Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Oktober 2004
Aktenzeichen: 33 W (pat) 291/02

(BPatG: Beschluss v. 12.10.2004, Az.: 33 W (pat) 291/02)

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 19 des Patentamts vom 11. Juni 2002 aufgehoben, soweit über den Widerspruch aus der Marke 395 09 035 entschieden worden ist.

2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I Gegen die Eintragung der für die Waren

"Fliesen; Kleber; Baumaterialien (nicht aus Metall); handbetätigte Werkzeuge zum Verlegen von Fliesen; Installationsarbeiten für den Warenbereich Fliesen; sämtliche voranstehend genannte Waren/Dienstleistungen nicht für den Bereich der Wärme- und/oder Schalldämmung, insbesondere in Verbindung mit Mineralfaserdämmung"

beim Deutschen Patent- und Markenamt am 13. Juli 1998 eingetragenen Marke 397 50 028 Quadroist aufgrund der für die Waren

"Pflastersteine, Bauelemente aus Beton für Mauern und Treppen"

am 27. Mai 1977 eingetragenen Marke 958 325 Quadrosowie der für die Waren

"Kalksandsteine"

am 13. November 1995 eingetragenen Marke 395 09 035 KS-Quadro Widerspruch erhoben worden.

Die Markenstelle für Klasse 19 hat durch Erstprüferbeschluß vom 5. Juni 2000 wegen des Widerspruchs aus der Wortmarke 395 09 035 die teilweise Löschung der Marke, nämlich für die Waren

"Baumaterial (nicht aus Metall)"

angeordnet. Das Verfahren über den Widerspruch aus der Wortmarke 958 325 wurde im Hinblick auf die teilweise Löschung bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung ausgesetzt.

Nach Rechtskraft dieses Beschlusses hat die Widersprechende bezüglich der Wortmarke 958 325 Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Frist zur Einlegung der Erinnerung gestellt. Die Markenstelle für Klasse 19 hat durch Beschluß vom 21. August 2000 dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben. Durch Beschluß vom 11. Juni 2002 hat die Markenstelle für Klasse 19 schließlich auf die Erinnerung der Widersprechenden aus den Marken 958 325 und 395 09 035 den Beschluß der Markenstelle vom 5. Juni 2000 teilweise aufgehoben. Sie hat die Löschung der Marke 397 50 028 wegen der Widersprüche aus beiden Widerspruchsmarken auch noch für "Fliesen" angeordnet und im übrigen die Erinnerung der Widersprechenden zurückgewiesen. Sie hat weiter den Beschluß der Markenstelle für Klasse 19 vom 5. Juni 2000 von Amts wegen aufgehoben, soweit das Verfahren über den Widerspruch aus der Marke 958 325 ausgesetzt worden ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, daß eine Aussetzung des Widerspruchs nicht möglich gewesen sei, so daß insoweit der Erstprüferbeschluß aufzuheben gewesen sei. Abgesehen von der rechtskräftigen Löschung der angegriffenen Marke für "Baumaterialien (nicht aus Metall)" sei diese auch noch zu löschen für "Fliesen", weil auch insoweit Verwechslungsgefahr mit den Marken "KS-Quadro" und "Quadro" gegeben sei (§§ 9 Abs 1 Nr 2, 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG). Die Waren "Fliesen" einerseits und "Kalksandsteine, Pflastersteine, Bauelemente aus Beton" andererseits hätten gemeinsam, daß es sich um Baumaterialien im weitesten Sinn handle. Zwar seien gewisse stoffliche Unterschiede vorhanden, in jedem Fall gehe es aber um "Steine" im weitesten Sinn. Angesichts der Identität der angegriffenen Marke mit der Widerspruchsmarke 958 325 und dem prägenden Element "Quadro" der Widerspruchsmarke 395 09 035 sei daher eine Verwechslungsgefahr insoweit zu bejahen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Markeninhaberin. Sie hat eine ursprünglich erhobene Nichtbenutzungseinrede hinsichtlich der Widerspruchsmarke 958 325 in der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2004 ausdrücklich fallen gelassen. Sie trägt vor, daß eine Warenähnlichkeit nicht gegeben sei. "Fliesen" einerseits und "Pflastersteine" und "Bauelemente aus Beton für Mauern und Treppen" andererseits würden in unterschiedlich spezialisierten Fachbetrieben hergestellt. Sie wiesen unterschiedliche Einsatzbereiche auf, da die aus Tonkeramik bestehenden Fliesen im Innen- und Sanitärbereich eingesetzt würden, Pflastersteine dagegen im Außenbereich. Insgesamt seien "Fliesen" aufgrund ihrer unterschiedlichen stofflichen Beschaffenheit, ihres unterschiedlichen Verwendungszwecks und ihrer unterschiedlichen betrieblichen Herkunft mit den Waren beider Widerspruchsmarken nicht ähnlich. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei geschwächt. "Quadro" weise auf ein Quadrat hin und es sei nicht ungewöhnlich, Quadrate mit Steinen in Verbindung zu bringen, da diese häufig in Quadratform verlegt würden.

