Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Januar 2003
Aktenzeichen: 5 W (pat) 407/02

(BPatG: Beschluss v. 23.01.2003, Az.: 5 W (pat) 407/02)

Tenor

Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 20. November 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Gebrauchsmuster 298 23 725 gelöscht wird, soweit es über Schutzanspruch 1 in der Fassung vom 23. Januar 2003 sowie die hierauf rückbezogenen Schutzansprüche 2 bis 4 in der Fassung vom 20. November 2001 hinausgeht.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsstellerin.

Gründe

I Das Gebrauchsmuster 298 23 725 (Streitgebrauchsmuster; im verkündeten Tenor irrtümlich mit der Nummer 98 23 725 angegeben) ist unter der Bezeichnung "Stoßfänger für ein Fahrzeug" als Abzweigung aus der deutschen Patentanmeldung 198 22 491.5 (Anmeldetag 19. Mai 1998) am 20. Juli 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet und am 14. Oktober 1999 mit 5 Schutzansprüchen in das Gebrauchsmusterregister eingetragen worden. Die Schutzansprüche lauten:

1. Stoßfänger für ein Fahrzeug mit einem in Querrichtung des Fahrzeugs verlaufenden Stoßfängerträger und energieabsorbierenden Bauelementen, die zwischen dem Stoßfängerträger und Längsträgern des Fahrzeuges und in Querrichtung des Fahrzeuges im Abstand voneinander angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß die energieabsorbierenden Bauelemente (1) unter einem Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges schräg nach außen angeordnet sind.

2. Stoßfänger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die energieabsorbierenden Bauelemente (1) unter einem derartigen Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges angeordnet sind, daß die Abweichungen (X) des Montagepunktes (3) der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Stoßfängerträger (2) von einer Anordnung der energieabsorbierenden Bauelemente (1) parallel zur Längsachse des Fahrzeuges der bei einer Verformung des Stoßfängerträgers (2) auftretenden Verkürzung des Stoßfängerträgers (2) in Querrichtung entspricht.

3. Stoßfänger nach Anspruch 1 oder 2, gekennzeichnet durch ein Anbindungselement der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Längsträger (12) des Fahrzeuges, das in Form einer Winkelplatte (4) ausgebildet ist, deren Knicklinie eine Kippachse bildet, um die die energieabsorbierenden Bauelemente (1) nach innen kippen können.

4. Stoßfängerträger nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß das Anbindungselement außen und innen mit dem Längsträger (12) des Fahrzeuges verschraubt ist.

5. Stoßfängerträger nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Außenverschraubung aus einer Schraube (6) mit einem Gewindebereich (13) und sich einem daran anschließenden Bereich (14) größeren Durchmessers besteht, um den herum eine Hülse (10) vorgesehen ist und mit dem die Schraube (6) gegen das Anbringungselement angezogen ist.

Die Schutzdauer des angegriffenen Gebrauchsmusters ist auf 6 Jahre verlängert worden.

Am 8. Dezember 2000 hat die Antragsstellerin die Löschung des Streitgebrauchsmusters im Umfang der Ansprüche 1-5 beantragt. Sie hat geltend gemacht, daß der Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Streitgebrauchsmusters neuheitsschädlich durch den folgenden Stand der Technik vorbekannt sei:

1) DE-OS 21 31 054, 2) US 3 865 415, 3) DE-OS 21 29 526.

Der Anspruch 2 enthalte keine Lehre zum technischen Handeln, da ein derartiger Gegenstand nicht herstellbar sei. Das Merkmal des Anspruchs 3 sei aus folgender Druckschrift bekannt:

4) US 3 754 784 Die Ansprüche 4 und 5 beträfen nur handwerkliche Maßnahmen bzw die Verwendung genormter Bauteile und gingen damit nicht über den freien Stand der Technik hinaus.

Die Antragsgegnerin hat der Löschung teilweise widersprochen und das Streitgebrauchsmuster im Umfang der am 12. Februar 2001 nachgereichten Schutzansprüche 1 bis 4 verteidigt.

