiges Mitglied des Oberlandesgerichts N. ist. Das ändert aber an der ordnungsgemäßen Besetzung des Anwaltsgerichtshofs nichts.

a) Der Anwaltsgerichtshof ist nach § 101 Abs. 1 BRAO mit dem Präsidenten, weiteren Vorsitzenden und Rechtsanwälten und Berufsrichtern besetzt. Diese Besetzung wäre nicht eingehalten, wenn das berufsrichterliche Mitglied den für die Mitwirkung im Anwaltsgerichtshof erforderlichen Status als Berufsrichter verloren hätte. Das ist für ein anwaltliches Mitglied des Anwaltsgerichts entschieden, das infolge Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft seinen Status als Rechtsanwalt verloren hat (AGH Koblenz, BRAK-Mitt. 1996, 209, 210; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 94 Rdn. 1). In der Sache genauso liegt es bei dem Beamtenbeisitzer einer Disziplinarkammer nach Eintritt in den Ruhestand (OVG Münster, NJW 1992, 1124). Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Das berufsrichterliche Mitglied des Anwaltsgerichtshofs ist Berufsrichter geblieben; geändert hat sich nur sein Amt, nicht sein Status.

b) Dieses Ergebnis wird durch den inzwischen ausgelaufenen § 3 Abs. 3 RPflAnpG bestätigt. Diese durch Gesetz vom 7. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1590) mit Wirkung vom 1. Januar 1996 in Kraft gesetzte Norm erlaubte es, in den neuen Ländern bis zum Ablauf des 31. Dezember 1996 für vier Jahre auch Berufsrichter aus anderen Gerichten zu berufsrichterlichen Mitgliedern der Anwaltsgerichtshöfe zu bestellen. Diese Norm ging davon aus, dass die so bestellten Mitglieder der Anwaltsgerichtshöfe über den 31. Dezember 1996 hinaus bis zum Ablauf des Bestellungszeitraums Mitglieder der Anwaltsgerichtshöfe blieben. Danach mussten die Bestellungsvoraussetzungen nur bei der Bestellung, nicht aber während des gesamten Bestellungszeitraums gegeben sein.

c) Bei den anwaltlichen Beisitzern ist das nach §§ 95 Abs. 1a, 103 Abs. 3 BRAO allerdings anders. Ihr Amt endet vorzeitig, wenn bei fortbestehendem Status bestimmte, dort näher bezeichnete Berufungsvoraussetzungen wegfallen. Vergleichbare Vorschriften für die berufsrichterlichen Mitglieder gibt es nicht. Diese Vorschriften können auf die berufsrichterlichen Mitglieder auch nicht entsprechend angewendet werden. Die Beendigungsgründe der §§ 95 Abs. 1a, 103 Abs. 3 BRAO stellen nämlich sicher, dass dem Anwaltsgericht und dem Anwaltsgerichtshof kein anwaltliches Mitglied angehört, dessen Mitwirkung den gesetzlichen Inkompatibilitätsregelungen widerspricht. Solche Regelungen gibt es für die berufsrichterlichen Mitglieder nicht. Sie können die danach mit dem Richteramt im Anwaltsgericht(shof) nicht vereinbaren Ämter und Funktionen nicht innehaben, weil diese nur Rechtsanwälten offen stehen.

d) An diesem Ergebnis ändert es nichts, dass die berufsrichterlichen Mitglieder des Senats für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs ebenso wie die Mitglieder der Notarsenate des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte (zu diesen: Schippel/Bracker/Lemke, BNotO, 8. Aufl., § 102 Rdn. 2 am Ende) aus diesem Amt ausscheiden, wenn sie nicht mehr ständige Mitglieder des Bundesgerichtshofs (der Oberlandesgerichte) sind. Dieser Unterschied beruht auf dem unterschiedlichen Charakter dieser Richterämter. Die Mitwirkung der berufsrichterlichen Mitglieder in dem Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs ist ebenso wie die in den Notarsenaten des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte Teil des richterlichen Hauptamts der dort eingesetzten Richter. Diese Senate sind nämlich Senate des Bundesgerichtshofs bzw. der Oberlandesgerichte. Demgegenüber ist der Anwaltsgerichtshof ein eigenständiges, wenngleich "bei dem Oberlandesgericht" eingerichtetes (§ 100 Abs. 1 Satz 1 BRAO), Gericht. Die Mitwirkung dort kann deshalb nicht Teil des richterlichen Hauptamts der dort eingesetzten Richter sein. Es ist ein richterliches Nebenamt (Feuerich/Weyland, aaO § 102 Rdn. 4), dessen Bestand nach erfolgter Bestellung von dem Bestand des Hauptamts unabhängig ist.

2. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet. Wenn es zur Entscheidung über den Widerruf der Zulassung nach dieser Vorschrift erforderlich ist, gibt die Rechtsanwaltskammer nach § 16 Abs. 3a Satz 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAO dem Bewerber auf, innerhalb einer von ihr zu bestimmenden angemessenen Frist das Gutachten eines von ihr bestimmten Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Wird das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der von der Rechtsanwaltskammer gesetzten Frist vorgelegt, so wird nach § 16 Abs. 3a Satz 2 BRAO gesetzlich vermutet, dass der Rechtsanwalt aus dem gesundheitlichen Grund gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, der durch das Gutachten geklärt werden soll, nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben.

3. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.

a) Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mit Bescheid vom 1. November 2007 aufgefordert, ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Diese Anordnung war, was nach dem Beschluss des Anwaltsgerichtshofes über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diese Anordnung nach § 16 Abs. 3a Satz 1, § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAO feststeht, rechtmäßig, weil eine Untersuchung des Gesundheitszustands des Antragstellers nach den in dem Bericht des Polizeipräsidiums M. vom 26. Februar 2007 geschilderten Vorkommnissen sachlich geboten und eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers zur Feststellung der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO erforderlich war.

b) Diese Gutachtenanordnung genügte auch den Bestimmtheitsanforderungen des § 16 Abs. 3a Satz 1, § 8 Abs. 1 BRAO.

aa) Die Antragsgegnerin hat darin, wie geboten (dazu Senat, Beschl. v. 23. September 2002, AnwZ (B) 56/01, NJW 2003, 215) die mit der Untersuchung zu beauftragende Ärztin namentlich bezeichnet. Ihre Anordnung war auch inhaltlich ausreichend bestimmt. Eine Gutachtenanordnung muss erkennen lassen, mit welchen Fragen zum Gesundheitszustand des Rechtanwalts sich der Gutachter befassen soll (EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221). Diese Fragen hat die Antragsgegnerin in der Gutachtenanordnung zwar nicht im Einzelnen benannt. Das nimmt ihr aber nicht die erforderliche Bestimmtheit.

Die Formulierung solcher Fragen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Begutachtung an ein konkretes tatsächliches Geschehen anknüpft, das sich selbst erklärt und die anstehenden Fragen auch ohne zusätzliche Verbalisierung klar zutage treten lässt. Dieser Sonderfall liegt hier vor.

Die Gutachtenanordnung knüpft an die in dem Bericht des Polizeipräsidiums geschilderten Vorkommnisse an. Diese Vorkommnisse lassen den Gegenstand der Untersuchung auf den ersten Blick erkennen, ohne dass die zu beantwortenden Fragen zusätzlich in Worte gefasst oder erläutert werden müssten. Danach besteht der dringende Verdacht, dass der Antragsteller unter einem nicht mehr tolerablen, durch eine Depression, depressive Verstimmung oder andere Erkrankung bedingten Realitäts- und/oder Antriebsverlust leidet. Dass die Antragsgegnerin dieser Frage nachgehen will, kommt in der Anordnung hinreichend deutlich zum Ausdruck.

bb) Die Antragsgegnerin hatte den Antragsteller vor Erlass der Gutachtenanordnung angehört und ihm dazu den Vermerk des Polizeipräsidiums M. vom 26. Februar 2007 mit der Aufforderung zugeleitet, sich zu den darin sehr plastisch beschriebenen Vorkommnissen zu äußern. Zur Begründung ihrer Gutachtenanordnung hatte sie hierauf sowie ergänzend darauf Bezug genommen, dass sich die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer des Landes Sachsen-Anhalt wegen dessen mangelnder Mitwirkung verzögert habe. Aus diesen Vorkommnissen leitet die Antragsgegnerin in dem Bescheid die Besorgnis ab, der Antragsteller könne nicht mehr imstande sein, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Sie verweist dazu ausdrücklich auch auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, aus dem sich der Maßstab für die anzustellende Prüfung ergibt. Damit war für die zu beauftragende Ärztin klar, dass sie sich mit diesen Vorkommnissen befassen und feststellen sollte, ob sich aus den in dem Bericht geschilderten Vorgängen ein Realitäts- und/oder Antriebsverlust mit Krankheitswert ergibt, die den Antragsteller nicht nur vorübergehend außer Stande setzt, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben. Die Antragsgegnerin brauchte sich dazu nicht auf einen bestimmten Erkrankungsverdacht festzulegen. Sie war auch nicht gehalten, Fragen nach konkret bezeichneten Krankheitsbildern zu stellen. Die ärztliche Einordnung und Bewertung der Verdachtsumstände ist Aufgabe des zu beauftragenden Arztes, nicht der Rechtsanwaltskammer.

