Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. November 2010
Aktenzeichen: 9 W (pat) 334/05

(BPatG: Beschluss v. 15.11.2010, Az.: 9 W (pat) 334/05)

Tenor

Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Gegen das am 26. April 2003 angemeldete und am 28. Oktober 2004 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Getriebeanordnung für Windenergieanlagen"

ist von der Firma R... AG am 28. Januar 2005 Einspruch erhoben worden.

Die Einsprechende macht mangelnde Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik geltend. Zum Stand der Technik beruft sie sich auf offenkundige Vorbenutzung sowie lediglich pauschal ohne Sachbezug auf die "schon im Prüfungsverfahren und in der Patentschrift genannten Druckschriften".

Folgende Vorbenutzungen hätten vor dem Anmeldetag des Streitpatents stattgefunden:

a) Lieferung eines Windkraftgetriebes Aerogear WP 5000 am 9. April 2003 an die Fa. P... in C... (F...). b) Vielfache Lieferung von Mühlengetrieben KPAV 90 seit dem Jahr 1980 an verschiedene Kunden weltweit.

Zum Nachweis der Vorbenutzungen legt die Einsprechende folgende Belegunterlagen vor:

-Zeichnung "AEROGEAR WPS 5000", Nr. 2055406A, vom 17. Juli 2001 (zur Vorbenutzung a))

-Spezifikation 3031827, Revision a, 7. Oktober 2001 "Technische Spezifikation Windkraftgetriebe für WEA M 5000 Type Aerogear WP 5000 (BL 190i)" (zur Vorbenutzung a))

-Packing List der R... Aktiengesellschaft vom 31. März 2003 (zur Vorbenutzung a)) -Frachtbrief Z 224609 vom 20. März 2003 (zur Vorbenutzung a)) -Frachtbrief Z 224802 vom 3. April 2003 (zur Vorbenutzung a)) -Zeichnung "Zusammenstellung" Nr. 2052143/0 (zur Vorbenutzung b)).

Für die Benutzungshandlungen a) und b) bietet die Einsprechende zudem Zeugenbeweis an.

Im Prüfungsverfahren war folgender Stand der Technik in Betracht gezogen worden:

-Fox, P. "Use of the integrated flexpin bearing for improving the performance of epicyclical gear systems" gemäß Tagungsbericht DETC2003/PTG-48121, Seiten 1003 bis 1011, vorgestellt im Verlauf der Hannover Messe 2003 (7. bis 12. April)

-WO 02/14 690 A1

-WO 02/079 644 A1

-EP 1 184 567 A2

-WO 96/11 338 A1

-DE 101 14 609 A1

-DE 198 57 914 A1

-DE 296 09 794 U1.

Die Einsprechende meint, das streitpatentgemäße Getriebe sei dem Fachmann allein durch die Vorbenutzung a) in Verbindung mit seinem Fachwissen, zumindest aber in Zusammenschau der Vorbenutzungen a) und b) nahegelegt.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.

Sie ist der Meinung, die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen seien nicht ausreichend substantiiert. Das Getriebe der Vorbenutzung a) sei nur wenige Tage vor dem Anmeldetag des Streitpatents ausgeliefert worden. Dass die Möglichkeit zur Inspizierung der konstruktiven Bauweise durch Dritte bestanden habe, sei nicht dargetan und überdies unwahrscheinlich. Die Vorbenutzung b) sei lediglich pauschal als "seit dem Jahr 1980 vielfach an verschiedene Kunden weltweit ohne Geheimhaltungsvorbehalt ausgeliefert" beschrieben. Konkrete Angaben zum Zeitpunkt bzw. zum Ort der Vorbenutzungen, durch wen und auf welche Weise sie stattgefunden hätten, sei nicht angegeben. Eine Überprüfung auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine offenkundige Vorbenutzung sei ohne eigene Ermittlung daher nicht möglich. Der Einspruch sei somit unzulässig.

