Oberlandesgericht München:
Urteil vom 18. August 2011
Aktenzeichen: 6 U 4362/10

(OLG München: Urteil v. 18.08.2011, Az.: 6 U 4362/10)

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 18.08.2010, berichtigt mit Beschluss vom 22.9.2010 (Az. 21 O 177/09), wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention.

III. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte oder die Nebenintervenientin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird ab der Antragstellung im Termin vom 19.05.2011 auf 35.000,00 EUR festgesetzt, davor auf 75.000,00 EUR.

Gründe

I.

Wegen der unautorisierten Verwendung einer Werbemelodie, deren Urheberschaft der Kläger für sich in Anspruch nimmt, für den ... verlangt der Kläger Auskunft von der Beklagten über die Ausstrahlungen des Werbejingles und begehrt die Feststellung von deren Schadenersatzpflicht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Komposition nicht schutzfähig sei. Die konkrete Melodie könne der als Anlage B 2 vorgelegten CD nur schwer entnommen werden. Den Textteil ... könne man nur auf zwei Arten rappen, nämlich so, wie in der Komposition geschehen. Daher seien beide Melodiefolgen so sehr vom natürlichen Sprachduktus vorgegeben, dass sie nicht die erforderliche Schöpfungshöhe aufwiesen. Die drei Töne zum Textteil ... seien, da lediglich aus einer Terz und einer Sekunde bestehend, zu simpel, um die erforderliche Gestaltungshöhe zu erreichen.

Das mit Beschluss vom 22.09.2010 berichtigte Urteil ist dem Kläger am 20.08.2010 zugestellt worden. Seine am 20.09.2010 eingelegte Berufung hat er binnen verlängerter Frist am 22.11.2010 begründet.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird mit folgenden Änderungen und Ergänzungen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO):

Der Kläger behauptet, seine Komposition entspreche der Notation, wie sie als Anlage K 7 vorgelegt sei. Sie ergebe sich aus der Notation in der ersten Zeile, nämlich dem Auftakt und den vier Noten im ersten Takt, nämlich Gis, H, Cis und Es. Die absteigende Tonfolge Es, Cis, H und Gis sei in der Notation nicht enthalten, ergebe sich jedoch aus der vorgenannten Tonfolge, wenn sie gespiegelt werde.

Der Kläger rügt die Tatsachenfeststellung durch das Landgericht als unzureichend, da es den streitigen Sachverhalt nicht durch Beweiserhebung richtig aufgeklärt habe, insbesondere auf die beantragte Hinzuziehung eines Sachverständigen verzichtet habe und dabei fälschlich versucht habe, die Frage nach dem Plagiat selbst zu bewerten, woran es aber schon in den Urteilsgründen gescheitert sei. Die Komposition müsse in beiden Bestandteilen ... und deren klanglicher Untermalung als einheitliche Komposition gewertet werden. Das Landgericht habe die Teile jedoch getrennt voneinander bewertet und sei so zu dem tatsächlich fehlerhaften Schluss gekommen, dass die Komposition des Klägers nur aus den nicht benannten Tönen für ... und davon getrennt drei Tönen für ... bestehe. Das Gericht widerlege sich selbst, wenn es einerseits argumentiere, den "Bestand" aus eigener Sachkunde beurteilen zu können, andererseits nur eine Seite weiter zugeben zu müssen, dass "auch für ein musikalisch geschultes Gehör schwer zu beurteilen sei", wie die Tonfolgen denn nun hätten notiert werden müssen. Diesem Dilemma hätte das Erstgericht nur durch die Erholung des beantragten Sachverständigengutachtens entgehen können. Dann würde die Tatsachenfeststellung ergeben haben, dass die einheitliche Komposition des Klägers die nötige Schöpfungshöhe erreicht habe und sie von der Beklagten für den weltweit bekannten Werbeslogan ungenehmigt übernommen worden sei.

Das Erstgericht habe sich bei der Feststellung, aus welchen Tönen sich die Musik zu ... ergebe, nicht mit dem Sachvortrag des Klägers auseinandergesetzt. Es meine, zwei verschiedene Versionen auf der Anlage B 2 erkennen zu können, unterschieden danach, ob die Betonung auf dem Wort ... oder dem Wort ... liege. Der Kläger habe als Tonfolge zu ... Es, Cis, H. Gis angegeben, sowie die drei Noten zu ... Gis, H, Cis. Da all dies zwischen den Parteien und deren Privatgutachtern streitig gewesen sei, hätte ein Sachverständigengutachten erholt werden müssen. Ohne Kenntnis des Notenmaterials habe das Erstgericht nicht zu dem Schluss fehlender Schutzfähigkeit der Melodie kommen dürfen.

