Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 26. Mai 2003
Aktenzeichen: 1 U 18/02

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 26.05.2003, Az.: 1 U 18/02)

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 19.12.2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Kläger verlangen von der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung eine Geldentschädigung zum Ausgleich einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, weil die Beklagte den Verdacht verbotenen Insiderhandels gegen die Kläger erhob.

Die Kläger zu 1) und 2) sind Vorstände und der Kläger zu 3) der Vorsitzende des Aufsichtsrats der F. AG mit Sitz in Berlin.

Die F. AG ist ein Unternehmen, dessen Gegenstand in erster Linie die finanzielle Beteiligung an der gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung von Rechtsansprüchen Dritter ist. Ihre Aktien wurden seit 19.07.1999 am neuen Markt notiert. Das Grundkapital ist in 5.860.000 auf den Inhaber lautende Stück Aktien eingeteilt.

Am 12.01.2000 veröffentlichte die F. AG eine Ad-hoc-Mitteilung, in deren deutscher Fassung es heißt, die F. AG habe "bis heute bereits 195 gefertigte Verträge". Im englischen Originaltext heißt es "F. AG has entered into 195 agreements".

Am 14.01.2000 meldete die Stadtsparkasse K. der Beklagten den Ankauf von 577.580 Aktien der F. AG am 13.01.2000. Tatsächlich hatte die Stadtsparkasse K. nur 130 Aktien angekauft, in der Meldung aber versehentlich die Wertpapierkennnummer als Stückzahl angegeben. Am 18.01.2000 sandte die Stadtsparkasse K. eine Stornomeldung an die Beklagte, in der sie aber eine falsche Referenznummer angab. Die Stornomeldung konnte deshalb der Meldung über den Ankauf vom 14.01.2000 nicht zugeordnet werden.

Am 05.06.2000 erstattete Rechtsanwalt C., ein früherer Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der F. AG, Strafanzeige gegen die Kläger wegen Kursmanipulation u.a. Die Strafanzeige ging bei den Staatsanwaltschaften Bonn und Köln sowie nachrichtlich bei der Beklagten ein.

Am 20.06.2000 erkundigte sich der bei der Staatsanwaltschaft in Berlin zuständige Staatsanwalt X telefonisch bei der Beklagten, ob dort Erkenntnisse wegen des Verdachts der falschen Ad-hoc-Mitteilung vorlägen und erbat die Information bis zum 21.06.2000. Mit Schreiben vom 21.06.2000 teilte die Beklagte der Staatsanwaltschaft in Berlin mit, dass vorläufige Untersuchungen Anhaltspunkte für den Verdacht verbotener Insidergeschäfte ergäben und bat, die beabsichtigten Durchsuchungen auch auf diesen Verdacht zu stützen. Die Staatsanwaltschaft in Berlin erwirkte daraufhin am gleichen Tage beim Amtsgericht Tiergarten Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohn- und Geschäftsräume der Kläger. Die Staatsanwaltschaft in Berlin informierte die Börse mit Telefax vom 21.06.2000 von dieser Maßnahme. Der Handel mit den Aktien der F. AG wurde am 22. und 23.06.2000 ausgesetzt.

Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.06.2000 wehrte sich die F. AG gegen die erhobenen Vorwürfe. Eine Nachfrage der Staatsanwaltschaft bei der Stadtsparkasse K. vom 23.06.2000 ergab die Unrichtigkeit des angeblichen Aktienkaufs vom 13.01.2000. Ebenfalls am 23.06.2000 forderte der anwaltliche Vertreter der F. AG die Beklagte auf, noch an diesem Tage durch eine Pressemitteilung den Sachverhalt richtig zu stellen. In einer Pressemitteilung vom 23.06.2000 erklärte die Beklagte, dass sich der Verdacht gegen die Vorstände und den Aufsichtsrat der F. AG wegen des verbotenen Insiderhandels nicht bestätigt habe.

