Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. März 2001
Aktenzeichen: 19 W (pat) 38/99

(BPatG: Beschluss v. 21.03.2001, Az.: 19 W (pat) 38/99)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H 02 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. September 1999 aufgehoben. Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse H 02 K - hat die am 29. August 1987 eingereichte Anmeldung, für welche eine innere Priorität vom 29. August 1986 (Aktenzeichen P 36 29 377.6) in Anspruch genommen ist, durch Beschluß vom 1. September 1999 aus den Gründen des Bescheides "vom 14. Februar 1999" - gemeint ist offensichtlich vom 24. Februar 1999 - zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung die Teilung der Anmeldung erklärt und hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren verbleibenden Gegenstandes gemäß den ursprünglichen Figuren 8 bis 15 einen neuen Hauptanspruch vorgelegt. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2001, noch anzupassenden Unteransprüchen, Beschreibung und Zeichnungen.

Hilfsweise regt die Anmelderin die Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt an.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Elektromotor, bei dem der mit einer Welle verbundende Rotor und der Stator relativ zueinander drehbar und in axialer Richtung verschiebbar gelagert sind, bei dem in einem Gehäuse ein Erregungssystem für eine schrittweise Drehbewegung des Rotors und ein Erregungssystem für eine axiale Relativbewegung radial übereinander angeordnet sind, bei dem die beiden Erregungssysteme ringförmig koaxial angeordnet und mit unabhängig voneinander ansteuerbaren Wicklungen versehen sind, und bei dem das eine Erregungssystem radial außerhalb des Rotors angebracht ist, dadurch gekennzeichnet, daß das andere Erregungssystem (88, 89, 92) radial innerhalb des Rotors (80) angebracht ist und zwei Statorelemente (88) sowie einen axial dazwischen liegenden Permanentmagneten (89) aufweist."

Der Anmeldung liegt nach den Ausführungen der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2001 das Problem zugrunde, die Luftspaltverluste im magnetischen Kreis zu verringern.

Die Anmelderin vertritt die Ansicht, daß der bisher entgegengehaltene Stand der Technik dem Fachmann hierfür keine Anregung geben könne, da alle Erregerwicklungen entweder gemeinsam in einem großen Luftspalt oder gemeinsam radial außerhalb desselben angeordnet seien, und überdies keinen Permanentmagneten aufwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat mit dem geänderten Patentbegehren insoweit Erfolg, als die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen war. Denn der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Elektromotor gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 ist gegenüber dem bislang ermittelten Stand der Technik neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1. Offenbarung und Zulässigkeit des geltenden Patentanspruchs 1 Der Fachmann - hier ein Fachhochschulingenieur mit Erfahrungen in der Entwicklung und dem Betrieb von Schrittmotoren - entnimmt die anspruchsgemäße Merkmalskombination im wesentlichen den ursprünglichen Patentansprüchen 1, 23 und 24.

Die Verbindung des Rotors mit einer Welle ist auf Seite 21, Absatz 2 der ursprünglichen Unterlagen offenbart, die Anordnung der Erregungssysteme in einem Gehäuse auf Seite 21, Absatz 3. Die Anordnung der Erregungssysteme "radial übereinander/außerhalb.../innerhalb..." ist in Figur 8 in Verbindung mit dem ursprünglichen Patentanspruch 34 offenbart, ein zwischen zwei Statorscheiben "dazwischenliegender" Permanentmagnet auf Seite 21, Absatz 4, Satz 1.

2. Prioritätsrecht für die Stammanmeldung Die im geltenden Patentanspruch 1 angegebene Merkmalskombination enthält außer bereits am Prioritätstag offenbarten Merkmalen auch solche, die am Anmeldetag erstmals offenbart und mit den übrigen kombiniert worden sind (zB aus den ursprünglichen Patentansprüchen 23 und 24). Deshalb kann diesem Patentanspruch 1 - und damit der gesamten Stammanmeldung - nur der Zeitrang des Anmeldetages zukommen (BPatG GRUR Int. 1982, 452 - Metallschmelzvorrichtung).