Der Kläger hat zunächst einen Antrag angekündigt, der eine Auskunft über weltweite Ausstrahlungen des Werbejingles und eine entsprechende Schadensersatzfeststellung zum Gegenstand hatte; er beantragt nun:

I. Das Urteil des Landgerichts München vom 09.06.2010 aufzuheben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger darüber Auskunft über die genaue Anzahl der Ausstrahlungen der Werbemelodie ... deutschlandweit, insbesondere in Fernsehen, Radio, Kino und Internet unter Angabe des gesamten Zeitraumes der Gesamtausstrahlung zu erteilen.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu erstattet, der ihm aus vorstehenden, zu II. bezeichneten Handlungen entstanden ist, oder künftig noch entstehen wird.

Die Beklagte und die Nebenintervenienten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Das Erstgericht habe den Sachverhalt aus eigener Sachkunde ohne die Erholung eines Sachverständigengutachtens entscheiden können. Es habe die erforderlichen Tatsachenfeststellungen selbständig treffen können, da es regelmäßig über urheberrechtliche Streitigkeiten, insbesondere aus dem Bereich der Musik zu entscheiden habe. Es bedürfe keines Sachverständigengutachtens, wenn bereits der Hörvergleich zu dem Ergebnis mangelnder Schutzfähigkeit führe. Die Erstellung einer Notation sei dafür nicht erforderlich. Die rechtliche Beurteilung der Schöpfungshöhe obliege ohnehin dem Gericht. Richtigerweise habe es zwischen mehreren Tonfolgen differenziert und deren Schöpfungshöhe verneint. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht sei nicht angezeigt, da Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellung nicht vorlägen.

Der Kläger habe in erster Instanz nicht klarstellen können, auf welche Tonfolge er seine Ansprüche stütze, denn die angeblich übernommenen vier ersten Töne seiner Komposition bestünden gemäß Anlage K 7 aus den Tönen Gis, H, Cis und Es, gemäß Anlage K 8 aus den Tönen Gis, H, Fis und Fis. Soweit der Kläger sich nun auf eine einheitliche Komposition aus zwei Bestandteilen stütze, gebe es diese gar nicht da seine Komposition das Wort ... nicht enthalte. Hierbei handelt es sich um eine Allerweltstonfolge, bestehend aus lediglich drei Tönen.

Der Kläger erwidert, mit der Berufung habe er nur die Abweisung der Klage hinsichtlich der deutschlandweiten Ausstrahlung angreifen wollen; es habe keine Klageerweiterung auf eine weltweite Ausstrahlung erfolgen sollen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.

Der Senat hat durch Abspielen der Tonträger gemäß den Anlagen B 2, K 9 und B 1 die streitigen Tonfolgen in Augenschein genommen.

II.

19Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, weil die vom Kläger als seine Komposition reklamierte Tonfolge Gis, H, Cis und Es kein geschütztes Werk der Musik im Sinne von § 2 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 UrhG darstellt, so dass dessen etwaige Übernahme durch die Beklagte keine urheberrechtlichen Ansprüche auslöst. Diese Tonfolge hebt sich nicht in eigentümlicher Weise von allgemein geläufigen kompositorischen Mitteln und Grundsätzen bzw. vom vorbekannten Formenschatz ab, sie ist damit nicht durch die Handschrift ihres Schöpfers geprägt. Der Senat kann dies aus eigener Sachkunde entscheiden, da er wiederholt mit diesen Fragestellungen befasst ist und die tatsächliche Grundlage hinsichtlich des reklamierten Notenmaterials aufgrund der im Termin abgegebenen Erklärung des Klägers feststeht.

1. Nach der Rechtsprechung des BGH (GRUR 1981, 267, 268 - Dirlada; GRUR 1988, 811 - Fantasy) dürfen zwar die Anforderungen an die Gestaltungshöhe im Bereich musikalischen Schaffens nicht zu hoch gesteckt werden. Unter dem Gesichtspunkt der sogenannten kleinen Münze genügt vielmehr regelmäßig ein geringer Grad an formgebender Tätigkeit des Komponisten, um eine für die Schutzuntergrenze erforderliche kreative Leistung zu bejahen (Schricker/Loewenheim, 4. Auflage, § 2 UrhG Rn. 124). Bei Tonfolgen, die aus nur wenigen Tönen bestehen, wird zumeist die erforderliche Individualität fehlen (a.a.O. Rn. 125).

2. Der Kläger konnte die Tonfolge nur innerhalb eines beschränkten Gestaltungsspielraums entwickeln. Nach seinem eigenen Vorbringen sollte die Vertonung auftragsgemäß in der Musikrichtung Rap/Hip Hop erfolgen, wie beispielsweise durch die Musikgruppe ... mit ihrem Erfolgstitel ... geschehen. Damit war ihm die musikalische Grundidee, also Stil und Rhythmus des Stücks vorgegeben. Eine weitere Einschränkung bestand darin, die zu den Worten ... in gerapter Erscheinungsform passende, notwendigerweise kurze Tonfolge zu entwickeln.

