Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. November 2005
Aktenzeichen: 30 W (pat) 320/03

(BPatG: Beschluss v. 14.11.2005, Az.: 30 W (pat) 320/03)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Eingetragen am 10. Mai 2001 unter 300 66 501 für die Waren Rezeptpflichtige pharmazeutische Erzeugnisseist die Marke Nitrolong.

Widerspruch erhoben wurde aus der seit dem 1. August 1951 unter 609 883 für die Waren Arzneimitteleingetragenen Marke Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat in zwei Beschlüssen, einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen, den Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen.

Die Vergleichsmarken unterschieden sich in der Silbenzahl, in der Vokalfolge und damit im Gesamtklangbild.

Die übereinstimmende Lautfolge "Nitro(l)-" sei auf dem vorliegenden Warengebiet deutlich kennzeichnungsschwach und werde von zahlreichen Mitbewerbern verwendet. Der Verkehr werde - gerade im Gesundheitsbereich - sorgfältiger auf die weiteren Wortteile achten und diese auch ob ihrer begrifflichen Unterschiede ausreichend sicher auseinander halten.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, eine zergliedernde Betrachtungsweise sei unzulässig, der angesprochene Verkehr sei mit anderen "Nitro"-Marken nicht vertraut, acht der neun Buchstaben der angegriffenen Marke sei in der Widerspruchsmarke enthalten. Die Widerspruchsmarke werde verwendet für Kapsel-, Spray- und Infusionszubereitungen des Glyceroltrinitrats zur Notfallbehandlung der Angina pectoris und genieße hohen Bekanntheitsgrad.

Die Abweichung in der angegriffenen Marke - o statt i - liege im weniger beachteten Wortinneren, die abweichende Wortendung "-ual" der Widerspruchsmarke trete in den Hintergrund.

Sie beantragt, die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 24. September 2003 und vom 17. Juni 2002 aufzuheben und die Löschung der Marke 300 66 501 anzuordnen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke 609 883 besteht nicht die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2 MarkenG, so dass die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen war.

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st. Rspr., vgl. GRUR 2005, 513 MEY/Ella May; WRP 2004, 1281 -Mustang; WRP 2004, 907 -Kleiner Feigling; WRP 2004, 1043 -NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu verneinen.

Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer eher unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus. Zum einen erkennen selbst Endverbraucher den gerade im Zusammenhang mit Koronarmitteln geläufigen Begriffsgehalt von "Nitro-" als Hinweis auf den Wirkstoff "Nitroglycerin" (Glyceroltrinitrat), zum Anderen ist der Bestandteil im Hinblick auf seine häufige Verwendung als verbraucht anzusehen. Insbesondere im Zusammenhang mit Notfallmaßnahmen bei Angina pectoris-Anfällen werden Nitrohaltige Medikamente als sog. Nitro-Sprays oder Nitro-Kapseln zur Gefäßweitstellung eingesetzt (vgl. http://www.hwieherz.de/Krankheiten/angina.html). Auch der weitere Bestandteil "lingual" im Sinne von "die Zunge betreffend - über die Zunge" ist äußerst kennzeichnungsschwach, da er nur den Anwendungsbereich des Medikamentes wiedergibt. So wird Nitroglycerin sehr schnell über die Mundschleimhaut aufgenommen und entfaltet innerhalb weniger Minuten seine Wirkung und wird daher insbesondere bei Angina pectoris Anfällen als Spray oder Zerbeißkapsel verwendet.

Für den von der Widersprechenden behaupteten hohen Bekanntheitsgrad der Widerspruchsmarke hat diese keine Tatsachen vorgetragen.

Ausgehend von der Registerlage können die Marken zur Kennzeichnung identischer und sehr ähnlicher Waren verwendet werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass für die von der angegriffenen Marke beanspruchten pharmazeutischen Erzeugnisse eine Rezeptpflicht festgeschrieben ist, was sich kollisionsmindernd auswirkt. Aber auch für die allgemeinen Verkehrskreise ist davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH GRUR 2000, 506 ATTACHÉ/ TISSERAND) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50 - Indorektal/Indohexal).

