Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. August 2011
Aktenzeichen: 24 W (pat) 34/09

(BPatG: Beschluss v. 09.08.2011, Az.: 24 W (pat) 34/09)

Tenor

Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Dieses Zeichen

(farbig: rot, Vollton:HKS 10; RAL: RAL 2002; Euroskala: C: 0 %, M: 85 %, Y: 100 %, K: 0 %)

ist angemeldet worden für die nachstehende Waren und Dienstleistungen:

"16: Druckereierzeugnisse, insbesondere Bücher, Broschüren, Zertifikate, Siegel;

35: Werbung; Geschäftsführung; Büroarbeiten; Öffentlichkeitsarbeit; Unternehmensberatung, insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung und Befolgung von gesetzlichen und/oder branchenüblichen und/oder unternehmenseigenen Hygienestandards; Organisationsberatung; Personalmanagementberatung; Sammeln, Systematisieren und Zusammenstellen von Daten in Datenbanken;

38: Telekommunikation, insbesondere Bereitstellung des Zugriffs auf Daten und Informationen im Internet und in Mobilfunknetzen; Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten zu Datenbanken;

41: Unterhaltung, insbesondere Durchführung von Live-Veranstaltungen, Veranstaltung von Wettbewerben; Erziehung; Ausbildung, insbesondere in Fragen der Einhaltung von Hygienestandards;

42: Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen, insbesondere Erarbeitung von Hygienestandards für unterschiedliche Wirtschaftsbranchen; technische Überprüfung und Zertifizierung von Hygienestandards; Analyseund Forschungsdienstleistungen, insbesondere Erforschung und Erstellung von Analysen der Anforderungen an Hygienestandards; Durchführung von Preisverleihungen für wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Hygiene; Entwurf und Entwicklung von Checklisten, Ablaufplänen und Computersoftware zur Prüfung von Hygienestandards, soweit in Klasse 42 enthalten;

44: medizinische und veterinärmedizinische Dienstleistungen;

45: Verwaltung und Vergabe von Lizenzen an gewerblichen Schutzund Urheberrechten; politische und wirtschaftliche Interessenvertretung, insbesondere durch Beratungsleistungen bei Gesetzgebung".

Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patentund Markenamts hat die Anmeldung beanstandet mit der Begründung, das Zeichen sei gem. § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG dazu geeignet, insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen. Das angemeldete Zeichen erwecke den Anschein eines Gütesiegels oder eines Gütezeichens. Die angesprochenen Verkehrskreise gingen regelmäßig davon aus, "Zertifikate" würden von einer neutralen, ausserhalb des gewerblichen Gewinnstrebens stehenden kompetenten Stelle erteilt, nachdem diese Stelle die Einhaltung bestimmter Mindestanforderungen -hier z. B. im Bereich der Hygiene -durch einen Unternehmer oder ein Unternehmen im Zuge einer Prüfung festgestellt habe. In dieser Erwartung würden die potentiellen Kunden der Inhaberin des angemeldeten Zeichens notwendig getäuscht, weil für die Erteilung des von der Anmelderin angebotenen "Deutschen Hygienezertifikats" keine neutrale Stelle eingeschaltet werde. Die Markenstelle hat der Anmelderin daher anheimgestellt, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des RAL oder einer anderen neutralen Stelle beizubringen, welche die Prüfung und Qualitätsüberwachung nach vergleichbar objektiven Maßstäben durchführt.

Die Anmelderin hat keine Unbedenklichkeitsbescheinigung des RAL oder einer vergleichbaren Stelle vorgelegt. Sie meint, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG auf das von ihr angemeldete Zeichen nicht zuträfen. Die Täuschungsgefahr im Sinne dieser Vorschrift müsse von der angemeldeten Marke an sich ausgehen. Inhalt und Aussage der Marke müssten in Bezug auf die konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen irreführend sein. Gem. § 37 Abs. 3 MarkenG könne im Eintragungsverfahren die Zurückweisung einer Anmeldung im übrigen nur dann auf § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG gestützt werden, wenn die Täuschungsgefahr ersichtlich sei. Das sei nur dann der Fall, wenn aus der Sicht der prüfenden Stelle keine Möglichkeit eines nicht irreführenden Einsatzes der Marke bestehe.