Die Markeninhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben, soweit die Teillöschung angeordnet worden ist, und den Widerspruch aus der Marke 958 325 hinsichtlich der Ware "Fliesen" zurückzuweisen.

Die Widersprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß eine hochgradige Ähnlichkeit zwischen den Waren der angegriffenen Marke einerseits und den Waren der Widerspruchsmarke 958 325 bestehe. Auch Fliesen würden regelmäßig im Außenbereich zur Befestigung von Terrassen, Wegen, Treppen und sogar an Fassaden und Häuserwänden verwendet. Somit seien sie bedingungslos mit den Waren der Widerspruchsmarke austauschbar. Beide Waren seien aus ähnlichen Materialien, nämlich Steinen im weitesten Sinn, hergestellt und würden auf gleichen Vertriebswegen verkauft. Insgesamt sei eine Warenidentität im Hinblick auf Art, Stoff, Beschaffenheit und Verwendungszweck, Vertriebsweg und letztlich auch den Herstellungsbetrieb zu bejahen. Eine Schwächung der Kennzeichnungskraft komme nicht in Betracht. Es werde keine unmittelbare Assoziation hinsichtlich der Marke "Quadro" im Hinblick auf die insoweit geschützten Waren hergestellt. Insbesondere müßten Pflastersteine keineswegs viereckig sein.

Im übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2004 Bezug genommen.

II 1. Auf die Beschwerde der Markeninhaberin war der Beschluß der Markenstelle für Klasse 19 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Juni 2002 aufzuheben, soweit über den Widerspruch aus der Marke 395 09 035 entschieden worden ist.

Die Markenstelle für Klasse 19 hat nämlich im Erstprüferbeschluß vom 5. Juni 2000 hinsichtlich dieses Widerspruchs die teilweise Löschung der angegriffenen Marke für die Waren "Baumaterialien (nicht aus Metall)" angeordnet und den Widerspruch im übrigen zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Widersprechende kein Rechtsmittel eingelegt. Der Wiedereinsetzungsantrag der Widersprechenden vom 16. August 2000 bezog sich ausdrücklich lediglich auf den Widerspruch aus der Marke 958 325, nicht auf den Widerspruch aus der Marke 395 09 035. Diese Entscheidung ist somit rechtskräftig geworden, eine erneute Entscheidung der Markenstelle hinsichtlich dieses Widerspruchs hätte daher aufgrund der Rechtskraft der Erstprüferentscheidung nicht ergehen dürfen.

2. Hinsichtlich des Widerspruchs aus der Marke 958 325 war die zulässige Beschwerde der Markeninhaberin zurückzuweisen. Der Senat hält die Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zwischen den sich gegenüberstehenden Marken hinsichtlich der Ware "Fliesen" - und nur diese ist Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundespatentgericht - für gegeben.

