Bundespatentgericht:
Urteil vom 4. Juni 2007
Aktenzeichen: 3 Ni 21/04

(BPatG: Urteil v. 04.06.2007, Az.: 3 Ni 21/04)

Tenor

1. Das europäische Patent 0 454 436 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. April 1991 angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Englisch erteilten europäischen Patents 0 454 436 (EP 0 454 436 B1, Streitpatentschrift), das in der deutschen Übersetzung "Pharmazeutische Verbindungen" betrifft und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 691 12 895 geführt wird. Für das Streitpatent wurde die Priorität der britischen Patentanmeldung GB 9009229 vom 25. April 1990 in Anspruch genommen. Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 22 Patentansprüche. Sie lauten in der deutschen Übersetzung DE 691 12 895 T2 wie folgt:

"1. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

2. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein pharmazeutisch brauchbares Säureadditionssalz davon.

3. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin.

4. Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Verwendung als Arzneimittel.

5. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung im Zentralnervensystem.

6. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie.

7. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophrenieformen Krankheit.

8. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie.

9. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen.

10. Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend eine Verbindung nach Anspruch 2, zusammen mit einem pharmazeutisch brauchbaren Verdünnungsmittel oder Träger dafür.

11. Dosiseinheitsform, umfassend 0.1 bis 20 mg einer Verbindung nach Anspruch 2.

12. Dosiseinheitsform, umfassend 0.5 bis 10 mg einer Verbindung nach Anspruch 2.

13. Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend die Verbindung nach Anspruch 3 zusammen mit einem pharmazeutisch brauchbaren Verdünnungsmittel oder Träger dafür.

14. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 0.1 bis 20 mg der Verbindung von Anspruch 3.

15. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 0.5 bis 10 mg der Verbindung von Anspruch 3.

16. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 2.5 bis 5 mg der Verbindung von Anspruch 3 zusammen mit einem pharmazeutisch brauchbaren Verdünnungsmittel oder Träger dafür.

17. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.1 bis 20 mg einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 umfasst.

18. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.5 bis 10 mg einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 umfasst.

19. Pharmazeutische Injektion nach Anspruch 17 oder 18, die eine langzeitwirkende Formulierung für intramuskuläre Injektionen ist.

20. Verfahren zur Herstellung einer Verbindung nach Anspruch 1, umfassend

(a) die Umsetzung von N-Methylpiperazin mit einer Verbindung der Formel, wobei Q ein abspaltbarer Rest ist, oder

(b) den Ringschluss einer Verbindung der Formel 21. Verbindung der Formel, wobei Q -NH2, -0H oder -SH ist und, wenn Q -NH2 ist, Salze davon.

22. Verbindung nach Anspruch 21, wobei Q -NH2 ist oder ein Salz davon."

Die Klägerinnen haben das Streitpatent getrennt angegriffen. Mit Beschluss vom 13. Juli 2006 wurden die Verfahren 3 Ni 21/04 (EU) und 3 Ni 41/06 (EU) verbunden.

Die Klägerinnen machen geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil seine Gegenstände nicht mehr neu seien und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Sie beziehen sich zur Begründung u. a. auf den Inhalt der folgenden Dokumente:

K2 GB-PS 1 533 235 K3 GB-PS 1 533 236 K4 J. Med. Chem. 23 (1980) 878-884 K5 Teratology 35 (1987) 60A-61A, Abstract P65 K6 Pharmazie 38 (1983) 562 K14 Nachr.Chem.Tech.Lab. 38 (1990) 40 K23 Rechercheergebnis STNEasy: Chem.Abstr. 93:160947 (1980), Datenbankeintrag der K4 in Chemical Abstracts.

Die Klägerinnen beantragen übereinstimmend, das europäische Patent 0 454 436 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen;

hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen gemäß den in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträgen A, B und C und weiterhin hilfsweise mit den Patentansprüchen gemäß den in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 überreichten Hilfsanträgen 1 (= Hilfsantrag D) und 2 (= Hilfsantrag E).

Demnach umfasst Hilfsantrag A acht Patentansprüche folgenden Wortlauts:

"1. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels in Dosiseinheitsform zur Behandlung von Schizophrenie, einer schizophrenieformen Krankheit, akuter Manie oder leichter Angstzustände, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.1 bis 20 mg verabreicht wird.

2. Die Verwendung gemäß Anspruch 1, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.5 bis 10 mg verabreicht wird.

3. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel oder Tablettenform, umfassend 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

4. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

5. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 2.5 bis 5 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

6. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

7. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

8. Pharmazeutische Injektion nach Anspruch 6 oder 7, die eine langzeitwirkende Formulierung für die intramuskuläre Injektion ist."

Hilfsantrag B umfasst acht Patentansprüche folgenden Wortlauts:

"1. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels in Dosiseinheitsform zur Behandlung von Schizophrenie oder einer schizophrenieformen Krankheit, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.1 bis 20 mg verabreicht wird.

2. Die Verwendung gemäß Anspruch 1, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.5 bis 10 mg verabreicht wird.

3. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel oder Tablettenform, umfassend 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

4. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

5. Pharmazeutische Zusammensetzung in Kapsel- oder Tablettenform, umfassend 2.5 bis 5 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

6. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

7. Pharmazeutische Injektion, die in der Dosiseinheitsform 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

8. Pharmazeutische Injektion nach Anspruch 6 oder 7, die eine langzeitwirkende Formulierung für die intramuskuläre Injektion ist."

Hilfsantrag C umfasst acht Patentansprüche folgenden Wortlauts:

"1. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels in Dosiseinheitsform zur Behandlung von Schizophrenie oder einer schizophreniformen Krankheit, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.1 bis 20 mg verabreicht wird.

2. Die Verwendung gemäß Anspruch 1, wobei die Verbindung in einer täglichen Dosis von 0.5 bis 10 mg verabreicht wird.

3. Die Verwendung gemäß Anspruch 1 oder 2, wobei das Arzneimittel in Kapsel oder Tablettenform vorliegt und 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

4. Die Verwendung gemäß Anspruch 3, wobei die Kapsel oder Tablette 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

5. Die Verwendung gemäß Anspruch 4, wobei die Kapsel oder Tablette 2.5 bis 5 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon umfasst.

6. Die Verwendung gemäß Anspruch 1 oder 2, wobei das Arzneimittel in Form einer Injektion vorliegt, die in der Dosiseinheitsform 0.1 bis 20 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon enthält.

7. Die Verwendung gemäß Anspruch 6, wobei, in der Dosiseinheitsform 0.5 bis 10 mg der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon enthalten.

8. Die Verwendung gemäß Anspruch 6 oder 7, wobei die Dosiseinheitsform eine langzeitwirkende Formulierung für die intramuskuläre Injektion ist."

Hilfsantrag D umfasst vier Patentansprüche folgenden Wortlauts (Unterstreichung durch die Beklagte):

"1. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie, wobei die Behandlung mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der Induzierung extrapyramidaler Nebenwirkungen einhergeht, und ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose.

2. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophreniformen Krankheit, wobei die Behandlung mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der Induzierung extrapyramidaler Nebenwirkungen einhergeht, und ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose.

3. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie, wobei die Behandlung mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der Induzierung extrapyramidaler Nebenwirkungen einhergeht, und ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose.

4. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen, wobei die Behandlung mit einer geringen Wahrscheinlichkeit der Induzierung extrapyramidaler Nebenwirkungen einhergeht, und ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose."

Hilfsantrag E umfasst vier Patentansprüche folgenden Wortlauts (Unterstreichung durch die Beklagte):

"1. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie, wobei die Behandlung ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose.

2. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophreniformen Krankheit, wobei die Behandlung ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose.

3. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie, wobei die Behandlung ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulocytose.

4. Die Verwendung der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno-[2,3-b] [1,5]benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen, wobei die Behandlung ohne die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose."

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen und hält das Streitpatent in vollem Umfang für patentfähig.

Sie bezieht sich zur Begründung auf folgende Dokumente und Unterlagen B1 Neuropsychopharmacol. 14 (1996) 111-123 B2 auszugsweise Übersetzung der B 1 S. 111, 123 B3 Zyprexa Discoverers Award 2000 B4 auszugsweise Übersetzung der B 3 S. 11 B5 Focus 10. März 2003 "Bittere Pillen für die Pharmariesen"

B6 Eidesstattliche Versicherung Hilmar Bohn, 61440 Oberursel, B7 Umsatzzahlen Zyprexa B8 Interimreport -EGIS 1. Oktober 2003 - 31. März 2004 B9 Umsatzzahlen der Fa. Servier, dem Hauptaktionär von EGIS B10 Pharmacological and Biochemical Properties of Drug Substances, American Pharmaceutical Assoc. Academy of Pharm. Sci. (1977) 1-31 B11 J. Med. Chem. 33 (1990) 809-814 B12 New Engl. J. Med. 324 (1991) 746-754 B13 Queens Awards for Enterprise (2000)

B14 Prix Galien Award 1997 for Zyprexa B15 Arzneim.-Forsch. (Drug Res.) 25 (1975) 712-720 B16 Principles of Medicinal Chemistry, William O. Foye, ed., 3rd ed., Lea & Febiger, Philadelphia London 1989, S. 39 B17 Psychotherapeutic Drugs, Part II - Applicatons, E. Usdin, I.S.Forrest, eds., Marcel Dekker Inc., New York Basel 1977, S. 827-867 B18 Arzneim.-Forsch. (Drug Res.) 27 (1977) 1561-1565 B19 Psychopharmacology 85 (1985) 129-132 B20 The Pharmacological Basis of Therapeutics, C, 7th ed., MacMillan Publ., New York 387-399 B21 J. Neurochem. 47 (1986) 1822-1831 B22 Schizophrenia Research 4 (1991) 121-156 B23 Psychopharmacology Bulletin 24 (1988) 62-67 B24 Arch. Gen. Psychiatry 31 (1974) 58-61 B25 J. Pharmacol. Exp. Ther. 25 (1989) 238-246 B26 Arch. Gen. Psychiatry 29 (1973) 177-189 B27 Neuropharm. 18 (1979) 591-594 B28 Pharmakopsychiat. 8 (1975) 115-121 B29 Pharmac. Ther. 57 (1993) 1-78 B30 Neurosc. & Biobehavioural Rev. 14 (1990) 357-363 B31 Arch. Gen. Psychiatry 36 (1979) 657-664 B32 Principles of Medicinal Chemistry, William O. Foye, ed., 3rd ed., Lea & Febiger, Philadelphia London 1989, S. 189-221 B33 Flumezapin - Analysis of Efficacy Data 1989 B34 Arzneim.-Forsch./Drug Res. 42 (II) (1992) 896-900 B35 J. Med. Chem. 36 (1993) 2107-2114 B36 Auszug H.-J. Möller Pharmakodynamik und Wirkmechanismender Neuroleptika S. 153-154 B37 Leitfaden für Patentrecherchen mit STN EASY B38 WHO Drug Information Vol. 6, No. 2, 1992, S. 1-16.

B39 Römpp Lexikon Chemie, 10. Aufl., Georg Thieme Verlag, S. 3355.

B40 US 4 045 445 B41 J. Med. Chem. 25 (1982) 1133-1140 B42 Auszug aus Römpps Chemie-Lexikon, Stichwort Halogenierung S. 1672-1673 B43 The Chemistry of Heterocyclic Compounds, Vol. 44: Thiophene and Its Derivatives. Part Four, John Wiley & Sons, Inc. 1991, 397-480 auszugsweise.

B44 Auszug aus der Beilstein-Datenbank B45 Auszug aus der Datenbank Chemical Abstracts betreffend das Chemical Abstract Referat 100:29303 zu K6 B46 Chem.Abstr. AN 100:29303 betreffend K6 B47 Erklärung von Prof. Dr. Christoph Hiemke, Psychiatr. Klinik und Poliklinik, Joh. Gutenberg Univ. Mainz, vom 16. November 2006 B48 In US-Patentschriften unter "Haloalkyl" nachweisbare unterschiedliche Substituenten (Aufstellung)

B49 Erklärung von Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Univ. München, vom 16. November 2006.

B50 Erklärung von Prof. Dr. Gisela Greksch, Ottovon-Guericke Universität Magdeburg, vom 25. November 2006.

B51 Erklärung von Prof. Dr. Gerd Dannhardt, Institut f. Pharmazie, Joh. Gutenberg-Univ. Mainz, vom 22. Januar 2007.

