Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. Juni 2005
Aktenzeichen: 21 W (pat) 1/03

(BPatG: Beschluss v. 07.06.2005, Az.: 21 W (pat) 1/03)

Tenor

Der Beschluss des Patentamts vom 12. August 2002 wird aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Patentanmeldung wurde am 21. September 1999 mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zur Zustandserkennung bei einem System zur automatischen Längs- und/oder Querregelung bei einem Kraftfahrzeug" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung ist am 26. April 2001 erfolgt.

Die Prüfungsstelle für Klasse G 01 S hat mit Beschluss vom 12. August 2002 die Anmeldung zurückgewiesen, da nicht klar erkennbar sei, was genau unter Schutz gestellt werden soll. Insbesondere sei im Anspruch 1 nicht klar, was unter den Angaben "wenigstens zwei Indikatoren" zu verstehen sei und ob diese Indikatoren zahlenmäßig messbar seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderinnen.

Die Anmelderinnen verfolgen ihre Patentanmeldung auf der Grundlage des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag vom 31. Mai 2005 mit der Maßgabe, dass in der Zeile 21 das Wort "oder" gestrichen wird, weiter.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Erkennung eines Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes eines nach dem Radarprinzip und/oder dem Lidarprinzip arbeitenden Sende- und Empfangssystems, das zur automatischen Längs- und/oder Querregelung bei einem Kraftfahrzeug eingesetzt wird, wobei die Erkennung des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustands von wenigstens zwei Indikatoren (In) abhängig ist, die aus den von dem System empfangenen und ausgesendeten Signalen gebildet werden, dadurch gekennzeichnet,

- daß die wenigstens zwei Indikatoren (In) mit Wichtungsfaktoren (an) gewichtet werden - und daß die gewichteten Indikatoren zu einer einzigen Wahrscheinlichkeit (V) verknüpft werden, deren Wert eine Aussage bezüglich des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustands (P) des Systems macht."

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Zustandserkennung bei einem System zur automatischen Längs- und/oder Querregelung bei einem Kraftfahrzeug anzugeben, das eine Verschmutzung und/oder Blindheit eines Sensors zuverlässig, schnell, kostengünstig und möglichst ohne zusätzliche Hardwarekomponenten bestimmt (Beschreibung S 2 le Abs vom 4. März 2002 iVm am Anmeldetag eingereichter Beschreibungsseite 3 Abs 1).

Neben der in der ursprünglichen Beschreibung angegebenen Druckschrift

(D1) DE 196 44 164 A1 sind im Prüfungsverfahren bisher folgende Entgegenhaltungen in Betracht gezogen worden:

(D2) US 5 945 942

(D3) US 5 841 393

(D4) GB 2 221 115 A.

Zur Begründung der Beschwerde führt der Vertreter der Anmelderinnen aus, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei patentfähig. Insbesondere sei das beanspruchte Verfahren gegenüber dem Stand der Technik neu und werde dem Fachmann auch nicht nahegelegt.

Der Vertreter der Anmelderinnen beantragt, den Beschluss vom 12. August 2002 aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Bearbeitung an das Patentamt auf der Basis des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag vom 31. Mai 2005 mit der Maßgabe, dass in Zeile 21 das Wort "oder" gestrichen wird, zurückzuverweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 73 Abs 1, Abs 2 PatG. Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Patentamt führt; § 79 Abs 3 Satz 1 Nr 1 PatG.

1. Der Patentanspruch 1 ist zulässig, denn er ist in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen - dort im Anspruch 1 iVm Beschreibung S 2 Z 34 bis S 3 Z 4 - offenbart.