Die Anmelderin hat jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung vom 30. März 2011 ein privatwirtschaftliches Unternehmen betrieben, das entgeltlich jeweils für 12 Monate ein "Deutsches Hygienezertifikat" vergeben hat.

Mit Beschluss vom 27. März 2009 hat die Markenstelle die Anmeldung aus den Gründen ihrer Beanstandung gem. § 8 Abs. 2 Nr. 4, § 37 Abs. 3 MarkenG zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Mit richterlichen Verfügungen vom 14. Januar und vom 28. März 2011 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er sich bei einer abschließenden Entscheidung auch mit den absoluten Eintragungshindernissen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 MarkenG auseinandersetzen werde. Auf diese Hinweise des Gerichts sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 30. März 2011 und seine Anlagen wird Bezug genommen.

Zu diesen Anlagen gehört ein zweiseitiger Ausdruck der Web-Site der Anmelderin mit Stand vom 30. März 2011. Auf der ersten der beiden Seiten ist oben links ein rundes Wort-Bild-Zeichen abgebildet, das mit der angemeldeten Marke in seinen Wortund Bildbestandteilen ganz überwiegend übereinstimmt. Das Bild auf der Internet-Seite ist ein Negativ der angemeldeten Marke. Auf dem in der ganzen Fläche (im Ausdruck) grauen Kreis erscheinen die Wortund Bildelemente der angemeldeten Marke in Weiß. Ausserdem verläuft um das Bild-Element mit Stab und Schlange eine weiße Kreislinie, die in der angemeldeten Marke fehlt. Rechts neben dem beschriebenen Wort-Bild-Zeichen steht auf dem Internetausdruck: "Deutsches Hygienezertifikat", darunter "Das Qualitätssiegel des Deutschen Hygienezertifikats". Es folgt ein vergrößerter Bildausschnitt aus dem beschriebenen (im Ausdruck) grauweißen Zeichen. Darunter steht folgender Text:

"Schaffen Sie ein vertrauensvolles Umfeld für Ihre Kunden Das DHZ-Qualitätssiegel steht für einen hohen Hygienestatus und genau dieser ist für den Kunden ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl seines Dienstleistungsunternehmens. Denn nur in einem hygienisch einwandfreien Umfeld fühlt sich Ihr Kunde sicher aufgehoben und dürfte bereit sein, einen angemessenen Preis für das Angebot Ihrer Einrichtung zu zahlen.

Das Siegel ist für jeden Kunden sofort zu sehen und auch in den Räumlichkeiten Ihres Betriebes weisen je nach persönlichem Bedarf Aufsteller auf Ihre Zertifizierung hin. Selbstverständlich können Sie das Siegel des Deutschen Hygienezertifikats zu Werbezwecken in ihre Internetauftritt, in Anzeigen oder Flyern integrieren.

..."

Die Anmelderin meint, dass einer Eintragung des angemeldeten Zeichens kein markenrechtliches Schutzhindernis entgegenstehe, insbesondere nicht die Schutzhindernisse gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 MarkenG. Es handele sich um ein komplexes farbiges Wort-Bild-Zeichen, dem sich weder auf den ersten noch auf einen zweiten Blick irgendein bestimmter, einheitlicher Sinngehalt entnehmen lasse, der für die angesprochenen Verkehrskreise ohne weiteres verständlich sei. In keinem Fall könne die Gesamtheit des Wort-Bild-Zeichens als beschreibende Angabe zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen verstanden werden. Sie stehe mit diesen auch nicht in einem engen sachlichen Bezug. Für die Dienstleistungen der Erteilung eines Hygienezertifikats sei die Marke nicht angemeldet worden. Das Deutsche Patentund Markenamt habe im Oktober 2010 die WortBild-Marke 30 2010 019742 eingetragen, die graphisch ähnlich wie die angemeldete Marke aufgebaut sei und den Wortbestandteil "Deutsches-Hygienetest-Zertifikat" enthalte.

