Bundespatentgericht:
Urteil vom 25. Januar 2011
Aktenzeichen: 3 Ni 26/09

(BPatG: Urteil v. 25.01.2011, Az.: 3 Ni 26/09)

Tenor

I. Das europäische Patent 0 399 320 wird im Umfang des Anspruchs 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 1/5, die Klägerin 4/5.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 12. Mai 1990 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und inzwischen erloschenen europäischen Patents 0 399 320 (Streitpatent), das vom DPMA unter der Nummer 590 09 972 geführt wird und die Priorität der Anmeldung DE 39 17 045 vom 25. Mai 1989 in Anspruch nimmt. Das Patent betrifft "Glasfasern mit erhöhter biologischer Verträglichkeit" und umfasst in der Fassung, in der es im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt aufrechterhalten worden ist, drei Patentansprüche, von denen nur noch die Ansprüche 1 und 2 verteidigt werden. Diese lauten in der Verfahrenssprache Deutsch:

"1. Verwendung der Glasfasern mit der folgenden in Mol-% angegebenen Glaszusammensetzung:

SiO2 55-70 vorzugsweise 58-65 B203 0-5 vorzugsweise 0-4 AI203 0-3 vorzugsweise 0-1 TiO2 0-6 vorzugsweise 0-3 Eisenoxide 0-2 vorzugsweise 0-1 MgO 1-4 CaO 8-24 vorzugsweise 12-20 Na2O 10-20 vorzugsweise 12-18 K2O 0-5 vorzugsweise 0,2-3 Fluorid 0-2 vorzugsweise 0-1 und die einen Durchmesser von < 8 µm besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 µm aufweisen, als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, wobei die Anteile von TiO2, BaO, ZnO, SrO, ZrO2 < 1 Mol%, betragen.

2. Verwendung der Glasfasern nach Anspruch 1 und mit einem mittleren Durchmesser von < 2 µm, wobei folgende zusätzliche Bedingungen für die molaren Anteile von AI2O3, B2O3, CaO und Na2O gelten:

AI203

< 1 Mol-%

< 4 Mol-%

B203 CaO

> 11 Mol-%

Na2O

> 4 Mol-%"

Als Nichtigkeitsgründe macht die Klägerin zum Einen eine unzulässige Erweiterung geltend, da der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe und dem Streitpatent daher auch nicht die in Anspruch genommene Priorität zukomme. Insbesondere bedeute die Aufnahme des Merkmals "Durchmesser von < 8 µm" statt des ursprünglich offenbarten Merkmals "mittlerer Durchmesser von < 8 µm" eine Erweiterung. Die Verwendung nach dem Streitpatent beruhe zum Anderen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Außerdem sei im Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf folgende Dokumente:

K2 EP 0 399 320 B2 (Streitpatent), K3/ D4 Bayer Produktinformation "Bayer-Microglasfasern für den technischen Einsatz", 9 Seiten, Stand: Juli 1987, K4 IARC Monographs programme on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans, Preamble S. 15 bis 32; Volume 43, Publication represents the views and expert opinions of an IARC Working Group on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans, which met in Lyon,16-23 June 1987, 1988, Inhaltsangabe, S. 33 bis 35 und S. 106 bis 123, K5/ D7 Bayer Produktinformation "Bayer-Microglasfasern für den technischen Einsatz", 9 Seiten, Stand: Februar 1989, K6/ D8 Pott, F. et al, "Kanzerogenität von Glasfasern mit unterschiedlicher Beständigkeit", Zbl. Hyg. 189, S. 563 bis 566 (1990), K7 EP0399320A1, K8 EP0399320B1, K9 dem Streitpatent zugrunde liegende Anmeldungsunterlagen, K10 IARC Monographs, Volume 81, 2002, S. 338 und 339, K11 Tabelle: Vergleich Glaszusammensetzung Streitpatent mit Zusammensetzung der Faser ATF 3101 der K3/D4.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 399 320 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte, die das Streitpatent nur noch im Umfang der Ansprüche 1 und 2 verteidigt beantragt insoweit, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gehe nicht über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die Aufnahme des Merkmals "Durchmesser von < 8 µm" statt des Merkmals "mittlerer Durchmesser von < 8 µm" in der ursprünglichen Offenbarung sei zulässig, weil der Begriff des mittleren Durchmessers den Durchmesser < 8 µm umfasse.

Gründe

Die auf die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, mangelnder Patentfähigkeit sowie mangelnder Ausführbarkeit des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit c EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ und Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Insbesondere ist das nach dem Erlöschen des Streitpatents erforderliche Rechtschutzbedürfnis gegeben, da eine Verletzungsklage vor dem Landgericht Mannheim anhängig ist.

Soweit die Beklagte das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung im Umfang des geltenden Anspruchs 3 nicht mehr verteidigt, war es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (zurst. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 404, 405 -Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 83 Rdn. 45 m. w. Nachw.; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 81 Rdn. 132).

Im Übrigen ist die Klage nicht begründet.

I.

1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von Glasfasern mit erhöhter biologischer Verträglichkeit.

Seit dem Ende der fünfziger Jahre ist die krebserzeugende Wirkung von Asbest nachgewiesen. In jüngerer Zeit haben weitere Forschungsaktivitäten zu der Erkenntnis geführt, dass die Kanzerogenität nicht nur auf Asbest beschränkt ist, sondern dass grundsätzlich faserige Stäube, die in der Form von langgestreckten Partikeln vorliegen, krebserzeugende Wirkungsmechanismen in Gang setzen können, die sich deutlich von der Kanzerogenese anderer chemischer Substanzen oder ionisierender Strahlung unterscheiden. Aus Gründen des Gesundheitsund Arbeitsschutzes beim Umgang mit faserigen Stäuben gibt es seit den sechziger Jahren eine wissenschaftlich anerkannte Definition einer inhalierbaren Faser, die toxikologisch wirksam sein kann. Diese Definition bezieht sich auf eine unter dem Lichtmikroskop erkennbare Faser mit einem geometrischen Durchmesser von <3 µm, einer Länge >5 µm und einem Längen/Durchmessermesserverhältnis von mehr als 3 : 1.

Künstliche Mineralfasern, wie Glasfasern, Basaltfasern, Schlackenfasern und Keramikfasern, die u. a. in Form von Kurzfasern hergestellt werden, können ebenfalls unter diese Definition fallen. Bei vielen technischen Anwendungen werden bevorzugt solche künstlichen Mineralfasern (KMF) eingesetzt, deren geometrischer Durchmesser noch deutlich kleiner ist als 3 µm, z. B. sogenannte Mikroglasfasern aus C-und E-Gläsern, die Faserdurchmesser zwischen 0,1 µm und 5 µm besitzen. Auch KMF für Isolationszwecke, die nach bekannten Verfahren wie z. B. Schleuderkorbverfahren,






BPatG:
Urteil v. 25.01.2011
Az: 3 Ni 26/09


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