Am 08.07.2000 wies das Amtsgericht Tiergarten die Beschwerden gegen die Durchsuchungsbeschlüsse zurück. Das Landgericht Berlin bestätigte diese Entscheidung durch Beschluss vom 04.08.2000. Das Ermittlungsverfahren gegen die Kläger wegen des Verdachts des Insiderhandels wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Am 11.10.2000 wurde das zunächst weiterverfolgte Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des Kursbetruges durch falsche Ad-hoc-Mitteilungen gegen die Kläger zu 1) und 2) gemäß § 153 StPO und gegen den Kläger zu 3) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte habe amtspflichtwidrig gehandelt, als sie der Staatsanwaltschaft Berlin mit Schreiben vom 21.06.2000 den Verdacht verbotenen Insiderhandels mitgeteilt habe. Die Beklagte habe die Pflicht verletzt, den zugrunde liegenden Sachverhalt sorgfältig aufzuklären. Der Verstoß der Beklagten gegen ihre sich aus § 16 Wertpapierhandelsgesetz ergebende Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung sei ursächlich dafür, dass die Fehlerhaftigkeit der Meldung der Stadtsparkasse K. unbemerkt geblieben sei und der darauf gestützte Verdacht verbotenen Insiderhandels an die Staatsanwaltschaft Berlin gemeldet worden sei. Wegen des Verhaltens der Beklagten und der dadurch ausgelösten Berichterstattung in der Presse sei ihr Persönlichkeitsrecht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt worden. Die Kläger zu 1) und 2) haben eine Geldentschädigung in der Größenordnung von 50.000,00 DM, der Kläger zu 3) eine Geldentschädigung in der Größenordnung von 40.000,00 DM als angemessen bezeichnet.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie zum Ausgleich des erlittenen immateriellen Schadens je einen angemessenen vom Gericht zu bestimmenden Geldbetrag zuzüglich 9,36 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die ihr nach dem Wertpapierhandelsgesetz übertragenen Amtspflichten seien nur im Interesse der Allgemeinheit, nicht aber auch im Interesse der Kläger als geschützter Dritter wahrzunehmen. Auch seien Amtspflichten nicht verletzt worden. Mit der Fehlerhaftigkeit der Meldung der Stadtsparkasse K. habe nicht gerechnet werden müssen. Da die Staatsanwaltschaft Berlin am 20.06.2000 die Auskünfte über die F. AG bis zum 21.06.2000 erbeten habe, seien weitergehende eigene Untersuchungen nicht in Betracht gekommen. Auch habe die Beklagte nicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eingreifen dürfen. Es fehle ferner an dem Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Bundesaufsichtsamtes und der geltend gemachten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, weil das Bundesaufsichtsamt keine eigenen Pressemeldungen über den Verdacht des Insiderhandels veröffentlicht habe und auch nicht selbst die Börse informiert habe. Auch ohne den Verdacht verbotenen Insiderhandels hätte das Amtsgericht Tiergarten die Durchsuchungsbeschlüsse erlassen.

Das Landgericht hat die Klage durch am 19.12.2001 verkündetes Urteil abgewiesen (Bl. 241-253 d.A.). Die Kläger haben gegen das ihnen am 20.12.2001 zugestellte Urteil am 18.01.2002 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 18.02.2002 begründet.

Die Kläger wiederholen und vertiefen ihre Auffassung, dass die Beklagte amtspflichtwidrig gehandelt habe. Das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte ihre Amtspflicht aus § 16 Abs. 2-6 Wertpapierhandelsgesetz zur Sachverhaltsermittlung krass verletzt habe. Das Bundesaufsichtsamt hätte nicht nur eine Information weiterleiten dürfen, sondern hätte selbst ermitteln müssen. Die unkritische und ungeprüfte Weiterleitung der falschen Information der Stadtsparkasse K. an die Staatsanwaltschaft Berlin sei amtspflichtwidrig gewesen. Der Beklagten habe auffallen müssen, dass die Anzahl der angeblich gehandelten Aktien außergewöhnlich hoch und identisch mit der Wertpapierkennnummer war. Die Beklagte treffe auch ein Organisationsverschulden, weil die Stornomeldungen, die nicht automatisch zugeordnet werden konnten, nicht manuell überprüft worden seien. Sie hätten den Meldenden mit der Bitte um Überprüfung oder Berichtigung zurückgegeben werden müssen.