Diese Schutzansprüche lauten:

1. Stoßfänger für ein Fahrzeug mit einem in Querrichtung des Fahrzeugs verlaufenden Stoßfängerträger und zwei energieabsorbierenden Bauelementen, die zwischen dem Stoßfängerträger und Längsträgern des Fahrzeugs, in Querrichtung des Fahrzeuges im Abstand voneinander und unter einem Winkel zur Längsachse des Fahrzeugs schräg nach außen an den Längsträgern angebracht sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Stoßfängerträger verformbar ist und die energieabsorbierenden Bauelemente (1) unter einem derartigen Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges angebracht sind, daß die Abweichung (X) des Montagepunktes (3) der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Stoßfängerträger (2) von einer Anordnung der energieabsorbierenden Bauelemente (1) parallel zur Längsachse des Fahrzeuges der bei einer Verformung des Stoßfängerträgers (2) auftretenden Verkürzung des Abstandes der Montagepunkte (3) am Stoßfängerträger (2) in Querrichtung entspricht.

2. Stoßfänger nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch ein Anbindungselement der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Längsträger (12) des Fahrzeuges, das in Form einer Winkelplatte (4) ausgebildet ist, deren Knicklinie eine Kippachse bildet, um die die energieabsorbierenden Bauelemente (1) nach innen kippen können.

3. Stoßfängerträger nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Anbindungselement außen und innen mit dem Längsträger (12) des Fahrzeuges verschraubt ist.

4. Stoßfängerträger nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß die Außenverschraubung aus einer Schraube (6) mit einem Gewindebereich (13) und sich einem daran anschließenden Bereich (14) größeren Durchmessers besteht, um den herum eine Hülse (10) vorgesehen ist und mit dem die Schraube (6) gegen das Anbringungselement angezogen ist.

In der Sitzung der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. November 2001 ist das Streitgebrauchsmuster durch Beschluß insoweit gelöscht worden, als es über den Wortlaut der Schutzansprüche 1 bis 4 vom selben Tag hinausgeht. Diese Schutzansprüche unterscheiden sich von den zuvor verteidigten durch Einfügung des (im Folgenden) fett/kursiv gedruckten Merkmals im Schutzanspruch 1 und lauten:

1. Stoßfänger für ein Fahrzeug mit einem in Querrichtung des Fahrzeugs verlaufenden Stoßfängerträger und zwei energieabsorbierenden Bauelementen, die zwischen dem Stoßfängerträger und Längsträgern des Fahrzeugs, in Querrichtung des Fahrzeuges im Abstand voneinander und unter einem Winkel zur Längsachse des Fahrzeugs schräg nach außen an den Längsträgern angebracht sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Stoßfängerträger verformbar ist und die energieabsorbierenden Bauelemente (1) unter einem derartigen Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges angebracht sind, daß die Abweichung (X) des Montagepunktes (3) der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Stoßfängerträger (2) von einer Anordnung der energieabsorbierenden Bauelemente (1) parallel zur Längsachse des Fahrzeuges der bei einer Verformung des Stoßfängerträgers durch einen Stoß im Wirksamkeitsbereich des Stoßfängers (2) auftretenden Verkürzung des Abstandes der Montagepunkte (3) am Stoßfängerträger (2) in Querrichtung entspricht.

2. Stoßfänger nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch ein Anbindungselement der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Längsträger (12) des Fahrzeuges, das in Form einer Winkelplatte (4) ausgebildet ist, deren Knicklinie eine Kippachse bildet, um die die energieabsorbierenden Bauelemente (1) nach innen kippen können.

3. Stoßfängerträger nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Anbindungselement außen und innen mit dem Längsträger (12) des Fahrzeuges verschraubt ist.

4. Stoßfängerträger nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß die Außenverschraubung aus einer Schraube (6) mit einem Gewindebereich (13) und sich einem daran anschließenden Bereich (14) größeren Durchmessers besteht, um den herum eine Hülse (10) vorgesehen ist und mit dem die Schraube (6) gegen das Anbringungselement angezogen ist.

