Kammergericht:
Beschluss vom 14. Februar 2005
Aktenzeichen: 2 Verg 13/04

(KG: Beschluss v. 14.02.2005, Az.: 2 Verg 13/04)

1. Beim Antrag nach § 118 Abs.1 Satz 3 GWB beträgt der Gebührensatz des VV 3300 (RVG) für die anwaltliche Verfahrensgebühr - im Wege einer teleologischen Reduktion des verfehlten, da zu weit gefassten Wortlautes - anstatt 2,3 nur 0,7.

2. Eine anlässlich des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer bereits entstandene Geschäftsgebühr des Rechtsanwaltes wird nicht nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs.4 VV (RVG) auf die anwaltliche Verfahrensgebühr des anschließenden Beschwerdeverfahrens angerechnet.

Tenor

Auf die Erinnerung der Antragstellerin vom 17. November 2004 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Kammergerichts vom 29. Oktober 2004 - unter Zurückweisung der Erinnerung im Übrigen - geändert:

Die nach dem Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin vom 24. Juni 2004 (VK - B1 - 25/04) und den Beschlüssen des Vergabesenats des Kammergerichts vom 9. August 2004 (2 VERG 14/04) und 30. August 2004 (2 VERG 13/04) von der Antragstellerin der Beigeladenen zu erstattenden Kosten werden auf 80.022,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2004 festgesetzt.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens haben - bei einem Wert von 43.720,60 Euro - die Antragstellerin zu 28% und die Beigeladene zu 68% zu tragen.

Gründe

I. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 24. Juni 2004 zurückgewiesen und ihr neben den Kosten des Verfahrens auch die Verpflichtung zur Erstattung der der Beigeladenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und -vertretung notwendigen Auslagen auferlegt. Gegen die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages hat die Antragstellerin am 9. Juli 2004 sofortige Beschwerde eingelegt und damit einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB verbunden. Mit Beschluss vom 9. August 2004 (2 VERG 14/04) hat der Senat das vorläufige Rechtschutzbegehren mit der Kostenfolge aus §§ 91 Abs.1, 101 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen; eine entsprechende Kostenfolge hat der Senat zu Lasten der Antragstellerin ebenfalls nach Rücknahme ihrer sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30. August 2004 (2 VERG 13/04) ausgesprochen.

Auf entsprechende Kostenfestsetzungsanträge der Beigeladenen hat die zuständige Rechtspflegerin beim Kammergericht durch Beschluss vom 29. Oktober 2004 die von der Antragstellerin der Beigeladenen zu erstattenden Kosten - bei einem Wert von jeweils 5.989TEuro - wie folgt festgesetzt:

Vergabekammer (VK - B1 - 25/04):10/10 Geschäftsgebühr §§ 11, 118 Abs.1 Nr. 1 BRAGO:18.596,00 Euro10/10 Besprechungsgebühr §§ 11, 118 Abs.1 Nr. 2 BRAGO:18.596,00 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 EuroSofortige Beschwerde (2 VERG 13/04):1,6 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, Nr.3200 VV29.753,60 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 EuroAntrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB (2 VERG 14/04):2,3 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, Nr.3300 VV42.770,80 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 Euro109.776,40 EuroGegen den ihr am 3. November 2004 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Antragstellerin am 17. November 2004 €sofortige Erinnerung€ eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Das RVG finde keine Anwendung, da der unbedingte Auftrag der Beigeladenen an ihre Verfahrensbevollmächtigten zur Erledigung derselben Angelegenheit bereits vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden sei. Dessen ungeachtet hätte die Rechtspflegerin die für das Verfahren vor der Vergabekammer in Ansatz gebrachten Geschäftsgebühren nach Vorbemerkung 3 Abs.4 (VV) RVG auf die Gebühr des gerichtlichen Verfahrens anrechnen müssen, da es sich bei dem Verfahren vor der Vergabekammer um ein Verwaltungsverfahren im Sinne von VV 2400 bis 2403 handele. Als fehlerhaft - da nicht gesetzeskonform - erweise sich auch der kumulierte Ansatz von Verfahrensgebühren nach VV 3200 und VV 3300 in Höhe von insgesamt 3,9 Gebühren, da das RVG die bisherige Regelung in § 65a BRAGO mit der auf 19,5/10 erhöhten Gebühr im Grundsatz habe übernehmen und lediglich moderat um weiter 0,3 habe erhöhen wollen.

Mit Beschluss vom 28. Januar 2005 hat der Einzelrichter das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung gemäß §§ 11 Abs.2 Satz 4 RPflG, 568 Satz 1, Satz 2 Nr.2 ZPO dem Vergabesenat des Kammergerichts in der nach § 122 Abs.1 GVG vorgesehenen Besetzung zur Entscheidung übertragen.

