Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 16. Dezember 2002
Aktenzeichen: 2 BvR 2099/01

(BVerfG: Beschluss v. 16.12.2002, Az.: 2 BvR 2099/01)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass die Gerichte des Ausgangsverfahrens eine Erhöhung der ihm zustehenden "Hauptverhandlungsgebühr" gemäß § 97 Abs. 1 Satz 3 (i.V.m. § 83 Abs. 1 Satz 1) BRAGO mit der Begründung abgelehnt haben, die Hauptverhandlung sei bei Verhaftung seiner Mandantin bereits abgeschlossen gewesen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Der Beschwerdeführer ist durch die Versagung einer Gebührenerhöhung gemäß §§ 97 Abs. 1 Satz 3, 83 Abs. 1 BRAGO nicht (mehr) beschwert, weil zwischenzeitlich für seine gesamte Pflichtverteidigertätigkeit in dem vor dem Landgericht Frankfurt am Main gegen Frau B. durchgeführten Strafverfahren gemäß §§ 99 Abs. 1, 2 BRAGO ein erhöhter Pauschalvergütungsanspruch in Höhe von 30.082,50 DM festgesetzt wurde, der an die Stelle der Pflichtverteidigervergütung gemäß § 97 Abs. 1 BRAGO getreten ist. Der gerichtlich bestellte Verteidiger kann eine Pauschalvergütung gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO zwar auch nach unanfechtbarer Festsetzung (und Auszahlung) der in § 97 BRAGO geregelten Pflichtverteidigergebühren beantragen. Die Pauschvergütung wird aber nicht zusätzlich zu den Pflichtverteidigergebühren, sondern an deren Stelle bewilligt (vgl. KG, Beschluss vom 15. Juni 1960 - 15 AR 62/60 -, Rpfl 1962, S. 41; OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 1997 - 2 (s) Sbd.5-129/97 -, Rpfl 1998, S. 38 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. November 1999 - 1 Ws 717/99 -, NStZ-RR 2000, S. 128; Fraunholz, in: Riedel/Sußbauer, Kommentar zur BRAGO, 8. Aufl., § 99, Rn. 15 sub. 3; Madert, in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Kommentar zur BRAGO, 15. Aufl., § 99, Rn. 14; Hartmann/Albers, Kostengesetze, 31. Aufl., § 99 BRAGO, Rn. 1, 34). Eine vor der Bewilligung bereits erfolgte Gebührenfestsetzung wird insoweit - ebenso wie deren teilweise Versagung - gegenstandslos (vgl. Fraunholz, a.a.O., Rn. 15).

2. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Versagung einer Erstattung von ihm für zwei Reisen zu seiner in Frankfurt am Main inhaftierten Mandantin verauslagter Geldbeträge verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, ist unbegründet.

Zwar berührt die Abweisung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung der ihm bei seiner beruflichen Tätigkeit entstandenen Auslagen seine Berufsausübung und ist daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 47, 285 <321>; 83, 1 <13>; 101, 331 <346>). Die Versagung eines Auslagenerstattungsanspruchs für zwei der vier vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der nach der Urteilsverkündung erfolgten Verhaftung seiner Mandantin geltend gemachten Reisen schränkt seine Berufsausübungsfreiheit aber nicht in unzulässiger Weise ein. § 97 Abs. 2 Satz 1 BRAGO sieht (i.V.m. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) vor, dass der im öffentlichen Interesse als Pflichtverteidiger in Dienst genommene Rechtsanwalt Ersatz seiner Auslagen erhält, es sei denn, die Auslagen seien zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen des Mandanten nicht erforderlich. Diese gesetzliche Begrenzung des Auslagenerstattungsanspruchs ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, solange die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 - 2 BvR 1169/86 -, JurBüro 1987, Sp. 1029; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 2000 - 2 BvR 813/99 -, StV 2001, S. 241 f.).