Die nachgereichten Schutzansprüche seien zulässig, weil im Anspruch 1 die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 enthalten und darüber hinaus lediglich Klarstellungen getroffen seien. Der so gefaßte Anspruch 1 beinhalte für den zuständigen Durchschnittsfachmann eine klare technische Lehre zur Konstruktion eines Stoßfängers. Außerdem sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters neu und beruhe gegenüber dem Stand der Technik auf einem erfinderischen Schritt. Der druckschriftliche Stand der Technik offenbare insbesondere keinen Hinweis auf einen bestimmten Winkel, unter dem die energieabsorbierenden Bauelemente anzuordnen seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsstellerin. Sie bestreitet die Zulässigkeit des verteidigten Anspruchs 1, weil der im eingefügten Merkmal bezeichnete "Wirksamkeitsbereich des Stoßfängers" ursprünglich nicht offenbart sei. Auch die Abänderung des ursprünglichen Plurals "Abweichungen (X)" in den Singular "Abweichung (X)" im Anspruch 1 hält sie für unzulässig. Zudem hat sie weitere Druckschriften genannt, und zwar zur fehlenden Neuheit und zum fehlenden erfinderischen Schritt:

5) DE-OS 21 31 837, 6) DE-OS 23 36 929, 7) DE-OS 21 27 258, 8) DE-OS 19 33 852, 9) DE-OS 23 12 721.

Die Antragsgegnerin verteidigt das Gebrauchsmuster mit Schutzansprüchen 1 bis 4, jeweils in den im Beschluss genannten Fassungen.

Diese Schutzansprüche haben folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber dem zuvor geltenden Schutzanspruch 1 vom 20. November 2001 in der folgenden Wiedergabe fett/kursiv bzw gestrichen):

1. Stoßfänger für ein Fahrzeug mit einem in Querrichtung des Fahrzeuges verlaufenden Stoßfängerträger und zwei energieabsorbierenden Bauelementen, die zwischen dem Stoßfängerträger und Längsträgern des Fahrzeuges in Querrichtung des Fahrzeuges im Abstand voneinander angeordnet sind, wobei die energieabsorbierenden Bauelemente an den Längsträgern jeweils um einen Drehpunkt kippbar und unter einem Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges schräg nach außen angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Stoßfängerträger verformbar ist und die energieabsorbierenden Bauelemente (1) unter einem derartigen Winkel zur Längsachse des Fahrzeuges angeordnet sind, daß die Abweichungen (X) des der Montagepunktes (3) der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Stoßfängerträger (2) von einer Anordnung der energieabsorbierenden Bauelemente (1) parallel zur Längsachse des Fahrzeuges der bei einer Verformung des Stoßfängerträgers durch einen Stoß im Wirksamkeitsbereich des Stoßfängers (2) auftretenden Verkürzung des Stoßfängerträgers (2) in Querrichtung entspricht entsprechen.

2. Stoßfänger nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch ein Anbindungselement der energieabsorbierenden Bauelemente (1) am Längsträger (12) des Fahrzeuges, das in Form einer Winkelplatte (4) ausgebildet ist, deren Knicklinie eine Kippachse bildet, um die die energieabsorbierenden Bauelemente (1) nach innen kippen können.

3. Stoßfängerträger nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Anbindungselement außen und innen mit dem Längsträger (12) des Fahrzeuges verschraubt ist.

4. Stoßfängerträger nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß die Außenverschraubung aus einer Schraube (6) mit einem Gewindebereich (13) und sich einem daran anschließenden Bereich (14) größeren Durchmessers besteht, um den herum eine Hülse (10) vorgesehen ist und mit dem die Schraube (6) gegen das Anbringungselement angezogen ist.

Die Antragsstellerin bestreitet die Schutzfähigkeit des Stoßfängers der verteidigten Schutzansprüche 1 bis 4 unter Bezugnahme vor allem auf die Entgegenhaltungen DE-OS 21 29 526 und DE-OS 21 27 258.

Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Gebrauchsmuster zu löschen.

Die Antragsgegnerin beantragtdie Zurückweisung der Beschwerde.

II Die zulässige Beschwerde der Antragsstellerin ist sachlich nur zum Teil gerechtfertigt, denn der Löschungsantrag ist nur teilweise begründet. Soweit das Gebrauchsmuster nicht mehr verteidigt wird, ist es nach § 17 Abs 1 Satz 2 GebrMG zu löschen. Im übrigen ist der geltend gemachte Löschungsanspruch aus § 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG aber nicht gegeben.