Das Landgericht habe auch das Gewicht der Persönlichkeitsverletzung verkannt. Der Vorwurf verbotenen Insiderhandels wiege schwerer als der Vorwurf einer unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung und finde in der Öffentlichkeit wegen der hohen Strafandrohung ein viel größeres Interesse. Der Vorwurf einer strafbaren persönlichen Bereicherung wiege besonders schwer, da die Kläger als Rechtsanwälte und der Kläger zu 3) darüber hinaus als Notar und Steuerberater besondere Verantwortung trügen. Der schwere Verlust des Ansehens sei auch nicht durch die Presseerklärung der Beklagten vom 23.06.2000 ausgeglichen worden. Außerdem hätten die Kinder der Kläger miterleben müssen, wie die privaten Räumlichkeiten der Väter durchsucht worden seien.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19.12.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zum Ausgleich des erlittenen immateriellen Schadens je einen angemessenen vom Gericht zu bestimmenden Geldbetrag zuzüglich 9,26 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Eine Amtspflicht sei nicht verletzt worden. Bei der Meldung vom 21.06.2000 an die Staatsanwaltschaft habe es sich lediglich um eine vorläufige Stellungnahme gehandelt, die sich für die Staatsanwaltschaft klar erkennbar von Anzeigen des Bundesaufsichtsamtes gemäß § 18 Wertpapierhandelsgesetz unterschieden habe. In dem Telefongespräch mit dem ermittelnden Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Berlin habe Herr E., der Leiter der Abteilung 2 der Beklagten, darauf hingewiesen, dass die üblichen weitergehenden Untersuchungen in der Kürze der Zeit nicht möglich seien. Staatsanwalt X habe daraufhin angegeben, dass ihm die Daten nach § 9 WpHG genügten, die nicht nach § 16 WpHG nachgefragt seien. Staatsanwalt X habe in dem Telefongespräch am 20.06.2000 ferner mitgeteilt, dass auch der Verdacht des Insiderhandels im Raum stehe und dass er im Hinblick auf die für die nächsten Tage geplanten Durchsuchungen um zusätzliche Informationen hierzu bitte. Auch ohne die Auskunft vom 21.06.2000 hätte die Staatsanwaltschaft die Durchsuchungen beantragt und nach entsprechendem Beschluss des Amtsgerichts durchgeführt. Ein Verschulden sei den handelnden Mitarbeitern der Beklagten nicht vorzuwerfen. Das ergebe sich daraus, dass das Landgericht als Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen habe.

Zu Recht habe das Landgericht auch eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Kläger verneint. Das ergebe sich daraus, dass die Beklagte weder die Durchsuchung noch die Presseberichterstattung veranlasst habe. Der weitere Verdacht einer Straftat nach § 400 AktG sei zu Recht gegen die Kläger erhoben worden. Der zusätzliche Verdacht verbotenen Insiderhandels habe nur zwei Tage lang bestanden und sei durch die Pressemitteilung der Beklagten vom 23.06.2000 ausgeräumt worden.

Die Berufung der Kläger ist nicht begründet.

Die geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung einer Geldentschädigung gemäß § 839 BGB, Art. 34, 1, 2 GG scheitern daran, dass den Mitarbeitern der Beklagten die Verletzung einer Amtspflicht nicht vorgeworfen werden kann. Mit ihrem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin vom 21.06.2000 hat die Beklagte Amtspflichten nicht verletzt. Dieses Schreiben ist die Beantwortung der Bitte der Staatsanwaltschaft um Informationen in Bezug auf einen Verdacht verbotenen Insiderhandels im Umfeld der Ad-hoc-Mitteilung der Klägerin vom 12.01.2000. Allerdings beruht die Äußerung eines entsprechenden Verdachtes auf der unzutreffenden Annahme, dass die Stadtsparkasse K. am 13.01.2000 rund 597.000 Stück Aktien der F. AG gekauft habe. Der zugrunde liegende Irrtum der Beklagten über die Richtigkeit der entsprechenden Mitteilung der Stadtsparkasse K. kann ihr jedoch nicht als Amtspflichtverletzung vorgeworfen werden.