c) Gegen den Antragsteller stritt bei Erlass des Widerrufsbescheids nach § 16 Abs. 3a Satz 2 BRAO die gesetzliche Vermutung, dass er aus den in dem Gutachten beschriebenen gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend außer Stande ist, den Beruf des Rechtanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Der Antragsteller hat das ihm aufgegebene Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt.

aa) Der Antragsteller verteidigt die Nichtvorlage des Gutachtens damit, dass die zugrunde gelegten Tatsachen nicht zuträfen und die zu beauftragende Amtsärztin für ihn nicht zuständig sei. Das sind keine zureichenden Gründe.

bb) Dem ersten Einwand steht die Bestandskraft der Gutachtenanordnung entgegen. Eine Gutachtenanordnung darf zwar nicht ergehen, wenn die Rechtsanwaltskammer keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür hat, den Gesundheitszustand des Rechtsanwalts überprüfen zu lassen. Eine gleichwohl ergangene Gutachtenanordnung kann der Rechtanwalt aber nach § 16 Abs. 3a Satz 1, § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAO zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Unterlässt er das oder hat ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung, wie hier, keinen Erfolg, muss er der Gutachtenanordnung Folge leisten. Mit einem Angriff gegen die Tatsachengrundlage der Anordnung kann er nicht mehr die Nichtvorlage des Gutachtens entschuldigen und das Eingreifen der Vermutung verhindern.

cc) Der zweite Einwand ist unbegründet. Die Amtsärzte im Land Sachsen-Anhalt nehmen nach § 17 des Gesundheitsdienstgesetzes des Landes (GDG LSA - vom 21. November 1997, GVBl. LSA S. 1023, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Februar 2008, GVBl. LSA S. 68, 153) in den durch Rechtsvorschriften geregelten Fällen Untersuchungen vor und erstellen unter anderem Gutachten auf Grund solcher Untersuchungen. Nach § 19 Abs. 2 Satz 3 GDG LSA wird diese Aufgabe vorbehaltlich hier nicht gegebener Sonderzuständigkeiten von den Amtsärzten der Gesundheitsämter der Landkreise wahrgenommen. Diese sind nach §§ 2 Abs. 1 und 5 Abs. 1 der Landkreisordnung von Sachsen-Anhalt jeweils für ihr Gebiet zuständig. Daher kommt es bei einer Gutachtenanordnung nicht darauf an, wo der Rechtsanwalt melderechtlich seinen Wohnsitz hat. Maßgeblich ist vielmehr, wo er seine Kanzlei hat. Das aber ist das Gebiet des S. kreises, dessen Amtsärztin das Gutachten erstellen sollte.

d) Die gegen ihn streitende Vermutung hatte der Antragsteller bei Erlass des Widerrufsbescheids nicht widerlegt.

4. Die Voraussetzungen des Widerrufs sind auch nicht, was zu berücksichtigen wäre (Senat, BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150 für Widerruf wegen Vermögensverfalls), im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens entfallen. Der Antragsteller hat die gegen ihn streitende Vermutung nach wie vor nicht widerlegt.

a) Der Antragsteller hat auch im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand nicht vorgelegt. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die in dem der Gutachtenanordnung zugrunde liegenden Bericht des Polizeipräsidiums geschilderten Anknüpfungstatsachen zu bestreiten. Das genügt nicht.

b) Eine der Anknüpfungstatsachen ist der Bericht über die durch das Strafgericht angeordnete Durchsuchung der Kanzleiräume des Antragstellers. Die Durchsuchung war angeordnet worden, weil der Antragsteller eine Strafverfahrensakte nicht zurückgereicht hatte, obwohl ihn das Strafgericht nachhaltig dazu angehalten hatte. Die Strafakte wurde bei der Durchsuchung in einer Kammer in einem ungeöffneten Paket gefunden. Dieses will der Antragsteller zwar nicht entgegengenommen haben. Wie es aber anders in seine Kanzlei gekommen sein könnte und weshalb der Antragsteller weder die Nachfragen des Gerichts noch die Durchsuchungsanordnung zum Anlass genommen hat, nach der Akte zu forschen, dafür gibt der Antragsteller keine Erklärung. Eine Erklärung dafür ist auch sonst nicht ersichtlich. Das Bestreiten des Antragstellers steht zudem im Widerspruch zu seinem Vortrag vor dem Anwaltsgerichtshof. Dort hatte der Antragsteller vorgetragen, sein Bruder habe ihn während der Durchsuchung zweimal angerufen und nach der Akte gefragt. Beim ersten Anruf habe er ihm gesagt, er habe die Akte zurückgeschickt. Beim zweiten Anruf habe er seinem Bruder den Wunsch verwehrt, ein großes Paket zu öffnen, um zu sehen, ob sich die Akte darin befinde. Darüber habe sich sein Bruder hinweggesetzt und die Akte in diesem Paket gefunden.

