Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Dezember 2002
Aktenzeichen: 23 W (pat) 55/01

(BPatG: Beschluss v. 10.12.2002, Az.: 23 W (pat) 55/01)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. August 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen (Ansprüche 1 bis 10) an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung ist unter der Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung von leitfähigen transparenten Strukturen sowie Verwendung von transparenten, leitfähigen Oxidschichten zur Strukturierung von leitfähigen, transparenten Bereichen" am 8. Februar 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden. Dem ursprünglichen Patentbegehren entsprechend - der ursprüngliche Anspruch 1 hatte den Wortlaut: "Verfahren zur Herstellung elektrischer und optischer Strukturen auf einem Substratmaterial durch Einwirkung von Laserstrahlung auf das Substratmaterial" und nach dem ursprünglichen Verwendungsanspruch 14 sollten "durch die Strukturierung Leiterbahnen und/oder leitfähige Flächen ausgebildet werden" - ist die Patentanmeldung nach der IPC-Klasse H 05 K 3/00 (Geräte oder Verfahren zum Herstellen gedruckter Schaltungen) klassifiziert worden.

Mit Beschluß vom 31. August 2001 hat die Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurückgewiesen. Sie hat ihre Entscheidung damit begründet, dass das Verfahren nach dem damals geltenden, mit Schriftsatz vom 24. Juli 2001 eingereichten Patentanspruch 1 im Hinblick auf den Stand der Technik nach der deutschen Offenlegungsschrift 195 44 295 und unter Berücksichtigung des allgemeinen Wissens und Könnens des zuständigen Fachmannes nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin nach Erörterung der Sach- und Rechtslage neue Patentansprüche 1 bis 10 vorgelegt und die Auffassung vertreten, dass der nunmehr auf ein "Verfahren zur Herstellung elektrischer und optischer Strukturen auf einem TCO-Material (= Transparent Conductive Oxides) durch Einwirkung von Laserstrahlung auf das TCO-Material" eingeschränkte Gegenstand des neugefassten Anspruchs 1 durch den nachgewiesenen Stand der Technik, einschließlich der im Prüfungsverfahren noch genannten US-Patentschrift 5 536 466 und japanischen Offenlegungsschrift 06-202126, nicht patenthindernd getroffen sei. Sie macht insbesondere geltend, dass aus keiner der genannten Entgegenhaltungen die erfindungswesentliche Merkmalskombination entnehmbar sei, nämlich durch Einwirkung von Laserstrahlung auf TCO-Material Bereiche mit gleichzeitiger Änderung der Transmission für sichtbares Licht um mindestens 50 % und der elektrischen Leitfähigkeit um mehr als 3 Zehnerpotenzen zu schaffen.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. August 2001 aufzuheben und die Sache aufgrund der in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Patentansprüche 1 bis 10 an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

Den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Schriftsätze vom 25.10.2001 und 12.11.2001) hat die Anmelderin zurückgenommen.

Die geltenden Patentansprüche 1 bis 10 haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Herstellung elektrischer und optischer Strukturen auf einem TCO-Material durch Einwirkung von Laserstrahlung auf das TCO-Material, wobei sich durch die Einwirkung der Laserstrahlung die elektrischen und optischen Eigenschaften der Bereiche des TCO-Materials ändern, auf die die Laserstrahlung einwirkt, mit einer gleichzeitigen Änderung der Transmission für sichtbares Licht um 50 % und mehr und der elektrischen Leitfähigkeit um mehr als 3 Zehnerpotenzen, und wobei die Dicke des TCO-Materials 100 nm und mehr ist.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das TCO-Material Indium-Zinnoxid oder Zinkoxid-Aluminium ist.

3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das TCO-Material als Schichtsystem ausgebildet ist.

4. Verfahren nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Schichtsystem aufgebaut ist aus InO- und SnO-Schichten, In- und SnO-Schichten oder InO- und Sn-Schichten.

5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die aus einem TCO-Material gebildete elektrische Leiterbahn durch Aufbringen eines Metalls verstärkt wird.

6. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Laser ausgewählt ist unter einem Argon-Ionenlaser und einem Nd:YAG-Laser.

7. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Substratmaterial nach der Lasereinwirkung einem Ätzverfahren unterzogen wird.

8. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das zu strukturierende Substratmaterial als Schicht auf ein Trägermaterial aufgebracht ist.

9. Verwendung von TCO-Schichten erhältlich nach einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 8 für optoelektronische Anwendungen.

10. Verwendung von TCO-Schichten nach Anspruch 9 als EMV-Abschirmung."

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin ist begründet, denn der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache - wie beantragt - mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten neugefassten Patentansprüchen 1 bis 10 zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, weil das wesentlich geänderte Patentbegehren noch nicht ausreichend geprüft ist (§ 79 Abs 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 PatG).

1.) Sämtliche Patentansprüche sind zulässig, denn alle Anspruchsmerkmale sind für den Durchschnittsfachmann aus der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörig offenbart herzuleiten.