B52 Erklärung von Prof. Dr. Hanns Hippius, em.o.Prof. für Psychiatrie, vom 23. Januar 2007.

B53 Erklärung von Dr. Albertus Antonius Ellenbroek, EVOTEC NeuroScience GmbH, Hamburg, vom 23. Januar 2007 B54 Erklärung von Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Univ. München, vom 22. Januar 2007 B55 Erklärung von Prof. Dr. Gisela Grecksch, Institut f. Pharmakologie und Toxikologie der Ottovon-Guericke-Univ. Magdeburg vom 23. Januar 2007 B56 Erklärung von Prof. Dr. Christoph Hiemke, Psychiatr. Klinik und Poliklinik, Joh. Gutenberg Univ. Mainz, vom 23. Januar 2007.

B57 Erklärung von Prof. Dr. Gerd Dannhardt, Institut f. Pharmazie, Joh. Gutenberg-Univ. Mainz, vom 23. Januar 2007.

B58 Erklärung von Dr. Carsten D. Siebert, Frankfurt, vom 22. Januar 2007.

B59 J. Med. Chem. 7 (1964) 395-399 B60 eMail der Redaktion der Zeitschrift Pharmazie an Prof. Dr. Mager über die Mängel der K6 B61 eMail von Eli Lilly an Prof. Mager nebst Antwortschreiben B62 Life Sciences 23 (1978) 599-604 B63 Auszug Literaturliste Prof. Mager, Autor der K6 B64a Declaration Ian A. Pullar vom 22. Januar 2007-03-05 B64b Übersetzung von B64a B65 Gutachten Prof. Dr. Bernhard Jestaedt, vom 1. Februar 2007.

B66 EPO Decision T 0158/96 - 3.3.2, vom 28. Oktober 1998.

B66a Deutsche Übersetzung zu B66 B67 EPO Decision T 0715/03 - 3.3.02, vom 16. Januar 2006 B67a Deutsche Übersetzung zu B67 B68 Declaration of Dr. David Tupper, vom 4. Februar 2007 B68a Deutsche Übersetzung zu B68 B69 Declaration of Frank Bymaster, vom 2. Februar 2007 B69a Deutsche Übersetzung zu B69 Weiterhin überreichte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2007 u. a.

- ein Konvolut einzelner Seiten aus eingereichten Druckschriften betreffend Benzodiazepine sowie andere neuroleptische bzw. antipsychotische Wirkstoffe,

- eine Mappe mit graphischen Darstellungen betreffend die Interpretation des Inhalts der K4 und den Weg von der K4 zum Olanzapin,

- eine graphische Darstellung zu dem Benzodiazepin Diazepam/Valium, einem Schlafmittel, und dem Einfluss verschiedener Substituenten auf die Wirksamkeit,

- eine weitere Erklärung von Dr. Ellenbroek vom 7. Februar 2007.

Die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Professoren Dr. A... und Dr. B... wurden auf Anregung der Be- klagten vom Senat als gerichtliche Sachverständige bestellt und erstatteten ein mündliches Gutachten. Wegen der zu begutachtenden Punkte und der Ausführungen der Sachverständigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28. November 2006 Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund führt zur Nichtigkeit des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ).

I.

1. Das Streitpatent betrifft nach den Patentansprüchen 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, dessen Säureadditionssalze und Verfahren zur Herstellung dieser Verbindungen einschließlich Zwischenprodukte in diesen Verfahren, sowie die Verwendung dieser Verbindungen als Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (vgl. DE 691 12 895 T2, Anspr. 1 bis 22).

Dabei ist die Bezeichnung 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin in den Patentansprüchen 1 bis 3 und in der Beschreibung (vgl. bspw. DE 691 12 895 T2 S. 2 Zn. 26 f.) hinsichtlich der Angabe der Stellung der Substituenten 4- Methylpiperazinyl und H offensichtlich falsch. Denn nach der üblichen Zählweise, beginnend mit dem Schwefelatom im Thiophenring und im Gegenuhrzeigersinn voranschreitend, die sich im Übrigen in der auf S. 10 der Streitpatentschrift EP 0 545 436 B1 angegebenen Formel korrekt wiederfindet, steht das Piperazinyl in Stellung 4 und das Wasserstoffatom in Stellung 10, was nichts anderes bedeutet, als dass die Stellungsangaben - sofort erkennbar - vertauscht sind und die korrekte Verbindung gemäß dem Streitpatent somit 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ist. Insoweit ist in den Hilfsanträgen dieser Fehler richtig gestellt worden. Im Übrigen war dieser Sachverhalt nicht streitig.

Ausgangspunkt der Erfindung sind Thienobenzodiazepine mit antipsychotischer Wirkung, die im britischen Patent GB 1 533 235, im Verfahren die K2, beschrieben sind. Das als Stammverbindung bezeichnete 7-Fluor-2-methyl-10--(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin (INN-Name Flumezapin) - auch in der K2 sind die Stellungsangaben für das Piperazinyl und das H-Atom vertauscht s. o. - erreichte das Entwicklungsstadium der klinischen Prüfung an psychiatrischen Patienten mit Schizophrenie. Nachdem insgesamt 17 Patienten mit Flumezapin behandelt worden waren, wurden die klinischen Versuche nach Rücksprache mit der U.S. FDA wegen des Auftretens erhöhter Werte an Creatininphosphokinase, Glutamat-Oxalacetat-Transaminase und Glutamat-Pyruvat-Transaminase eingestellt. Des Weiteren traten bei zwei der Patienten unerwünschte extrapyramidale Nebenwirkungen auf (vgl. DE 691 12 895 T2 S. 2 Z. 17 bis S. 3 Z. 7).

2. Vor diesem Hintergrund ist die sinngemäße Aufgabe in der Bereitstellung eines neuen Stoffes zu erkennen, der sich als Neuroleptikum zur Anwendung bei der Behandlung von antipsychotischem Krankheitsbild eignet und der sich gegenüber den Verbindungen des Standes der Technik, besonders im Vergleich zu Flumezapin, durch unerwartete Eigenschaften auszeichnet (vgl. DE 691 12 895 T2 S. 3 Z. 9 bis 11).

3. Gelöst werden soll diese Aufgabe gemäß Patentansprüchen 1 bis 3 durch die chemische Verbindung 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin sowie deren Säureadditionssalze, insbesondere deren pharmazeutisch akzeptable Säureadditionssalze.

Gemäß Patentanspruch 4 besteht die Lösung in der Verwendung dieser Verbindungen als Arzneimittel, des Weiteren gemäß Patentansprüchen 5 bis 9 in der Verwendung dieser Verbindungen zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung des Zentralnervensystems, speziell zur Behandlung von Schizophrenie, von schizophreniformen Zuständen, von akuter Manie sowie von leichten Angstzuständen.

Patentanspruch 10 bzw. Patentanspruch 13 ist gerichtet auf eine pharmazeutische Zusammensetzung umfassend eine Verbindung gemäß Patentanspruch 2 bzw. Patentanspruch 3, jeweils zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Verdünnungsmittel oder Träger.

Die Patentansprüche 11 und 12 betreffen Dosiseinheitsformen umfassend 0,1 bis 20 mg und 0,5 bis 10 mg einer Verbindung gemäß Patentanspruch 2.

Patentansprüche 14 bis 16 sind gerichtet auf pharmazeutische Zusammensetzungen in Kapsel- oder Tablettenform, die Patentansprüche 17 bis 19 auf die Injektionsform, auch als Retardformulierung zur intramuskulären Injektion, jeweils mit verschiedenen Mengen der beanspruchten Verbindungen.

Die Patentansprüche 20 bis 22 sind gerichtet auf Verfahren zur Herstellung der Verbindungen gemäß Patentanspruch 1 einschließlich der Zwischenprodukte der Formel 4. Als Fachmann ist ein erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker anzusehen, der mit der Struktur und Aktivität von noch in der Entwicklung sowie bereits in Gebrauch befindlicher antipsychotischer Wirkstoffe vertraut und in ein Team von Spezialisten eingebunden ist, das sich mit dem Auffinden neuer Wirkstoffe und mit deren Entwicklung befasst (vgl. BGH Mitt. 2007, 224 Punkt II.2.3 - Carvedilol II; BGH GRUR 2001, 813 III.2.a - Taxol; Schrifts. d. Bekl. v. 25. April 2005 S. 21 Abs. 2; Schrifts. d. Kl. II v. 18. Mai 2006 S. 5 unten bis S. 6 Abs. 1). Solch einem Team gehören in vorliegendem Fall neben organischen und pharmazeutischen Chemikern auch Pharmakologen, Galeniker sowie fachlich entsprechend ausgebildete, forschende Mediziner an.

II.

Der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht patentfähig, da er in Form der Patentansprüche 1 bis 9 sowie 20 bis 22 gegenüber der vorveröffentlichten Druckschrift J. Med. Chem. 23 (1980) 878-884 (K4) nicht mehr neu ist, in Form der Patentansprüche 10 bis 19 gegenüber K4 unter Berücksichtigung der ebenfalls vorveröffentlichten Druckschrift GB 1 533 235 (K2) jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

1. Der chemischen Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin (nomenklaturgemäß richtig gestellt) einschließlich ihrer insbesondere pharmazeutisch akzeptablen Säureadditionssalze gemäß den Patentansprüchen 1 bis 3 mangelt es an der erforderlichen Neuheit gegenüber der Lehre der vorveröffentlichten Druckschrift J. Med. Chem. 23 (1980) 878-884 (K4).

Die chemische Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin ist in der Druckschrift K4 zwar nicht expressis verbis beschrieben. Nach der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" (vgl. BGH GRUR 1995, 330) beschränkt sich der Offenbarungsgehalt einer vorveröffentlichten Druckschrift aber nicht auf die wörtliche Beschreibung, sondern umfasst auch solche Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als auf ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne Weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist. Diese auf den Offenbarungsgehalt einer Vorveröffentlichung im Bereich der Mechanik bezogenen Grundsätze sind auch im Bereich der Stoffchemie mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine chemische Verbindung dann als neuheitsschädlich vorweggenommen anzusehen ist, wenn dem Fachmann in einer Vorveröffentlichung ein konkreter Hinweis auf die betreffende Verbindung vermittelt wird, er also diese Verbindung in Gedanken ohne Weiteres mitliest und aufgrund dieses Hinweises ohne Weiteres in die Lage versetzt wird, den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen. Nicht erforderlich ist, dass der Stoff tatsächlich bereits hergestellt worden ist (vgl. BGH GRUR 1978, 696, 698 - -Aminobenzylpenicillin; 1988, 447, 449 - Fluoran). Dabei hängt es stets von dem Gesamtoffenbarungsgehalt der vorbeschriebenen Lehre im jeweiligen Einzelfall ab, ob der Fachmann, der den Gegenstand der streitgegenständlichen Erfindung nicht kennt, bei einem durch eine allgemeine Formel definierten Kollektiv von Verbindungen die erfindungsgemäße einzelne Verbindung ohne Weiteres mitliest oder ob es einer erfinderischen Stoffauswahl bedarf, um zu dieser Verbindung zu gelangen.

Nach Überzeugung des Senats wird die Verbindung gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents von dem Fachmann, der die Druckschrift K4 mit seinen ihm zuzurechnenden allgemeinen Kenntnissen und Fähigkeiten aufmerksam studiert, darin ohne Weiteres und selbstverständlich mitgelesen.

a) Bei der Druckschrift K4 handelt es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich ausweislich ihres Titels mit 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen als potentielle Neuroleptika befasst. Das Potential dieser Titelverbindungen zur Anwendung als neuroleptische Wirkstoffe wird in K4 exemplarisch anhand von Versuchen mit insgesamt 45 Verbindungen am Tier aufgezeigt und außerdem mit Verbindungen mit davon zum Teil erheblich abweichender Struktur sowie mit als therapeutisch wirksam anerkannten Standardverbindungen verglichen (vgl. K4 Tabelle I, linke Formel Verbindungen Nr. 1 bis 45, sowie mittlere und rechte Formel Verbindungen 46 bis 59 und nachfolgende Standards). Im Textteil setzt sich die Druckschrift K4 im Wesentlichen mit der Beziehung zwischen Struktur und Wirkung (SAR) von 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen auseinander (vgl. K4 S. 879 li. Sp. viertletzte Zeile "Structure-Activity-Relationships" bis S. 883 li. Sp. Z. 12). Daneben wird auch die chemische Synthese von 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen beschrieben (vgl. K4 S. 879 li. Sp. "Scheme I" i. V. m. li. Sp. mit "Chemistry" überschriebener Absatz sowie S. 883 li. Sp. "Experimental Section").