Grundsätzlich besteht die Amtspflicht, vor der Mitteilung eines Verdachtes den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt (BGH NJW 1989, 99; 1994, 3162; Papier in: Münchener Kommentar, 3. Auflage, BGB § 839 Rnr. 192). Diese Amtspflicht hatte auch die Beklagte zu beachten, zu deren Aufgaben es gehört, Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat nach § 38 WpHG begründen, der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen (§ 18 S. 1 WpHG).

Der durch die Verletzung dieser Pflicht Geschädigte ist jedenfalls dann "Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB, wenn die hoheitliche Maßnahme darauf abzielt, den Adressaten zu einem Eingriff in seine Rechtsstellung zu veranlassen (BGH NJW 1989, 99). So liegt es hier. Die Beklagte äußerte gegenüber der Staatsanwaltschaft Berlin den Verdacht strafbaren Insiderhandels in dem Wissen, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der Klägerin Durchsuchungen durchführen wollte; sie forderte die Staatsanwaltschaft außerdem ausdrücklich auf, die geplanten Durchsuchungen auch auf den Verdacht des verbotenen Insiderhandels zu stützen. Danach zielte das Schreiben der Beklagten vom 21.06.2000 darauf ab, die Staatsanwaltschaft zu einem Eingriff in die Rechtsstellung der Kläger zu veranlassen.

Zur Bestimmung der Anforderungen, denen die Beklagte hier in Erfüllung ihrer Pflicht, zur Vermeidung von Nachteilen des Betroffenen den Sachverhalt zu erforschen, genügen musste, ist zu berücksichtigen, dass die Untersuchungspflicht der Beklagten nicht auf Ermittlungstätigkeit im strafrechtlichen Sinne gerichtet ist. Vielmehr handelt es sich bei der Tätigkeit der Beklagten um eine verwaltungsrechtliche Untersuchung mit verwaltungsrechtlichen Mitteln (Dreyling in: Assmann/Schneider, WpHG, 2. Auflage, § 18 Anmerkung II). Die der Beklagten nach dem WpHG aufgetragene Untersuchungstätigkeit ist nicht auf eine umfassende Ermittlung des Sachverhalts gerichtet. Während die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf eine Aufklärung des Sachverhaltes gerichtet sind, die eine hinreichende Grundlage für die Entschließung nach § 160 StPO, ob öffentliche Klage zu erheben ist, darstellt, ist die Untersuchungstätigkeit des Bundesaufsichtsamtes gemäß § 18 S. 1 WpHG auf die Anzeige von Tatsachen gerichtet, die einen bestimmten Verdacht begründen. Wenn Anhaltspunkte (nicht schon: ein konkreter Verdacht) für ein verbotenes Insidergeschäft vorliegen, kann das Bundesaufsichtsamt Auskünfte nach § 16 Abs. 2-6 WpHG Auskünfte einholen. Danach unterliegt es dem Ermessen des Bundesaufsichtsamtes, ob bei vorhandenen Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften nach 14 WpHG Auskünfte zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes eingeholt werden.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann die Äußerung des Verdachtes verbotener Insidergeschäfte in dem Schreiben vom 21.06.2000 nur dann als Verletzung einer Amtspflicht der Beklagten angesehen werden, wenn es ermessensfehlerhaft (und somit nicht vertretbar) war, dass die Beklagte es unterließ, die den Verdacht maßgeblich begründende Nachricht über den Aktienkauf der Kölner Stadtsparkasse zu überprüfen. Nach den hier vorliegenden besonderen Umständen ist das Unterlassen weiterer Untersuchungen zur Überprüfung der Nachricht der Stadtsparkasse K. auf ihren Wahrheitsgehalt vertretbar. Allerdings fällt an der Meldung der Stadtsparkasse K. über den Kauf von (angeblich) 577.580 Stück Aktien am 13.01.2000 auf, dass die Anzahl der erworbenen Aktien außerordentlich hoch ist und überdies noch mit der Wertpapierkennnummer übereinstimmt. Wie die Beklagte in ihrem Schreiben vom 21.06.2000 an die Staatsanwaltschaft Berlin selbst ausführt, belief sich die Anzahl der zu diesem Zeitpunkt frei handelbaren Aktien (der sogenannte Free-Float) auf 587.019 Stück Aktien. Weil sich die Alteigentümer der F. AG gegenüber der Deutsche Börse AG verpflichtet hatten, ihre Aktien nicht vor dem 19.01.2000 zu verkaufen, waren die restlichen ca. 90 % der Aktien für den Handel zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar. Da die Gesamtzahl der von der Stadtsparkasse K. erworbenen Aktien aus den gemeldeten Käufen den sogenannten Free-Float überstieg, hätte es sich jedenfalls in gewissem Umfang um den Erwerb von Aktien gehandelt, bei deren Veräußerung die Gesellschafter der Klägerin gegen die Lock-up-Verpflichtung verstießen.