Das in der Mitte des angemeldeten Zeichens befindliche Bildelement sei in seiner ikonographischen Bedeutung mehrdeutig und unterscheide sich in jeder dieser Bedeutungen deutlich vom Sachgehalt der Wortund Buchstabenfolge "WWW.DEUTSCHES-HYGIENEZERTIFKAT.DE". Bildund Wortelemente des angemeldeten Zeichens könnten daher keinen einheitlichen Sinn ergeben. Ein nennenswerter Teil der angesprochenen Verkehrskreise werde das Bildelement als sogenannte "Feng-Shui-Schlange" wahrnehmen, bei der der Stab für eine Wirbelsäule, die drei Sterne Körper, Geist und Seele (Schlangenenergie) und der Knopf des Stabes den Kopf symbolisierten. Sofern das Bildelement als eine Variante des Äskulapstabes eingeordnet werden könne, handele es sich in jedem Fall um die "ungewöhnliche Gestaltung" eines Symbols, das vielleicht ein allgemein gültiges Attribut der Heilkunst sei, nicht dagegen ein allgemein gültiges Attribut für Hygieneleistungen.

Die Anmelderin hat zu bedenken gegeben, dass die Vorschriften des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 MarkenG zum harmonisierten nationalen Markenrecht gehören. Die europäische Praxis sei gerade bei der Eintragung komplexer Wort-Bildzeichen in einer bestimmten Farbe äußerst großzügig. Sofern der Senat von dieser Rechtsprechung abweichen wolle, müsse zunächst eine Vorlage an den EuGH gem. Art. 234 EG erfolgen. Auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 2010, NZA 2010, 439, 440 (Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters durch Unterlassen einer Vorlage an den EuGH -zu den Voraussetzungen, unter denen ein nationales Gericht von einem Vorabentscheidungsersuchen absehen darf) hat die Anmelderin hingewiesen Sie beantragt, den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patentund Markenamts vom 27. März 2009 aufzuheben, und regt für den Fall der vollständigen oder teilweisen Zurückweisung ihrer Beschwerde die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.

Der Senat hat der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2011 Schriftsatznachlass bis zum 15. April 2011 gewährt. Die Anmelderin hat daraufhin am 14. April 2011 (zunächst per Telefax) unter demselben Datum einen weiteren Schriftsatz eingereicht.

Zu den weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten.

II.

Der zulässige Beschwerde ist nicht begründet; denn einer Eintragung des angemeldeten Zeichens steht der absolute Schutzversagungsgrund der fehlenden Unterscheidungskraft entgegen, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

Die vorliegende Entscheidung berücksichtigt auch den Sachvortrag der Anmelderin aus dem nachgelassenen Schriftsatz vom 14. April 2011. Dieser Schriftsatz enthält keinen neuen entscheidungserheblichen Vortrag, der einen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung erforderlich gemacht hätte.

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (st. Rspr.; EuGH GRUR 2006, 229, 230 (Nr. 27 ff.) -BioID; BGH GRUR 2006, 850, 854 (Nr. 18) -FUSSBALL WM 2006; GRUR 2008, 710 (Nr. 12) -VISAGE; GRUR 2009, 411 (Nr. 8) -STREETBALL; GRUR 2009, 778, 779 (Nr. 11) -Willkommen im Leben; GRUR 2009, 952 (Nr. 9) -DeutschlandCard). Keine Unterscheidungskraft kommt zunächst Bezeichnungen zu, die einen beschreibenden Begriffsinhalt aufweisen, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird (BGH GRUR 2001, 1151, 1152 -marktfrisch; GRUR 2005, 417, 418 -BerlinCard; GRUR 2009, 952, 953 (Nr. 10) -DeutschlandCard). Darüber hinaus fehlt die erforderliche Unterscheidungskraft auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu der betreffenden Ware oder Dienstleistung hergestellt wird (BGH GRUR 2006, 850, 854 -FUSSBALL WM 2006; GRUR 2009, 411 (Nr. 9) -STREETBALL). Ein solcher enger beschreibender Bezug kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen in engem sachlichen Zusammenhang mit Waren oder Dienstleistungen stehen, für die die zur Beurteilung stehende Bezeichnung einen unmittelbar beschreibenden Sinngehalt aufweist (BGH GRUR 2009, 949, 951 (Nr. 20) -My World).