Ausgehend von der bereits im Titel benannten Verbindungsgruppe der 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine entsprechend der linken Formel oberhalb von Tabelle I und der damit verbundenen, noch relativ breiten Leitstruktur für neuroleptische Wirkung wird der Leser zu der erheblich enger gefassten, besonders bevorzugten pharmakologischen Leitstruktur der Formel I mit ihren beiden variablen Resten R1 und R2, dem eigentlichen Ziel der Studie in der K4, hingeführt (vgl. K4 S. 878 re. Sp. unten i. V. m. S. 879 re. Sp. Z. 10 "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active").

b) Tatsächlich stehen damit nicht 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine allgemein sondern speziell die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5] benzodiazepine der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2 im Fokus der SAR-Studie der K4 (vgl. S. 879 re. Sp. Z. 10 i. V. m. S. 878 re. Sp. Formel I).

(Elektronischer Photoausschnitt der Formel I von Druckschrift K4 aus der onlinepdf-Datei des Archivs des Journal of Medicinal Chemistry).

Der aufmerksame und gleichzeitig fachkundige Leser kann deshalb auch nicht jene Textstellen der Beschreibung der K4 betreffend 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine der allgemeinen Formel I übersehen, in denen ausgehend von der vorangestellten Textstelle "4'-(N-Methylpiperazinyl) compounds are most active." (vgl. S. 879 re. Sp. Z. 10) betreffend den variablen Rest R1 der Formel I festgestellt wird, dass die Substitution des Phenylrings in Position 7, d. h. der Ersatz des Wasserstoffatoms in 7-Position, durch ein Halogenatom (Cl, F) die Aktivität verbessert (vgl. S. 879 re. Sp. Z. 30 bis 32). Bezüglich des variablen Restes R2 wird des Weiteren ausgeführt, dass ein kurzkettiger Alkylrest (Me, Et, i-Pr) als Substituent in Position 2 des Thiophen-Rings, d. h. der Ersatz des Wasserstoffatoms in 2-Position durch einen kurzkettigen Alkylrest, die Aktivität zu erhöhen scheint (vgl. S. 879 re. Sp. Z. 38 bis 39). Diese Aussagen zur Relation zwischen Struktur und Wirkung (SAR) innerhalb der Gruppe der 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine der Formel I basieren auf den Messwerten am Tier betreffend die Verbindungen der Tabelle I, soweit sich diese auf die Formel I beziehen (Verbindungen Nr. 6 bis 30), in denen für R1 in 7-Position u. a. H, Cl, F und für R2 in 2-Position H, Me, Et, i-Pr stehen.

Die Offenbarung der K4 betreffend Verbindungen der Formel I beschränkt sich damit ersichtlich nicht auf die expressis verbis genannten Verbindungen Nr. 6 bis Nr. 30. Es handelt sich dabei auch nicht um die bloße Auflistung von Einzelverbindungen ohne Sinn und Zusammenhang. Vielmehr stehen die aufgelisteten Verbindungen lediglich exemplarisch für sämtliche, unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungen der Reste R1 und R2 unter die allgemeine Formel I fallenden Verbindungen mit der Konsequenz, dass die stoffliche Lehre der K4 sämtliche Verbindungen der Formel I einbezieht, die sich aus der Kombination von in der Beschreibung oder in der Tabelle explizit genannten Substituenten R1 und R2 zwanglos ergeben, und zwar davon insbesondere diejenigen, die den exemplarisch tatsächlich hergestellten und auf ihre neuroleptische Aktivität hin untersuchten Verbindungen strukturell unmittelbar benachbart sind. Andernfalls wäre der Begriff "Structure-Activity-Relationships" als Untertitel in der K4 (vgl. K4 S. 879 li. Sp. viertletzte Zeile) nicht nur unangebracht sondern sogar verfehlt.

Darüber hinaus wird anhand der Beschreibung aus dem stofflich und zahlenmäßig überschaubaren Kollektiv von Verbindungen der Formel I mit den beiden variablen Resten R1 und R2, das in der Tabelle I von K4 exemplarisch anhand der Verbindungen Nr. 6 bis Nr. 30 dargestellt ist, insbesondere jene sehr kleine Gruppe von Verbindungen näher identifiziert, deren Gruppenmitglieder in 7-Position Wasserstoff, Fluor oder Chlor und in 2-Position H, Methyl, Ethyl oder Isopropyl aufweisen, und dadurch gegenüber anderen Verbindungen der Formel I sowie der Tabelle I deutlich hervorgehoben (vgl. S. 879 re. Sp. Z. 30 bis 42).

Aus dieser sehr kleinen Gruppe von lediglich 12 Verbindungen stellt 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin damit eine bereits aus der K4 unmittelbar zu entnehmende Ausführungsform der pharmakologischen Leitstruktur der allgemeinen Formel I mit der Bedeutung R1 gleich Wasserstoff in 7-Position und R2 gleich Methyl in 2-Position dar. Beide Substituenten, sowohl Wasserstoff in 7-Position des Phenylrings als auch Methyl in 2-Position des Thiophenrings, sind als individuelle Substituenten expressis verbis genannt und in der Kombination 7-H, 2-CH3 als unmittelbar benachbart zu gleich drei expressis verbis beschriebenen Verbindungen, nämlich Nr. 6 (7-H, 2-C2H5), Nr. (7-F, 2-H) sowie Nr. 9 (7-F, 2-CH3) ohne Weiteres mitzulesen. Zwischen diesen drei unmittelbar benachbarten Verbindungen findet sich quasi eine durch die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin aufzufüllende Lücke oder, photographisch betrachtet, das "Negativ" der Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, welches es lediglich zu kopieren gilt.

Die aus dem Textteil sowie der Tabelle I des Weiteren entnehmbare Möglichkeit des jeweiligen N-oxid-Derivats erweitert den Umfang des in Betracht zu ziehenden Stoffkollektivs für einen fachkundigen Leser nicht, da es sich bei den N-Oxiden ohnehin um unmittelbare Stoffwechselprodukte der entsprechenden Stammverbindungen handelt, die eine jeweils vergleichbare oder demgegenüber etwas geringere Aktivität aufweisen (vgl. S. 879 re, Sp. Z. 16 bis 30).

Aus der K4 geht darüber hinaus hervor, wie die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno [2,3-] [1,5] benzodiazepine der Formel I und damit auch das 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, obwohl nicht expressis verbis genannt, zu synthetisieren sind. Die hierfür in der Beschreibung angegebenen Arbeitsweisen (vgl. K4 S. 879 li. Sp. oben sowie Abs. "Chemistry" i. V. m. S. 883 oben sowie li. Sp. "Experimental Section") lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass ein Fachmann dadurch ohne Weiteres in die Lage versetzt wird, die streitige Verbindung auch tatsächlich in die Hand zu bekommen, im Hinblick auf die Angaben in Tabelle I zu der strukturell unmittelbar benachbarten 2-Ethyl-7-Wasserstoff-Verbindung zweckmäßigerweise über das Syntheseverfahren A, so dass auch das Kriterium der Herstellbarkeit erfüllt ist.

2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin stellt demnach eine aus der K4 unmittelbar zu entnehmende, ohne Weiteres zu synthetisierende Ausführungsform aus der Gruppe der Verbindungen der Formel I dar und ist deshalb durch die K4 neuheitschädlich vorweggenommen.

c) Neuheitschädlich vorweggenommen sind durch die Lehre der K4 auch die Säureadditionssalze, insbesondere pharmazeutisch akzeptable Säureadditionssalze des 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, so dass die Patentansprüche 1 bis 3 gemäß Hauptantrag insgesamt nichtig sind. Denn unabhängig davon, dass sich für einen Fachmann die Möglichkeit zur Bildung von Säureadditionssalzen ohnehin bereits aus der chemischen Struktur der Formel I aufgrund der Anwesenheit von Stickstoffbasen im Molekül erschließt, wird die Existenz insbesondere pharmazeutisch akzeptabler Säureadditionssalze einschließlich deren Herstellbarkeit durch den experimentellen Teil der K4 betreffend das Säureadditionssalz mit Maleinsäure bestätigt (vgl. K4 S. 883 li. Sp. "Experimental Section Method A").

d) Bei dieser Sachlage bedurfte es zur Identifizierung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin in der K4 weder der Erkenntnis, dass es sich bei Fluor und Wasserstoff, wie die Klägerin I unter Bezugnahme auf deren vander-Waals-Radien vorgetragen hat, um isostere und damit um Substituenten etwa gleicher räumlicher Größe handelt, noch weitergehender Erwägungen dahin, ob und inwiefern zwischen Wasserstoff und Fluor, wie von der Klägerin I unter Bezugnahme auf K14 vorgetragen, auch eine bioisostere Beziehung besteht. Dahinstehen kann deshalb auch, ob der Begriff "Isosterie" nur räumliche Aspekte berücksichtigt oder, wie die Beklagte dargelegt hat, den weitergehenden Begriff "isoelektronisch" mit einbezieht (vgl. Schrifts. d. Bekl. v. 23. Januar 2007 S. 21 vorle. Abs. ff. sowie B51).

2. Die demgegenüber vorgetragenen zahlreichen Argumente der Beklagten können zu keiner anderen Beurteilung führen.

a) Dem Vorbringen der Beklagten (vgl. u. a. B57, B58, B65), dass sich die im Journal of Medicinal Chemistry erscheinenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen, anders als Patentliteratur, ausschließlich auf konkret benannte und tatsächlich hergestellte Einzelverbindungen bezögen und es sich bei der Formel I in K4 nicht um eine allgemeine Formel nach Art einer Markush-Formel handle, die eine freie Kombinierbarkeit der Reste R1 und R2 erschließen könnte (vgl. hierzu Schrifts. v. 23. Januar 2007 S. 28 Punkt 3.) und demzufolge 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin nicht aus der K4 zu entnehmen sei, kann sich der Senat nicht anschließen.

Bei wissenschaftlichen Arbeiten, in denen sogenannte SAR-Studien präsentiert werden, handelt es sich unabhängig von der jeweiligen Fachzeitschrift um Fachbeiträge, die sich schon wegen des Begriffs "Structure-Activity Relationships" nicht ausschließlich auf die untersuchten konkreten Einzelverbindungen beschränken. Dies gilt um so mehr für das Journal of Medicinal Chemistry, in dem ausweislich seines Titels und der redaktionellen Richtlinien, anders als in rein chemischen Fachzeitschriften, überwiegend solche wissenschaftlichen Beiträge publiziert werden, die sich, wie im Fall der K4, mit den Beziehungen zwischen molekularer Struktur und pharmakologischer bzw. physiologischer Wirkung auseinandersetzen.

Der Ansicht der Beklagten, wonach aus der K4 die freie Kombinierbarkeit der angegebenen Restebedeutungen für R1 und R2 in Verbindung mit der Formel I nicht zu entnehmen sei, kann im Hinblick auf das die K4 betreffende, von der Klägerin I in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2007 eingereichte Online Chemical Abstract Referat K23, dessen Validität seitens des Senats anhand des Originals aus Band 93 aus dem Jahr 1980 der Chemical Abstracts überprüft worden ist, nicht beigetreten werden. Denn das von einem unabhängigen Exzerpteur, in der Regel einem Chemiker, damals angefertigte Abstract gibt die 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine der linkseitigen Formel oberhalb der Tabelle I der K4 in einer üblichen Markush-Darstellung mit einer Aufzählung der Restebedeutungen für R1 und R2 wieder, wobei der Exzerpteur als Restebedeutung für R1 an erster Stelle das Wasserstoffatom genannt und damit insbesondere auch diejenigen Verbindungen als mitumfasst erkannt hat, in denen Wasserstoff in Position 7 am Phenylring sitzt (vgl. K23). Diese zweifelsfrei ohne Kenntnis des vorliegenden Streitgegenstandes von einem fachkundigen Exzerpteur lange vor dem Prioritätstag des Streitpatents erstellte Zusammenfassung des Inhalts der K4 stützt damit den entsprechenden Vortrag der Klägerinnen, so dass auch dem Argument der Beklagten, dem Vorbringen der Klägerinnen zur K4 liege eine rückschauende, in Kenntnis des Gegenstandes des Streitpatents vorgenommene Betrachtungsweise der K4 zugrunde, nicht gefolgt werden kann.

b) Sofern die Beklagte grundsätzlich in Abrede stellt, dass es sich bei der Formel I der K4 um eine allgemeine Formel nach Art einer Markush-Formel handle (vgl. hierzu B58 S. 2 Abs. 2 sowie Schrifts. v. 23. Januar 2007 S. 28 Punkt 3.), vermag der Senat diese Einschätzung nicht zu teilen.

