Sozialgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 4. April 2008
Aktenzeichen: S 4 KR 28/08 ER

(SG Düsseldorf: Beschluss v. 04.04.2008, Az.: S 4 KR 28/08 ER)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin (AS) begehrt, der Antragsgegnerin (AG) zu untersagen, Mitglieder oder Versicherte aufzunehmen, ohne dass der AG eine Kündigungsbestätigung oder sonstige Bestätigung der abgebenden Krankenkasse vorgelegt wird, dass die Bindungsfrist erfüllt ist.

X (X), geb. 00.00.1982, war vom 01.04.2006 bei der AS als Studentin in der Krankenversicherung der Studenten bis zur Exmatrikulation am 30.09.2007 pflichtversichert.

Mit Schreiben vom 04.10.2007 teilte X der AS mit, dass sie vom 01.10.2007 bis 01.11.2007 bei der AG über ihre Eltern familienversichert wäre.

Am 01.11.2007 nahm X beim Bankhaus M KG eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Mit Schreiben vom 15.10.2007 teilte die AG dem Arbeitgeber mit, dass X ab 01.11.2007 Mitglied der AG sei und der Arbeitgeber die X bei der AG anmelden möge. Der AS wurde der Krankenkassenwechsel weder angezeigt noch ging bei der AS eine Kündigung der Mitgliedschaft durch die Versicherte ein.

Die AS forderte daraufhin die AG mit Schreiben vom 05.11.2007 und 21.02.2008 auf, die Mitgliedschaft zu stornieren: Die X hätte ihre Mitgliedschaft bei der AS nicht gekündigt und die AG hätte die Versicherte nicht ohne Kündigungsbestätigung aufnehmen dürfen; gemäß § 175 Absatz 2 Satz 2 SGB V hätte die AG die Mitgliedsbescheinigung nur ausstellen dürfen, wenn vorher eine Kündigungsbestätigung vorgelegt worden wäre. Die Versicherung sei daher ab 01.11.2007 bei der AS durchzuführen.

Die AG lehnte mit Schreiben vom 25.02.2008 eine Stornierung der Mitgliedschaft ab: Nach dem Urteil des BSG vom 13.06.2007 (B 12 KR 19/06 R) bedürfe es keiner Kündigung, wenn die Mitgliedschaft kraft Gesetzes ende und es bestünde ein Wahlrecht, wenn die Bindungsfrist bei der letzten Krankenkasse bereits abgelaufen sei und zwischen den beiden Versicherungsverhältnissen ein Anspruch aus Familienversicherung bestanden habe.

Die AS hat daraufhin am 29.02.2008 beim Sozialgericht Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das vom BSG im genannten Urteil geschaffene Verfahren sei insofern höchst gefährlich, da die abgebende Krankenkasse nicht prüfen könne, ob die Voraussetzungen für einen Kassenwechsel vorlägen. Zwar sei dem BSG zuzustimmen, dass ein Familienversicherter die Mitgliedschaft nicht kündigen könne, da eine Mitgliedschaft nicht bestehe. Das BSG hätte jedoch das Verfahren nicht in Gänze kippen dürfen, sondern hätte den Begriff der Kündigung gesetzeskonform auslegen müssen: Nach Auffassung der AS sei im Rahmen teleologischer Reduktion zumindest die Vorlage einer "Wechselabsichtserklärung" erfoderlich. Nur so könnte die abgebende Krankenkasse prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Wechsel vorliegen und sei in der Lage, die nach § 175 Abs. 2 Satz 2 SGB V erfoderliche (Kündigungs-) Bestätigung abzugeben.

Nur diese Rechtsauffassung entspreche der "Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 15.03.2006 (Punkt 5.5.4. - Beispiel 12 - und Punkt 5.5.5.): Sei die 18-monatige Bindungsfrist in der früheren Krankenkasse erfüllt und schließe sich eine Familienversicherung an, so lebe die frühere Mitgliedschaft nach dem Ende der Familienversicherung wieder auf.