Eine Prüfung des angemeldeten Zeichens nach diesen Maßstäben führt zu dem Ergebnis, dass das Zeichen nicht die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG geforderte Unterscheidungskraft hat. Das angemeldete Zeichen tritt als Siegel eines "Deutschen Hygienezertifikats" in Erscheinung und erschöpft sich in einem Hinweis auf dieses Zertifikat. Dagegen vermittelt das Zeichen keinen Hinweis auf ein Herkunftsunternehmen, aus dem -im Unterschied zu anderen Unternehmen -die für die angemeldete Marke beanspruchten Waren und Dienstleistungen herstammen könnten.

2.

Mit Blick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen richtet sich die angemeldete Marke sowohl an die allgemeinen Verkehrskreise als auch an Fachkreise. Es ist daher auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsabnehmers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen (vgl. EuGH GRUR Int. 2005, 44 -SAT 2; EuGH GRUR Int. 2005, 135 Tz. 19 -Maglite).

3.

In der Wahrnehmung dieses Verbrauchers tritt das angemeldete Zeichen ausschließlich als Siegel eines "Deutschen Hygienezertifikats" in Erscheinung.

Das Zeichen entspricht mit allen seinen Elementen den in Deutschland verbreiteten und bekannten runden Siegeln, Stempeln und Plaketten, die u. a. als Gütezeichen, Unternehmensoder Verbandszeichen und als Amtssiegel vorkommen. Typisch dafür sind die umlaufende Kreislinie, die am inneren Rand dieser Kreislinie eingeschriebene Wortfolge und ein emblematisches Bild in der Mitte. Dass der Begriff "Deutsches Hygienezertifikat" eingeschrieben ist in eine deutsche Internet-Adresse, relativiert nicht die Bedeutung des Begriffs für die Gesamtwirkung des angemeldeten Zeichens, sondern wird vom Verkehr nur als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass er Näheres über das Zertifikat und das Zertifizierungsverfahren unter der angegebenen Internet-Adresse erfahren kann.

Dagegen hat die Anmelderin die Auffassung vertreten, der Ausdruck "Zertifikat" nehme in dem angemeldeten Zeichen eine schillernde Bedeutung an, weil er in verschiedenen Fachbereichen verwandt werde, z. B. im Finanzwesen auf bestimmte Typen von Wertpapieren hinweisen und im Zollwesen ein Ursprungszeugnis bezeichnen könne. Dem ist der Senat schon deswegen nicht gefolgt, weil in dem angemeldeten Zeichen der Ausdruck "Zertifikat" nicht als gesondertes Wort erscheint, sondern als Bestandteil des einheitlichen Begriffs "Hygienezertifikat" und dieser Gesamtbegriff ohne weiteres den beschriebenen Sinn ergibt.

Mit Rücksicht auf die Wortbestandteile des angemeldeten Zeichens werden jedenfalls die überwiegenden Teile der angesprochenen Verkehrskreise das Bildelement in der Mitte ohne weiteres als eine Variante des Äskulapstabes einordnen. Der Äskulapstab ist in Deutschland allgemein bekannt als ein Symbol der Heilkunde sowie des ärztlichen und pharmazeutischen Standes und wird in zahlreichen Abwandlungen verwandt. Wesentliche Elemente dieses Symbols sind der vertikal aufgerichtete Stab und eine Schlange, die sich an diesem Stab hinaufwindet. Wegen der allgemein bekannten zentralen Bedeutung, die die Beachtung effizienter hygienischer Maßnahmen für den gesamten Bereich der medizinischen Versorgung, der Gesundheitsfürsorge und der Gesundheitsvorsorge hat, ist der Äskulapstab ein sinnfälliges Emblem für ein Hygienezertifikat.

Ein Indiz dafür, dass die angesprochenen Verkehrskreise die angemeldete Marke als Siegel eines "Deutschen Hygienezertifikats" wahrnehmen werden, ist nicht zuletzt auch die Tatsache, dass auch die Anmelderin auf ihrer Web-Site -jedenfalls bis einschließlich des Tages der mündlichen Verhandlung -ein Zeichen als Siegel des "Deutschen Hygienezertifikats" eingeordnet hat, das sich als Negativ des angemeldeten Zeichens darstellt und mit diesem alle wesentlichen Elemente gemeinsam hat: Die runde Form, die am inneren Rand eingeschriebene identische Wortfolge und die identische Abbildung des Äskulapstabes in der Mitte.