2. Der Anspruch 1 lässt auch klar erkennen, was unter Schutz gestellt werden soll; § 34 Abs 3 Nr 3 PatG. Denn der Begriff "Indikatoren" ist in der Beschreibung definiert (am Anmeldetag eingereichte Unterlagen, S 13, Z 1 bis S 17 Z 21); vgl Schulte PatG, 7. Aufl § 34 Rdn 124 mwH. Beispielsweise ist auf S 13 Z 1 ff als erster möglicher Indikator die mittlere Winkelgüte aller von dem Sende- und Empfangssystem detektierten Objekte angegeben, und es ist beschrieben, dass dieser Indikator aus dem Quotienten von realem Objektwinkel und der Differenz aus realem und gemessenem Objektwinkel bestimmt wird. Es folgen gleichermaßen ausführliche Darstellungen weiterer in Frage kommender Indikatoren, nämlich Objektstabilität, die die Rate von Detektionsausfällen des für die Fahrzeuglängsregelung ausgewählten Ziel- bzw Regelobjektes repräsentiert, mittlere Leistung aller vom System empfangenen Signale, Summe aller vom System während einer Messung detektierten Objekte, Verknüpfung von Abstand und Amplitude des am weitesten entfernt detektierten Objekts, und vom System detektierte Straßenreflexionen. Entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle im Zurückweisungsbeschluss verdeutlichen diese konkreten Angaben den physikalischtechnischen Sachverhalt, den die Indikatoren umschreiben sollen. Da dort außerdem davon die Rede ist, die Indikatoren jeweils auf einen Wertebereich zwischen 0 und 1 zu normieren, steht auch fest, dass die Indikatoren zahlenmäßig messbar sind und somit mit Wichtungsfaktoren versehen werden können, wie im Anspruch 1 angegeben.

3. Gegenüber dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

a. Mit Gliederungspunkten versehen lautet der geltende Anspruch 1:

a) Verfahren zur Erkennung eines Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes eines nach dem Radarprinzip und/oder dem Lidarprinzip arbeitenden Sende- und Empfangssystems, das zur automatischen Längs- und/oder Querregelung bei einem Kraftfahrzeug eingesetzt wird, b) wobei die Erkennung des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustands von wenigstens zwei Indikatoren (In) abhängig ist, die aus den von dem System empfangenen und ausgesendeten Signalen gebildet werden, dadurch gekennzeichnet, dassc) dass die wenigstens zwei Indikatoren (In) mit Wichtungsfaktoren (an) gewichtet werden undd) dass die gewichteten Indikatoren zu einer einzigen Wahrscheinlichkeit (V) verknüpft werden, deren Wert eine Aussage bezüglich des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes (P) des Systems macht.

b. Als zuständiger Fachmann ist hier ein in der Entwicklung von automatischen Fahrregelungssystemen für Kraftfahrzeuge tätiger Diplom-Ingenieur anzusehen.

c. Das beanspruchte Verfahren ist neu, denn in dem bisher nachgewiesenen Stand der Technik fehlt es allein schon daran, dass die Erkennung des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustands von wenigstens zwei Indikatoren abhängig ist, die aus den von dem System empfangenen und ausgesendeten Signalen gebildet werden. Im Einzelnen ergib sich dies auch aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

d. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht gegenüber den bisher in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen D1 bis D4 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die D1, die dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommt, konnte dem zuständigen Fachmann hinsichtlich der Lösung der dem Patent zugrundeliegenden Aufgabe keine Anregung zu einer Lehre vermitteln, wie sie im Anspruch 1 angegeben ist.

Bei dem in D1 beschriebenen Stand der Technik handelt es sich um ein Kraftfahrzeug-Radarsystem, wie es beispielsweise im Rahmen einer automatischen Geschwindigkeitsregelung eines Fahrzeuges eingesetzt wird (Sp 1 Zn 5 bis 10). Es ist beschrieben (Zusammenfassung und Figur 1 iVm Sp 3 Zn 31 bis 45 und Sp 2 Zn 36 bis 46), dass zum Detektieren von Schmutz und Belägen aus Eis, Schnee oder Feuchtigkeit, die sich auf einem das Gehäuse des Kraftfahrzeug-Radarsystems in Richtung des Radarstrahls abschließenden dielektrischen Körper ablagern, dieser dielektrische Körper beheizt und die Dämpfung eines möglicherweise vorhandenen Belages gemessen wird. Dazu werden sowohl der elektrische Widerstand als auch die Kapazität zwischen zwei getrennten Anteilen der zum Beheizen des dielektrischen Körpers vorgesehenen leitfähigen Anordnung gemessen und daraus der Verlustwinkel berechnet. Dies bedeutet zwar nichts anderes, als dass sich aus der D1 ein Verfahren zur Erkennung eines Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes eines nach dem Radarprinzip arbeitenden Sende- und Empfangssystems erschließt, wie es im Gliederungspunkt a) des Anspruchs 1 angegeben ist. Die Erkennung des Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes erfolgt dort aber ausschließlich aus der Dämpfung des dielektrischen Körpers. Von der Erkennung aus den von dem System empfangenen und ausgesendeten Signalen ist dort nirgends die Rede. Somit kann die D1 allein schon keine Anregung in Richtung des Merkmals b) des Anspruchs 1 geben. In Verbindung damit ergibt sich erst recht kein Anstoß zu den unter c) und d) angegebenen Verfahrensschritten.