1. Die zuletzt verteidigten Schutzansprüche sind zulässig. Sie stellen gegenüber dem eingetragenen Schutzrecht eine zulässige Beschränkung des Gegenstandes dar und gehen auch über die selbstbeschränkende Fassung der Schutzansprüche vom 20. November 2001 nicht hinaus.

a) Der geltende Schutzanspruch 1 geht aus den ursprünglichen Schutzansprüchen 1 und 2 in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibung hervor. Dort ist auf Seite 6 Zeile 5 offenbart, daß zwei energieabsorbierende Bauelemente vorgesehen sind, und auf S 6 Z 12/13, daß die energieabsorbierenden Bauelemente (an den Längsträgern) jeweils um einen Drehpunkt kippbar sind. Die Aufnahme dieser beschränkenden und bereits im Stand der Technik bekannten Merkmale ist als erforderlich angesehen worden, weil der Senat insbesondere in dem letztgenannten Merkmal einen wesentlichen Lösungsgedanken sieht, mit dem das aufgabengemäße Vermeiden bzw Mindern von Querkräften erreicht wird, vergleiche insbesondere Seite 6 Zeilen 12 bis 16. Ein diesbezüglicher Lösungsansatz fehlt in sämtlichen bisherigen Anspruchsfassungen. Sprachlich enthält der in den verteidigten Schutzanspruch 1 aufgenommene ursprüngliche Anspruch 2 einen offensichtlich grammatikalischen Fehler, indem "die Abweichungen (X) ...... entspricht". Gleiches gilt für das im ursprünglichen Anspruch 2 offensichtlich fälschlicherweise im Singular genannte Nomen "des Montagepunktes (3)". Unter Berücksichtigung der Ursprungsoffenbarung auf S 6 Abs 2 in Verbindung mit den Figuren, wonach die stoßbedingte Verkürzung des Stoßfängerträgers bewirkt, daß die Befestigungspunkte 3 der beiden energieabsorbierenden Bauelemente sich um die Abweichungen (X) aus ihrer Ursprungslage aufeinanderzubewegen, wurde im bestätigten Schutzanspruch 1 die Formulierung richtiggestellt: "....daß die Abweichungen (X) der Montagepunkte (3) ...... entsprechen."

Die übrigen, rückbezogenen Schutzansprüche 2 bis 4 gehen inhaltlich aus den ursprünglichen Schutzansprüchen 3 bis 5 in entsprechender Reihenfolge hervor.

b) Gegenüber dem Schutzanspruch 1 in der Fassung vom 20. November 2001 sind bei dem bestätigten Schutzanspruch 1 folgende Merkmale entfallen:

"daß der Stoßfängerträger verformbar ist" und

"durch einen Stoß im Wirksamkeitsbereich des Stoßfängers".

Daß der Stoßfängerträger verformbar ist, stellt eine inhaltliche Wiederholung dar und kann gestrichen werden, ohne den Schutzbereich zu verändern. Im letzten kennzeichnenden Merkmal des Schutzanspruchs 1 ist nämlich beansprucht, daß "bei einer Verformung des Stoßfängerträgers (2)" eine Verkürzung des Abstandes der Montagepunkte der energieabsorbierenden Bauelemente auftreten soll. Dieses Merkmal setzt bereits zwingend voraus, daß der Stoßfängerträger verformbar ist.

Ein besonderer "Wirksamkeitsbereich des Stoßfängers" ist ursprünglich nicht offenbart. Die Offenbarung des Streitgebrauchsmusters unterscheidet zwischen den Begriffen Stoßfänger und Stoßfängerträger. Unter dem Begriff Stoßfänger subsumiert das Streitgebrauchsmuster einen in Querrichtung des Fahrzeuges verlaufenden Stoßfängerträger und energieabsorbierende Bauelemente, die zwischen dem Stoßfängerträger und den Längsträgern des Fahrzeuges angeordnet sind (vgl insb Anspruch 1, S 1 Abs 1 und 2 sowie S 4 Abs 6 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen). Der so als Gesamtsystem definierte Stoßfänger ist bei einem Aufprall des Fahrzeuges selbstverständlich immer wirksam. Deshalb hatte das in Rede stehende Merkmal keinerlei beschränkende Wirkung und kann seine Streichung folgerichtig zu keiner Veränderung des Schutzbereichs führen. Die in dem angegriffenen Beschluß zum Nachweis der Offenbarung des "Wirksamkeitsbereichs des Stoßfängers" genannten Textstellen auf Seite 2 Absatz 3 betreffen einen gewünschten Ablauf der Karosserieverformung bei einem anliegenden Stoß in vier aufeinanderfolgenden Phasen, nämlich:

1. Verbiegung/Verformung des Stoßfängerträges, 2. Verformung der energieabsorbierenden Bauelemente, 3. Faltbeulen der Längsträger und 4. Biegeversagen der Längsträger nahe der Spritzwand.

Es kann dahinstehen, ob sich aus dieser Offenbarung möglicherweise ein bevorzugter Wirksamkeitsbereich des Stoßfängerträgers in der 1. Phase herleiten ließe. Denn zur Offenbarung eines besonderen Wirksamkeitsbereiches des gesamten Stoßfängers trägt diese Textstelle jedenfalls nichts bei.

2. Als Durchschnittsfachmann ist ein Maschinenbauingenieur, insbesondere der Fahrzeugtechnik, anzunehmen, der bei einem Kfz-Hersteller oder -Zulieferer als Karosseriekonstrukteur arbeitet und über einschlägige Erfahrung in der Auslegung von Deformationsbereichen der Karosserie verfügt.

3. Der Durchschnittsfachmann erhält aus dem Streitgebrauchsmuster eine Lehre zur Herstellung eines Stoßfängers mit einer konkreten Konstruktionsvorgabe zur Festlegung der Ausrichtung der energieabsorbierenden Bauelemente, bezogen auf die Verkürzung des Stoßfängerträgers.

Bei einem Aufprall soll sich der Stoßfängerträger durch Verformung - in an sich bekannter Weise - verkürzen, wodurch die Montagepunkte der energieabsorbierenden Bauelemente zur Fahrzeugmitte verlagert werden. Selbstverständlich setzt eine derartige Verformung einen nach Auftreffpunkt und Stärke bestimmten Stoß voraus, zB einen mittigen Aufprall auf ein schmales Hindernis mit einer bestimmten Aufprallgeschwindigkeit. Andere Stöße, zB einseitige oder gleichförmige, eben solche, die zu keiner derartigen Verkürzung des Stoßfängerträgers führen, sind von der Lehre des Streitgebrauchsmusters nicht erfaßt. Für diesen bestimmten Stoß empfiehlt das Streitgebrauchsmuster über das bisher bekannte Schrägstellen der energieabsorbierenden Bauelemente hinaus, die energieabsorbierenden Bauelemente in der Ruhelage um eine Abweichung X derart schräg nach außen anzuordnen, daß sie nach der Verformung des Stoßfängerträgers (Ende Phase 1) parallel zur Längsachse des Fahrzeugs stehen, um in dieser Stellung selbst verformt werden zu können (Anfang Phase 2), wie dies in den nachstehenden Figuren 1 bis 3 des Streitgebrauchsmusters bildlich erläutert ist:

Mit dieser Konstruktionsvorgabe bleibt dem Durchschnittsfachmann auch weiter die schon am Anmeldetag lediglich handwerkliche Aufgabe, den Stoßfängerträger und den Schrägstellungswinkel zu dimensionieren. Dies nun aber so, daß sich der Stoßfängerträger bei einem bestimmten angenommenen Aufprall gerade soweit verformen läßt, wie nötig ist, um ein Längsausrichten der energieabsorbierenden Bauelemente zu erreichen, bevor diese sich verformen.

4. Sämtliche im Verfahren berücksichtigten Druckschriften geben weder absolut noch in Abhängigkeit von anderen Maßen oder von Randbedingungen einen bestimmten Einbauwinkel oder - im Sprachgebrauch des Streitgebrauchsmusters - eine entsprechende Abweichung X der energieabsorbierenden Bauelemente bezogen auf die Verkürzung des Stoßfängerträgers vor.