Gleichwohl mussten sich den zuständigen Mitarbeitern der Beklagten keine durchgreifenden Bedenken gegen die Richtigkeit der Meldung der Stadtsparkasse K. aufdrängen. Insbesondere wegen der sich aus der Ad-hoc-Meldung der F. AG vom 12.01.2000 ergebenden positiven Geschäftsentwicklung musste es nicht von vornherein als unvernünftig erscheinen, eine derart große Anzahl an Aktien zu erwerben. Es ist nicht ersichtlich, dass es den zuständigen Mitarbeitern der Beklagten hätte auffallen müssen, dass die Anzahl der angeblich erworbenen Aktien die von den Vorständen, Aufsichtsräten nebst deren Angehörigen gehaltenen Aktien überstieg. Unstreitig gab es am 21.06.2000 keine verlässlichen Quellen über die von den Alt-Aktionären der F. AG gehaltenen Aktien. Es musste auch nicht als ausgeschlossen erscheinen, dass die beiden Vorstände der Klägerin, der Aufsichtsratsvorsitzende und deren Angehörige alle gehaltenen Aktien in nur einem Geschäft verkauften. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Einschaltung einer nicht meldepflichtigen Person zwischen den Alt-Aktionären und der Stadtsparkasse K. in Betracht kam, so dass die Transaktion als nur ein Geschäft gemeldet werden konnte.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiter der Beklagten auf die Strafanzeige des Rechtsanwalts C. vom 05.06.2000 hin unstreitig eine sogenannte "Basis-Recherche" durchgeführt und am 19.06.2000 abgeschlossen hatten. Diese beinhaltete keine vollständige Marktanalyse und Insideruntersuchung, sondern nur eine Kurzanalyse der Kurse, Umsätze und Meldungen nach § 9 WpHG im Umfeld der Ad-hoc-Mitteilung vom 12.01.2000 nach offensichtlichen Auffälligkeiten. Die Basis-Recherche hatte hinsichtlich der beanstandeten Ad-hoc-Mitteilung der F. AG vom 12.01.2000 ergeben, dass diese Mitteilung zumindest missverständlich, wenn nicht falsch war, weil zu jenem Zeitpunkt noch keine 195 Verträge abgeschlossen waren. Daraus ergab sich - jedenfalls gut vertretbar - der Verdacht der unrichtigen Darstellung von Verhältnissen der Gesellschaft nach § 400 Abs. 1 Aktiengesetz. Der hierdurch am 12.01.2000 ausgelöste Anstieg des Kurses der Aktien der F. AG lässt es nicht ganz unplausibel erscheinen, dass in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Ad-hoc-Mitteilung im Rahmen verbotener Insidergeschäfte eine außerordentlich hohe Anzahl von Aktien verkauft wurde.