Mit Beginn des neuen Pflichtversicherungsverhältnisses könne der Versicherte die wieder aufgelebte Mitgliedschaft kündigen. Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V werde die Kündigung dann zum Ablauf des übernächsten Monats wirksam. Um eine Besserstellung des Statuswechslers (Versicherungspflichtiger mit anschließender Familienversicherung) mit dem Statusstabilen (durchgehend Versicherungspflichtiger oder aufeinanderfolgende Versicherungspflichten) zu vermeiden, könne daher einem Familienversicherten, der vor der Familienversicherung mindestens 18 Monate pflichtversichert war, ein Wechsel- bzw. Wahlrecht frühestens nach 3-monatiger Familienversicherung eingeräumt werden.

Das Verhalten der AG sei nicht nur rechtswidrig, sondern - entsprechend dem Maßstab aus §§ 1, 3 UWG - auch wettbewerbswidrig. Die Durchführung unzulässiger Mitgliedschaften und die Werbung mit rechtswidrigen Aussagen stellten unlautere Wettbewerbshandlungen dar. Die AG berate Versicherte der AS irreführend und bringe sie zu einem Kassenwechsel. Die zivilrechtlichen Regelungen des UWG seien auf die öffentlichrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen entsprechend anzuwenden.

Mit Schreiben vom 19.03.2008 hat die AS noch einen zweiten Fall angeblich rechtswidriger Mitgliedschaftsaufnahme durch die AG dargelegt: Den der Versicherten B C.

Es bestehe auch ein Anordnungsgrund: Der durch die Neuregelung der §§ 173 eröffnete Wettbewerb zwischen den Krankenkassen erfordere rasche Abwehr unlauterer Wettbewerbshandlungen. Den rechtstreuen Kassen sei nicht zuzumuten, die Nachteile, die aus unzulässigen Wettbewerbshandlungen erwachsen, längere Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung hinzunehmen.

Die AS beantragt:

1.Der Antragsgegnerin wird bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 50.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

- Versicherte oder Mitglieder der Antragstellerin aufzunehmen, ohne dass diese bei der Antragstellerin gekündigt haben oder eine Kündigungsbestätigung vorweisen können,

- Mitgliedsbescheinigungen auszustellen, ohne dass die Voraussetzungen des § 173 SGB V vorliegen,

- unter Verletzung der §3 173, 175 Abs. 2 SGB V Versicherte und/oder Mitglieder aufzunehmen, ohne dass ihnen eine Kündigungsbestätigung oder eine sonstige Bestätigung der abgebenden Krankenkasse vorgelegt wird, dass die Bindungsfrist erfüllt ist,

- ehemalige Mitglieder der Antragstellerin aufzunehmen, wenn seit der letzten Mitgliedschaft zur Antragstellerin eine Familienversicherung von weniger als drei Monaten bestanden hat,

1.die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die AG beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Die AG hätte sich rechtmäßig verhalten: Eine Kündigungserklärung oder "Wechselabsichtserklärung" sei nicht erforderlich. Das Ende der Mitgliedschaft der X bei der AS sei unmittelbar und direkt kraft Gesetzes eingetreten. Wie das BSG im o.g. Urteil vom 13.06.2007 ausführe, würde daher eine Kündigung ins Leere laufen und sei somit nicht erfoderlich. Für die von der AS geforderte "Wechselabsichtserklärung" enthalte das Gesetz keine Ermächtigungsgrundlage. Eine derartige Auslegung beschränke das freie Wahlrecht des Bürgers im sog. "einfachen Verfahren" i.S.d. BSG-Rechtsprechung. Für die von der AS geforderte 3-monatige Familienversicherung gebe es weder im Gesetz noch in der BSG-Rechtsprechung den geringsten Anhalt.