Der Begriff "Markush-Formel" rührt bekanntlich von dem im Jahre 1924 erteilten US-Patent Nr. 1 506 316 und dessen Erfinder Eugene A. Markush her, in dem eine allgemeine Formel überhaupt nicht vorkommt. Gleichwohl enthält die Beschreibung des historischen Markush-Patents ausreichend strukturelle Informationen bzw. Merkmale, die dem fachkundigen Leser quasi ein Formelbild anstelle der fehlenden allgemeinen Formel vermitteln.

Demgegenüber und insbesondere im Vergleich zu allgemeinen Formeln nach Art einer modernen Markush-Formel, wie sie in Offenlegungs- bzw. Patentschriften, beispielsweise in der K2, üblicherweise zur Darstellung von sehr großen Kollektiven chemischer Verbindungen Anwendung finden, stellen sich Inhalt und Offenbarungsgehalt der K4, sowohl was die Formel I als auch die in der Beschreibung und der Tabelle dazu erläuterten Restebedeutungen R1 und R2 anbelangt, und die dadurch vermittelte technische Lehre klar und übersichtlich dar. Die Darstellung eines Kollektivs chemischer Verbindungen mittels einer allgemeinen Formel nach Art einer Markush-Formel dahingehend, dass die Restebedeutungen ausschließlich unmittelbar bei der betreffenden Formel stehen müssen und sich nicht, wie im Fall der K4, sinn- und zweckgemäß aus dem Zusammenhang der Beschreibung ergeben können, ist ebenso wenig zu fordern wie die Knüpfung der Neuheitsfrage an das Einhalten einer bestimmten bzw. normierten Formulierungsvorschrift.

c) Der weitere Einwand der Beklagten, eine nicht expressis verbis genannte Einzelverbindung aus einem Kollektiv von - bei Annahme einer freien Kombinierbarkeit der Restebedeutungen - insgesamt bis zu mehr als 300 000 unter die drei allgemeinen Formeln oberhalb Tabelle I der K4 fallenden Einzelverbindungen (vgl. hierzu die Angaben im Schrifts. v .23. Januar 2007 S. 30 Abs. 6) könne unmöglich als durch die Lehre der K4 neuheitsschädlich vorweggenommen angesehen werden, greift schon deshalb nicht, weil die Beschreibung in ihrer Bewertung einerseits zwischen den Verbindungen der pharmakologischen Leitstruktur der Formel I und andererseits den weiteren unter die linke Formel oberhalb Tabelle I fallenden Verbindungen sowie den strukturell ferner liegenden Verbindungen der mittleren und rechten Formel oberhalb Tabelle I deutlich differenziert.

Selektioniert und zwangsläufig in das Blickfeld des Fachmanns gerückt werden darüber hinaus aus dem Kollektiv der Formel I insbesondere diejenigen Verbindungen, die in 7-Position Wasserstoff, Fluor oder Chlor und in 2-Position Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl aufweisen. Gegenüber diesem, aus der Formel I aufgrund der Beschreibung besonders hervorgehobenen sehr kleinen Kollektiv von nurmehr 12 möglichen Einzelverbindungen ist die Kombination der Restebedeutungen R1 gleich 7-H und R2 gleich 2-Me und damit die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin nicht mehr neu.

Ausführungen in der K4 zu anderen Verbindungen als den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen der Formel I wird der Fachmann zwar zur Kenntnis nehmen und gegebenenfalls gesondert weiterverfolgen. Dies führt jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, dass einem fachkundigen Leser die spezielle Offenbarung zu den im Blickpunkt der Beschreibung der K4 stehenden 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen der allgemeinen Formel I, davon insbesondere das sehr kleine Kollektiv umfassend nurmehr zwölf Einzelverbindungen, verborgen bleibt.

Wenn die Beklagte darauf verweist, dass die Klägerin I Wasserstoff als Rest R1 in Position 7 in unzulässiger Weise aus der Angabe "Halogen bevorzugt" und zudem in einer rückschauenden Betrachtungsweise ableite (vgl. u. a. Schrifts. d. Bekl. v. 22. November 2006 S. 20 bis 28, insbes. S. 26 Mitte), kann der Senat dieser Ansicht nicht beitreten. Denn für den fachkundigen Leser bedeutet bereits die betreffende Textstelle "The substitution of the phenyl ring with a halogen atom (Cl, F) in position 7..." (vgl. K4 S. 879 re. Sp. Z. 30 bis 32) in stofflicher Hinsicht nichts anderes als die (explizite) Nennung des Substituenten Wasserstoff in Position 7 und damit auch die Offenbarung solcher Verbindungen mit Wasserstoff in Position 7. Darüber hinaus ist Wasserstoff als Substituent in Position 7 in Tabelle I in zwei Verbindungen der Formel I auch explizit und damit tatsächlich benannt (vgl. K4 Tab. I, Verb. Nr. 6 und Nr. 7), wodurch die Validität der vorgenommenen Bewertung der betreffenden Textstelle belegt wird.

d) Sofern die Beklagte auf den Prioritätstag des Streitpatents als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Inhalts der K4 abstellt mit dem Hinweis, dass im Jahr 1990 und damit zehn Jahre nach der Veröffentlichung der K4 sich der Kenntnisstand eines Fachmanns dahin verändert habe, dass bezüglich der 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepine der K4 unter Fachleuten wenig Aussicht auf Erfolg bei der Anwendung als antipsychotische Wirkstoffe bestanden hätte, führt dies bei der Neuheitsprüfung zu keinem anderen Ergebnis.

Denn nach den Ausführungen der Beklagten (vgl. Schrifts. v. 5. Februar 2007 S. 3 Abs. 1 bis 2 sowie die Erklärung B64a,b) wurde 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin bereits im Jahr 1982 und damit kurze Zeit nach der Veröffentlichung der K4 erstmals hergestellt, in der Folgezeit den üblichen präklinischen und klinischen Tests unterzogen, und somit lediglich eine in der K4 vorbeschriebene technische Lehre in die Praxis umgesetzt.

e) Die Bewertung der K4 durch den Senat steht auch im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen der Neuheitsprüfung und der Entscheidungspraxis zur Neuheit einer oder mehrerer chemischer Verbindungen aus einem durch einen allgemeine Formel bzw. Markush-Formel bereits vorbeschriebenen Kollektiv von Verbindungen. Der Senat kann nicht feststellen, dass der Sachverhalt im vorliegenden Fall grundsätzlich anders gelagert ist als in der Entscheidung "Fluoran" (vgl. BGH GRUR 1988, 447). Der Beklagten ist zwar insofern beizutreten, als im "Fluoran"-Fall zum einen das Anwendungsgebiet der chemischen Verbindungen nicht auf pharmazeutischem Gebiet lag und zum anderen der Inhalt eines Patentdokuments und nicht einer wissenschaftlichen Veröffentlichung als neuheitschädlich bewertet wurde. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Ansicht der Beklagten, dass es sich bei der Formel I der wissenschaftlichen Veröffentlichung K4 nicht um eine allgemeine Formel mit variablen Resten handle, unter welche das streitige 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin demnach auch nicht fallen könne, und dass die Formel I in der K4 jedenfalls nicht den Anforderungen entspreche, die an eine allgemeine Formel, wie sie üblicherweise in Patentanmeldungen angegeben werde, zu stellen sei. Dem amtlichen Leitsatz und den Gründen der Entscheidung "Fluoran" ist bezüglich der Art eines Dokuments, in der eine gegebenenfalls als neuheitschädlich zu bewertende Formel vorveröffentlicht sein sollte, jedenfalls nichts zu entnehmen. Eine im Vergleich zu einer allgemeinen Formel I aus einer Offenlegungs- bzw. Patentschrift unterschiedliche Bewertung der Formel I aus K4, in Verbindung mit deren jeweiliger Beschreibung, stünde dem Grundsatz entgegen, dass es auf eine bestimmte Form der Vorveröffentlichung nicht ankommt (vgl. hierzu Benkard PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 13c). Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, sagt allein noch nichts zu der Frage der Neuheit aus. Vielmehr ist nach der Entscheidung "Fluoran" maßgebend, ob ein Sachverständiger durch die Angaben zu der streitigen Verbindung in der vorveröffentlichten Druckschrift ohne Weiteres in die Lage versetzt wird, die diese Verbindung betreffende Erfindung auszuführen und diese Verbindung herzustellen.

Diese Maßgaben sind nach Überzeugung des Senats durch die in der Druckschrift K4 offenbarte Lehre allesamt erfüllt.

Sofern die Beklagte auf die Grundsätze der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" (BGH GRUR 1995, 330) und deren Anwendung auf die Frage der Offenbarung des nicht explizit in der K4 erwähnten 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin sowie dazu ergänzend auf ein schriftliches Gutachten von Prof. Dr. C... verweist (vgl. Schrifts. v. 1. Februar 2007 i. V. m. B65), gelangt der Senat auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens zu keinem anderen Ergebnis.

Zwar handelt es sich im Fall der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" bei der relevanten Entgegenhaltung - wie im Fall "Fluoran" - um ein Patentdokument und nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung in einer renommierten Fachzeitschrift. Jedoch sind diese Grundsätze, wie in dem Gutachten festgestellt, auch auf andere Veröffentlichungsformen anzuwenden (vgl. hierzu B65 S. 2 vorle. u. le. Abs.; Benkard PatG, 10. Aufl., § 3 Rdn. 13c).

Es spricht auch nichts gegen die Anwendung der Grundsätze der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" auf allgemeine Formeln in wissenschaftlichen Abhandlungen, insbesondere dann, wenn diese Formeln und deren Restebedeutungen, wie in der K4, sowohl in chemischer Hinsicht als auch anhand von Struktur-Wirkungsbeziehungen in einer derart ausführlichen und realistischen Weise beschrieben sind, wie dies in Patentdokumenten in der Regel nicht geschieht. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall vermag die Neuheit der Stoffe gemäß Patentansprüchen 1 bis 3 des Streitpatents gegenüber der K4 allerdings nicht herbeizuführen. Denn im Fokus der K4 stehen, wie zuvor dargelegt, die 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5] benzodiazepine der Formel I und davon wiederum aufgrund der ausführlichen und eindeutig im Zusammenhang zur Formel I zu lesenden Beschreibung insbesondere diejenigen Verbindungen der Maßgabe R1 in 7-Position H, Cl, F und R2 in 2-Position H, Me, Et, i-Pr und damit ein sehr kleines Kollektiv, das lediglich aus 12 Verbindungen einschließlich des streitigen 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin gebildet wird.

3. Was das beanspruchte Verfahren zur Herstellung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließlich seiner insbesondere pharmazeutisch akzeptablen Säureadditionssalze anbelangt, so ergibt sich dieses Verfahren ebenso aus der Druckschrift K4 wie die dabei auftretenden beanspruchten Zwischenprodukte mit der Folge, dass auch die Gegenstände der Patentansprüche 20 bis 22 mangels Neuheit nicht patentfähig sind.

a) Die Herstellung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin erschließt sich dem fachkundigen Leser unmittelbar aus dem angegebenen Syntheseschema I in Verbindung mit der Tabelle II sowie den Ausführungen in der Beschreibung (vgl. K4 S. 879 li. Sp. oben sowie Abs. "Chemistry" i. V. m. S. 883 oben sowie li. Sp. "Experimental Section"). Demnach ist auch eine Zwischenverbindung mit R1 gleich Wasserstoff in Position 7 des Phenylrings sowie mit R2 gleich Methyl in Position 2 des Thienylrings als 4-Keto- bzw. in tautomerer Form als 4-Hydroxy-Zwischenverbindung zu dem Endprodukt 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin in der Tabelle II mitzulesen und zwar schon deshalb, weil die strukturell unmittelbar benachbarten Zwischenverbindungen Nr. 60 und Nr. 72 expressis verbis genannt und nach der Methode A auch tatsächlich hergestellt sind.