Der ausweislich der DPMA-Akte, Bl. 62 der Erteilung zugrunde gelegte und damit maßgebliche Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 lautet:

"1. Planetengetriebe für eine Windenergieanlage (WEA), mit einem Getriebegehäuse (14), einem in dem Getriebegehäuse (14) gelagerten, rotierenden Planetenhohlrad (16), das fest mit dem Antriebselement (10) der WEA verbunden ist, und mit auf mindestens einem in einer Planetenträgerplatte (24) befestigten Planetenbolzen (22) gelagerten Planetenrädern (18) und einem Sonnenrad (32), dadurch gekennzeichnet, dass die vordere Getriebelagerung (12) des Planetenhohlrades (16) in der Ebene der Getriebeverzahnung der ersten Getriebestufe angeordnet ist, die Planetenträgerplatte (24) fest mit dem Getriebegehäuse (14) verbunden ist und die Planetenräder (18) auf den mit der Planetenträgerplatte (24) fest verbundenen Planetenbolzen (22) taumelgelagert sind."

(Anmerkung des Senats: in der Patentschrift ist Anspruch 1 fehlerhaft abgedruckt.)

Diesem Patentanspruch 1 schließen sich die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 in der erteilten Fassung an.

II.

1. Der formund fristgerecht erhobene Einspruch ist unzulässig.

Gemäß PatG § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 müssen die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, innerhalb der dreimonatigen Einspruchsfrist im Einzelnen schriftlich angegeben werden. Die Begründung eines Einspruchs genügt diesen gesetzlichen Anforderungen dann, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände so vollständig darlegt, dass der Patentinhaber und insbesondere das Patentamt (hier Bundespatentgericht) dazu abschließend Stellung nehmen, d. h. ohne eigene Ermittlungen daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können.

Als Widerrufsgrund hat die Einsprechende im Einspruchschriftsatz mangelnde Patentfähigkeit PatG § 21 Abs. 1 Nr. 1 angegeben und diese speziell als mangelnde erfinderische Tätigkeit bezeichnet (Schriftsatz vom 28. Januar 2005, Seite 1; Seite 3, letzter Absatz; Seite 4, vorletzter Absatz). Als der erfinderischen Tätigkeit entgegenstehenden Stand der Technik hat sie die beiden o. g. Vorbenutzungshandlungen a) und b) unter Zeugenangebot geltend gemacht sowie auf den im Erteilungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik verwiesen. Der behauptete Widerrufsgrund als solcher ist demnach dem Einspruchschriftsatz eindeutig entnehmbar.

Ist wie hier die Begründung des Einspruchs auf der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Benutzungshandlungen gestützt, so müssen die dazu vorgetragenen Tatsachen auch diejenigen konkreten Umstände erkennen lassen, aus denen sich die behauptete Benutzung hinsichtlich ihres öffentlichen Zugänglichwerdens im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG ergeben soll. Dazu gehört auch, dass erkennbar gemacht wird, welche Personen auf welche Art und Weise vor dem Anmeldetag von dem Gegenstand der Benutzung Kenntnis erlangt haben sollen (BGH X ZB 14/86 -"Streichgarn", PMZ 1987, Seite 203 ff.; BGH X ZB 13/96 -"Tabakdose", PMZ 1998, Seite 201 ff.). Diesen Anforderungen wird das innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Vorbringen der Einsprechenden nicht gerecht.

a) zur Vorbenutzung a) Die zum Nachweis der gegenständlichen Beschaffenheit des nach Auffassung der Einsprechenden vorbenutzten Getriebes "Aerogear WPS 5000" vorgelegte Zeichnung Nr. 2055406A zusammen mit den im Einspruchschriftsatz ausgeführten Erläuterungen mag einen Vergleich der Bauweise des möglicherweise vorbenutzten mit der des streitpatentgemäßen Getriebes und damit eine Überprüfung auf das Vorliegen des behaupteten Widerrufsgrundes in der Sache ermöglichen. Auch eine Lieferung des Getriebes an die Fa. P... erscheint durch die Vorlage der Packing List und der Frachtbriefe gemäß den oben bezeichneten Belegunterlagen hinsichtlich Zeitpunkt, Ort und Empfänger der Lieferung in hinreichender Vollständigkeit dargelegt. Mit dem ausdrücklichen Hinweis im Einspruchschriftsatz auf die ohne Geheimhaltungsvorbehalte erfolgte Lieferung soll sich auch die unbeschränkte Verfügungsgewalt des Empfängers (Fa. P...) über das Getriebe ergeben.