Das Landgericht hat die Beschränkung der Auslagenerstattung auf zwei der vier vom Beschwerdeführer nach Abschluss der Hauptverhandlung in einem Zeitraum von weniger als vier Wochen durchgeführten Reisen zu seiner inhaftierten Mandantin damit begründet, dass von der Erforderlichkeit einer dritten und vierten Reise in so kurzer Zeit auf Grund der Besonderheiten des Falles nicht ausgegangen werden könne. Zum einen sei zu berücksichtigen, dass der (damaligen) Angeklagten auf Wunsch des Beschwerdeführers außergewöhnlicherweise eine in Frankfurt am Main ansässige dritte Pflichtverteidigerin bewilligt worden sei, deren Hilfe er sich habe bedienen können. Zum anderen habe es - angesichts der Möglichkeit einer Eil-Überweisung - zur Einzahlung der Kaution keiner Reise an den Ort der Gerichtskasse bedurft.

Diese Argumentation ist sachlich und nachvollziehbar, drängt also nicht den Schluss auf, das Landgericht und das den landgerichtlichen Beschluss bestätigende Oberlandesgericht hätten sich bei der teilweisen Versagung der vom Beschwerdeführer beantragten Reisekostenerstattung von sachfremden Erwägungen leiten lassen.

Die Gerichte haben auch nicht den Bedeutungsgehalt des Berufsgrundrechts, insbesondere nicht die vom Bundesverfassungsgericht in der vom Beschwerdeführer herangezogenen Entscheidung (der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. November 2000 - 2 BvR 813/99 -, StV 2001, S. 241 f.) hieraus für das anwaltliche Gebührenrecht abgeleiteten Maßstäbe verkannt. In dem der zitierten Entscheidung zu Grunde liegenden Fall war die Erforderlichkeit der verfahrensgegenständlichen Informationsreise bereits gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO mit verbindlicher Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren festgestellt worden, so dass eine Versagung der Auslagenerstattung in § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO keine Grundlage fand (a.a.O., S. 241/242). Demgegenüber hatten die Gerichte des Ausgangsverfahrens erst festzustellen, ob die vom Beschwerdeführer verauslagten Reisekosten im Sinne dieser Vorschrift "zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen" seiner Mandantin erforderlich waren, und dabei neben den Interessen des Beschwerdeführers auch das verfassungsrechtlich legitime, mit der in § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO vorgesehenen Beschränkung des Erstattungsanspruchs auf "erforderliche" Auslagen zum Ausdruck gebrachte Interesse des Staates an der Einschränkung des Kostenrisikos zu berücksichtigen. Dass die Gerichte insoweit die Grenze des dem Beschwerdeführer Zumutbaren überschritten hätten, ist weder von ihm dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Die vom Landgericht angeführte Möglichkeit, eine (Haft-)Kaution ohne Reise an den Ort der Gerichtskasse per Eil-Überweisung zu leisten, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede; dafür, dass ihm eine Nutzung dieser Möglichkeit unzumutbar gewesen sein könnte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

Soweit das Landgericht die Absetzung der Kosten für eine weitere der vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Verhaftung seiner Mandantin geltend gemachten Reisen damit begründet hat, dass Frau B. auf Antrag des Beschwerdeführers eine in Frankfurt am Main ansässige dritte Pflichtverteidigerin beigeordnet worden war, deren Hilfe er sich habe bedienen können, wendet er lediglich ein, der Strafkammer sei bekannt gewesen, dass allein er die Verteidigung von Frau B. durchgängig wahrgenommen habe. Konkrete Gesichtspunkte, die eine Einschaltung der Frankfurter Pflichtverteidigerin zur Vermeidung wenigstens einer der Reisen des Beschwerdeführers als unmöglich oder unzumutbar erscheinen lassen könnten, führt er nicht an. Zwar ist ihm einzuräumen, dass § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1 Satz 1) BRAGO die Beweis- und damit auch die Darlegungslast für das Fehlen der Erforderlichkeit von Auslagen grundsätzlich dem Staat auferlegt (vgl. von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Kommentar zur BRAGO, 15. Aufl., § 126, Rn. 5 und Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl., § 126 BRAGO, Rn. 9, jeweils m.w.N.; s. auch LG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Mai 1969 - II 158/68 - 12 Kls 11/68 -, AnwBl 1969, S. 372 f.). Die im Ausgangsverfahren auf Wunsch des Beschwerdeführers zur Erleichterung der Pflichtverteidigung erfolgte, mit erheblichen Kosten für die Staatskasse verbundene, Beiordnung einer zusätzlichen, am Ort des Gerichts und der Untersuchungshaftanstalt ansässigen Verteidigerin begründete jedoch eine besondere Situation, die es mit Rücksicht auf das - angesichts der Entfernung seines Kanzleiortes erhebliche - Kostenrisiko rechtfertigte, die Erstattung der Auslagen für eine dritte von ihm in kurzem zeitlichem Abstand durchgeführte Besuchsfahrt von der Darlegung konkreter, einer Einschaltung der Frankfurter Anwältin entgegenstehender, Umstände abhängig zu machen. Da der Beschwerdeführer solche Umstände im Ausgangsverfahren nicht vorgetragen hat, ist die von den Gerichten vorgenommene Beschränkung der Auslagenerstattung auf zwei von vier seiner kurz nacheinander durchgeführten Besuchsreisen auf Grund der geschilderten besonderen Umstände von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