Dass anstelle der 4-Keto-Zwischenverbindungen ebenso deren 4-Thio-Derivate herstellbar und als Zwischenverbindungen geeignet sind, lässt sich dem experimentellen Teil der K4 direkt entnehmen (vgl. K4 S. 883 li. Sp. Method B).

b) Entsprechendes gilt für ein über diese Zwischenverbindungen führendes Verfahren, wie es im Streitpatent beansprucht ist.

In der Bedeutung Q = NH2 ist die 4-Amino-Zwischenverbindung gemäß Patentansprüchen 21 und 22 zwar aus der K4 nicht expressis verbis zu entnehmen. Sie ist jedoch zum einen dem Fachmann als offensichtliche Vorstufe einer 4-Keto-Verbindung ohnehin geläufig und ergibt sich zum anderen unmittelbar aus dem in der Einleitung des Streitpatents zitierten Stand der Technik betreffend die Stoffgruppe der 10H-Thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepine (vgl. K2 S. 8 Z. 15 bis S. 9 Z. 9), so dass die Patentierungserfordernisse auch für diese Zwischenverbindung sowie für einen über sie führenden Verfahrensweg nicht erfüllt sind.

c) Der Senat kann auch nicht feststellen, dass die Herstellbarkeit des in der K4 nicht expressis verbis genannten 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2007 vorgetragen hat, mit den dort angegebenen und nach Ansicht der Beklagten ausschließlich auf die expressis verbis genannten Verbindungen zu beziehenden Arbeitsweisen nicht ohne Weiteres gegeben sein sollte. Denn die ebenso wie das streitige 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin am Phenylring nicht fluorierten Verbindungen Nr. 6 aus der Tabelle I sowie Nr. 60 aus der Tabelle II weisen in 2-Stellung des Thienylrings anstelle der Methylgruppe die strukturell nächstkommende homologe Ethylgruppe auf, so dass in Analogie dazu weder an der Verfügbarkeit der erforderlichen nichtfluorierten und damit unsubsitutierten bzw. anstelle von Ethyl durch Methyl substituierten Edukte noch an dem Gelingen der chemischen Synthese zu den entsprechenden Endprodukten gemäß Syntheseverfahren A an sich auch nur der geringste Zweifel besteht (vgl. K4 Tabelle II Zwischenverbindung Nr. 60 i. V. m. S. 883 li. Sp. Methode A sowie S.- 879 li. Sp. Schema I i. V. m. Abschnitt "Chemistry").

4. Auch der Gegenstand des Patentanspruchs 4, der die neuheitschädlich vorweggenommene chemische Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin einschließlich der insbesondere pharmazeutisch brauchbaren Säureadditionssalze davon zur Verwendung als Arzneimittel und somit einen zweckgebundenen Stoffanspruch gemäß Art. 54 Abs. 5 EPÜ betrifft, ist durch die Druckschrift K4 neuheitsschädlich vorweggenommen. Ebenso haben die Patentansprüche 5 bis 9, die auf die Verwendung dieser Verbindung zur Herstellung eines Medikaments speziell zur Behandlung von Krankheiten des Zentralnervensystems, insbesondere von Schizophrenie, schizophreniformer Störungen, akuter Manie sowie leichter Angstzustände gerichtet sind, wegen mangelnder Neuheit gegenüber der Druckschrift K4 keinen Bestand.

a) Die Verwendung eines an sich bekannten Stoffes zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung einer Krankheit ist neu, wenn der Stoff für den genannten therapeutischen Zweck, die therapeutische Funktion oder Wirkung bisher nicht beschrieben und auch nicht in anderer Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Der Bundesgerichtshof sieht das Wesen der pharmazeutischen Anwendungserfindung in der Verwendung einer Substanz zum Erreichen eines bestimmten Zwecks (vgl. BGH GRUR 1983, 729, 730 re. Sp. - Hydropyridin). In der Entscheidung "Antivirusmittel" (vgl. BGH GRUR 1987, 794, 795 re. Sp. - Antivirusmittel) führt er aus, dass dem "zweckgebundenen Stoffschutz" ein finales Element, nämlich eine bestimmte Zweckverwirklichung innewohne. Diese bilde einen wesentlichen Bestandteil der unter Schutz gestellten Erfindung, die nur durch die Verwirklichung des ihr innewohnenden Zwecks realisiert werde. Damit hat der Bundesgerichtshof aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Begriff des therapeutischen Zwecks im Sinne eines therapeutischen Erfolgs zu verstehen und die Patentfähigkeit einer pharmazeutischen Verwendungserfindung nur dann anzuerkennen ist, wenn die tatsächliche therapeutische Wirksamkeit der Substanz nachweislich, weil zahlenmäßig belegt vorliegt. Eine solche Betrachtungsweise hätte im Ergebnis zur Folge, dass die Verwendung eines Stoffes zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung einer bestimmten Krankheit erst dann als eine dem Patentschutz zugängliche fertige technische Lehre angesehen werden könnte, wenn der therapeutische Erfolg am kranken Menschen nachgewiesen worden ist.

Dies stünde auch im Widerspruch zu dem anerkannten Grundsatz, dass im Patenterteilungsverfahren Vorteile des Anmeldungsgegenstandes nachträglich geltend gemacht und damit nachgebracht werden können, soweit sie die Erfindung nicht verändern (vgl. BGH GRUR 1962, 83 - Einlegesohle; BPatG Mitt. 1965, 36 - nachträgliche Vorteilsangabe). Dementsprechend bedarf es für die Offenbarung einer ausführbaren Lehre in den ursprünglichen Unterlagen einer Patentanmeldung keiner Versuchsdaten, auch nicht zahlenmäßig belegter Wirkdaten aus invitro oder invivo Versuchen, zur Glaubhaftmachung einer ursprünglich offenbarten Anwendung oder medizinischen Indikation. Solche Wirkdaten können - im Gegensatz zu der speziellen therapeutischen Anwendung bzw der spezifischen medizinischen Indikation selbst (vgl. BGH a. a. O. - "Hydropyridin" sowie "Antivirusmittel") - regelmäßig nachgebracht werden. Nicht zu fordern sind Tests der verschiedenen klinischen Phasen und damit Versuche am Menschen (vgl. hierzu BPatG GRUR 1995, 394, 396 li. Sp. Abs. 2 - Perfluorocarbon; ebenso z. B. GRUR Int 1995, 523 "USA - Tierversuche ausreichend zum Nachweis der "utility" von Arzneimittelpatenten). Wegen des Grundsatzes eines einheitlichen Offenbarungsbegriffs (vgl. BGH GRUR 81, 812 - Etikettiermaschine) sind an die Bewertung des Offenbarungsgehalts einer wissenschaftlichen Arbeit wie jene der K4, die sich ohnehin bereits auf einschlägige Tierversuche und damit sogar auf präklinisch anerkannte Arbeitsweisen und deren Versuchergebnisse stützt, vielmehr die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Erstunterlagen einer Patentanmeldung.

b) Die therapeutische Wirkungsrichtung von 4-Piperazinyl-10H-thieno [2,3-b] [1,5] benzodiazepinen, hierzu zählt auch das gemäß Patentanspruch 4 des Streitpatents zur Verwendung als Arzneimittel beanspruchte 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, ist bereits unmittelbar aus dem Titel der Druckschrift K4 zu entnehmen.

Dass insbesondere auch 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5] benzodiazepine der allgemeinen Formel I mit einem Wasserstoff-Atom in 7-Stellung des Phenylrings nicht nur, wie zuvor unter Punkt II.1 festgestellt, in stofflicher, sondern vor allem in physiologischer Hinsicht wegen ihres neuroleptischen Potentials unmittelbar im Blickfeld des fachkundigen Lesers der K4 liegen, ergibt sich zwanglos aus den experimentellen Werten für die Verbindung Nr. 6 der Tabelle I (7-H; 2-C2H5) im Tierversuch zusammen mit den Ausführungen in der Beschreibung, wonach die Substitution des Phenylrings, d. h. der Ersatz des Wasserstoffs in Position 7 durch Halogen die Aktivität verbessert (vgl. K4 Tabelle I i. V. m. S. 879 re. Sp. Z. 30 bis 32). Um die Aussage treffen zu können, dass sich die Aktivität bei Substitution des Phenylrings in 7-Stellung durch Halogen verbessert, bedarf es der exemplarischen Untersuchung von zumindest einer Verbindung mit Wasserstoff in 7-Stellung, was ausweislich der Tabelle I in K4 anhand der Verbindungen Nr. 6 und Nr. 7 mit jeweils Wasserstoff in 7-Stellung auch tatsächlich geschehen und anhand von Zahlenwerten belegt ist.

Der dabei für die dem 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b] [1,5]benzodiazepin strukturell unmittelbar benachbarte Verbindung Nr. aus der Tabelle I, dem 2-Ethyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, gemessene CAR-Wert von 2 sowie der CAT-Wert von 1 sind allerdings unter besonderer Berücksichtigung der verabreichten Mengen von 10 (CAR-Test) bzw. 16 (CAT-Test), jeweils in mg/kg Ratte, zu bewerten. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Dosierung liegen diese für die Verbindung Nr. 6 gemessenen, in Tabelle I wiedergegebenen Werte damit im Spitzenbereich der Gruppe der strukturell relevanten, aufgrund der Formel I als bevorzugt herausgestellten Verbindungen Nr. 6 bis Nr. 30. Im Vergleich dazu wird beispielsweise schon bei einer Dosis von 8 mg/kg für die Verbindung Nr. 9, in der der Wasserstoff in 7-Stellung des Phenylrings durch Fluor substituiert ist und die der seitens der Beklagten als maßgeblich erachteten und auch zur Formulierung der Aufgabenstellung des Streitpatents herangezogenen Stammverbindung Flumezapin aus der Druckschrift K2 entspricht, ein CAT- Wert von 1 gemessen, damit im Gegensatz zu der 7-H-Verbindung Nr. 6 bereits bei der halben Dosis. Daran lässt sich erkennen, dass der hinsichtlich der neuroleptischen Wirkung als unerwünschte Nebenwirkung zu bewertende CAT-Wert der von der Beklagten als Maßstab herangezogenen Verbindung Nr. 9 mit Fluor in 7-Position unter Berücksichtigung der verabreichten Dosis tatsächlich erheblich ungünstiger liegt als jener der Verbindung Nr. 6 mit Wasserstoff in 7-Position.

Aber nicht nur Ergebnisse der für die Präklinik relevanten CAR- und CAT-Tests am lebenden Tier sind aus der K4 zu entnehmen, sondern auch die weitergehenden Hinweise (vgl. K4 S. 879 re. Sp. le. Abs. bis Text S. 883 li. Sp. Abs. 1), dass - diese durchgeführten Tests nicht nur mit der Eigenschaft der Verbindungen, Dopamin-Rezeptoren zu blockieren, sondern auch mit antipsychotischer Aktivität korrelieren,

- dass ein Wirkungsprofil eines bei sehr viel niedrigerer Dosierung als im CAT-Test erzielten effektiven CAR-Werts verknüpft ist mit einer relativ geringeren Tendenz zu extrapyramidalen Nebenwirkungen,

- dass solche Ergebnisse relevant sind für die Klinik, also für den Versuch am Menschen.

Deshalb wird durch die wissenschaftliche und keinesfalls als spekulativ zu bewertende Abhandlung der K4 auch eine Lehre dahin offenbart, die stofflich vorweggenommene Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin als neuroleptischen bzw. antipsychotischen Wirkstoff und damit als Wirkstoff zur Behandlung einer Störung des Zentralnervensystems zu verwenden. Planung sowie Durchführung der sich an die Präklinik am Tier anschließenden klinischen Versuche am Patienten bewegen sich im Rahmen üblicher Vorgehensweisen sowie der gesetzlichen Bestimmungen für die Zulassung als Arzneimittel, so dass es solcher Angaben bzw. einer Beschreibung dieser Arbeitsweisen nebst Testergebnissen weder als Beleg für die Neuheitschädlichkeit eines druckschriftlich vorbeschriebenen Verwendungszwecks noch als Offenbarungserfordernis in den Anmeldeunterlagen einer pharmazeutischen Verwendungserfindung bedarf.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 4 ist damit bereits durch den Inhalt der K4 neuheitschädlich vorweggenommen, so dass dieser Patentanspruch keinen Bestand hat.

Dies gilt auch für die Verwendung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung im Zentralnervensystem allgemein, so dass auch Patentanspruch 5 mangels Neuheit nichtig ist.

c) Den Gegenständen der Patentansprüche 6 bis 9 gemäß Hauptantrag mangelt es ebenfalls an der Neuheit gegenüber der K4.