II. Die nach § 11 Abs.2 RPflG zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung hat in der Sache überwiegend erfolgt. Die von der Antragstellerin der Beigeladenen zu erstattenden Kosten belaufen sich auf 80.022,80 Euro und berechnen sich wie folgt:

Vergabekammer (VK - B1 - 25/04):10/10 Geschäftsgebühr §§ 11, 118 Abs.1 Nr. 1 BRAGO:18.596,00 Euro10/10 Besprechungsgebühr §§ 11, 118 Abs.1 Nr. 2 BRAGO:18.596,00 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 EuroSofortige Beschwerde (2 VERG 14/04)1,6 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, VV 320029.753,60 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 EuroAntrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB (2 VERG 13/04):0,7 Verfahrensgebühr §§ 2, 13 RVG, VV 330013.017,20 EuroPost- und Telekommunikationspauschale 20,00 Euro80.022,80 EuroEinleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtspflegerin des Kammergerichts ihre Zuständigkeit auch für die Festsetzung der für das Verfahren vor der Vergabekammer des Landes Berlin entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen zu Recht bejaht hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2004, Verg 51/04, www.ibr-online).

1. Anwendbarkeit des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes

Die Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren bestimmt sich gemäß § 61 Abs.1 RVG nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Beigeladene vermochte ihren Verfahrensbevollmächtigten erst nach dem 1. Juli 2004 einen unbedingten Auftrag zur Erledigung des Beschwerdeverfahrens und des damit einhergehenden Antrages nach § 118 Abs.1 Satz 3 GWB erteilen. Denn für die vor der Vergabekammer €obsiegende€ Beigeladene konnte sich erstmals aufgrund der sofortigen Beschwerde der Antragsstellerin vom 9. Juli 2004 die Frage nach der (unbedingten) Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Rechtsmittelverfahren stellen. Solange es an einer anfechtbaren Entscheidung der Vergabekammer noch fehlt, besteht für einen Verfahrensbeteiligten keine Veranlassung, seinem Verfahrensbevollmächtigten einen weiteren Auftrag zu erteilen, dessen Inhalt (Einlegung eines Rechtsmittels oder Rechtsverteidigung) noch unbekannt ist.

2. Sofortige Beschwerde nach § 116 GWB

Nach § 2 Abs.2 RVG bestimmt sich die Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Dessen Teil 3 legt in der Vorbemerkung 3.2.1. Abs.1 Nr.4 VV für das Beschwerdeverfahren nach dem GWB, zu denen die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer nach § 116 GWB zählt (vgl. AnwK-RVG/ Wolf, 2. Aufl., VV Vorb.3.2.1. Rd. 49; Gerold/ Schmidt/ Madert, RVG, 16. Aufl., Vorb. 3.2.1. VV Rd.55), den Gebührentatbestand VV 3200 mit einem Gebührensatz von 1,6 zugrunde.

3. Antrag nach § 118 Abs.1 Satz 3 GWB:

Für das Verfahren über einen Antrag nach § 115 Abs.2 Satz 2 und 3, § 118 Abs.1 Satz 3 oder § 121 GWB bestimmt VV 3300 nach seinem Wortlaut zwar einen Gebührensatz in Höhe von 2,3. Der Wortlaut bringt indes den gesetzgeberischen Willen nur unvollkommen zum Ausdruck und widerspricht der Stellung der Gebührentatbestände VV 3200 und 3300 im Gesamtgefüge des Vergütungsverzeichnisses (RVG).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die sofortige Beschwerde nach § 116 Abs.1 Satz 1 GWB und die Verfahren nach § 115 Abs.2 Satz 2 und 3, § 118 Abs.1 Satz 3 oder § 121 GWB - obwohl er letztere augenscheinlich nicht in die Regelung des § 17 Nr.4 RVG aufgenommen hat - nunmehr als verschiedene Angelegenheiten bewertet. Dies erschließt sich bereits aus der Schaffung eines eigenen anwaltlichen Gebührentatbestandes, der neben der Verfahrensgebühr auch eine gesondert in Ansatz zu bringende Terminsgebühr gemäß VV 3304 umfasst, und findet seine Entsprechung in den Regelungen zu den Gerichtskosten, die für die sofortige Beschwerde nach § 116 Abs.1 Satz 1 GWB und die Verfahren nach § 115 Abs.2 Satz 2 und 3, § 118 Abs.1 Satz 3 oder § 121 GWB ebenfalls in KV 1220 und 1640 gesonderte Gebührentatbestände und -sätze aufweisen.

