Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. März 2005
Aktenzeichen: 7 W (pat) 6/03

(BPatG: Beschluss v. 16.03.2005, Az.: 7 W (pat) 6/03)

Tenor

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Patentanmeldung 42 29 291.37-12 mit der Bezeichnung "Schieber für ein Schieberventil und Verfahren zu seiner Herstellung" ist am 2. September 1992 beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangen. Sie nimmt die Priorität der deutschen Patentanmeldung 41 30 260.5 vom 12. September 1991 in Anspruch.

In einem Prüfungsbescheid vom 2. August 2001 hat die Prüfungsstelle für Klasse F 16 K des Deutschen Patentund Markenamts der Anmelderin mitgeteilt, daß eine Patenterteilung mit den geltenden Unterlagen nicht möglich sei, da der Anmeldungsgegenstand im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Am 24. Dezember 2001 hat die Anmelderin neue Patentansprüche 1 und 6 vorgelegt, die anstelle der bisher geltenden Ansprüche 1 und 6 dem weiteren Verfahren zugrundegelegt werden sollen.

Mit Beschluß vom 14. Januar 2002 hat die Prüfungsstelle die vorliegende Patentanmeldung mangels Patentfähigkeit ihres Gegenstandes zurückgewiesen. Der Beschluß ist auf den Stand der Technik ua nach US-PS 3 688 797, JP 55163374 A, JP 61087752 A und Carlowitz, B. : "Kunststoff-Tabellen", 3. Aufl., Carl Hanser Verlag München 1986, S. 74-75 und 116-117, gestützt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In einer Zwischenverfügung hat der Senat der Anmelderin die vorläufige Ansicht des Berichterstatters mitgeteilt, daß Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit bei den Gegenständen nach den geltenden Patentansprüchen bestünden.

In der mündlichen Verhandlung legt die Anmelderin neue Patentansprüche 1 bis 6 vor. Sie macht geltend, daß der Schieber gemäß Anspruch 1 und das Verfahren zu seiner Herstellung gemäß Anspruch 6 neu seien und gegenüber dem aufgezeigten druckschriftlichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

Schieber (1) für ein Schieberventil, mit einem länglich geformten Schieberschaft (3), der entsprechend seiner länglichen Form eine Längsachse, zu seiner Verstellung längs seiner Längsachse druckbeaufschlagbare Enden und wenigstens eine zwischen den Enden angeordnete Mantelfläche (4) aufweist, die über den Schieberschaft (3) im übrigen radial vorsteht und eine Dichtfläche einer Schiebersektion bildet, dadurch gekennzeichnet, daß der Schieber aus einem Thermoplast mit folgenden Eigenschaften besteht:

- glasfaserverstärkt,

- mineralgefüllt,

- hohe thermische Formbeständigkeit,

- Druckfestigkeit von ³

110 MPa, und - Rockwellhärte von ³

R-117, daß der Schieber (1) ein Spritzgußteil ist, und daß die Mantelfläche (4) -die einzige bearbeitete Fläche des Schiebers (1) ist, -geschliffen ist und - ein unzerstörtes homogenes Gefüge aufweist.

Der geltende Patentanspruch 6 lautet:

Verfahren zur Herstellung eines Schiebers (1) für ein Schieberventil nach einem der vorhergehenden Ansprüche, gekennzeichnet durch folgende Verfahrensschritte:

a) Herstellung einer Spritzgußmasse aus einem glasfaserverstärkten, mineralgefüllten Thermoplast mit hoher thermischer Formbeständigkeit, einer Druckfestigkeit von ³

110 MPa und einer Rockwell-Härte von ³

R-117;

b) gleichmäßige und vollständige Befüllung einer Spritzgußform mit dem Thermoplast mit regelbaren Gießparametern zur Einhaltung insbesondere eines konstanten Druckes und einer konstanten Temperatur;

c) Herstellung eines Schieberrohlings im Spritzgußverfahren in der Spritzgußform aus dem Thermoplast mit wenigen Hundertstel mm Übermaß an zu bearbeitenden Flächen;

d) Entnehmen des Schieberrohlings aus der Spritzgußform; unde) Schleifen der mit Übermaß gespritzten Flächen auf Sollmaß.

II Die fristund formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

1. Der Gegenstand der Anmeldung in der geltenden Fassung der Patentansprüche stellt keine patentfähige Erfindung iSd § 1 bis § 5 PatG dar, denn er beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Fachhochschul-Ingenieur des Allgemeinen Maschinenbaus anzusehen, der mit der Konstruktion und Herstellung von Armaturen wie Schieber, Ventile etc für den Einsatz in hydraulischen Systemen, ua hydraulischen Steuerungen, befaßt ist und gute Kenntnisse auf dem Gebiet der Werkstoffkunde und Werkstoffbearbeitung besitzt.