Dies gilt ausdrücklich auch für die von der Antragstellerin in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gerückte DE-OS 21 29 526. Dort ist eine Stoßstange 1 (Stoßfängerträger) allein mittels einer Blattfeder 2 am Fahrzeuglängsträger 3 gehalten (vgl insb Anspruch 1). Die beiden von Halterungsaufgaben freien Deformationsglieder 12 (energieabsorbierenden Bauelemente) bilden in Draufsicht ein nach vorn offenes V (vgl insb Anspruch 2). Nach diesem Anspruch sind die Deformationsglieder 12 in der Ebene des V am Fahrzeuglängsträger 3 schwenkbar angelenkt (vgl insb nebenstehende Fig 1). Mit der schwenkbaren Anlenkung der Deformationsglieder 12 und der speziellen Halterung der Stoßstange über die Blattfedern 2 soll ein Energieverzehr auch bei schrägen Stößen sichergestellt werden (vgl insb S 6 Abs 3 letzter Satz). Damit ist lediglich eine nicht näher spezifizierte V-förmige Anordnung der energieabsorbierenden Bauelemente 12 zur Fahrzeuglängsachse im Ruhezustand vor einem Stoß offenbart. Selbst wenn der Durchschnittsfachmann in Erwägung zieht, daß die energieabsorbierenden Bauelemente bei einer unfallbedingten Verkürzung des Stoßstangenträgers u.a. auch nach innen schwenken können, erhält er aus der Entgegenhaltung keinerlei Hinweis, dies bereits bei der Konstruktion zu berücksichtigen und darauf in irgendeiner, geschweige denn in der beanspruchten Weise Einfluß zu nehmen. Gegenteiliges hat auch die Antragstellerin nicht nachweisen können. Von einer Vorwegnahme der beanspruchten Lösung kann daher keine Rede sein.

Gleiches trifft auf die DE-OS 21 27 258 zu, deren Figuren 1 und 2 nachstehend abgebildet sind. Die Lehre dieser Druckschrift besagt, daß zwischen einer möglichst starren Stoßstange 1 und dem Tragwerk 3 wenigstens zwei in Verlängerung der seitlichen Teile des Tragwerks und annähernd in Fahrzeuglängsrichtung verlaufende Stoßdämpfer 4 anzuordnen sind (vgl insb S 2 Abs 1 iVm S 4 Z 6). Gemäß der Beispielbeschreibung auf S 4 Z 13/14 soll die Längsachse der Stoßdämpfer 4 zur Fahrzeuglängsmittelebene 2 ggf "leicht nach außen geneigt" sein können. Seitliche Gummielemente 10 und 11 richten die Stoßdämpfer 4 in der Ruhelage aus (vgl insb S 4 letzter Abs bis S 5 Abs 1). Mit der durch das Streitgebrauchsmuster beantworteten Frage, wie sich die Stoßdämpfer 4 im Fall eines Aufpralls bezüglich der Stoßfängerverkürzung definiert verhalten und wie dies bei der Festlegung der Neigung berücksichtigt werden kann, befaßt sich diese Druckschrift nicht.

Aus der DE-OS 23 36 929 ist ein Fahrzeug mit einem in Abschnitte unterschiedlicher Gestaltfestigkeit unterteilten Tragwerk bekannt. An die Abschnitte 2 und 3 schließen sich Stoßstangen 11 an, die über Stoßdämpfer 12 mit den Abschnitten 2 und 3 des Tragwerks verbunden sind (vgl insb S 4 Abs 3 iVm Fig 2). Lediglich den Figuren des Ausführungsbeispiels ist zu entnehmen, daß die Stoßdämpfer 12 entweder in Fahrzeuglängsrichtung oder mit einer Neigung nach außen angeordnet sein sollen. Hinweise zur Bestimmung der Neigung werden in der Druckschrift nicht vermittelt.