Auch ist die vor dem Anmeldetag - jedoch nach dem für die ursprüngliche Anmeldung geltend gemachten Prioritätstag - veröffentlichte DE 35 38 017 A1 bei der Beurteilung der Patentfähigkeit als vorveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen.

2. Neuheit Der Gegenstand gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu, da aus keiner der im Prüfungsverfahren bisher entgegengehaltenen Druckschriften eine Anordnung mit allen in diesem Patentanspruch angegebenen Merkmalen bekannt ist.

Aus der DE 35 38 017 A1 ist ein Elektromotor bekannt (Fig 3 und 4), bei dem der mit einer Welle 16 verbundene Rotor 17 und der Stator 6 relativ zueinander drehbar und in axialer Richtung verschiebbar gelagert sind (Sp 5 Z 61 bis Sp 6 Z 5 und Sp 6 Z 17 bis 23). In einem Gehäuse 11,12,13 sind ein Erregungssystem 2,3 für eine schrittweise Drehbewegung des Rotors 17 und ein Erregungssystem 4,5 für eine axiale Relativbewegung radial übereinander angeordnet (Fig 3 und 4 iVm Sp 6 Z 17 bis 23 und Z 35 bis 59).

Die beiden Erregungssysteme 2,3 und 4,5 sind auch ringförmig koaxial angeordnet (Fig 4) und mit unabhängig voneinander ansteuerbaren Wicklungen 2,3,4,5 versehen (Fig 1a) bis f) und Sp 4 Z 53 bis 60). Das eine Erregungssystem 4,5 (für die axiale Verschiebung) ist radial außerhalb des Rotors angeordnet (Fig 3 und 4).

Abweichend vom kennzeichnenden Teil des geltenden Anspruchs 1 ist beim bekannten Elektromotor auch das andere Erregungssystem 2,3 (für die schrittweise Drehbewegung) radial außerhalb des Rotors angebracht; es weist auch keine zwei "Statorelemente" mit axial dazwischenliegendem Permanentmagneten auf; vielmehr sind die Wicklungen 2,3 in einem gemeinsamen Gehäusemantel 11 ohne Permanentmagneten angeordnet (Fig 2b iVm Sp 5 Z 41 bis 45).

Die DE 29 53 083 A1 zeigt einen Elektromotor, bei dem der Rotor 30 und der Stator 50a,b,c relativ zueinander drehbar und in axialer Richtung verschiebbar gelagert sind (Fig 1 und PA 1). Da es lediglich von der Betriebsweise des Motors abhängt, welche der zahlreichen Wicklungen 62 erregt werden (S 10 Z 4 bis 9), entnimmt der Fachmann dieser Druckschrift ferner, daß in dem Gehäuse 10 auch ein Erregungssystem 50b für eine schrittweise Drehbewegung und ein Erregungssystem 50c für eine axiale Relativbewegung angeordnet sind; denn bei umlaufender Erregung des Systems 50b wird der Rotor in der in Figur 1 dargestellten Axiallage gedreht, bei nichtumlaufender Erregung des Systems 50c axial nach rechts verschoben.

Beide Erregungssysteme 50b,c sind ringförmig koaxial angeordnet (Fig 1 und 2) und mit unabhängig voneinander ansteuerbaren Wicklungen 62 versehen (Fig 1 bis 4 und S 7 Abs 4). Auch ist das eine Erregungssystem 50b (das bei entsprechender Erregung eine schrittweise Drehbewegung bewirkt) radial außerhalb des Rotors 30 angebracht (Fig 1 und 2).

Abweichend vom Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 ist der Rotor 30 gleichzeitig Welle des Motors, und die beiden Erregungssysteme sind nicht radial übereinander sondern axial nebeneinander angeordnet. Darüber hinaus unterscheidet sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 vom Bekannten dadurch, daß das andere Erregungssystem radial innerhalb des Rotors angeordnet ist und axial zwischen den beiden Statorelementen einen Permanentmagneten aufweist.

3. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht gegenüber dem aus diesen beiden Druckschriften Bekannten auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von dem aus der DE 35 38 017 A1 bekannten Elektromotor mag der Fachmann zwar aus fertigungstechnischen Gründen daran denken, die beiden Wicklungen des anderen Erregungssystems 2,3 als zwei (getrennte) "Statorelemente" in die Vertiefungen des Gehäusemantels 11 (Fig 2) einzulegen.

Er findet in dieser Druckschrift aber schon keinerlei Hinweis oder Anregung darauf, zur Verringerung der Luftspaltverluste das andere Erregungssystem radial innerhalb des Rotors anzubringen.

Denn das von den am Rotor 17 angeordneten Permanentmagneten 21 im Luftspalt erzeugte rasterartige Magnetfeld erfordert zur Erzeugung der gewünschten Dreh- und Hubbewegung die Anbringung beider Wicklungen radial außerhalb des Rotors (Sp 3 Z 1 bis 21 sowie Fig 1 iVm Sp 4 Z 61 bis Sp 5 Z 40) und hält den Fachmann überdies davon ab, die Erregungssysteme mit Permanentmagneten zu versehen.

Auch die DE 29 53 083 A1 kann dem Fachmann weder Vorbild noch Anregung auf eine rotorinnenseitige Anbringung des anderen Erregersystems geben; denn dort erfordern die außen am Rotor 30 vorspringenden und nach dem Prinzip der minimalen Reluktanz (S 5 Abs 2) mit den Statorpolstücken 60 (Fig 2) zusammenarbeitenden Zähne 40 (Fig 2) ebenfalls, daß beide Erregungssysteme radial außerhalb des Rotors 30 angeordnet sind.

Auch aus seinem Fachwissen heraus wird der Fachmann nicht ohne weiteres daran denken, zur Verringerung der Luftspaltverluste eines der beiden Erregungssysteme ins Innere des Rotors zu verlegen, da hier ein weiterer Luftspalt vorgesehen werden muß.

Es bedurfte deshalb einer über bloßes fachmännisches Handeln hinausgehenden erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns, um einen Elektromotor mit den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 anzugeben.

4. Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses ohne Sachentscheidung Die Anmelderin ist erst im Beschwerdeverfahren der Aufforderung der Prüfungsstelle nachgekommen, auf die unterschiedlichen Ausführungsformen gerichtete, nebengeordnete Patentansprüche vorzulegen. Auch ist den Ausführungen der Prüfungsstelle - insbesondere zu den im geltenden Patentanspruch 1 aufgegangenen ursprünglichen Patentansprüchen 23 und 24 (S 3 vorletzter Abs vom 25. September 1995) - nicht ohne weiteres zu entnehmen, ob das nunmehr Beanspruchte bereits Gegenstand des Prüfungsverfahrens war.

Der Senat hält es deshalb für geboten, die Sache zur weiteren Prüfung einschließlich einer ggf. erforderlichen ergänzenden Recherche an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (PatG 1981 §79 Abs 3 S 1). Hierzu gehört auch die Entscheidung über die Gewährbarkeit von Unteransprüchen, über eine nach Abtrennung der anderen Ausführungsbeispiele erforderliche Anpassung der Beschreibung und im übrigen über die gesamte Anmeldung, sofern die Anmelderin auf die in Anspruch genommene Priorität in dieser Anmeldung nicht verzichtet (Busse PatG 5. Auflage 1999 § 40 Rdn 21).

Die zurückverwiesene Sache umfaßt außerdem die (nach Erfüllung aller Formerfordernisse ggf. entstehende) Teilanmeldung, für welche die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung weder Patentansprüche noch eine an diese angepaßte Beschreibung vorgelegt hat.

Dr. Kellerer Schmöger Schmidt Dr. Kaminski Ko






BPatG:
Beschluss v. 21.03.2001
Az: 19 W (pat) 38/99


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