Einen spezifischen, konkreten Wettbewerbsverstoß mache die AS nicht geltend. Eine spezifische Werbemaßnahme stehe nicht im Streit. Es gehe lediglich um die Frage, ob bei der Mitgliedschaftsaufnahme das Recht zutreffend angewendet wurde. Insofern hätte die AS in dem zugrundegelegten Fall der Versicherten X einen Bescheid erlassen können, so dass schon fraglich ist, ob überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Außerdem bestehe kein Anordnungsgrund: Der AS würden keine irreparablen Nachteile erwachsen. Die Eingruppierung einer Versicherten in eine andere Krankenkasse sei reversibel. Entsprechende Geldleistungen könnten rückgängig gemacht werden.

II.

Es ist schon fraglich, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig ist: Die AS rügt zwar die grundsätzliche Aufnahmepraxis neuer Mitglieder durch die AG, hat sich zunächst jedoch nur auf einen einzigen Fall berufen und mit Schreiben vom 19.03.2008 noch einen weiteren Fall nachgeschoben. Eine Regelung dieser beiden konkreten Versicherungsfälle ist allerdings nicht Gegenstand der von der AS gestellten Anträge. Bezüglich der durch diese beiden Fälle der AS eventuell entstehenden Nachteile würde auch kein Rechtsschutzinteresse für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestehen, da die AS insofern Bescheide erlassen könnte.

Für die von der AS beantragte generelle Unterlassungsanordnung aufgrund eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes ist es jedoch fraglich, ob ein spezifisches Wettbewerbsverhalten zumindest geltend gemacht wird. Eine konkrete öffentliche Werbemaßnahme wird nicht vorgetragen. Aus dem Schriftwechsel in den konkreten Verwaltungsverfahren kann eine allgemeine Werbung nur insoweit abgeleitet werden, als generelle Äußerungen über die Praxis der Mitgliedschaftsaufnahme gemacht werden. Soweit die AG vorträgt, bei bestimmten Fallkonstellationen wie bei X die Mitgliedschaftsaufnahme nicht von der Vorlage einer Kündigungserklärung oder Bestätigung der abgebenden Krankenkasse, dass die Bindungsfrist erfüllt ist, abhängig zu machen, kann eine solche generelle Äußerung gesehen werden, sodass ein Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden kann.

Der Antrag ist allerdings unbegründet.

Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz s SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei sind die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen, § 86 b SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass eine einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG lediglich der Sicherung, nicht aber bereits der Befriedigung von Rechten dient. Die Entscheidung in der Hauptsache darf grundsätzlich nicht vorweggenommen werden; es sei denn, zur Vermeidung unzumutbarer Folgen und eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für die AS muss ihrem Begehren sofort entsprochen werden.

Es liegt kein Anordnungsanspruch vor.

Krankenkassen haben in ihrem Wettbewerb untereinander die allgemeinen Wertmaßstäbe der §§ 1, 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu beachten, d.h. die Werbung der Krankenkassen darf weder sittenwidrig noch unwahr sein. Da hier eine spezifische Werbemaßnahme nicht im Streit ist, sondern sich die Werbewirkung allenfalls aus der in konkreten Verwaltungsverfahren geäußerten Rechtsansicht ergeben könnte, reduziert sich die Frage nach einer ev. wettbewerbswidrigen Werbung auf die Frage, ob die AG gegenüber ehemaligen Mitgliedern der AS offensichtlich rechtswidrige Kassenwechsel- bzw. Aufnahmemöglichkeiten angeboten hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die von der AG vertretene Rechtsauffassung und die darauf gestützte Aufnahmepraxis, wie sie am Beispiel der Versicherten X dargelegt wurde, stimmt mit der Rechtsauffassung des BSG (s. Urt. vom 13.06.2007 a.a.O.) überein. Zu Unrecht weist die AS darauf hin, dass die Aussagen des BSG wegen des abweichenden Sachverhalts auf den vorliegenden Fall nicht unverändert übertragen werden könnten: Das BSG hat über den dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hinaus auch zu weiteren Fallgruppen Stellung genommen. Unter der Rdn. 24 hat das BSG die hier maßgebliche Fallgruppe abgehandelt: Die Mindestbindungsfrist ist bei der früheren Krankenkasse abgelaufen und eine anschließende Familienversicherung hat weniger als 18 Monate bestanden. Wörtlich heißt es im Urteil:

"Jedenfalls, wo - wie hier - die Mindestbindungsfrist für die Mitgliedschaft bei der früheren Kasse abgelaufen ist, besteht daher mit der nach einem Unterbrechungszeitraum ohne eigene Mitgliedschaft eintretenden Versicherungspflicht unverändert ein neues Wahlrecht unabhängig von der Erklärung einer Kündigung und der Vorlage einer Kündigungsbestätigung. Die abweichende Praxis der Klägerin verlangt Versicherten wie der Beigeladenen zu 1) etwas Unmögliches ab."