Auch die anderen Entgegenhaltungen D2 bis D4 können keinen Anstoß in Richtung des Verfahrens nach Anspruch 1 geben.

So beschreibt die D2 einen Selbsttest für das Sende- und Empfangssystem eines Radars für Kraftfahrzeuge (Titel, Zusammenfassung, Sp 1 Z 6 bis Sp 2 Z 14 und Figuren 1 bis 3 iVm Sp 2 Z 30 bis Sp 3 Z 17 und Sp 4 Z 62 bis Sp 5 Z 12), bei dem sich im Strahlungsfeld ein Wandler ("transducer 1") befindet, der einen Teil der ausgesendeten Mikrowellenstrahlung zu einem Empfänger zurück sendet, so dass dort ein Testsignal als ein einzelner Indikator erzeugt werden kann.

In der D3 geht es um die Erfassung der Fehlfunktion eines Kraftfahrzeug-Radars (Titel, Abstract, Figuren 4 bis 9 und 11 bis 17 iVm zugehöriger Beschreibung sowie Ansprüche 1, 2 und 9 bis 12), bei dem das von einem Oszillator erzeugte Signal moduliert wird, um daraus einen Indikator für die Erfassung eines Fehlerzustandes des Systems zu gewinnen.

Schließlich betrifft die D4 ein nach dem Lidarprinzip im Infrarot-Bereich arbeitendes Hinderniserkennungssystem für ein Fahrzeug, bei dem aus der von einem Gegenstand reflektierten Infrarotstrahlung ebenfalls ein Indikator für eine Fehlfunktion des Sende- und Empfangssystems gewonnen wird (Abstract, Figuren 1 bis 3 iVm zugehöriger Beschreibung und Anspruch 9).

Weitere Angaben und Hinweise in Richtung auf ein Verfahren zur Erkennung eines Verschmutzungs- und/oder Blindheitszustandes iVm wenigstens zwei Indikatoren sind in diesem Stand der Technik nicht zu finden. Insofern kann weder von den einzelnen Entgegenhaltungen noch von deren Kombination eine Anregung zu dem Verfahren gemäß Anspruch 1 ausgehen.

Somit lässt sich mit dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik die Zurückweisung der Anmeldung nicht begründen.

4. Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit dem geltenden Anspruch 1 zur weiteren Prüfung an das Patentamt zurückzuverweisen, da die Patentfähigkeit des neuen Anspruchs 1 noch nicht ausreichend geprüft worden ist. § 79 Abs 3 Satz 1 Nr 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Gründe, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, beseitigt werden und eine neue Sachprüfung erforderlich ist. Danach kann die Anmeldung an das Patentamt zurückverwiesen werden, wenn die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl Busse PatG, 6. Aufl § 79 Rdn 64 und 65; Schulte PatG, 7. Aufl § 79 Rdn 19 bis 21 - jeweils mwH). Dies ist vorliegend der Fall. Während sich nämlich die bisherige Prüfung der Anmeldung nur auf die zwischenzeitlich ausgeräumte mangelnde Klarheit des Schutzbegehrens bezog und die Recherche insoweit lediglich als vorläufig anzusehen ist, ist nicht auszuschließen, dass bei einer somit erforderlichen Nachrecherche bezüglich der Merkmale des geltenden Anspruchs 1 noch entscheidungserheblicher Stand der Technik ermittelt wird.

5. Angesichts der Notwendigkeit einer weiteren Prüfung auf Patentfähigkeit hat der Senat von einer Prüfung des nebengeordneten Anspruchs 15 und der Unteransprüche sowie einer Überarbeitung der übrigen Unterlagen abgesehen.

Dr. Winterfeldt Engels Dr. Maksymiw Dr. Morawek Pü






BPatG:
Beschluss v. 07.06.2005
Az: 21 W (pat) 1/03


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