3. Unbegründet ist auch die Rüge des Beschwerdeführers, die Versagung einer Erstattung der von ihm für die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens und für das Gutachten vorbereitende Wortlautprotokolle verauslagten Geldbeträge verletze sein Berufsgrundrecht.

a) Die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens vertretene Auffassung, die vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebene Anfertigung von Wortlautprotokollen der Beweisaufnahme sei nicht erforderlich im Sinne des § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO gewesen, ist in dem vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Beschluss vom 31. Oktober 2000 im Einzelnen damit begründet worden, dass § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO dem Vorsitzenden bei Aussagen, auf die es ankommt, die Anordnung einer vollständigen Niederschreibung und Verlesung durch den Protokollbeamten gebietet und den Prozessbeteiligten hierauf ein - von ihnen schon aus Gründen der Kostenersparnis vorrangig zu nutzender - Anspruch zustehe. Der Verteidiger müsse aber auch deshalb von dem prozessualen Mittel des § 273 Abs. 3 StPO Gebrauch machen, weil nur die in § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO vorgesehenen Absicherungen (Protokollvermerk über die Verlesung und Genehmigung der Aussage oder etwaiger Einwände der Prozessbeteiligten) eine spätere beweisrechtliche Verwertung der Niederschrift legitimierten.

Auch diese, auf nachvollziehbare sachliche Argumente gestützte, Begründung lässt nicht befürchten, dass sich die Gerichte bei der Versagung der Auslagenerstattung für die vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebenen Wortprotokolle von sachfremden Erwägungen leiten ließen oder den Bedeutungsgehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt haben könnten. Der vom Beschwerdeführer insoweit erhobene Einwand, nur ein "unabhängig von verfahrensrechtlichen Streitigkeiten" erstelltes Wortprotokoll sei "für die Glaubhaftigkeitsanalyse aussagekräftig", geht schon deshalb fehl, weil ein solches Protokoll - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - mangels Einhaltung der in § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO vorgeschriebenen Verfahrensvorkehrungen beweisrechtlich nicht verwertbar ist.

b) Auch die vom Oberlandesgericht bestätigte Annahme des Landgerichts, das vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten sei kostenrechtlich nicht erforderlich gewesen, weil die Kammer es nicht zu Beweiszwecken benötigt und deshalb auch nicht verwertet habe, ist frei von Willkür. Den auf das Gutachten gestützten Beweisantrag des Beschwerdeführers hatte die Kammer unter Hinweis auf ihre eigene Sachkunde gemäß § 244 Abs. 4 StPO abgewiesen und hierzu ausgeführt, die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen gehöre seit jeher zum Wesen richterlicher Rechtsfindung, d.h. zur genuinen Aufgabe der tatrichterlich berufenen Richter und Schöffen; das lange Zurückliegen der tatrelevanten Beobachtungen begründe insoweit keinen Ausnahmefall, der die Hinzuziehung eines Aussagepsychologen erforderlich mache, sondern sei vom Gericht ebenso bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen wie etwaige Diskontinuitäten oder Abhängigkeiten im Inhalt der Zeugenaussagen.