Die DE-OS 23 12 721 beschreibt eine Stoßstangenbefestigung für Fahrzeuge mittels zwei in der Ruhestellung im wesentlichen paralleler Energieabsorber 3, wobei die Befestigung der Energieabsorber 3 am Fahrzeug 1 wesentlich flexibler gegen Winkelveränderungen in einer horizontalen Ebene sein soll als die Befestigung der Energieabsorber 3 an der Stoßstange 2 (vgl insb Anspruch 1). In dem Spezialfall des in der Figur 6 gezeigten mittigen Aufpralls, der zu einer Verkürzung der Stoßstange 2 führt, wird als Vorteil dieser Befestigung herausgestellt, daß die Stoßstange ohne wesentliche Biegekräfte in den Absorbern 3 gehalten werden kann. Dieses Lösungsprinzip unterscheidet sich von dem Beanspruchten somit schon durch die parallele Ausrichtung der Energieabsorber 3 in der Ruhestellung und läßt ein undefiniertes Einschwenken der Energieabsorber 3 in der in Figur 6 gezeigten Weise bei einer Verkürzung der Stoßstange zu.

Schließlich zeigt auch die DE-OS 19 33 852 eine Stoßdämpfungsvorrichtung, bei der die Stoßstange 63 durch schwenkbar befestigte, sogenannte gedämpfte Federn 25, 26 und 34, 35 in Gitteranordnung (85, 86) an dem Rahmen 10 eines Kraftfahrzeuges befestigt ist. Die Wirkung eines Aufpralls, der zu einer Verkürzung der Stoßstange führt, ist auf Seite 8 Absatz 1 beschrieben und in der nebenstehenden Figur 3 dargestellt. Abgesehen von einer bereits in der Ruhelage völlig anderen Ausrichtung von vier energieabsorbierenden Bauelementen, verändern diese ihre Ausrichtung bei einem Stoß offensichtlich nicht wie beim Streitgebrauchsmuster, sondern bleiben nach außen bzw innen gerichtet. Eine Konstruktionsvorgabe für die Ausrichtung der energieabsorbierenden Bauelemente, wie beim Streitgebrauchsmuster geht aus der Druckschrift nicht hervor.

Die übrigen von der Antragstellerin genannten Druckschriften DE-OS 21 31 054, DE-OS 21 31 837, US 3 865 415 und US 3 754 784 betreffen ebenso wie die in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zum Stand der Technik genannte DE 42 38 631 A1 ausschließlich Stoßfänger mit energieabsorbierenden Bauelementen, die parallel oder in einem Winkel zur Fahrzeuglängsachse, allerdings in jedem Fall starr an der Karosserie respektive deren Längsträgern befestigt sind. Sie unterscheiden sich damit grundsätzlich vom Beanspruchten, denn sie gestatten keine Stoßfängerverkürzung ohne die Einbringung von Querkräften. Abgesehen davon findet sich in keiner dieser Druckschriften ein Hinweis auf eine irgendwie bevorzugte Ausrichtung der nicht schwenkbaren, energieabsorbierende Bauelemente. Aus diesem Grund haben diese Druckschriften in der Argumentation der Antragstellerin sowie in der mündlichen Verhandlung keine Rolle mehr gespielt.

5. Im Hinblick auf den in Betracht gezogenen Stand der Technik belegen die vorstehenden Ausführungen zugleich, daß der hier wesentliche Zusammenhang zwischen der Ausrichtung energieabsorbierender Bauelemente in der Ruhestellung und der Verkürzung des Stoßfängerträgers bis zum Anmeldetag im Fachbereich nicht erkannt war. Etwas aufzufinden, was nicht im Blickfeld der Fachwelt gelegen hat, geht aber über fachliche Routine hinaus.

Mithin war die spezielle Gestaltung eines Stoßfängers nach dem Streitgebrauchsmuster auch bei Berücksichtigung des in Betracht gezogenen Standes der Technik am Anmeldetag nicht ohne erfinderisches Zutun (§ 1 GebrMG) zu erreichen.

6) Die auf Schutzanspruch 1 zurückbezogenen Schutzansprüche 2, 3 und 4 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Weiterbildungen des Gegenstandes nach diesem Schutzanspruch und werden von dessen Schutzfähigkeit mitgetragen.

7) Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Absatz 2 Satz 2 GebrMG in Verbindung mit § 84 Absatz 2 PatG und § 92 Absatz 2 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Goebel Winklharrer Bork Be






BPatG:
Beschluss v. 23.01.2003
Az: 5 W (pat) 407/02


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