Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 2. Dezember 2002
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VII 242/02

(OLG Hamm: Beschluss v. 02.12.2002, Az.: 2 (s) Sbd. VII 242/02)

Tenor

Rechtsanwalt P. wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 2.010,-- EURO eine Pauschvergütung von 4.300 EURO (in Worten: viertausenddreihundert EURO) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein umfangreiches Wirtschaftsstrafverfahren, das im Jahr 2002 beim Landgericht Essen anhängig gewesen ist.

Der Antragsteller ist erstmals am 6. Februar 2001 für den ehemaligen Angeklagten tätig geworden. Er war zu der Zeit aber noch Unterbevollmächtigter der damaligen Wahlverteidiger des ehemaligen Angeklagten. Ab 20. Dezember 2001 ist er dann selbst als Wahlverteidiger für den ehemaligen Angeklagten, der inhaftiert war, tätig geworden. Als Pflichtverteidiger ist der Antragsteller am 7. Mai 2002 beigeordnet worden.

In seiner Eigenschaft als Verteidiger des ehemaligen Angeklagten hat der Antragsteller, dessen Kanzlei ihren Sitz in X hat, für diesen mehrere Schreiben und Anträge verfasst, Einsicht in die 17 Bände Akten mit rund 8.000 Seiten genommen, den Mandanten in der Zeit vom 7. Januar 2002 bis zum 4. Juni 2002 insgesamt mehrfach in der Justizvollzugsanstalt Bochum besucht, an einem Haftprüfungstermin am 26. März 2002 teilgenommen sowie an einem Erörterungstermin mit dem Vorsitzenden.

Die Hauptverhandlung hat an insgesamt 9 Tagen beim Landgericht Essen stattgefunden. Die durchschnittliche Hauptverhandlungsdauer hat 3 Stunden und 52 Minuten betragen. Von den Hauptverhandlungsterminen haben einer mehr als 7 Stunden, zwei mehr als 5 Stunden, vier mehr als 3 Stunden, einer mehr als 2 Stunden und einer nur 57 Minuten gedauert. Das Urteil der Strafkammer ist unmittelbar nach Verkündung rechtskräftig geworden.

Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers betragen 2.010 EURO. Der Antragsteller hat beantragt, ihm eine Pauschvergütung von 18.525 EURO zu bewilligen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dahin geäußert, dass er die Bewilligung einer Pauschvergütung für gerechtfertigt hält, der vom Antragsteller geltend gemachte Betrag jedoch übersetzt sei.

II. Dem Antragsteller war nach § 99 Abs. 1 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in einem sowohl "besonders schwierigen" als auch in einem "besonders umfangreichen" Strafverfahren tätig geworden sind.

1. Die "besondere Schwierigkeit" hat der Vorsitzende der Strafkammer in seiner Stellungnahme bejaht. Dem schließt sich der Senat ebenso wie der Vertreter der Staatskasse an.

2. Das Verfahren war auch besonders umfangreich im Sinne von § 99 Abs. 1 BRAGO. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine ist mit rund 4 Stunden für ein Wirtschaftstrafverfahren zumindest durchschnittlich, wenn nicht schon leicht überdurchschnittlich. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die übrigen vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten, die einen nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordert haben. So musste der Antragsteller Einsicht in die umfangreichen Akten nehmen und hat neben den Hauptverhandlungsterminen zahlreiche weitere Termine für den ehemaligen Angeklagten wahrgenommen.

Allerdings konnten insoweit nur die Termine berücksichtigt werden, die der Antragsteller in seiner Eigenschaft als Wahl- bzw. Pflichtverteidiger wahrgenommen hat. Der in seiner Eigenschaft als Unterbevollmächtigter der früheren Wahlverteidiger erbrachte Zeitaufwand konnte bei der Bewilligung der Pauschvergütung keine Berücksichtigung finden. Die damaligen Wahlverteidiger des ehemaligen Angeklagten haben selbst keine Ansprüche gegen die Landeskasse. Auch der durch die Begleitung des ehemaligen Angeklagten in der Eigenschaft als Zeugenbeistand des ehemaligen Angeklagten entstandene Zeitaufwand ist im vorliegenden Verfahren ohne Belang.

Bei der nach allem somit zu bewilligenden Pauschvergütung hat der Senat bei deren Bemessung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Dabei war einerseits zu berücksichtigen, dass die Hauptverhandlungstermine für den Antragsteller für ein Verfahren vor der Strafkammer nur leicht überdurchschnittlich lang gedauert haben und die Termine auch verhältnismäßig locker terminiert waren. Andererseits hat der Senat nicht verkannt, dass in der Regel jeder dieser Termine für die Antragsteller erhebliche Vor- und Nachbereitungszeiten erfordert hat, die der Senat entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung berücksichtigt hat (vgl. den dazu u. a. Beschluss vom 10. Juni 1998 (2 (s) 5-Sbd. 64-70/98 = AGS 1998, 142 = Rpfleger 1998, 487 = StV 1998, 616 = AnwBl. 1998, 613). Auch die Teilnahme an den übrigen Terminen sowie die Besuche des ehemaligen Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt sind berücksichtigt worden. Der Senat hat außerdem nicht übersehen, dass das Verfahren auch "besonders schwierig" gewesen ist.