Zwar steht die Rechtsauffassung der AG im Widerspruch zu der von den Spitzenverbänden der Krankenkassen in der "Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Krankenkassenwahlrecht" vom 15.03.2006 geäußerten Rechtsauffassung. Unter Punkt 5.5.4. - Beispiel 12 - ist dort dargelegt, dass bei Erfüllung der Mindestbindungsfrist in der früheren Krankenkasse und anschließender 10 monatiger Familienversicherung mit Beginn einer anschließenden erneuten Versicherungspflicht kein Krankenkassenwahlrecht bestehe. Erst mit Beginn der neuen Mitgliedschaft könne der Versicherte kündigen und diese Kündigung sei dann mit Ablauf des 3. Monats nach Beginn der neuen Mitgliedschaft wirksam. Das BSG hat sich im o.g. Urteil vom 13.06.2007 mit der Auffassung der Spitzenverbände auseinander gesetzt und deren Rechtsauffassung für unzutreffend gehalten:

"Die Kündigung ist umgekehrt stets ausgeschlossen, wenn sich an die bestehende Mitgliedschaft keine weitere anschließt. Die Bestätigung einer Kündigung nach § 175 Absatz 4 Satz 3 SGB V, die als rechtsgestaltende Willenserklärung der Sache nach weder notwendig noch hinreichend ist, muss deshalb außer Betracht bleiben (gerade dies verkennen die Gemeinsamen Grundsätze )." Die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände hat keinen untergesetzlichen Rechtscharakter. Sie sind für die Rechtsprechung nicht verbindlich. Aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung wären die Spitzenverbände vielmehr gehalten, diese Gemeinsame Verlautbarung entsprechend anzupassen.

Im Rahmen der Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Krankenkassen ergibt sich aus den Gemeinsamen Verlautbarungen keine Verpflichtung der AG, im Rahmen der Pflicht der Krankenkassen zur Aufklärung, Beratung und Information der Versicherten gemäß §§ 13 - 15 SGB I und dem Gebot, bei der Erfüllung dieser und anderer Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern zusammenzuarbeiten (§ 15 Abs. 3 SGB I; § 86 SGB X; § 4 Abs. 3 SGB V) auf die vom BSG als unzutreffend beurteilte, abweichende Rechtsauffassung der Spitzenverbände die Versicherten im Einzelfall hinzuweisen. Kein Versicherter könnte nachvollziehen, warum er verpflichtet sein sollte, eine Kündigungserklärung abzugeben, die nach Auffassung des BSG weder erforderlich noch wirksam sei.

Auf die von der AS angesprochene Problematik der Abgabe einer sog. "Wechselabsichtserklärung" geht das BSG nicht ein. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Abgabe einer solchen Erklärung und die Abhängigkeit des Wahlrechts von der Abgabe einer solchen Erklärung und der Vorlage einer Bestätigung der abgebenden Krankenkasse über die Erfüllung der Mindestbindungsfrist existiert nicht. Die Begründung einer solchen Verpflichtung des Versicherten und Einschränkung des Wahlrechts ist entgegen der Auffassung der AS im Rahmen teleologischer Auslegung des § 175 SGB V nicht möglich, da die Begründung einer belastenden Maßnahme im Rahmen oder Einschränkung eines Rechtes im Rahmen Lücken füllender Analogie nicht zulässig ist. Zwar könnte man eine "Wechselabsichtserklärung" als ein "Weniger" im Vergleich zu einer Kündigungserklärung sehen; aber schon die Verpflichtung zur Vorlage dieser Erklärung und die Abhängigkeit des Wahlrechts u.a. von der Vorlage dieser Erklärung stellen einen Eingriff dar, der nicht im Wege Lücken füllender Analogie geschlossen werden kann.