Der unter diesen Umständen gebotene Abstand wird von der angegriffenen Marke eingehalten.

Die Ähnlichkeit von Wortzeichen ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht in aller Regel bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht aus. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht. Dabei bleibt auch ein beschreibender Bestandteil bei der Feststellung des Gesamteindrucks nicht außer Betracht, sondern ist mit zu berücksichtigen. Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (vgl. BGH aaO. NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die sich gegenüberstehenden Marken in ihrem klanglichen Gesamteindruck ausreichende Unterschiede aufweisen.

So stimmen die Marken zwar in den ersten beiden Silben überein. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Übereinstimmung in dem Anfangsbestandteil "Nitro" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit weniger ins Gewicht fällt, als dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Bei dem Wortelement "Nitro" handelt es sich wie oben ausgeführt um einen beschreibenden und damit kaum individualisierend und kennzeichnend wirkenden Hinweis auf den Wirkstoff "Nitroglycerin"(Glyceroltrinitrat), der in Marken, die diesen Wirkstoff enthalten, häufig verwendet wird.

Auch wenn derartige beschreibende und kennzeichnungsschwache Zeichenelemente bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach dem Gesamteindruck angemessen mit zu berücksichtigen sind, so bewirken sie doch - obwohl es sich um die Anfangssilben handelt - eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die hinteren Markenteile "lingual" und "long".

Die Unterschiede in den hinteren Markenteilen sind trotz des gemeinsamen Anfangskonsonanten der letzten Silben "l" sowie der gemeinsamen Konsonanten "n" und "g", die in der Wortmitte der Gesamtmarken aber nicht so deutlich hervortreten, hinreichend deutlich. So werden insbesondere die zusätzlichen Silben "ual" in der angegriffenen Marke sowie die markanten unterschiedlichen Vokale "iua" gegenüber "o" der Widerspruchsmarke wegen ihrer deutlich unterschiedlichen Klangeigenschaften hinreichend sicher wahrgenommen und führen zu einem nicht verwechselbaren klanglichen Gesamteindruck der Marken.

In schriftbildlicher Hinsicht halten die Vergleichsmarken in allen üblichen Wiedergabeformen ebenfalls einen noch ausreichenden Abstand ein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Marken im Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer Sorgfalt wahrgenommen werden als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei mündlicher Benennung entsteht. Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich der Fachverkehr, der aufgrund seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimittelmarken über ein erhöhtes Unterscheidungsvermögen verfügt, im Vordergrund. Unter diesen Voraussetzungen reichen auch bei einer schriftlichen Wiedergabe die Abweichungen in jeweils den Schlusssilben zwischen "o" und "i" sowie durch die zusätzlichen Buchstaben "ual" aus, um eine Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.

Zur Unterscheidbarkeit der Marken trägt schließlich auch der Begriffsgehalt in den Schlussbestandteilen der Marken bei. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Endbestandteil "lingual" der Widerspruchsmarke, der z. B. in dem Begriff Lingual-Präparate und in zahlreichen Arzneimittelmarken verwendet wird, auch beachtlichen Teilen der Endverbraucher bekannt ist wie auch der Schlussbestandteil "long", der ebenso wie die Zusätze "retard" oder "depot" angibt, dass das Medikament eine verlängerte Wirkdauer besitzt.

Entgegen der Ansicht der Widersprechenden steht das Verbot einer zergliedernden Analyse der Vergleichsmarken einer Prüfung des Bedeutungsgehaltes der Einzelbestandteile nicht entgegen, um diese dann in eine Gesamtbetrachtung der Vergleichsmarken einfließen zu lassen.

Anhaltspunkte dafür, dass aus sonstigen Gründen die Gefahr von Verwechslungen bestehen könnte, sind nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

Dr. Buchetmann Winter Hartlieb Ko






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Az: 30 W (pat) 320/03


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