Indes wäre es ganz fern liegend, dass ein Eilverfahren - hier mit 2,3 - einen um 0,7 höheren Gebührensatz gegenüber dem Hauptsacheverfahren gewährt; dies würde hier für beide Verfahren zu einem Gebührensatz von insgesamt 3,9 führen. Demgegenüber wollte der Gesetzgeber mit dem Gebührentatbestand VV 3300 den Gebührensatz des § 65a Satz 2 BRAGO a.F. übernehmen und die vormals durch das zusätzliche Eilverfahren von 13/10 auf 19,5/10 erhöhte Prozessgebühr lediglich um weitere 0,3 anheben (BT- Drucksache 15/1971, Seite 215; so auch: AnwK-RVG/ Wolf, a.a.O., VV 3300-3301 Rd. 1 und 7; AnwK-RVG/ Wolf, a.a.O., VV Vorb. 3.2.1. Rd. 46; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., VV 3300 Vorbem.; Gerold/ Schmidt/ Madert, a.a.O., VV 3300 Rd.3; Hartung/ Römermann, RVG, 2004, VV Teil 3 Rd. 142; Bischof/ Jungbauer/ Podlech-Trappmann, Kompaktkommentar RVG, S.569; Goebel/ Gottwald, RVG, 2004, S. 465; Leicht/ Sell-Kany, RVG, S.185).

Folglich ist eine Korrektur des Wortlautes von VV 3300 im Wege der teleologischen Reduktion angezeigt; der Gebührensatz des VV 3300 muss auf den nach dem Zweck geforderten Umfang zurückgeführt werden, so dass der Wortlaut der Gebührentatbestände VV 3200, 3300 nicht die Grenze der Auslegung bildet. Der Gebührentatbestand des VV 3300 kann nur so verstanden werden, dass sich sein Gebührensatz - der Höhe nach mit § 65a Satz 2 BRAGO a.F. vergleichbar - tatsächlich auf die Differenz zum Gebührensatz des VV 3200 beschränkt, also 0,7 beträgt.

4. Gebührenanrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs.4:

Im vorliegenden Fall kann es dahingestellt bleiben, dass sich die Vorbemerkung 3 Abs.4 VV nur auf die Höhe der ab dem 1. Juli 2004 nach dem RVG zu beanspruchenden Verfahrensgebühren VV 3200 und 3300 und damit ohnehin nicht auf die bereits entstandenen Gebühren nach § 118 Abs.1 Nr.1 bis 3 BRAGO auswirken kann, andererseits in Vorbemerkung 3 Abs.4 VV jedoch von einer €Geschäftsgebühr nach den Nummern 2400 bis 2403€ und nicht von einer solchen nach § 118 Abs.1 Nr.1 BRAGO die Rede ist und mit Blick auf § 61 Abs.1 RVG auch nicht sein kann (offen gelassen: AnwK-RVG/ Schneider, a.a.O., VV Vorb. 3 Rd. 190; Burhoff/ Kindermann, RVG, 2004, Rd. 131).

Denn eine Anrechnung der für die Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten vor der Vergabekammer entstandenen Geschäftsgebühr im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 (VV) RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens findet grundsätzlich nicht statt. Eine Anrechnung würde verkennen, dass es sich beim vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren - im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gerichtsverfahren, auf welches die Anrechnungsregelung abzielt - auch der Sache nach um ein Rechtsmittelverfahren gegen die Entscheidung eines kontradiktorisch und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens vor der Vergabekammer handelt, das mit einem herkömmlichen Verwaltungsverfahren nicht zu vergleichen ist (vgl. Beckscher VOB/A-Kommentar/Gröning, § 116 Rn. 2 f.). Diese Besonderheit des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens gegenüber herkömmlichen Verwaltungsverfahren wird von den Literaturstimmen, die sie für eine Anrechnung der vor der Vergabekammer entstandenen Gebühren aussprechen (Schneider, Kindermann, je a. a. O.) nicht hinreichend berücksichtigt. Dem echten Rechtsmittelverfahren, als das das vergaberechtliche Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht danach angesehen werden muss, ist eine Anrechnung fremd (vgl. dazu im Einzelnen: Rojahn, VergabeR 2004, 454 <456f>).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 91 ZPO.

Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO ist kein Raum. Im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren nach §§ 116ff. GWB ist der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof nur nach § 124 Abs.2 GWB eröffnet, wenn das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes abweichen will und die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof im Beschlusswege vorlegt (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2003, X ZB 10/03 = MDR 2004, 355 zur Streitwertfestsetzung).






KG:
Beschluss v. 14.02.2005
Az: 2 Verg 13/04


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