Insgesamt erschien dem Senat zum angemessenen Ausgleich der vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten eine im Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühr, die rund 4.500 EURO beträgt, liegende Pauschvergütung erforderlich. Deshalb ist die Pauschvergütung in der festgesetzten Höhe von 4.300 EURO bewilligt worden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, an der er festhält, kommt eine Pauschvergütung in Höhe, etwa in Höhe oder sogar über die Wahlverteidigerhöchstgebühr hinaus grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn das Verfahren den Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum ganz oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat (vgl. insbesondere Beschluss des Senats vom in 2 (s) Sbd. 6-48/2000 = ZAP EN-Nr. 461/2000 = StV 2000, 443 (Ls.) = StraFo 2000, 285 = NStZ 2000, 555 = wistra 2000, 398 = AGS 2001, 13 sowie Senat in StraFo 1998, 215 = AGS 1998, 87 = JurBüro 1998, 413; Senat in 1998, 431 = JurBüro 1999, 134 = AGS 1999, 104; Senat in StraFo 1999, 431; ). Das ist hier zumindest teilweise der Fall.

Auch sprach - erneut - das Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers dafür, in diesem Verfahren Pauschvergütungen etwa in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr zu bewilligen. Der Senat hat bereits in der Vergangenheit (vgl. dazu den o.a. Beschluss in 2 (s) Sbd. 6-48/2000) darauf hingewiesen, dass gerade in Wirtschaftsstrafverfahren, die in der Regel eine schwierige Materie zum Gegenstand haben, die Tätigkeit des Pflichtverteidigers häufig nicht angemessen entlohnt wird, wobei dahinstehen könne, ob und wenn ja in welchem Umfang dem Pflichtverteidiger von Verfassungs wegen ein Sonderopfer auferlegt worden ist (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 4. April 2000 - 2 (s) Sbd. 6-46/2000 = wistra 2000, 319 = BRAGO-professionell. 2000, 129 = ZAP EN-Nr. 686/2000 = JurBüro 2000, 586). Nach Auffassung des Senats darf der Pflichtverteidiger in einem Wirtschaftsstrafverfahren nicht gegenüber dem in Schwurgerichtsverfahren unzumutbar benachteiligt werden, was aber bei einem Vergleich mit den dort anfallenden gesetzlichen Gebühren in der Regel der Fall ist. Diese Ungleichbehandlung, für die nicht immer ein rechtfertigender Grund besteht, lässt sich - so schon die bisherige Rechtsprechung des Senats - in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren nur durch ein großzügigeres Annähern an die "Grenze" der Wahlverteidigerhöchstgebühr korrigierend ausgleichen, jedenfalls ist dieser Umstand bei der Frage, ob die festzusetzende Pauschvergütung "angemessen" ist, mit zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere nach der so genannten "Geldwäscheentscheidung" des BGH (vgl. dazu BGHSt 47, 68). Wenn danach als Ausweg zur Vermeidung des Vorwurfs der "Geldwäsche" dem Strafverteidiger ggf. nur die Möglichkeit der Beiordnung als Pflichtverteidiger bleibt, muss dem durch eine angemessene Pauschvergütung Rechnung getragen werden. Anderenfalls wäre das Recht des Angeklagten auf eine ausreichende Verteidigung in zumutbarer Weise eingeschränkt. Das gilt vor allem dann, wenn wie vorliegend gegen den ehemaligen Angeklagten auch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben worden ist. Auch wenn das Verfahren insoweit eingestellt worden ist, bestand gerade wegen dieses Vorwurfs die besondere Gefahr des Vorwurfs der Geldwäsche gegenüber dem Verteidiger.

Der weitergehende, weit übersetzte Antrag des Antragstellers, mit dem eine Pauschvergütung in Höhe von 18.525 EURO beantragt worden ist, war hingegen abzulehnen. Der Antragsteller ist durch vorliegende Verfahren nicht derart zeitlich in Anspruch genommen worden, dass die Bewilligung einer Pauschvergütung, die die Wahlverteidigerhöchstgebühr um das Vierfache übersteigt, gerechtfertigt wäre. Dagegen spricht allein schon die nur leicht überdurchschnittliche Hauptverhandlungsdauer.






OLG Hamm:
Beschluss v. 02.12.2002
Az: 2 (s) Sbd. VII 242/02


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