Der Rechtsgedanke der AS, nach Ablauf der Mindestbindungsfrist bei der früheren Krankenkasse und anschließender Familienversicherung bestünde ein Wahlrecht des Versicherten bei erneuter Versicherungspflicht nur dann, wenn die Familienversicherung mindestens 3 Monate bestanden hätte, findet im Gesetz keine Stütze. Er wurde auch nicht im o.g. Urteil des BSG erörtert. Er lässt sich auch nicht aus einem ev. Gleichstellungsgebot mit "Statusstabilen" ableiten. Die Ausführungen der AS auf Seiten 14 und 15 der Antragsschrift lassen vermuten, dass die AS davon ausgeht, dass der durchgehend Versicherungspflichtige (der "Statusstabile") grundsätzlich erst nach Ablauf der Bindungsfrist kündigen könnte:

"Derjenige, der durchgehend versicherungspflichtig ist, hat die Möglichkeit, nach Ablauf der Bindungsfrist mit einer Frist von 2 Monaten eine Kündigungserklärung abzugeben "; "Denn wenn der Versicherungspflichtige nach Ausspruch der Kündigung noch zwei Monate bei der bisherigen Kasse verbleiben muss (also insgesamt drei Monate) ".

Dies trifft jedoch nicht zu: Bei ununterbrochen bestehender Versicherungspflicht kann die Kündigungserklärung schon vor Ablauf der Mindestbindungsfrist abgegeben werden; erst im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung muss die Mindestbindungsfrist abgelaufen sein (so Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 175 Rdn 30; Blöcher in: jurisPK-SGB V, § 175 Rdn 48). Im Gegensatz zur Auffassung der AS gebietet gerade der Gesichtspunkt der Gleichstellung des Statuswechslers mit dem des Statusstabilen die Einräumung eines Wahlrechts nach Ablauf der Mindestbindungsfrist bei der früheren Krankenkasse und anschließender Familienversicherung unter 18 Monaten ohne das Erfordernis einer Mindestdauer der Familienversicherung von 3 Monaten. Das BSG hat im o.g. Urteil verdeutlicht, dass eine faktische Ausdehnung der Mindestbindungsfrist über die 18 Monate hinaus im Hinblick auf die sich dadurch ergebende Schlechterstellung des Versicherungspflichtigen gegenüber dem Versicherungsberechtigten nicht zu rechtfertigen sei. Der Versicherungspflichtige müsse nach Erfüllung der Mindestbindungsfrist bei der früheren Kasse bei erneutem Eintritt der Versicherungspflicht die Möglichkeit haben, sich - wie der Versicherungsberechtigte - sofort von der Bindungswirkung zu befreien.

Die Sorge der AS, ohne Überprüfungsmöglichkeit der Einhaltung der Mindestbindungsfrist durch die frühere Krankenkasse bestünde eine erhebliche Manipulationsgefahr, ist verständlich und berechtigt. Eine Schließung dieser Überprüfungslücke ist nach der derzeitigen Gesetzeslage jedoch im Wege Lücken schließender Rechtsfortbildung nicht möglich. Die Schließung dieser Lücke ist Aufgabe des Gesetzgebers.

Die AG hat sich somit rechtmäßig verhalten und es besteht kein Anordnungsanspruch.

Auf die Frage, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, kommt es daher nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG.

Für den Streitwert ist mangels Anhaltspunkten für eine anderweitige Bestimmung der Regelstreitwert maßgebend. Trotz des Umstandes, dass es sich um ein Verfahren zur einstweiligen Regelung handelt, ist der volle Regelstreitwert angemessen, da mit einem anschließenden Hauptsacheverfahren nicht zu rechnen ist.






SG Düsseldorf:
Beschluss v. 04.04.2008
Az: S 4 KR 28/08 ER


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