Auch ist zu Gunsten der Mitarbeiter der Beklagten zu berücksichtigen, dass für die Beantwortung der Anfrage der Staatsanwaltschaft Berlin eine nur kurze Zeit zur Verfügung stand und dass es aus grundsätzlichen Überlegungen nicht zu beanstanden ist, wenn das Bundesaufsichtsamt Verdachtstatsachen in frühzeitigem Stadium der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft anzeigt, da die Staatsanwaltschaft die weiteren Untersuchungen mit den Mitteln der Strafprozessordnung - insbesondere mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen - effizienter führen kann als das Bundesaufsichtsamt. Dessen verwaltungsrechtliche Mittel sind mit einem häufig nicht gewünschten Ankündigungseffekt verbunden (Dreyling/Schäfer, Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität, Rnr. 258).

Schließlich mussten sich den zuständigen Mitarbeitern der Beklagten Bedenken gegen die Richtigkeit der Meldung der Stadtsparkasse K. nicht wegen der Identität von Wertpapierkennnummer und Anzahl der gehandelten Aktien aufdrängen. Anders als es der von der Beklagten im Berufungsrechtszug angefertigte und vorgelegte schriftliche Ausdruck der vollständigen Meldesätze der Stadtsparkasse K. vom 13.01.2000 nahe legen könnte, gab die Analyse der Daten am Bildschirm die Wertpapierkennnummer nicht zu erkennen. Das beruht darauf, dass bei der Bearbeitung die zur Analyse nicht benötigten Daten - hier auch die Wertpapierkennnummer - ausgeblendet und nur die als maßgeblich angesehenen Daten wie Handelstag, Stückzahl, Preis, Geschäftsart und Meldepflichtiger betrachtet wurden. Dieses Vorgehen erscheint im Hinblick auf die außerordentlich große Datenmenge - allein für den 13.01.2000 etwa 2000 Meldungen, wie die Beklagte im Senatstermin am 05.05.2003 darlegte - sachgerecht.

Danach lässt die Würdigung aller Umstände es als vertretbar erscheinen, dass die Mitarbeiter der Beklagten die Meldung der Stadtsparkasse K. über den Ankauf von 577.580 Stück Aktien am 13.01.2000 ohne weitere Untersuchungen - etwa durch telefonische Bitte um Auskunft gegenüber der Stadtsparkasse K. - ihrem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin vom 21.06.2000 zugrunde legte und bei der Begründung des Verdachts verbotenen Insiderhandels verwertete.

Da die Berücksichtigung der Meldung der Stadtsparkasse K. durch die Mitarbeiter der Beklagten ohne weitere Untersuchungen nicht als pflichtwidrig angesehen werden kann, war auch ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass die Meldung der Stadtsparkasse K. nicht überprüft und zweifelhaft sei, nicht geboten.

Eine Amtspflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten kann nicht darin gesehen werden, dass sie nicht aus Anlass der Strafanzeige des Rechtsanwalts C. vom 05.06.2000 mögliche Verdachtstatsachen schon vor der Anfrage der Staatsanwaltschaft Berlin umfassend untersuchten und dadurch die Beurteilungsgrundlage für die Stellungnahme vom 21.06.2000 beeinträchtigten. Unstreitig wurde aus Anlass der Strafanzeige vom 05.06.2000 die sogenannte Basisrecherche durchgeführt und am 19.06.2000 abgeschlossen. Selbst gänzlich unterlassene Untersuchungen könnten einen Amtshaftungsanspruch der Kläger nicht begründen, weil die allgemeine Pflicht zur Überwachung des Wertpapierhandels und zur Untersuchung gemäß § 4 Abs. 2 WpHG allein im öffentlichen Interesse besteht und keine drittschützende Wirkung zugunsten der Kläger entfaltet.