Was die verschiedenen Indikationen der Patentansprüche 6 bis 9 betrifft, so verbindet ein Fachmann diese Krankheitsbilder bereits geraume Zeit vor dem Veröffentlichungsdatum der K4 und damit lange vor dem Prioritätstag des Streitpatents zwangsläufig mit den Begriffen Neuroleptikum bzw. Antipsychotikum, so dass sich einem fachkundigen Leser demnach auch die Anwendbarkeit dieser Verbindung zur Behandlung von Schizophrenie, schizophreniformen Krankheitsbildern, akuter Manie und leichten Angstzuständen unmittelbar aus der K4 erschließt. Auf diesen Sachzusammenhang hatte der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2007 mit Bezugnahme auf das Standardwerk Ehrhard/Ruschig: Arzneimittel Bd. 1 Therapeutica mit Wirkung auf das zentrale Nervensystem, Verlag Chemie 1972, Kapitel 5 Psychopharmaka, insbes. S. 209 Tabelle 3, hingewiesen. Der Sachzusammenhang ist von den Parteien nicht in Abrede gestellt worden und auch nicht aufgrund des schriftsätzlichen Vortrags der Beklagten einschließlich der eingereichten privatgutachtlichen Stellungnahmen und Erklärungen in Frage zu stellen.

d) Sofern die gerichtlichen Sachverständigen in ihren Ausführungen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006) ein Verhältnis von CAR- zu CAT-Wert von 3 zu 2 im Tiermodell im Hinblick auf ein entsprechendes Verhältnis von 3 zu 2 bei Clozapin als Maßstab für die Eignung einer Verbindung als Antipsychotikum erachten (vgl. hierzu auch B56 S. 2 Abs. 2 bis S. 3 Abs. 3), sieht der Senat hierin keinen Grund, der es rechtfertigen könnte, eine Verbindung wie jene der Nr. 6 mit Wasserstoff in 7-Stellung und mit einem Verhältnis CAR zu CAT von 2 zu 1 für eine Einbeziehung in weitere präklinische oder gar klinische Versuche unberücksichtigt zu lassen. Denn die betreffenden Werte für Clozapin in der Tabelle I der K4 sind bei einer Dosierung von 30 mg/kg im CAR-Test sowie bei 80 mg/kg im CAT-Test und damit jedenfalls bezüglich des eine Wirksamkeit anzeigenden CAR-Tests bei wesentlich höherer Dosierung als bei der Verbindung Nr. 6 mit 10 mg/kg im CAR-Test und 16 mg/kg im CAT-Test erzielt worden (vgl. K4 Tabelle I). Entsprechendes gilt, wie bereits vorstehend erläutert, bezüglich der Einschätzung des CAT-Wertes der Verbindung Nr. 9.

Der Senat kann auch der Auffassung der Sachverständigen nicht folgen, der Fachmann habe die Lehre der Druckschrift K4 im Jahr 1980 anders bewertet als zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents und demnach auch keinen Anlass gehabt, aus der K4 neben Flumezapin (vgl. K4 Formel I, 2-Me, 7-F) eine oder mehrere weitere Verbindungen auf ihre Wirkung hin zu untersuchen. Denn nach den Angaben der Beklagten (vgl. vorst. unter II.2 d)) wurde 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin im Jahr 1982 und damit bereits kurze Zeit nach der Veröffentlichung der K4 erstmals hergestellt, in der Folgezeit den üblichen präklinischen und klinischen Tests unterzogen, und damit die in der K4 vorbeschriebene technische Lehre in die Praxis umgesetzt. Aus diesen Gründen kommt der Senat zu einer von den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen abweichenden Bewertung der Frage, wie ein in der Antipsychotika-Forschung tätiger Chemiker die Offenbarung der K4 im Hinblick auf die Eignung zur Verwendung als Antipsychotika beurteilen würde.

e) Die Eignung der in K4 durchgeführten Tierversuche zur Ermittlung des neuroleptischen bzw. antipsychotischen Potentials einer Verbindung und damit deren Relevanz zur Vorhersage einer betreffenden therapeutischen Wirkung bzw. Indikation beim Menschen, die von der Beklagten bestritten wurde, steht nach Überzeugung des Senats bereits aufgrund der Ausführungen in der Streitpatentschrift außer Frage (vgl. EP 454 436 B1 S. 8 Z. 18 bis 26). Bestätigung hierfür liefert des Weiteren die Erklärung von Dr. Ellenbroek, wonach Verhaltensversuche an Tieren, insbesondere der CAR-Test, wegen des Fehlens geeigneterer Alternativen als übliche präklinische Tests in der Antipsychotikaforschung auch noch zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents im Jahr 1990 und damit noch etwa 10 Jahre nach Veröffentlichung der K4 eingesetzt und anerkannt wurden (vgl. B53 S. 3 Punkt vii.).

Weitere Ausführungen der Beklagten (vgl. u. a. B50, B52 bis B56), wonach aus solchen Tiermodellen und präklinischen Versuchsergebnissen jedenfalls keine brauchbaren Aussagen für die Anwendung von Neuroleptika am Menschen abgeleitet werden könnten, sind zwar für die Zulassung solcher Verbindungen nach dem Arzneimittelgesetz von maßgeblicher Bedeutung. Denn um eine Zulassung als Arzneimittelwirkstoff zu erlangen, sind nach den präklinischen Versuchen am Tier die klinischen Versuche der Phasen I bis III am Menschen zwingend erforderlich. Für die Patentierung von als Arzneimittelwirkstoffen zu verwendenden chemischen Verbindungen sind klinische Versuche am Tier oder Menschen jedoch nicht zu fordern.

f) In diesem Zusammenhang greift auch der Einwand der Beklagten nicht, von einer in der K4 nicht einmal expressis verbis genannten Verbindung könne nicht auch noch auf deren Ergebnisse im CAR- und CAT-Test und damit auf die potentielle Eignung als Neuroleptikum geschlossen werden. Vielmehr ergeben sich Zahlenwerte bei planmäßigem Vorgehen und routinemäßigem Nacharbeiten der vorbeschriebenen Lehre regelmäßig von selbst, so ausgehend von der Lehre der K4 für die dort neuheitsschädlich vorweggenommene Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin offenbar derart günstige Testergebnisse, dass sich daraus der Übergang in die klinische Phase ohne Weiteres ergeben hat. Entsprechendes gilt für die klinischen Versuche selbst, deren Vorbeschreibung einschließlich der Vorlage von Versuchsergebnissen die Beklagte als zwingend für die neuheitschädliche Vorwegnahme erachtet.

Im Übrigen entnimmt der aufmerksame, fachkundige Leser die Eignung der im Tiermodell aktiven und damit im Fokus der K4 stehenden neuroleptischen Verbindungen zum Übergang in die klinische Phase ohne Weiteres bereits aus einer mit dem Aktivitätsprofil von Clozapin verknüpften Feststellung, wonach das atypische Neuroleptikum Clozapin im CAR-Test bei einer wesentlich niedrigeren Dosis als im CAT-Test aktiv ist, und er entnimmt der K4 ferner, dass ein solches Profil das Fehlen von extrapyramidalen Nebenwirkungen in klinischen Versuchen, d. h. in Versuchen am Menschen, erwarten lasse (vgl. K4 S. 883 li. Sp. Abs. 1 unter Tabelle II).

Das Streitpatent offenbart somit auch keine gegenüber dem Inhalt der K4 neue Lehre betreffend die Verwendung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin.

g) Dieser Beurteilung steht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entgegen, und zwar weder zur Offenbarung noch zur Neuheit einer Verwendungserfindung auf dem Gebiet pharmazeutischer Wirkstoffe.

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung "Antivirusmittel" (BGH GRUR 1997, 794) haben die Parteien ihre jeweilige Auffassung pro und kontra die Neuheit der beanspruchten Verwendung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin gegenüber der Lehre der K4 dargelegt, einzelne Textstellen aus den Gründen dieser Entscheidung herausgegriffen und sich deren Inhalt zu eigen gemacht.

Dabei darf zunächst nicht übersehen werden, dass der hier vorliegende Sachverhalt nicht zu vergleichen ist mit der Fallkonstellation der Entscheidung "Antivirusmittel". Denn gemäß "Antivirusmittel" war darüber zu befinden, ob die Verwendung von 1-Aminoadamantansulfat als Antiparkinson-Mittel ein Patent verletzt, in dem 1-Aminoadamantan oder dessen Hydrochlorid enthaltende Antivirusmittel und damit eine grundsätzlich andere medizinische Indikation unter Schutz gestellt ist. In dieser Entscheidung wurde unter anderem festgestellt, dass das Klagepatent nicht die Bereitstellung neuer, sondern bereits bekannter Stoffe als Antivirusmittel bzw. zur Prophylaxe und Therapie von Viruserkrankungen betrifft, dass dem zweckgebundenen Stoffschutz bzw. dem Mittel oder Verwendungsschutz ein finales Element, nämlich die antivirale Therapie als Verwendungszweck innewohnt, und demzufolge eine andere medizinische Indikation bzw. Verwendung von diesem zweckgebundenen Schutz nicht umfasst wird.

Die Gründe der "Antivirusmittel"-Entscheidung liefern unter Berücksichtigung des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts keine maßgeblichen oder gar richtungsweisenden Anhaltspunkte, die den Senat im vorliegenden Fall hätten zu einem anderen Ergebnis gelangen lassen können.

Vermeintlich auf den vorliegenden Fall anwendbare Textstellen, insbesondere

"Dass ein Mittel sich - auch - für den im Klagepatent genannten Zweck eignet, besagt noch nicht, dass es diesen Zweck auch verwirklicht. Zur Benutzung der ... unter Schutz gestellten Lehre muss vielmehr hinzukommen, dass der der Erfindung innewohnende Zweck im Sinne der konkreten Zielrichtung der patentierten Lehre in einem praktisch erheblichen Umfang erreicht (verwirklicht) wird." (vgl. GRUR 1987, 794, II.2.b),

"Denn der Fachmann, dem ein solcher Stoff bereits im Stand der Technik zur Verfügung steht, erhält durch die bloße Angabe, dass dieser Stoff therapeutisch anwendbar sei, noch keine für die Anwendung des Stoffes als Arzneimittel brauchbare Information. Eine ausführbare Lehre zur Verwendung des Wirkstoffes liegt erst vor, wenn der Fachmann darüber hinaus eine Belehrung darüber erhält, welche Krankheit mit dem betreffenden Wirkstoff behandelt werden soll." (vgl. GRUR 1987, 794, II.4.d), sind ausschließlich als auf die allgemeinen therapeutischen Angaben im "Antivirusmittel"-Klagepatent bezogen zu verstehen, aus denen der dortige Kläger die Offenbarung einer über die Therapie von Viruserkrankungen hinausgehenden therapeutischen Eignung und damit entsprechenden Patentschutz hatte herleiten wollen.

Sofern die Beklagte die Ansicht vertritt, dass die tatsächliche Zweckverwirklichung im Sinne des Nachweises eines therapeutischen Erfolges ein wesentlicher Bestandteil der durch einen Mittelanspruch oder einen Verwendungsanspruch der zweiten medizinischen Indikation unter Schutz gestellten Erfindung sei (vgl. Schrifts. v. 22. November 2006 S. 31 Abs. 3), und sich dabei auf die "Antivirusmittel"-Entscheidung stützt, lässt sie dabei außer acht, dass es in dieser Entscheidung ausschließlich um das Fehlen der Offenbarung der Indikation zur Therapie der Parkinson-Krankheit im "Antivirusmittel"-Patent geht mit der Folge, dass Antiparkinson als Zweck in dem "Antivirusmittel"-Patent nicht verwirklicht und deshalb diese Indikation von dessen Schutz auch nicht umfasst ist. Dementsprechend ist unter dem Begriff "Zweckverwirklichung" in patentrechtlicher Hinsicht lediglich die Offenbarung eines konkreten therapeutischen Verwendungszwecks, im "Antivirusmittel"-Patent die ausschließlich unter Schutz gestellte antivirale therapeutische Verwendung, jedoch nicht der Nachweis eines therapeutischen Erfolges durch die klinische Prüfung am kranken Patienten zu verstehen, der zur Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung erforderlich ist. Nichts anderes bringt auch die in der Entscheidung "Arzneimittelgebrauchsmuster" (BGH GRUR 2006, 278) unter Verweis auf die Entscheidungen "Hydropyridin" (BGH a. a. O.) und "Sitosterylglykoside (BGH GRUR 1982, 548) enthaltene Aussage zum Ausdruck, die Verwendung eines bekannten Stoffs zur Erzielung einer bestimmten therapeutschen Wirkung erschöpfe sich in einem Handlungserfolg (ebenso nunmehr BGH Mitt. 2007, 224 - Carvedilol II.)