Diese Auslegung des § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1981 - 1 StR 561/81 -, NStZ 1982, S. 42; Urteil vom 5. Dezember 1986 - 2 StR 301/86 -, StV 1987, S. 374; Beschluss vom 29. Oktober 1996 - 4 StR 508/96 -, NStZ-RR 1997, S. 106; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 45. Aufl., § 244, Rn. 74; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 25. Aufl., § 244, Rn. 300 ff., 305 mit Rn. 82; Herdegen, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 244, Rn. 27 ff., 31, jeweils m.w.N.). Auch die daran anknüpfende Ansicht des Landgerichts, das vom Beschwerdeführer zur Vorbereitung seines Beweisantrags eingeholte Sachverständigengutachten sei im Sinne des Kostenrechts nicht zur sachgerechten Verteidigung von Frau B. erforderlich gewesen, liegt auf der Linie der fachgerichtlichen Rechtsprechung. Diese versagt eine Erstattung für ein Privatgutachten verauslagter Beträge in der Regel mit der Begründung, die Interessen eines Beschuldigten im Strafverfahren seien angesichts seiner Befugnis zur Beweisantragstellung, der den Gerichten obliegenden Aufklärungspflicht und dem Grundsatz, dass bei verbleibenden Zweifeln zu seinen Gunsten zu entscheiden ist, hinreichend gewahrt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. September 1989 - 2 Ws 394/89 -, NStZ 1989, S. 588 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985 - 1 Ws 384/85 -, AnwBl 1986, S. 158; Beschluss vom 8. Januar 1990 - 2 Ws 608/89 -, NStZ 1991, S. 353 f.; Beschluss vom 21. April 1997 - 2 Ws 108/97 -, NStZ 1997, S. 511; Paulus, in: KMR, § 464a, Rn. 40; Franke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 45. Aufl., § 464a, Rn. 16; Pfeiffer, Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6, jeweils m.w.N.; für eine großzügigere Auslagenerstattung sprechen sich Hilger, in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 24. Aufl., § 464a, Rn. 49 und Dahs, Anmerkung zum Beschluss des OLG Düsseldorf vom 8. Januar 1990 - 2 Ws 608/89 -, NStZ 1991, S. 354, aus). Gutachtenkosten sollen nur dann ausnahmsweise erstattungsfähig sein, wenn - aus verständiger ex-ante-Sicht des Verfahrensbeteiligten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985 - 1 Ws 384/85 -, AnwBl 1986, S. 158; Franke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6; Pfeiffer, Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6) - gegenüber einem Spezialwissen der Ermittlungsbehörden die Waffengleichheit zu wahren ist (vgl. den bereits zitierten Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Januar 1990 mit Anmerkung Dahs), komplexe technisch-fachliche Fragen oder solche aus abgelegenen Rechtsgebieten zu beantworten sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985 - 1 Ws 384/85 -, AnwBl 1986, S. 158 f.) oder nach Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten keine weitere Erfolg versprechende Verteidigungsstrategie mehr offen stand und deshalb mit einer alsbaldigen Verschlechterung der Prozesslage zu rechnen war (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Juni 1999 - 1 Ws 209/99 -, NStZ-RR 2000, S. 64; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 1997 - 2 Ws 108/97 -, NStZ 1997, S. 511). Dagegen wird bei Sachverständigengutachten zu gängigen strafrechtlichen Fragen eine Auslagenerstattung grundsätzlich versagt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20. Dezember 1993 - 5 Ws 259/93 -, JurBüro 1994, S. 296 f.).

