Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Juli 2002
Aktenzeichen: 20 W (pat) 53/00

(BPatG: Beschluss v. 24.07.2002, Az.: 20 W (pat) 53/00)

Tenor

Der Beschluß des Patentamts vom 21. August 2000 wird aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren zur Messung des Flüssigkeitsfüllstandes in einem Behälter Anmeldetag: 28. August 1999 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 3, eingegangen am 28. August 1999, Beschreibung Seiten 1 bis 6, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Blatt Zeichnung mit einer Figur, eingegangen am 28. August 1999.

Gründe

I Das Patentamt - Prüfungsstelle für Klasse G 01 F - hat die Anmeldung durch Beschluß vom 21. August 2000 mangels Erfindungshöhe des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 zurückgewiesen.

Die Anmelderin und Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu erteilen mit der neu gefaßten Beschreibung, im übrigen den Unterlagen vom Anmeldetag.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"1. Verfahren zur Messung des Flüssigkeitsfüllstandes (H) in einem Behälter (3) mittels zwei identischen temperaturabhängigen Widerstandselementen (1, 2), die derart im Behälter (3) angeordnet sind, daß sie den Bereich der möglichen Füllstandsschwankungen überspannen, bei dem ein Widerstandselement als Meßelement mit Heizstrom beaufschlagt wird, bei dem das andere Widerstandselement als Referenzelement verwendet wird und bei dem mittels eines elektronischen Steuergeräts (4) die Differenz der Spannungen, die an den beiden Widerstandselementen (1, 2) jeweils abfallen, ermittelt wird, dadurch gekennzeichnet, daß jedes der beiden Widerstandselemente (1, 2) abwechselnd einmal als Meßelement und das andere Mal als Referenzelement betrieben wird."

Wegen der Ansprüche 2 und 3 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Folgende Entgegenhaltungen sind in Betracht gezogen:

(1) DE 37 42 783 A1,

(2) EP 0 263 226 A1.

Zur Begründung ihres Antrags führt die Anmelderin im wesentlichen aus, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber diesem Stand der Technik neu und durch diesen auch nicht nahegelegt sei.

II 1. Stand der Technik Aus der Offenlegungsschrift (1) ist ein Verfahren zur Messung des Flüssigkeitsfüllstandes in einem Behälter mittels zwei identischen temperaturabhängigen Widerstandselementen mit allen Merkmalen im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 als bekannt entnehmbar (vgl insbesondere Wortlaut des Anspruchs 1, Fig 1 und 2 und Beschreibung Sp 4 Z 59 bis Sp 8 Z 18). Das zweite Widerstandselement W2 wird nach dem bekannten Verfahren kontinuierlich über einen Widerstand R2 mit Strom beaufschlagt und dient als Referenzelement. Das Widerstandselement W1 wird als Meßelement über einen von einem Pulsgenerator P angesteuerten Schalttransistor T periodisch mit Strom beaufschlagt. Eine Auswerteschaltung A schaltet bei Erreichen eines Spannungsgrenzwertes den Pulsgenerator P aus, und über die Zeitdauer des Spannungsabfalls an W1 wird schließlich der Füllstand bestimmt (Sp 2 Z 8-16 und Z 28 bis Sp 3 Z 16 und Fig 2 und zugehörige Beschreibung Sp 5 Z 50 bis Sp 7 Z 59). Meßfrequenzen lassen sich in Abhängigkeit von der Abkühlungszeit des ersten Widerstandselementes wählen (Sp 3 Z 29-36). Eine Beeinträchtigung der Funktion oder gar Zerstörung des ersten Widerstandselementes durch Überhitzung (Verzunderung) wird durch Temperatur- (Spannungs-) Grenzwerte vermieden (Sp 3 Z 63 bis Sp 4 Z 8). Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere durch Alterungsprobleme, sind nicht angesprochen, ein abwechselndes Betreiben der beiden Widerstandselemente als Referenz- oder Meßelement wird nicht in Betracht gezogen. Das bekannte Verfahren wird zur Ölstandsmessung in Kraftfahrzeugen verwendet (Anspruch 1, Zusammenfassung).

In der Druckschrift (2), vgl Zusammenfassung und Fig. 1, sind ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Überwachen der Kühlung in einem Leichtwasser-Reaktor beschrieben. Die temperaturabhängigen Widerstände 3a, 3b, 3c werden in einer ersten Betriebsweise mit einem hohen Strom beaufschlagt (Spannungsquellen 8a, 8b, 8c). Bei Kühlmittelverlust wächst der Spannungsabfall an den Widerständen (gemessen über Signalleitungen 6a, 6b 6c und Recorder 4) sehr schnell und wird zur Auslösung von Sicherheitsmaßnahmen herangezogen (Sp 3 Z 55 bis Sp 4 Z 33). In einer weiteren Betriebsweise werden die Widerstände durch Umlegen der Schalter 7a, 7b, 7c mit zweiten Spannungsquellen 9a, 9b 9c verbunden, die einen niedrigeren Strom als im ersten Betriebsfall einspeisen. Die Widerstände wirken dann als Widerstandsthermometer zur Überwachung der Kerntemperatur (Sp 4 Z 34-45). In beiden Betriebsweisen dienen die Widerstände als Meßelemente, eine Verwendung der Widerstände als Referenzelemente ist nicht ersichtlich.