4. Mit Rücksicht auf sein Erscheinungsbild als Siegel eines "Deutschen Hygienezertifikats" kann das angemeldete Zeichen für keine der beanspruchten Waren und Dienstleistungen unterscheidungskräftig sein.

Effiziente hygienische Maßnahmen sind u. a. von zentraler Bedeutung für die Gesundheitsvorsorge im Interesse der Allgemeinheit. Insoweit sind sie Gegenstand zahlreicher gesetzlicher Regelungen und spielen in weitesten Bereichen des allgemeinen Lebens eine wichtige Rolle. Neben dem Bereich der medizinischen Versorgung, der Krankenhäuser und Pflegeheime sollen hier nur beispielhaft noch folgende Bereiche genannt werden: Lebensmittelproduktion und Lebensmittelhandel, Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung, Schulwesen, Betrieb von Altersheimen, Hotelund Gaststättenwesen, Betrieb von Friseurgeschäften, Schwimmbädern, Nagel-, Kosmetikund Fitness-Studios. In diesen Zusammenhängen ist die dauerhaften Einhaltung hygienischer Standards ein wesentliches Qualitätsmerkmal der betreffenden Waren und Dienstleistungen oder ganzer Betriebe und Einrichtungen. Die dauerhafte Einhaltung hygienischer Standards verlangt daher regelmäßig die Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, Fachkenntnisse über alle Produktionsund Verfahrensabläufe, Kenntnis der einschlägigen technischen Methoden und Mittel hygienischer Maßnahmen, organisatorische Maßnahmen auf allen Ebenen eines Unternehmens, regelmäßige Personalschulungen, regelmäßige Qualitätskontrollen. Alle diese Bereiche und Tätigkeiten können mit Blick auf die dauerhafte Einhaltung hygienischer Standards zertifiziert werden. Sowohl im Interesse der zertifizierenden Stelle als auch der zertifizierten Einrichtungen und Betriebe kann ein Hygienezertifikat kontinuierlich beworben werden und Gegenstand einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit sein. Vor diesem Hintergrund kommt der Senat zu folgenden Feststellungen:

Für die "Druckereierzeugnisse, insbesondere Bücher, Broschüren" der Klasse 16 weist die angemeldete Marke auf den Gegenstand dieser Veröffentlichungen hin, für die "Zertifikate, Siegel" aus derselben Klasse ist sie glatt beschreibend.

Für die in der Klasse 35 beanspruchten Dienstleistungen "Geschäftsführung; Büroarbeiten; Unternehmensberatung, insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung und Befolgung von gesetzlichen und/oder branchenüblichen und/oder unternehmenseigenen Hygienestandards; Organisationsberatung; Personalmanagementberatung" weist die angemeldete Marke auf die Zertifizierung dieser Dienstleistungen mit einem "Deutschen Hygienezertifikat" hin. Für die Dienstleistungen "Werbung; Öffentlichkeitsarbeit" in derselben Klasse weist das angemeldete Zeichen auf den inhaltlichen Gegenstand dieser Dienstleistungen hin. Im Zusammenhang mit den für dieselbe Klasse beanspruchten Dienstleistungen "Sammeln, Systematisieren und Zusammenstellen von Daten in Datenbanken" kann die angemeldete Marke auf das notwendige Wissen für die erstmalige Erlangung des "Deutschen Hygienezertifikats" bzw. für dessen Aufrechterhaltung als lnhalt der zusammengestellten Daten hinweisen.

Im Zusammenhang mit den in Klasse 38 beanspruchten Dienstleistungen kann die Marke auf das Zertifikat, das Zertifizierungsverfahren sowie auf das notwendige Fachwissen für die erstmalige Erlangung des "Deutschen Hygienezertifikats" bzw. für dessen Aufrechterhaltung als den Inhalt der im Wege der Telekommunikation bereitgestellten Informationen hinweisen.