Die vorliegende Sache ist auch deshalb nicht vergleichbar mit der Konstellation im Fall der "Antivirusmittel"-Entscheidung, weil in der K4 für das darin vorweggenommene 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin, anders als im "Antivirusmittel"-Patent die Zweckverwirklichung Antiparkinson, auch dessen Verwendung als Neuroleptikum sowie die für einen fachkundigen Leser damit unmittelbar verknüpften Indikationen Schizophrenie, schizophreniforme Krankheitsbilder, akute Manie und leichte Angstzustände zu entnehmen sind, und damit der im Streitpatent beanspruchte Zweck bereits verwirklicht ist.

Im Übrigen handelt es sich im hier zu entscheidenden Fall weder um eine rein zufällig neuheitsschädlich vorweggenommene chemische Verbindung, die nunmehr erstmalig als pharmazeutischer Wirkstoff in Betracht gezogen wird, noch um die zweite oder weitere medizinische Indikation für einen bereits als anderswirkend bekannten Arzneistoff. Insofern führt auch das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung von Bruchhausen (vgl. z. B. Schrifts. v. 22. November 2006 S. 29 bis 33, insbes. S. 33 Abs. 2) zu keiner anderen Bewertung.

Anlass und Grundlage der Veröffentlichung von Bruchhausen (vgl. GRUR 1982, 641) war die Entscheidung "Sitosterylglykoside" (BGH GRUR 1982, 548). Darin wurde für die bereits als pflanzenwachstumsfördernd sowie blutzuckersenkend vorbeschriebenen ß-Sitosterylglycoside kein Erzeugnisschutz für das aus dem bereits bekannten Wirkstoff formulierte Arzneimittel und damit kein allgemein gehaltener Arzneimittelanspruch, der auch die bereits vorbeschriebene blutzuckersenkende Anwendung mitumfasst hätte, gewährt, sondern lediglich ein auf die Behandlung von gutartiger Prostatahyperplasie sowie ein auf die Behandlung von rheumatoiden Erkrankungen gerichteter Verwendungsanspruch. Dabei konnte für den BGH die Frage, ob ein Hinweis in einer Druckschrift, ein bestimmter Stoff eigne sich für die Behandlung einer bestimmten Krankheit (Blutzucker), ein Arzneimittel aus diesem Stoff auch dann neuheitschädlich vorwegnimmt, wenn sich die dem Stoff zugeschriebene Wirkung nicht einstellt, unentschieden bleiben.

Eine derartige Konstellation ist im hier zu entscheidenen Fall zwischen dem Streitpatent und der K4 nicht gegeben, denn beansprucht wird nicht eine gegenüber der Lehre der K4 unterschiedliche, sondern die gleiche medizinische Verwendung bzw. Indikation. Darüber hinaus bezieht sich die vom BGH in "Sitosterylglycoside" offen gelassene Frage darauf, ob ein allgemeiner Erzeugnisanspruch für ein Arzneimittel aus einem bereits bekannten Stoff dann neuheitschädlich vorwegnommen ist, wenn sich die diesem bekannten Stoff zugeschriebene bekannte Wirkung in Wirklichkeit nicht einstellt. Ein solcher Fall ist vorliegend ersichtlich nicht gegeben, denn die in der K4 den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen der allgemeinen Formel I und damit auch dem darin neuheitschädlich vorweggenommenen 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin zugeschriebene neuroleptische bzw. antipsychotische Wirkung und der damit unmittelbar verbundenen Wirkungen gegen Schizophrenie, schizophreniforme Krankheitsbilder, akute Manie und leichte Angstzustände stellen sich ohne Zweifel auch tatsächlich ein.

In seinem Aufsatz erörtert Bruchhausen ausgehend von der Entscheidung "Sitosterylglycoside" eine Anzahl weiterer Fallkonstellationen (vgl. GRUR 1982, 642 re. Sp. Abs. 2 ff.). Relevant, weil möglicherweise auf den vorliegenden Fall anwendbar, erscheint lediglich der unter Bezugnahme auf einen Aufsatz von Klöpsch (vgl. GRUR Int. 1982 102, 105 li. Sp) zitierte Fall, in dem in einer Vorbeschreibung mitgeteilt wird, dass sich bei anwendungstechnischen Untersuchungen eines Wirkstoffes im Tierversuch eine physiologische Wirkung ergeben habe. Die betreffende Stelle im Aufsatz von Klöpsch bezieht sich jedoch auf den Fall einer gegenüber der vorveröffentlichten Wirkung völlig anderen Indikation. Dieser ist damit ebenso wenig wie die übrigen von Bruchhausen aufgezählten Konstellationen, in denen, wie bei "Sitosterylglycoside", die vorbeschriebenen Wirkungen sich als nicht zutreffend herausgestellt haben, mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar, sodass ein Präjudiz nicht zu erkennen ist.

Die weiteren Ausführungen von Bruchhausen, wonach man die Arzneimittelerfindung zu verstehen habe als die Bereitstellung eines Stoffes, der bei seiner Einwirkung auf den menschlichen Körper zu einem Heilerfolg führt, sind dementsprechend ausschließlich im Kontext mit "Sitosterylglycoside" und damit demjenigen Fall zu verstehen, in dem, wie in den von Bruchhausen präsentierten Fallkonstellationen, die vorbeschriebene Wirkung sich als Irrtum herausgestellt hat. In diesem Kontext sind auch weitere Ausführungen, wonach selbst Tierversuche noch keinen Erfolg bei der Erprobung am Menschen garantieren, zu verstehen.

h) Soweit sich die Beklagte unter Hinweis auf zwei Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (vgl. Schrifts. v. 22. November 2006 S. 32 le. Abs.; B66 bis B67a) darauf beruft, dass die beanspruchte Verwendung schon deshalb neu sei, weil erstmals am Prioritätstag des Streitpatents Ergebnisse aus den klinischen Untersuchungen am kranken Menschen vorgelegen hätten, kann ihr nicht gefolgt werden. Ihrer Ansicht, entsprechend diesen beiden Entscheidungen sei die Anerkennung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit der Verwendung antipsychotisch wirksamer Arzneimittel an den Zeitpunkt des Vorliegens von Ergebnissen der Erprobung am kranken Menschen zu knüpfen, weil es keine schizophrenen Tiere gebe, und auch die Anwendung beim gesunden Menschen keine belastbaren Aussagen über ihre Wirksamkeit zuließen, so dass erst nach Abschluss der klinischen Tests am kranken Menschen über die Verwendung entschieden werden könne, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn solche Anforderungen sind mit dem Grundsatz eines einheitlichen Offenbarungsbegriffs bei der Bewertung des Inhalts von Entgegenhaltung und von Patentanmeldung (vgl. BGH GRUR 81, 812 - Etikettiermaschine) nicht vereinbar.

Für eine patentrechtliche Sonderbehandlung antipsychotischer Wirkstoffe, wie sie in den beiden Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (vgl. B66 bis B67a) vorgenommen worden ist, sieht der Senat deshalb keinen Raum.

Die Bewertung der Neuheit der therapeutischen Verwendung eines Stoffes in patentrechtlicher Hinsicht darf nicht mit dem Erfordernis des Beweises einer therapeutischen Wirksamkeit am Menschen für die Zulassung als Arzneimittel gleichgesetzt werden (vgl. hierzu BPatG a. a. O. - Perfluorocarbon; GRUR Int. 1995, 523 - "USA - Tierversuche ausreichend zum Nachweis der "utility" von Arzneimittelpatenten). Selbst für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit anhand einer überraschenden Wirkung gegenüber dem strukturell nächstkommenden Stand der Technik genügt regelmäßig die Glaubhaftmachung anhand eines zahlenmäßig bestimmt gehaltenen Effekts, der zudem im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung, hier der Angabe der Wirkung bzw. Wirkungsrichtung, nachbringbar ist. Die Klägerin I hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Weg zur arzneimittelrechtlichen Zulassung für neue Stoffe trotz untersuchter pharmakologischer Wirkung schwer und zeitraubend ist, weshalb auch ein ergänzendes Schutzzertifikat für patentierte Arzneimittel bzw. deren Wirkstoffe erlangt werden kann (vgl. Schrifts. v. 6. November 2006 S. 23 Abs. 1). Dieser Weg bis zur Erlangung der Zulassung erschöpft sich in der präklinischen und klinischen Prüfung und damit in einer Erprobung einer bereits vorgegebenen Lehre.

5. Auch die auf pharmazeutische Zusammensetzungen, Dosiseinheitsformen sowie Darreichungsformen gerichteten Patentansprüche 10 bis 19 gemäß Hauptantrag haben keinen Bestand.

Für einen pharmazeutischen Chemiker ist es hinsichtlich der Verabreichung an einen Patienten zwingend, in Kenntnis der Toxizität und Wirkungsrichtung einer Verbindung diese so zu konfektionieren, das der für den Wirkstoff beabsichtigte therapeutische Effekt in der Formulierung auch tatsächlich eintritt. Dabei greift er ohne Weiteres auf übliche pharmazeutisch akzeptable und brauchbare Hilfsmittel wie Verdünnungsmittel oder Träger zurück, so dass die Patentansprüche 10 und 13 jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.

Auch die Wahl einer geeigneten Dosierung, Dosiseinheitsform oder die Darreichung in Form einer Kapsel, einer Tablette oder als Injektion für das 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin und für seine pharmazeutisch akzeptablen Salze ergibt sich für einen Fachmann, wenn nicht bereits unmittelbar aus seinem Grundwissen in Verbindung mit üblichen routinemäßig wiederkehrenden Optimierungsarbeiten, so doch aus der Druckschrift K2 (GB 1 533 235) in Analogie zu Dosierungsangaben zu den dort beschriebenen antipsychotisch wirksamen Thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepinen. Demnach sind beim erwachsenen Menschen, in Abhängigkeit von der speziellen Indikation, der betreffenden Verbindung sowie dem individuellen Zustand des Patienten Tagesdosen von 0.1 bis 10 mg pro kg zu verabreichen (vgl. K2 S. 10 Z. 10 bis 24), was je nach Darreichungsform Dosiseinheitsformen von 1 bis 200 mg bedingt (vgl. K2 S. 10 Z. 42 bis 46). Davon ausgehend bedurfte es für einen Fachmann jedenfalls keines erfinderischen Zutuns, um zu den Dosierungen bzw. Dosiseinheitsformen der Patentansprüche 11, 12, 14 bis 18, die mit den aus der K2 zu entnehmenden Werten ohnehin überlappen, zu gelangen.

Erfinderischen Zutuns bedurfte es für einen Fachmann schließlich auch nicht, um für intramuskuläre Injektionen eine langzeitwirkende Formulierung in Betracht zu ziehen und hierfür geeignete und übliche retardierende Hilfsstoffe beizumischen, so dass auch Patentanspruch 19 nichtig ist.

Deshalb erübrigte sich hier auch eine Entscheidung darüber, ob, wie von der Klägerin I unter Bezugnahme auf die Entscheidung Carvedilol II (BGH a. a. O.) vorgebracht, einem lediglich auf Dosierungsangaben als einzig unterscheidendes Merkmal zum Stand der Technik gestützten Erzeugnis ohnehin die Neuheit fehlt.

III.

Was die Hilfsanträge A bis E betrifft, so ist der angegriffene Patentgegenstand auch gemäß diesen geänderten Fassungen nicht patentfähig.

1. Der Gegenstand des Streitpatents in den Fassungen der in den mündlichen Verhandlungen überreichten Hilfsanträge A bis E geht weder über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen noch über den Inhalt des Streitpatents in der erteilten Fassung hinaus, so dass hinsichtlich der Offenbarung und der Zulässigkeit der Änderungen in den Hilfsanträgen keine Bedenken bestehen.

Der Einwand der Klägerin I in der mündlichen Verhandlung, das verminderte Risiko des Auftretens einer Agranulozytose (vgl. Hilfsänträge D und E) sei weder ursprünglich noch in der Patentschrift offenbart, ist bereits insofern unbegründet, als sich sowohl aus den ursprünglichen Unterlagen als auch aus der Streitpatentschrift direkt entnehmen lässt, dass der klinische Befund einer unveränderten Zahl weißer Blutkörperchen einer verminderten Gefahr des Auftretens von Agranulocytose entspricht (vgl. DE 691 12 895 T2 S. 5 Z. 9 bis 11 i. V. m. S. 2 Z. 11 bis 15 sowie EP 454 436 A1 S. 3 Z. 41 bis 42 i. V. m. S. 2 Z. 22 bis 24).