Auf den Erfahrungssatz, dass vorbehaltlose Lieferung an gewerbliche Abnehmer per se die Offenkundigkeit der darin liegenden Benutzung begründet, kann sich die Einsprechende jedoch deswegen nicht stützen, weil diese Regel nur dann greift, wenn der gewerbliche Abnehmer den Gegenstand selbst bestimmungsgemäß benutzt oder weiter veräußert (Busse, PatG, 6. Aufl., § 59, Rn. 92 m. w. Nachw.). Der genannte Empfänger des Getriebes -die Fa. P... war jedenfalls nicht der Käufer, denn dies war gemäß Packing List die Fa. M... GmbH in N.../D.... Welche Aufgabe der Fa. P... zukam und welches Interesse ihrerseits an der inneren Beschaffenheit des Getriebes bestanden hat, ist im Einspruchsschriftsatz nicht dargetan. Da sich die Art und Weise der öffentlichen Zugänglichkeit somit nicht schon aus dem Charakter der Vorbenutzungshandlung selbst klar ergibt, hätte die Einsprechende auf eine detaillierte Darlegung hierzu nicht verzichten dürfen.

Das vorbenutzte Getriebe könnte dem streitpatentgemäßen Getriebe auch nur dann patenthindernd entgegenstehen, wenn es vor dem Anmeldetag hinsichtlich seiner für den Streitpatentgegenstand relevanten Ausgestaltungsmerkmale öffentlich zugänglich gewesen wäre. Anderenfalls wären diese Ausgestaltungsmerkmale nicht publik geworden und bildeten demnach keinen Stand der Technik im Sinne von §§ 3, 4 PatG. Vorliegend hätten besagte Ausgestaltungsmerkmale für Dritte nur dann "sichtbar" und damit bekannt werden können, wenn das Getriebe in geöffnetem Zustand geliefert bzw. nach der Lieferung an P... am Empfangsort C.../F... geöffnet worden wäre. Genau dies hält der Senat für ausgeschlossen. Denn es widerspricht allen praktischen Gepflogenheiten, ein Getriebe der hier in Rede stehenden Größe und Art mit nach außen bloßliegenden Getriebeteilen mehrfachen Verladehandhabungen auszusetzen und mehrtägig zu transportieren bzw. es bloß aufgrund des Übergangs vom Transporteur auf den Empfänger zu öffnen. Bei Maschinenkomponenten dieser Größenordnung verursacht die Demontage-/Montage der entsprechenden Gehäuseteile erheblichen Aufwand schon allein an Arbeitsmitteln (z. B. Hebezeuge). Hinzu kommt, dass derartige Gehäuseteile regelmäßig Aufnahmen und Halterungen für die Lagerungen der Getrieberäder bilden oder zumindest die Steifigkeit solcher Halterungen unterstützen (wofür gerade auch die aus der vorgelegten Zeichnung ersichtliche Lagerung des Hohlrades im Gehäuse spricht), so dass bei einer Demontage des Getriebes die überaus wichtige gegenseitige Ausrichtung der zusammenwirkenden Getriebebauteile verlorengeht und diese in der Regel nur durch qualifiziertes Montagepersonal und bei Vorliegen einer Möglichkeit zur fachgerechten Abstützung des offenen Getriebes wieder hergestellt werden kann. Vorliegend ist das Getriebe ausweislich des Frachtbriefs Z 224802 am 9. April 2003 und damit nur 17 Tage vor dem Anmeldetag des Streitpatents

(26. April 2003) an seinem Bestimmungsort in C.../F... angekommen. Für das Ausmaß des oben geschilderten Montageaufwandes ist dies ein sehr kurzer Zeitraum und spricht darum gegen eine Öffnung des Getriebes. Aus Vorstehendem folgt, dass in vorliegendem Fall die öffentliche Kenntnisnahme der Getriebeausgestaltung nicht ohne Weiteres aus der vorbehaltlosen Lieferung des Getriebes abgeleitet werden kann. Vielmehr ist bei den durch die Einsprechende angegebenen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme und damit der öffentlichen Zugänglichkeit als allenfalls theoretisch, bei Unterstellung eines regulären Gangs der Dinge und nach praktischer Lebenserfahrung jedoch als völlig ausgeschlossen anzusehen. Die Einsprechende hätte deshalb erläutern müssen, wieso und auf welche Weise vorliegend von diesem regulären Gang der Dinge abgewichen worden wäre, etwa durch Angabe von konkreten Maßnahmen zur Untersuchung des Getriebes am Empfangsort, oder durch Hinweis auf die Durchführung der Einbauarbeiten an der Windkraftanlage, die die Notwendigkeit einer Getriebeöffnung zumindest vorstellbar machen. Auch dies hat die Einsprechende versäumt.