Ein Amtshaftungsanspruch der Kläger kann auch nicht mit den von ihnen geltend gemachten Organisationsmängeln der Beklagten bei der Behandlung der Stornomeldungen, die nicht automatisch zugeordnet werden können, begründet werden. Es kann offen bleiben, ob eine manuelle Überprüfung oder eine Rückgabe solcher Meldungen an den Meldenden zweckmäßig oder sachgerecht gewesen wäre. Diese Frage betrifft die Organisation der Arbeitsabläufe zur Wahrnehmung der durch das WpHG der Beklagten übertragenen Aufgaben. Die sich hieraus ergebenden Pflichten schützen nicht auch das Interesse der Klägerin an der Vermeidung eines unzutreffenden Verdachtes verbotener Insidergeschäfte seitens ihrer Organe.

Danach ist die Verletzung drittbezogener Amtspflichten durch die Mitarbeiter der Beklagten zu verneinen.

Die geltend gemachte Geldentschädigung steht den Klägern selbst dann nicht zu, wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, die Äußerung des Verdachtes verbotenen Insiderhandels gegenüber der Staatsanwaltschaft Berlin sei als eine schuldhafte Amtspflichtverletzung anzusehen. Denn es fehlt jedenfalls an den besonderen Voraussetzungen, unter denen eine Geldentschädigung zum Ausgleich einer Persönlichkeitsrechtsverletzung beansprucht werden kann.

Eine Verletzung des aus Art. 1, 2 GG abzuleitenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet einen Anspruch auf Geldentschädigung nur dann, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob die Verletzung des Persönlichkeitsrechts "schwerwiegend" ist, hängt insbesondere von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden, sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 128, 1, 12; BGH NJW 2000, 2195, 2197). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Allerdings hat der erhobene Verdacht des verbotenen Insiderhandels erhebliches Gewicht. Er ist auf eine strafbare persönliche Bereicherung der als Rechtsanwälte tätigen Kläger unter Missbrauch des Vertrauens der Anleger gerichtet. Die Rufschädigung wirkt sich außerdem hinsichtlich des Klägers zu 3) wegen dessen beruflicher Tätigkeit als Notar wegen der Beschädigung von dessen Integrität und Seriosität nachteilig aus.

Gleichwohl ist die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Kläger nicht als schwerwiegend anzusehen. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass auch ohne den zu Unrecht erhobenen Verdacht verbotenen Insiderhandels die Staatsanwaltschaft Berlin Ermittlungen gegen die Kläger wegen des Verdachtes eines strafbaren Verstoßes gegen § 400 AktG fortgeführt und in diesem Zusammenhang auch Durchsuchungen vorgenommen hätte. Darüber wäre in der Fachpresse auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten berichtet worden. Die hier relevante Verletzung des Persönlichkeitsrechts beschränkt sich danach allein auf den zusätzlichen -wenn auch gewichtigen - Verdacht verbotenen Insiderhandels. Dieser Verdacht jedoch wurde durch die Presseerklärung der Beklagten vom 23.06.2000 - also bereits 2 Tage nach seinem ersten Bekanntwerden - hinreichend deutlich als unbegründet erklärt. Gegen eine Bewertung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Kläger als schwerwiegend spricht ferner der Umstand, dass Anlass und Beweggrund für das Schreiben der Beklagten vom 21.06.2000 an die Staatsanwaltschaft Berlin nicht eigennützige Motive waren, sondern eine Tätigkeit zur Wahrnehmung der ihr nach dem Wertpapierhandelsgesetz aufgetragenen Aufgaben war. Das Handeln der Beklagten zielte auch nicht auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Kläger ab, sondern war nur mittelbar die Ursache für die entsprechende Presseberichterstattung. Der Eintritt der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Kläger wurde von den Mitarbeitern der Beklagten auch nicht billigend in Kauf genommen, sondern nur fahrlässig herbeigeführt. Danach sind die Umstände des Falles nicht vergleichbar mit den schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen, in denen die Rechtsprechung die Erforderlichkeit einer Geldentschädigung bejahte, um nicht durch Sanktionslosigkeit von Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen den Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern zu lassen (vgl. BGH a.a.O).

Da die Berufung der Kläger keinen Erfolg hat, haben diese die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht(§ 543 Abs. 2 ZPO).






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 26.05.2003
Az: 1 U 18/02


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