1.1 Nach den Ausführungen der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung geht der geltende Anspruch 1 gemäß seinem Oberbegriff aus von einem Schieber für ein Schieberventil wie er ua aus der US-Patentschrift 3 688 797 bekannt und auch dem Fachmann geläufig ist. In der Beschreibung der Anmeldung ist angegeben, daß derartige bekannte Schieber in der Regel aus Aluminium gefertigt werden und diese Herstellung besonders aufwendig sei, weil neben mehreren Drehund Schleifvorgängen Arbeitsschritte für das Hartcoatieren oder das Eloxieren zur Erzielung einer hohen Steuerkantenstabilität erforderlich seien (DE 42 29 291 A1 Sp1 Z 11bis 23).

Die vorliegenden Anmeldung leitet aus diesen Nachteilen die Aufgabe her, einen einfacher herzustellenden Schieber zu entwickeln (Sp 1 Z 24, 25).

Zur Lösung dieser Aufgabe ist im kennzeichnenden Teil des geltenden Anspruchs 1 im Kern angegeben, daß der Schieber als Spritzgußteil aus einem thermoplastischen Material bestimmter Eigenschaften hergestellt ist und nur die Dichtflächen bildenden Mantelflächen des Schiebers durch Schleifen bearbeitet sind, derart, daß das homogene Materialgefüge nicht zerstört ist.

Der Senat konnte nicht feststellen, daß die Lehre des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Der Fachmann ist im Rahmen seiner fachlichen Tätigkeit stets gehalten, Werkstoffsubstitutionen für bekannte Bauteile in Erwägung zu ziehen, wenn sich damit Vorteile in technischer oder wirtschaftlicher Hinsicht erwarten lassen. Aus der 1980 veröffentlichten JP 55163374 A erhält er zB die Anregung, Schieber für Schieberventile - hier allerdings in anderer Bauart -aus thermoplastischem, bekanntermaßen für das Spritzgießverfahren geeignetem Kunststoff zu verwenden. Die Druckschrift nennt jedoch kein bestimmtes thermoplastisches Material, so daß der Fachmann gehalten ist, in anderen Quellen nach bekannten Thermoplasten zu suchen, die die ins Auge gefaßten Anforderungen hinsichtlich mechanischer Eigenschaften und Verarbeitbarkeit für den von ihm in Betracht gezogenen Schieber erfüllen könnten. Bei einer Materialsubstitution hat der Fachmann nur dann Veranlassung auch die grundsätzliche, in der Regel von der funktionellen Verwendung bestimmte Bauform (bei Schiebern zB Längserstreckung, Zahl der Dichtabschnitte) seines Gegenstandes zu verlassen, wenn dies die Materialänderung erzwingen würde. Dies ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall, weshalb der Senat den diesbezüglichen Ausführungen der Anmelderin zur Übernahme der Bauform aus der JP 55163374 A nicht zu folgen vermag.

Die "Kunststoff-Tabellen" von C... aus dem Jahre 1986, die allgemeine und mechanische Eigenschaften sowie mögliche Anwendungsgebiete von Thermoplasten aufzeigen, geben dem Fachmann bei der Materialwahl entscheidende Hinweise. Auf Seiten 116 und 117 finden sich Angaben ua zum Thermoplast Polyphenylensulfid (PPS), das die im Anspruch 1 geforderten Materialeigenschaften erfüllt: PPS ist durch Spritzgießen zu verarbeiten, wobei aufgrund der geringen Schwindung (0,2 -0,6 %) eine hohe Maßgenauigkeit gewährleistet ist. Es ist verstärkbar durch Glasfasern und/oder Mineralstoffe. Es weist eine sehr hohe thermische Formbeständigkeit auf. Druckfestigkeitswerte von mehr als 110 MPa (N/mm2) und Rockwellhärten von mehr als R 117 sind abhängig von den eingelagerten Glasfasern und/oder Mineralstoffen einstellbar: mit 40 % Glasfaserverstärkung ist beispielsweise eine Zugfestigkeit von 130 MPa (N/mm2) - die Druckfestigkeit liegt bekanntermaßen darüber - und eine Rockwellhärte von R 123 erzielbar. Auch die angegebenen Anwendungsgebiete bestärken den Fachmann, PPS als Material für einen Schieber eines Ventils in Betracht zu ziehen, denn PPS soll sich ua für Kompressorkolben, Kolbenringe und Ventilkugeln, also für bewegliche und druckbelastbare Bauteile, zu denen zweifellos Schieber zu rechnen sind, eignen. Daß der Handel PPS-Kunststoffe mit in den Tabellen vergleichbaren oder diese übertreffenden Eigenschaften vor dem Prioritätstag der Anmeldung bereits angeboten hat, ist im übrigen schon in den Anmeldeunterlagen festgestellt (DE 42 29 291 A1 Sp 1 Z 37 bis 51).