Auch dem Vorbringen der Klägerin I betreffend die Hilfsanträge A bis C, wonach die darin vorgenommenen Kombinationen verschiedener Krankheitsbilder in den Verwendungsansprüchen mit speziellen Dosiseinheitsformen ursprünglich nicht offenbart seien und zudem über den Umfang der Patentansprüche in der erteilten Fassung hinausgingen, so dass diese Hilfsanträge unzulässig seien, kann der Senat nicht beitreten. Denn zum einen wird der Verwendungsanspruch durch die Aufnahme einer Dosiseinheitsform in seiner Breite in zulässiger Weise eingeschränkt, und zum anderen ergibt sich die Möglichkeit einer Kombination von expressis verbis benannten Krankheitsbildern mit allgemein angeführten und damit offenbarten Dosiseinheitsformen für einen fachkundigen Leser zwanglos und damit ohne Weiteres aus den Patentansprüchen und der Beschreibung sowohl der ursprünglichen als auch der erteilten Fassung (vgl. EP 454 436 A1 Anspr. 5 i. V. m. S. 3 Z. 24 bis 36 sowie S. 7 Z. 22 bis 54; DE 691 12 895 T2 Anspr. 5 bis 19 i. V. m. S. 4 Z. 27 bis 36 sowie S. 12 Z. 32 bis S. 14 Z. 22).

2. Gemäß Hilfsantrag A verteidigt die Beklagte den Gegenstand des Streitpatents beschränkt auf die Verwendung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin oder dessen Säureadditionssalze zur Herstellung eines Arzneimittels gemäß den Patentansprüchen 1 und 2 oder beschränkt auf eine pharmazeutische Zusammensetzung in Kapselform oder Tablettenform oder als Injektion umfassend 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin oder dessen Säureadditionssalze gemäß den Patentanprüchen 3 bis 8, wobei sie auf die Dosierungen bzw. Formulierung der Patentansprüche gemäß Hauptantrag zurückgreift.

Da hinsichtlich der Art der Verwendung bzw. medizinischen Indikation keine Änderungen gegenüber dem Hauptantrag vorgenommen sind, wird vollinhaltlich auf die vorstehenden Ausführungen unter Ziffer II 4 und 5 verwiesen. Demzufolge sind auch die Gegenstände der Patenansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag A nicht patentfähig.

Sofern die Beklagte sich darauf stützt, dass die Dosierungen mittels Dosiseinheitsform in den Patentansprüchen 1 und 2, anders als in den Patentsprüchen gemäß Hauptantrag, nunmehr konkret auf die Verwendung zur Behandlung von Schizophrenie, einer schizophreniformen Krankheit, akuter Manie oder leichter Angstzustände gerichtet sind, kann auch darin kein erfinderisches Zutun erkannt werden. Denn die Ausführungen zu den Dosiseinheitsformen in der Druckschrift K2 beziehen sich auf die Verwendung von Thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin vergleichbarer Struktur zur Behandlung genau dieser Psychosen (vgl. K2 S. 10 Z. 42 bis 46 i. V. m. Z. 14 bis 18).

Entsprechendes gilt für den Gegenstand in der gemäß Hilfsantrag B verteidigten Fassung, die sich von jener gemäß Hilfsantrag A durch die Beschränkung in den Verwendungsansprüchen 1 und 2 auf die Indikationen Schizophrenie oder schizophreniforme Krankheit unterscheidet, sowie für den Gegenstand gemäß Hilfsantrag C, in dem gegenüber Hilfsantrag B auch die übrigen Patentansprüche 3 bis 8 als Verwendungsansprüche formuliert anstelle der auf pharmazeutische Zusammensetzungen bzw. Injektionen gerichteten Ansprüche treten.

3. Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag D, welche ausschließlich auf die Verwendung von 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin oder dessen Säureadditionssalze zur Herstellung eines Arzneimittels gerichtet sind, unterscheiden sich von den Verwendungsansprüchen gemäß Hauptantrag dadurch, dass als Anwendungsmerkmale die Reduzierung bzw. Abwesenheit bestimmter Nebenwirkungen hinzugenommen sind.

Eine Verwendung ist neu, wenn der offenbarte Zweck, hier der therapeutische Zweck, die Funktion oder Wirkung, hier die physiologische Funktion oder Wirkung, bisher nicht beschrieben und auch nicht in anderer Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.

Dies ist hier nicht der Fall. Denn ein vermindertes Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen sowie von Agranulozytose stellt sich bereits zwangsläufig und unmittelbar als Folge des aus der Druckschrift K4 bekannten Verwendungzwecks als Neuroleptikum bzw. Antipsychotikum und der sich daraus ergebenden therapeutischen Vorgehensweise ein. Es handelt sich nicht um die Definition einer anderen Krankheit sondern um die Umschreibung zusätzlicher Effekte, die sich bei der bekannten Verwendung von selbst ergeben.

Die Behandlung einer Psychose mit dem neuheitschädlich vorweggenommenen 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin geht damit zwangsläufig einher mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit der Induzierung extrapyramidaler Nebenwirkungen und birgt auch nicht die Gefahr der Induzierung von Agranulozytose (vgl. hierzu BPatG 3 Ni 44/00 (EU) vom 18. September 2001 sowie nachfolgend BGH a. a. O. - Carvedilol II; BGH GRUR 2003, 317 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel).

Auch eine Änderung der technischen Realisierung der in der K4 offenbarten Verwendung als neuroleptischer bzw. antipsychotischer Wirkstoff ist mit der Erfindung des Streitpatents nicht verbunden. Denn ausgehend von den präklinischen Versuchen am Tiermodell der K4 und den dabei beschriebenen Effekten bewegt sich das weitere Vorgehen lediglich im Rahmen üblicher standardisierter präklinischer und klinischer Versuche, die Zulassungsvoraussetzung sind und deren Ergebnisse sich als Folge der üblichen Vorgehensweise von selbst einstellen.

Hinzu kommt, dass der Fachmann ausgehend von der K4 in Verbindung mit seinem Fachwissen (vgl. hierzu Ehrhardt/Ruschig, 1972, Bd. 1, S. 209 Tab. 3) allen Anlass dazu hatte, bei der Prüfung eines neuroleptischen Wirkstoffes auf das Vorhandensein oder die Abwesenheit gerade dieser Nebenwirkungen besonders zu achten.

Entsprechendes gilt für den Gegenstand in der gemäß Hilfsantrag E verteidigten Fassung, in der gegenüber Verwendungsansprüchen des Hauptantrags nurmehr die fehlende Gefahr der Induzierung von Agranulozytose als Zusatzmerkmal zu den jeweiligen zu behandelnden Psychosen hinzugenommen ist.

Damit ist der Gegenstand der Verwendungsansprüche auch in der Fassung der Hilfsanträge D und E neuheitschädlich vorweggenommen.

IV.

1. Bei dieser Sachlage brauchte auf die weiteren von den Klägerinnen I und II eingeführten Druckschriften ebenso wenig eingegangen zu werden wie auf die zahlreichen von der Beklagten eingereichten Druckschriften und Erklärungen, aus denen sich keine Anhaltspunkte ergeben, die den Senat hätten zu einem anderen Ergebnis gelangen lassen können.

Insbesondere erübrigte sich eine Entscheidung darüber, ob 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin zum einen auch durch die Druckschrift K2, die ein gegenüber der K4 sehr viel größeres Kollektiv von Thienobenzodiazepinen mittels einer sehr erheblich weiter gefassten Markush-Formel beschreibt, neuheitschädlich vorweggenommen ist und/oder zum anderen in der Druckschrift K6 bereits als explizit genannt und damit als expressis verbis vorbeschrieben zu erachten ist. Dahinstehen konnte des Weiteren auch, ob die Verbindungen des Streitpatents aufgrund einer Zusammenschau des vorveröffentlichten Standes der Technik nahegelegt waren.

Die von der Beklagten vorgelegten Dokumente und Druckschriften können zu keiner anderen Beurteilung der hier maßgeblichen Neuheitsfrage führen. Soweit es sich dabei um vorveröffentlichte Arbeiten aus Fachzeitschriften handelt, betreffen diese gegenüber den 4'-(N-Methylpiperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5] benzodiazepinen der Formel I aus K4 strukturell unterschiedliche Benz(odi)azepine oder strukturfernere Neuroleptika bzw. Antipsychotika (vgl. B10, B11, B15, B17 bis B21, B23 bis B28, B31, B32, B40, B62) und sind damit für die Bewertung des Inhalts der K4 und damit der Neuheit des Streitpatents gegenüber dieser Entgegenhaltung ebenso wenig von Belang wie die nachveröffentlichten Druckschriften und Dokumente. Die vorveröffentlichte Druckschrift B41, die im Textteil Bezug nimmt auf die Druckschrift K4 und deren allgemeine Formel I, befasst sich ausweislich des Titels mit den Effekten von 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepin-Neuroleptika eingeschränkter Konformation auf das Dopaminerge und Cholinerge System und bezieht sich dabei experimentell und in der theoretischen Betrachtung ausschließlich auf 7-Fluor-Derivate.

Eine andere Beurteilung ergibt sich aus diesem Stand der Technik auch nicht hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Dosierungen, Dosiseinheitsformen sowie Darreichungsformen.

Auch die bezüglich der Bewertung der K4 schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung eingereichten Erklärungen bzw. eidesstattlichen Versicherungen (vgl. B6, B47, B49, B50 bis B58, B64a,b, B68, B69, Erklärung von Dr. Ellenbroek) sowie die in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen privatgutachtlichen Stellungnahmen vermögen den Inhalt der K4 nicht in einem anderen Licht darzustellen oder gar in seiner Bedeutung zu entwerten. Entsprechendes gilt für die Ausführungen der in der klinischen Forschung im Bereich der Antipsychotika tätigen Professoren Dr. A... und Dr. B..., die der Senat zur Wahrung des rechtlichen Ge- hörs der Beklagten auf deren nachdrückliche und von den Klägerinnen unwidersprochene Anregung hin als gerichtliche Sachverständige herangezogen hat.

2. Der Senat hat keinen Anlass gesehen, ein weiteres Sachverständigengutachten - wie von der Beklagten angeregt - zu der Frage einzuholen, ob der Fachmann die in der Entgegenhaltung K4 aufgeführten 59 Beispiele als abschließende thematische Erfassung ansieht, zu der keine Abwandlung (Modifizierung) gewollt ist. Eine sachgerechte Bewertung dieser Frage erfordert neben fundierten Kenntnissen in dem hier betroffenen übergeordneten Fachgebiet organischchemischer Verbindungen mit biologischer Aktivität, insbesondere von Arzneimittelwirkstoffen, speziell solcher mit Wirkung auf das Zentralnervensystem, vor allem auch eine langjährige Patentpraxis und Erfahrung auf dem Gebiet des chemischen Stoffschutzes und des Verwendungsschutzes biologischer Wirkstoffe, die in dem fachkundig besetzten erkennenden Senat (vgl. BGH GRUR 1970, 408 - Anthradipyrazol; BGH GRUR 1978, 162 - 7-Chlor-6-demethyltetracyclin; BGH GRUR 2004, 413 - Geflügelkörperhalterung) zweifelsohne vorhanden sind. Kenntnisse der klinischen Prüfung und Zulassung von Arzneimitteln treten mangels Relevanz für die patentrechtliche Beurteilung der Neuheit einer die erste oder zweite medizinische Indikation betreffenden Erfindung demgegenüber in den Hintergrund.

3. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2007 und Verkündung des Beschlusses der Zustellung einer Entscheidung an Verkündungs Statt eingegangenen Schriftsätze der Parteien, deren Inhalt grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl., § 94 Rdn. 10, m. w. N.), enthalten nichts, was ausschlaggebend für die Entscheidung des Senats war oder gar eine andere Bewertung der vorgebrachten Tatsachen rechtfertigen könnte, so dass auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich war.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.






BPatG:
Urteil v. 04.06.2007
Az: 3 Ni 21/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/f49da301ee0b/BPatG_Urteil_vom_4-Juni-2007_Az_3-Ni-21-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share