So stützt sich der geltende Patentanspruch 1 inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 (hinsichtlich der Beschränkung auf TCO-Material) iVm der ursprünglichen Beschreibung Seite 5 le Abs und S 8 Abs 4 (hinsichtlich der gleichzeitigen Änderung der Transmission für sichtbares Licht um mindestens 50 % und der elektrischen Leitfähigkeit von mehr als 3 Zehnerpotenzen) und Seite 7 Abs 5 (hinsichtlich der Dicke des TCO-Materials von 100 nm und mehr). Der geltende Anspruch 2 stützt sich inhaltlich auf den ursprünglichen Anspruch 3 und die ursprüngliche Beschreibung S 5 Abs 5 (hinsichtlich Zinkoxid-Aluminium als TCO-Material). Die geltenden Patentansprüche 3 bis 8 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 4 bis 6 und 9 bis 11 (in dieser Reihenfolge). Die neuen Verwendungsansprüche 9 und 10 stützen sich auf die ursprüngliche Beschreibung S 8 Abs 5.

2.a) Da die Anmelderin das Patenbegehren nunmehr auf ein "Verfahren zur Herstellung elektrischer und optischer Strukturen auf einem TCO-Material durch Einwirkung von Laserstrahlung auf das TCO-Material" beschränkt hat, ist der dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegende Zurückweisungsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach der deutschen Offenlegungsschrift 195 44 295 entfallen, weil bei diesem Stand der Technik metallisches Titan durch Einwirkung von Laserstrahlung in transparentes, isolierendes Titanoxid umgewandelt wird und von einem TCO-Material keine Rede ist.

Die beiden im Prüfungsverfahren noch genannten Druckschriften, nämlich die US-Patentschrift 5 536 466 und die japanische Offenlegungsschrift 06-202126, betreffen zwar Verfahren zur Herstellung elektrischer und optischer Strukturen auf einem TCO-Material durch Einwirkung von Laserstrahlung auf das TCO-Material, nämlich Indium-Zinnoxid (ITO) bzw Indiumoxid. Jedoch wird bei diesen bekannten Verfahren durch Einwirkung der Laserstrahlung nicht gleichzeitig die Transmission für sichtbares Licht um mindestens 50 % und die elektrische Leitfähigkeit um mindestens 3 Zehnerpotenzen geändert, wie dies der Lehre des neugefassten Patentanspruchs 1 entspricht.

So dient die Laserstrahlung bei dem aus der US-Patentschrift 5 536 466 bekannten Verfahren lediglich dazu, aus einer auf einem Substrat aufgebrachten Schicht aus "black ITO" die unerwünschten Bereiche durch Verdampfung vollständig zu entfernen, um so eine gewünschte Strukturierung der ITO-Schicht zu schaffen (vgl. Sp 3 Z 58 bis 61 zur Fig. 1c und 1d, das Abstract sowie Sp 2 Z 22 bis 26); eine Strukturierung unter gleichzeitiger Änderung der elektrischen und optischen Eigenschaften der Bereiche des ITO-Materials durch Laserbestrahlung ist dabei jedoch nicht vorgesehen.

Aus der dem beanspruchten Anmeldungsgegenstand noch am nächsten kommenden japanischen Offenlegungsschrift 06-202126 ist zwar ein Verfahren zur Herstellung eines transparenten Elektrodenmusters durch Einwirkung von Laserstrahlung (4) auf eine transparente leitfähige Schicht (3) aus Indiumoxid bekannt, wobei die für das Elektrodenmuster (conductive part 3a) nicht benötigten Bereiche durch den Laser (4) bestrahlt werden, um isolierende Bereiche (insulating part 3b) zu erhalten, vgl. das zugehörige englischsprachige Abstract iVm der Figur. Wesentlich dabei ist jedoch, dass der Brechungsindex des Materials ohne und mit Laserbestrahlung annähernd gleich bleibt, so dass das Elektrodenmuster nicht sichtbar wird.

Eine Anregung für die erfindungswesentliche Merkmalskombination, durch die auf das TCO-Material einwirkende Laserstrahlung gleichzeitig mit der Änderung der elektrischen Leitfähigkeit um mehr als 3 Zehnerpotenzen eine Änderung der Transmission für sichtbares Licht um mindestens 50 % zu erreichen, ist auch dieser letztgenannten Druckschrift nicht zu entnehmen.

b) Die vorliegende Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund der wesentlichen Änderung des Patenbegehrens im Beschwerdeverfahren durch Aufnahme erfindungswesentlicher Merkmale aus der Beschreibung ist der von der Prüfungsstelle recherchierte Stand der Technik unvollständig - insbesondere ist in der den diesbezüglichen technischen Sachverhalt betreffenden IPC-Klasse H 01 L 31/18 (Verfahren oder Vorrichtungen zur Herstellung oder Behandlung von optoelektronischen Bauelementen oder von Teilen hiervon) ersichtlich noch nicht recherchiert worden - und daher nicht auszuschließen, dass ein einer Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender Stand der Technik existiert. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des relevanten druckschriftlichen Standes der Technik ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Patentamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist die Sache im Rahmen der geltenden Patentansprüche 1 bis 10 an das Deutsche Patent- und Markenamt zur weiteren Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 79 Abs 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 PatG).

Dr. Beyer Dr. Meinel Knoll Lokys Pr






BPatG:
Beschluss v. 10.12.2002
Az: 23 W (pat) 55/01


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