3. Die vom Kläger reklamierte Tonfolge leitet unstreitig mit einer aufsteigenden Terz ein. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 25.03.2009, Seite 10, einen "a-moll-Akkord, mithin die Harmonisierung des klägerischen Eingangstones a über zwei Terzen (a - c - e)" sieht, stimmt dies mit der vor dem Senat reklamierten Tonfolge Gis, H, Cis und Es nicht überein und ist daher überholt. Unstreitig schließen sich an die Terz zwei Sekundschritte an. Die "Spiegelung" dieser Tonfolge, die die Beklagte vorgenommen haben soll, hat außer Betracht zu bleiben, weil sie nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht von ihm herrührt.

Der 29. Zivilsenat des OLG München hat für eine aus fünf Tönen bestehende Tonfolge (A, H, C, A, G), die sich in Sekund- und Terzschritten zunächst aufwärts und dann abwärts bewegt, die Schutzfähigkeit verneint, da es sich dabei um eine musikalische Allerweltsfloskel handele, um musikalisches Grundmaterial, das jedem mit den einfachsten handwerklichen musikalischen Grundlagen Vertrauten zugänglich sei (ZUM 2000, 408, 409 - Green Grass grows). In der Entscheidung "Fantasy" (GRUR 1988, 810, 811) hat der BGH die Qualifikation der dort verwendeten aufsteigenden Terz als "Allerweltsfloskel" durch das Berufungsgericht gebilligt und der acht Noten umfassenden Tonfolge, insgesamt bestehend aus aufsteigender Terz, Abstieg zur Tonika und Ausklingen in der Sekunde, die Schutzfähigkeit versagt.

Hier ist es nicht anders: Die Tonfolge beginnt ebenso mit einer aufsteigenden Terz, einer "Allerweltsfloskel". Das weitere Aufsteigen der Linie in Sekundschritten stellt keine größere schöpferische Leistung dar, als der Abstieg zur Tonika und das Ausklingen in der Sekunde ("Fantasy") bzw. als eine Aufwärtsbewegung in Sekund- und Terzschritten und eine daran anschließende Abwärtsbewegung in diesen Schritten ("Green Grass Grows"). Es handelt sich hier wie dort um musikalisches Grundmaterial, das lediglich handwerklich angewendet wird.

Soweit der Kläger darauf abstellt, dass weder die Töne noch die Intervalle allein für die Schutzfähigkeit der klägerischen Komposition entscheidend seien, sondern die Charakteristik der geschaffenen Melodie die Schutzfähigkeit ausmache, ist daran zu erinnern, dass die Musikrichtung vorgegeben war, sogar anhand eines konkreten Stückes. Welche besondere Charakteristik darüber hinaus dem Stück innewohnen soll, ist nicht ersichtlich. Das Anhören offenbart eine Tonfolge im üblichen Stil des in deutscher Sprache gesungenen Rap. Soweit der Kläger auf ein rhythmisch markantes Motiv, das in Verbindung mit vier Tönen Individuelles ausdrücken könne, abstellt und hierzu unter anderem auf die Anlage K 8 verweist, lässt sich solches dieser nicht entnehmen: Die Anlage K 8 befasst sich bereits mit anderem Notenmaterial als dem vom Kläger reklamierten. Will man sie dennoch heranziehen, so müssen die dort vorgenommenen Bewertungen der ... auch für die klägerische gelten, da es zwischen diesen Varianten laut Privatgutachter keine rhythmische Differenz gebe: Es handele sich um eine simple Ruf-Terz und werbetypisch schlichte Pentatonik. Soweit der Kläger auf einen ternären im Gegensatz zum binären Rhythmus abstellt, gelten die Ausführungen seines Privatgutachters (Anlage K 8) genau dafür, da der Privatgutachter sich nicht auf das Notenmaterial beschränkt, sondern auch einen Hörvergleich angestellt hat. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers handelt es sich bei dem ternären Rhythmus um ein Stilmittel des Swing bzw. Jazz. Die Anwendung eines bestimmten Stilmittels ist jedoch nicht schutzfähig.

Der fehlenden Schutzfähigkeit kann auch nicht mit dem Hinweis auf das Grundmotiv aus dem ersten Satz von ... begegnet werden. Denn die urheberrechtliche Qualität dieses Satzes beruht nicht auf dem ihm zugrunde liegenden Motiv, sondern darauf, dass es auf völlig neue Weise zur Keimzelle eines ganzen Symphoniesatzes wurde (OLG München, ZUM 2000, 408 - Green Grass Grows).

4. Kosten: §§ 97, 101 ZPO.

5. Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

6. Streitwert: § 3 ZPO. Die Festsetzung beruht auf den nachvollziehbaren und von der Beklagtenseite sowie den Nebenintervenienten nicht in Frage gestellten Streitwertangaben des Klägers im Termin vor dem Senat.

7. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Es handelt sich um die Entscheidung eines Einzelfalles auf der Grundlage gesicherter Rechtsprechung.






OLG München:
Urteil v. 18.08.2011
Az: 6 U 4362/10


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