Für die in den Klassen 41, 42 und 44 beanspruchten Dienstleistungen und für die in der Klasse 45 beanspruchten Dienstleistungen "politische und wirtschaftliche Interessenvertretung, insbesondere durch Beratungsleistungen bei Gesetzgebung" bringt das Zeichen die Zertifizierung dieser Dienstleistungen mit dem "Deutschen Hygienezertifikat" zum Ausdruck. Für die Dienstleistungen "Verwaltung und Vergabe von Lizenzen an gewerblichen Schutzund Urheberrechten" aus der Klasse 45 weist das angemeldete Zeichen auf den Gegenstand dieser Dienstleistungen hin.

Daher werden die angesprochenen Verkehrskreise der angemeldeten Wort-Bild-Marke wegen ihres engen Sachbezuges zu allen beanspruchten Waren und Dienstleistungen keinen betrieblichen Herkunftshinweis entnehmen.

5.

Die Tatsache, dass das Deutsche Patentund Markenamt die Wort-Bild-Marke 30 2010 019742 in das Register eingetragen hat, stellt die vorstehenden Feststellungen, wonach der angemeldeten Marke die erforderliche Unterscheidungskraft fehlt, nicht in Frage. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Schutzfähigkeit einer neu angemeldeten Marke auf den konkreten Einzelfall undausschließlich anhand der gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen. Einer vorgängigen Amtspraxis kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu. (EuGH MarkenR 2009, 478, 484 (Nr. 57) -American Clothing/HABM, GRUR 2009, 667, 668 (Nr. 13 bis Nr. 19) -Schwabenpost; BGH GRUR 2008, 1093, 1095 (Nr. 18); zusammenfassend: BPatG GRUR 2010, 425, 428 -VOLKSFLAT).

6.

Die Rechtsbeschwerde gem. § 83 Abs. 2 MarkenG war nicht zuzulassen, weil der vorliegende Fall keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (§ 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Denn die Entscheidung bewegt sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Begriff der Unterscheidungskraft i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.

7.

Dieser Zurückweisungsbeschluss wirft auch keine Fragen i. S. v. Artikel 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) zur Auslegung der Markenrichtlinie als vom EG-Vertrag abgeleiteten Gemeinschaftsrecht auf. Der Senat hält sich deswegen nicht zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof verpflichtet. Der Beschluss beruht auf § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 37 Abs. 1 MarkenG. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist Teil des harmonisierten nationalen Markenrechts und setzt Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) Markenrichtlinie um. Die Anwendung von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG durch den Senat auf den vorliegenden Fall bewegt sich im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der Unterscheidungskrafti. S. v. Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) Markenrichtlinie.

Aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 2010, NZA 2010, 439, 440 (Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters durch Unterlassen einer Vorlage an den EuGH -zur den Voraussetzungen, unter denen ein nationales Gericht von einem Vorabentscheidungsersuchen absehen darf) folgt nichts anderes. Mit diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben, die u. a.

die richtige Anwendung der EG-Massenentlassungsrichtlinie (MERL) betraf. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der durch die MERL vorgegebene Ablauf der Beteiligung des Betriebsrats im Verfahren der Massenentlassungsanzeige in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften noch nicht erschöpfend geklärt sei und auch nicht eindeutig unmittelbar aus der MERL hergeleitet werden könne. Da es für die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts darauf ankam, ob der Betriebsrat im Zusammenhang mit einer Massenentlassungsanzeige im Einklang mit der MERL beteiligt worden war, hätte das Bundesarbeitsgericht die bis dahin unklaren Vorgaben der MERL im Wege einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach dem im maßgebenden Zeitpunkt noch geltenden Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag klären lassen müssen.

Zur dieser Ausgangslage für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gibt es im vorliegenden Marken-Beschwerdeverfahren keine Parallelen. Denn Rechtsprechung und Literatur halten die Regelung des für das vorliegende Verfahren entscheidenden Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) Markenrichtlinie durchgehend für eindeutig und vollständig, die Umsetzung dieser Vorschrift durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG in das deutsche Markenrecht für zutreffend und vollständig. Dass es sich anders verhalten könnte, hat die Anmelderin nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Werner Viereck Paetzold Bb






BPatG:
Beschluss v. 09.08.2011
Az: 24 W (pat) 34/09


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