Das Vorbringen zur Vorbenutzung a) im Einspruchschriftsatz ist somit nicht ausreichend substantiiert. Die angebotene Vernehmung des benannten Zeugen kann die Anforderungen an die hinreichende Substantiierung innerhalb der Einspruchsfrist nicht ersetzen.

b) zur Vorbenutzung b) Auch hier mag die aus der vorgelegten Zeichnung ersichtliche gegenständliche Ausgestaltung des Mühlengetriebes den Vergleich mit der Getriebegestaltung nach Patentanspruch 1 und somit eine Beurteilung hinsichtlich einer demgegenüber vorliegenden erfinderischen Tätigkeit gestatten. Auch mag die Angabe des Zeitpunkts des Beginns der Lieferungen ("seit dem Jahr 1980") die behauptete Vorbenutzung im Hinblick auf ausreichenden zeitlichen Vorlauf zum Anmeldetag des Streitpatents hinreichend substantiieren. Nicht angegeben hat die Einsprechende jedoch Ort und Benutzer der angeblichen Vorbenutzungen. Die Möglichkeit einer Überprüfung durch Patentinhaber und Patentamt (hier Bundespatentgericht) ist auf diese Weise -zumindest ohne Durchführung eigener Ermittlungen -verhindert. Da es sich bei Getrieben dieser Größe und Preisklasse nicht um Massenartikel handelt, sondern in der Regel trotz prinzipiell gleicher Grundkonstruktion um mehr oder weniger unterschiedliche Einzelanfertigungen (Sonderwünsche des Kunden), reicht die allgemeine Ortsund Kundenbezeichnung "an verschiedene Kunden weltweit" nicht hin, den Ort und Benutzer eines derartig einzelnen, individuellen Getriebes zu bezeichnen. Wenn -wie die Einsprechende ausführt -eine "vielfache Auslieferung an Kunden weltweit" stattgefunden haben sollte, müsste es möglich gewesen sein, einige oder nur eine der vielfachen Lieferungen innerhalb der Einspruchsfrist durch Lieferpapiere oder dergleichen zu belegen oder zumindest einige oder einen der Kunden konkret zu bezeichnen. Dies ist nicht geschehen.

Die Vorbenutzung b) ist bei dieser Sachlage ebenfalls nicht ausreichend substantiiert. Zum Angebot der Zeugeneinvernahme wird auf die obenstehenden Ausführungen zur Vorbenutzung a) verwiesen, die hier gleichermaßen gelten.

c) zum druckschriftlichen Stand der Technik Hierzu hat die Einsprechend lediglich summarisch und pauschal auf die im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften verwiesen. Welche von diesen acht Dokumenten welchen Merkmalen des Patentgegenstandes entgegenstehen sollen, hat sie nicht angegeben. Somit fehlt jeder sachliche Bezug zu den Merkmalen des streitpatentgemäß beanspruchten Getriebes. Die von der Einsprechenden vorgetragene Begründung versetzt die Patentinhaberin und das Bundespatentgericht demnach nicht in die Lage, das Vorliegen des geltend gemachten Widerrufsgrunds anhand der mitgeteilten Umstände nachzuprüfen. Vielmehr überlässt es die Einsprechende dem Patentinhaber und dem Bundespatentgericht, einen technischen Zusammenhang zwischen den Gegenständen der einzelnen Vorveröffentlichungen und dem Gegenstand des Streitpatents herzustellen. Somit ist auch der diesbezügliche Vortrag der Einsprechenden nicht geeignet, die Substantiierung des Einspruchs zu tragen oder zumindest zu stützen.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass es dem Einspruch insgesamt an der gebotenen Substantiierung der innerhalb der Einspruchsfrist vorgetragenen Einspruchsbegründung mangelt. Der Einspruch war daher als unzulässig zu verwerfen.

Pontzen Bork Paetzold Reinhardt Ko






BPatG:
Beschluss v. 15.11.2010
Az: 9 W (pat) 334/05


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