Da die Beweiswürdigung einen Teil der strafrechtlichen Rechtsanwendung bildet (vgl. § 261 StPO) und sich dabei stellende aussagepsychologische Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale, in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie darstellen (vgl. nur Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, 2. Aufl. 1995), ist die Auffassung des Landgerichts nachvollziehbar, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei - mangels besonderer, zusätzliche psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände - eine kostenverursachende Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht erforderlich gewesen. Zumindest beruht die Entscheidung des Landgerichts, eine Erstattung des vom Beschwerdeführer für das von ihm eingeholte aussagepsychologische Gutachten verauslagten Geldbetrages zu versagen, auf sachlichen, einen Willkürvorwurf ausschließenden, Erwägungen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben insoweit auch nicht Bedeutung oder Tragweite der Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt. Dass dieser die Einholung des aussagepsychologischen Gutachtens zur Verteidigung seiner damaligen Mandantin, insbesondere zur Ausübung von Beweisantragsrechten, für erforderlich hielt, weil den von dem Sachverständigen begutachteten Zeugenaussagen nach dem aufhebenden und zurückverweisenden Beschluss des Bundesgerichtshofs maßgebliche Bedeutung zukam, macht die Versagung der Auslagenerstattung nicht verfassungswidrig. Denn Beweisantragsrechte bestehen nur in den Grenzen der §§ 244 ff. StPO. Angesichts der zitierten höchstrichterlichen, von der Literatur weitgehend bestätigten, Auslegung des § 244 Abs. 4 StPO war für den Beschwerdeführer bei "verständiger ex-ante-Betrachtung" erkennbar, dass das Landgericht die Beweiswürdigung als spezifisch richterliche, d.h. kraft eigener Sachkunde zu erfüllende, Aufgabe ansehen und Anträge auf sachverständige Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen erwachsener, psychisch und somatisch unauffälliger, Zeugen abweisen würde (vgl. Herdegen, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 244, Rn. 27: "Scheut der Richter die eigenverantwortliche Beurteilung einer Beweisfrage in Fällen, in denen er eigene Sachkunde in Anspruch nehmen dürfte und müsste, verfehlt er die ihm zukommende Rolle ..."; zum Zusammenhang zwischen dem Umfang von Beweisantragsrechten und Auslagenerstattungsansprüchen vgl. Jakubetz, JurBüro 1999, S. 564 ff., 571). Soweit der Beschwerdeführer die Erforderlichkeit des Sachverständigengutachtens damit begründet, dass in dem vor dem Frankfurter Landgericht durchzuführenden dritten Strafverfahren gegen Frau B. der vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 30. Juli 1999 (BGHSt 45, 164 ff. = NStZ 2000, S. 100 ff.) "anhand forensisch-psychologischen Wissensstandes entwickelte Maßstab" zu beachten gewesen sei, verkennt er, dass dieser Maßstab die an ein aussagepsychologisches Gutachten zu stellenden inhaltlichen und methodischen Anforderungen betrifft, nicht aber die Frage, ob die Einholung eines solchen Gutachtens gemäß §§ 244 ff. StPO geboten ist.

Eine Erstattung der vom Beschwerdeführer verauslagten Gutachtenkosten gemäß § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO war allenfalls dann zur Wahrung seiner Berufsausübungsfreiheit geboten, wenn seine Verteidigungsstrategie darauf zielte, von Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur verwertete aussagepsychologische Erkenntnisse auf Grund neuerer, durch das eingeholte Sachverständigengutachten zu belegender, Forschungsergebnisse in Frage zu stellen. Dies war jedoch - wie sich aus dem Inhalt des vorgelegten Gutachtens ergibt - nicht der Fall: Die von dem Sachverständigen Prof. Max Steller herangezogenen, in einem Vorspann zusammengefassten "Forschungsergebnisse über die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen" entsprachen dem zu dieser Zeit in der juristischen Fachliteratur rezipierten Stand der Wissenschaft. Dies gilt sowohl für das von dem Sachverständigen beschriebene Phänomen sogenannter "schemabasierter Gedächtnisstörungen" (vgl. nur Bender/Nack, a.a.O., Rn. 32, 60 ff., 83 und 119 ff.), für den potentiellen Einfluss wiederholter Befragungen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O., Rn. 103 ff., 106 ff. und Rn. 159 mit Rn. 123), sogenannter Quellenverwechselungen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O., Rn. 115, 119 ff., 136 ff., 141 ff., 146-159) und von anderen Zeugen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O., Rn. 103 ff., 107 ff.) als auch für die von ihm angesprochene sogenannte Exaktheits-Gewissheits-Problematik (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O., Rn. 123 f.).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 16.12.2002
Az: 2 BvR 2099/01


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