c) Dieser Vorgang belegt eine weitere Anknüpfungstatsache. Der Bruder des Antragstellers hatte nach dem Polizeibericht dessen Verfasser gegenüber die Einschätzung geäußert, sein Bruder werde mauern, wenn der Berichtsverfasser ihn nach der Akte frage; deshalb empfehle sich, dass er, der Bruder, dies übernehme. Das Verhalten des Antragstellers bestätigt diese Einschätzung und damit auch den bei dem Antragsteller eingetretenen Realitäts- und/oder Antriebsverlust.

d) Dem entspricht die Feststellung des Berichtsverfassers, der Antragsteller schotte sich nach den Angaben von (nicht namentlich genannten) Nachbarn und ehemaligen Geschäftspartnern von der gesamten Umgebung außerhalb seiner Familie in nahezu krankhafter Weise ab. Das bestreitet der Antragsteller und beruft sich darauf, ihm seien die Namen der Nachbarn und ehemaligen Geschäftspartner nicht genannt worden. Das war indessen nicht geboten, weil der Berichtsverfasser auch den Bruder des Antragstellers zu diesen Feststellungen befragt und dieser nach dem Bericht diese Feststellungen in vollem Umfang bestätigt hat. Dazu gehört auch die Feststellung, dass seine Familie seit langer Zeit vergeblich versuche, den Antragsteller dazu zu bewegen, sich in ärztliche Behandlung zu begeben.

e) Eine letzte Anknüpfungstatsache ist schließlich der Umstand, dass der Verfasser des Berichts in den Kanzleiräumen des Antragstellers ungeordnete Akten, teilweise seit Monaten ungeöffnete Anwalts- und Gerichtspost und andere Korrespondenz vorgefunden und die Strafakte, deren Auffinden die Durchsuchung galt, erst nach langem Suchen in einer Kammer unausgepackt entdeckt hat. Diesen Befund erklärt der Antragsteller zwar mit dem Umzug seiner Kanzlei von M. nach B. . Das überzeugt schon im Ansatz nicht. Die früheren Kanzleiräume stehen nicht leer und werden auch nicht von unbekannten Dritten, sondern von dem Bruder des Antragstellers genutzt. Die vorgefundene Post ist deshalb nur damit zu erklären, dass der Antragsteller sich zumindest nicht um ein Nachsenden der Post gekümmert hat. Hinzu kommt, dass die Post teilweise schon seit Monaten ungeöffnet war, was durch eine umzugsbedingte Störung und einen versäumten Nachsendeauftrag nicht zu erklären ist. Dies wiederum bestätigt die in dem Bericht festgehaltenen Aussagen der Nachbarn und Geschäftspartner, denen zufolge der Antragsteller seine frühere Kanzlei schon seit langer Zeit nicht mehr aufgesucht und Post in ähnlicher Weise schon früher ignoriert hat. Auch das hat der Bruder des Antragstellers dem Verfasser des Polizeiberichts bestätigt.

5. Anhaltspunkte dafür, dass ein Verbleiben des Antragstellers in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet, bestanden und bestehen nicht. Der Anlass des Verfahrens, nämlich die Notwendigkeit einer Durchsuchungsanordnung, um die Strafakten wiederzuerlangen, die ungeöffnete Post und die dem Antragsteller zuzuschreibenden Verzögerungen bei der Bearbeitung seines Zulassungsantrags an die Antragsgegnerin belegen das Gegenteil. Daher können sich weder die Organe der Rechtspflege noch die Rechtsuchenden darauf verlassen, dass der Antragsteller ihre Schreiben und Anliegen gewissenhaft betreut. Das kann nicht hingenommen werden.

6. Der Senat konnte mündlich verhandeln und in der Sache entscheiden, weil der ordnungsgemäß geladene Antragsteller seine Abwesenheit nicht hinreichend entschuldigt hat.

Ganter Ernemann Schmidt-Räntsch Lohmann Martini Quaas Braeuer Vorinstanzen:

AGH Naumburg, Entscheidung vom 30.05.2008 - 1 AGH 6/08 -






BGH:
Beschluss v. 06.07.2009
Az: AnwZ (B) 81/08


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