2. Neuheit Der - zweifelsfrei gewerblich anwendbare - Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu, denn keine der Entgegenhaltungen zeigt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, alle seine Merkmale.

3. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Es mag sein, daß der hier zuständige Fachmann, ein Techniker oder Diplom-Ingenieur mit Fachhochschul-Abschluß der Fachrichtung Meßtechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung und Betrieb von Meßverfahren für Flüssigkeitsfüllstände, in Betracht zieht, das aus der Druckschrift (1) als bekannt entnehmbare Meßverfahren zu verbessern, und dabei erkennt, daß die Genauigkeit des bekannten Meßverfahrens ua beeinflußt wird durch die Strombelastung über längere Betriebszeiten und daraus resultierende Funktionsbeeinträchtigungen der Meßelemente (vgl (1) Sp 3 Z 63 bis Sp 4 Z 8).

Bei dem in der Offenlegungsschrift (1) beschriebenen Verfahren wird eine Aufheizung des (ersten) Widerstandselements (Meßelement) auf Temperaturen, die zur Beeinflussung der Funktion oder gar zur Zerstörung des Widerstandselements durch Verzunderung führen, dadurch vermieden, daß die Temperatur des Widerstandselements auf feste Grenzen beschränkt wird, indem die Strombeaufschlagung des Widerstandselements zeitlich begrenzt wird (Sp 3 Z 63 bis Sp 4 Z 8). Das aus (1) als bekannt entnehmbare Verfahren vermittelt dem dem Fachmann somit die Erkenntnis, daß Funktionsbeeinträchtigungen der Meßvorrichtung im Laufe der Betriebszeit - Alterungsprozesse - auftreten und daß dem entgegengewirkt werden kann, indem die Strombeaufschlagung des Widerstands- (Meß-) Elements zeitlich begrenzt wird. Jedoch bietet Druckschrift (1) dem Fachmann keinen Hinweis, der ihn veranlassen konnte, daß jedes der beiden Widerstandselemente (Meß- und Referenzelement), wie im Patentanspruch 1 gefordert, abwechselnd einmal als Meßelement und das andere Mal als Referenzelement betrieben wird.

Gemäß der Druckschrift (2) ist eine hohe Strombelastung von vorneherein beschränkt auf eine erste Betriebsweise der Widerstandselemente (Meßelemente) als Alarmgeber für einen Kühlmittelverlust im Reaktorkern. Nach Alarmauslösung können die Widerstandselemente dann in einer zweiten Betriebsweise unter einer niederen Strombelastung als Thermometer für die Temperatur des Reaktorkerns genutzt werden ((2) Sp 2 Z 16 bis Sp 3 Z 13; Sp 4 Z 12-45). Zu etwaigen Gefährdungen und Funktionsbeeinträchtigungen der Meßelemente infolge zu hoher Strombelastungen in der ersten Betriebsweise und einer daraus bedingten möglichen Alterung der Meßelemente enthält Druckschrift (2) keine Aussagen. Die beiden Betriebsweisen der Meßelemente - Alarm- und Temperatur-Meßbetrieb, entsprechend mit hohen und niederen Strömen - sind gemäß der für den Betrieb von Kernkraftwerken geltenden Sicherheitsüberlegungen so gewollt. Den allfälligen - wenn auch in (2) nicht angesprochenen - Alterungsproblemen der Meßelemente wird der Fachmann naheliegenderweise dadurch begegnen, daß er Meßelemente bei den regelmäßig vorzunehmenden SicherheitsÜberprüfungen vorbeugend austauscht. Eine Anregung dahingehend, daß Alterungsvorgänge vermieden oder zumindest verzögert und dadurch Meßverfahren verbessert werden könnten, indem die Widerstandselemente abwechselnd einmal als Meßelement und das andere Mal als Referenzelement betrieben würden, kann das aus (2) bekannte Verfahren dem Fachmann jedoch nicht vermitteln. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil in beiden der in (2) beschriebenen Betriebsweisen die Widerstandselemente jeweils ausschließlich als Meßelemente betrieben werden und nicht als Referenzelemente.

Die aus (1) und (2) als bekannt entnehmbaren Verfahren können somit weder für sich genommen noch in ihrer Zusammenschau dem Fachmann einen Hinweis geben auf die mit dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 beanspruchte Maßnahme, nämlich daß jedes der beiden Widerstandselemente (Meß- und Referenzelement) abwechselnd einmal als Meßelement und das andere Mal als Referenzelement betrieben wird. Selbst unter Berücksichtigung weiterer, hier druckschriftlich nicht ausdrücklich belegter, aber dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnender Kenntnisse, wie z.B. anderweitiger Maßnahmen zur Minderung einer Funktionsbeeinträchtigung durch Vermeiden einer übermäßigen Belastung mit hohen Strömen, ist keine Veranlassung für die genannte Maßnahme in der beanspruchten Merkmalsausprägung ersichtlich.

4. Der Patentanspruch 2 betrifft eine über das Selbstverständliche hinausgehende Ausgestaltung des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, und der Patentanspruch 3 ist auf die Verwendung des Verfahrens nach Patentanspruch 1 zur Ölstandsmessung in Kraftfahrzeugen gerichtet. Die Patentansprüche 2 und 3 sind daher ebenfalls gewährbar.

5. Die Anmeldung genügt den Anforderungen des § 34 PatG.

Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Dr. van Raden Be






BPatG:
Beschluss v. 24.07.2002
Az: 20 W (pat) 53/00


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