Dem Fachmann ist ferner geläufig, Bauteile zumindest in den Bereichen mit Übermaß zu fertigen, für die eine hohe Paßgenauigkeit in Relation zu benachbarten Bauteilen gefordert wird, damit anschließend durch ein materialabtragendes Verfahren -ua als naheliegendste Möglichkeit das Schleifen die gewünschten Sollmaße präzise eingestellt werden können. Im Falle eines Schieberventils ist ein Sollmaß anzustreben, das für eine hinreichende Abdichtung des Spaltes zwischen Schieber und Gehäuse bei ausreichendem Spiel für eine hinreichend gute axiale Beweglichkeit des Schiebers erforderlich ist. Dabei wird der Fachmann im Rahmen seines routinemäßigen Wissens und Könnens das Schleifverfahren oder ggf. ein sonstiges materialabtragendes Verfahren derart gestalten, daß das beim Spritzgießen entstehende homogene Gefüge, von dessen Eigenschaften in vorteilhafter Weise Gebrauch gemacht werden soll, weil es beispielsweise sehr verschleißfest ist, nicht zerstört wird. Im übrigen ist bereits bekannt, daß Werkstoffe aus PPS sehr gut durch Schleifen zu bearbeiten sind (JP 61087752 A, re Sp).

Danach konnte der Fachmann aufgrund des aufgezeigten Standes der Technik und unter Einsatz seines routinemäßigen Wissens und Könnens ohne erfinderische Tätigkeit zur Lehre des Anspruchs 1 gelangen.

Der Patentanspruch 1 ist somit nicht gewährbar.

1.2 Das Verfahren zur Herstellung eines Schiebers gemäß Patentanspruch 6 besteht neben der Verwendung der schon im Anspruch 1 angegebenen Spritzgußmasse (Merkmal a) aus: einer gleichmäßigen und vollständigen Befüllung der Spritzgußform unter Einhaltung eines konstanten Druckes und einer konstanten Temperatur des Thermoplasts (Merkmal b), der Bildung eines Schieberrohlings mit wenigen Hundertstel mm Übermaß an den zu bearbeitenden Flächen (Merkmal c), der Entnahme des Rohlings aus der Spritzgußform (Merkmal d) und schließlich aus dem Schleifen der mit Übermaß gespritzten Flächen auf Sollmaß (Merkmal e).

Nach Überzeugung des Senats gehen diese Verfahrensschritte nicht über das hinaus, was von einem Fachmann, dem das Spritzgußverfahren geläufig ist, an Können erwartet werden muß. Um Fehlstellen im Schieber zu vermeiden, kommt es selbstverständlich auf eine gleichmäßige und vollständige Befüllung der Gießform an, wobei die Einhaltung eines konstanten Drucks und einer konstanten Temperatur eine naheliegende von mehreren an sich geeigneten Möglichkeiten der gesteuerten Befüllung der Form darstellt. Daß die Herstellung des Rohlings an den zu bearbeitenden Stellen mit Übermaß erfolgen muß, damit eine Bearbeitung auf Sollmaß nachfolgend möglich ist, ist ebenfalls selbstverständlich und wurde unter 1.1 schon angesprochen. Soweit in dem geringen Übermaß von wenigen Hunderstel mm erfinderische Bedeutung gesehen wird, kann der Senat dem nicht folgen. Denn ein geringes Übermaß an den zu bearbeitenden Flächen eines Rohlings bietet sich schon allgemein aus wirtschaftlichen Gründen und insbesondere bei Werkstoffen mit geringer Schwindung nach dem Spritzgießen, wie bei PPS, an.

Auch der Patentanspruch 6 ist nicht gewährbar.

1.3 Daß in den auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 5 noch Merkmale von patentbegründender Bedeutung enthalten sind, hat die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.

Danach sind auch die Patentansprüche 2 bis 5 nicht gewährbar.

2.

Da der Anmeldungsgegenstand in der geltenden Fassung der Patentansprüche nicht patentfähig ist, konnte die Frage offen bleiben, ob die in den geltenden Anspruch 1 neu aufgenommenen und ohnehin als bekannt zu unterstellenden Oberbegriffs-Merkmale betreffend die längliche Erstreckung des Schiebers und seine druckbeaufschlagbaren Enden, für die es im Beschreibungstext keine Stütze gibt, als erfindungswesentlich offenbart anzusehen sind oder nicht.

Tödte Eberhard Köhn Frühauf Cl






BPatG:
Beschluss v. 16.03.2005
Az: 7 W (pat) 6/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/f53045329996/BPatG_Beschluss_vom_16-Maerz-2005_Az_7-W-pat-6-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share