Ob eine Verwechslungsgefahr besteht hängt nach § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG von der Identität oder Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken einerseits und andererseits von der Identität oder Ähnlichkeit der von den beiden Marken erfaßten Waren ab, wobei von dem Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers auszugehen ist (EuGH GRUR Int 1999, 734, 736 - Lloyd; BGH GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND). Darüber hinaus sind alle weiteren Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Verwechslungsgefahr auswirken können, insbesondere die Kennzeichnungskraft der älteren Marke (EuGH aaO - Lloyd; BGH aaO -ATTACHÉ/TISSERAND; GRUR 1999, 995, 997 - HONKA). Dabei stehen die verschiedenen für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr heranzuziehenden Faktoren in einer Wechselwirkung, so daß zB ein geringerer Grad an Markenähnlichkeit durch eine höhere Kennzeichnungskraft der älteren Marke bzw durch einen höheren Grad an Warenähnlichkeit ausgeglichen werden kann (stRspr BGH GRUR 2000, 603, 604 - Cetof/ETOF). Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Verwechslungsgefahr zu bejahen.

Die zunächst erhobene Nichtbenutzungseinrede wurde aufgrund der im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und Bundespatentgericht vorgelegten Unterlagen von der Markeninhaberin in der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2004 ausdrücklich fallen gelassen. Somit ist hinsichtlich der Frage der Warenähnlichkeit von der Registerlage auszugehen. Der Senat bejaht insoweit eine Warenähnlichkeit hinsichtlich der Waren "Fliesen" einerseits und "Pflastersteine" der Widerspruchsmarke andererseits. Von einer Ähnlichkeit von Waren ist grundsätzlich auszugehen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere hinsichtlich ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, daß die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind (so die gefestigte Spruchpraxis vgl EuGH 1998, 922 - CANON; BGH GRUR 2001, 507 - EVIAN/REVIAN).

Auch die maßgeblichen wirtschaftlichen Zusammenhänge, nämlich Herstellungsstätte und Vertriebswege der Waren, deren Stoffbeschaffenheit und Zweckbestimmung oder Verwendungsweise sowie, wenn auch weniger, die Verkaufs- und Angebotsstätten sind relevante Gesichtspunkte. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht die Hauptfunktion der Marke darin, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware ohne Verwechslungsgefahr von Waren anderer Herkunft zu unterscheiden. Die Marke muß also Gewähr dafür bieten, daß alle Waren die mit ihr versehen sind unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, daß sie für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann.

Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. "Fliesen" einerseits und "Pflastersteine" andererseits können beide als Verkleidung von Böden und Wänden im Außen- und im Innenbereich verwendet werden. Sie sind zusätzlich insbesondere in Übergangsbereichen beispielsweise auf Terrassen, Treppen oder in Schwimmbädern einander ergänzende Produkte. Auch werden beide Produkte in Bau- und/oder Baustoffmärkten vertrieben. Auch auf Messen werden beide Produkte nebeneinander angeboten. Die hier angesprochenen Verkehrskreise, neben Fachkreisen auch teilweise das allgemeine Publikum, können daher in vielen Bereichen bei der baulichen Gestaltung zwischen Fliesen und Pflastersteinen frei wählen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es auch eingefärbte Pflastersteine gibt (vgl insoweit die von der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen - Anlage 18), die von ihrem optischen Gesamteindruck den frost- und außensicheren Fliesen sehr nahe kommen. Der Senat legt seiner Beurteilung daher zugunsten der Markeninhaberin eine insgesamt noch mittlere Ähnlichkeit zugrunde (vgl auch Senatsentscheidung vom 4. November 2003, 33 W (pat) 131/02).

Zugunsten der Markeninhaberin geht der Senat weiterhin davon aus, daß der Widerspruchsmarke 958 325 von Haus aus eine leichte Kennzeichnungsschwäche anhaftet. Ausreichende Anhaltspunkte für eine entsprechende Steigerung der Kennzeichnungskraft bzw eine Schwächung sind im vorliegenden Fall demgegenüber weder ausreichend substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Da die gegenüberstehenden Marken identisch sind, ist somit angesichts der Ähnlichkeit der "Fliesen" einerseits und "Pflastersteine" anderseits insoweit insgesamt eine Verwechslungsgefahr zu bejahen.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage besteht kein Anlaß aus Gründen der Billigkeit einer der Verfahrensbeteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 71 Abs 1 MarkenG aufzuerlegen.

Winkler Pagenberg Dr. Hock Cl






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