Sozialgericht Berlin:
Beschluss vom 6. März 2009
Aktenzeichen: S 164 SF 118/09 E

(SG Berlin: Beschluss v. 06.03.2009, Az.: S 164 SF 118/09 E)

Die Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses löst regelmäßig keine Erledigungsgebühr aus, sondern wird durch die "fiktive" Terminsgebühr nach VV-RVG Nr 3106 abgegolten.

Tenor

Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss desUrkundsbeamten vom 23.03.2006 (S 20 RJ €.) wirdzurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Zu Recht hat der Urkundsbeamte die Festsetzung der Erledigungsgebühr nach Nr. 1006, 1002 VV RVG abgelehnt. Nach der Vorschrift entsteht die Gebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.

Dabei reicht nach übereinstimmender Ansicht die Annahme eines €vollen€ Anerkenntnisses regelmäßig nicht aus, wenn der Rechtsanwalt nicht kausal an der Abgabe des Anerkenntnisses in einem über die normale Verfahrensführung hinausgehenden Umfang mitgewirkt hat.

Eine zusätzliche Erfolgsgebühr, wie in Nr. 1002 VV RVG vorgesehen, rechtfertigt sich nur dann, wenn über die mit der ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs verbundene Tätigkeit hinaus eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet wird, die - wie mit ihr beabsichtigt - zur gütlichen Erledigung des Rechtsstreits führt. Dies ist vor allem in den Fällen denkbar, in denen der Kläger zunächst ein weitergehendes Ziel verfolgt hat, das er nach teilweiser Abhilfe durch die Verwaltung auf Anraten seines Anwalts fallen lässt. In diesen Fällen kommt die Streitbeendigung dem Abschluss eines Vergleichs nahe. Die Vorschrift will nur den Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens in den Fällen Rechnung tragen, in denen eine Streitbeilegung nur der Form nach, nicht aber auch nach ihrem Inhalt, in anderer Weise als durch Vergleich erfolgt. Das besonders vergütete Bemühen des Anwalts muss dem eines Vergleichsabschlusses entsprechen.

4Vorliegend wurde ein €volles€ Anerkenntnis der Beklagten angenommen. Diese Tätigkeit ist vollumfänglich mit der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG abgegolten. Es ist für das Gericht in keiner Weise erkennbar, worin das besondere Bemühen um eine unstreitige Verfahrenserledigung der klägerischen Bevollmächtigten, das über die mit der Verfahrensgebühr abgedeckte normale Verfahrensführung hinausgeht, bestanden haben soll. Auch kann das Gericht eine Kausalität zwischen dem abgegebenen Anerkenntnis und der anwaltlichen Tätigkeit nicht erkennen.

Um den Begriff der "Erledigung" auszufüllen, verweisen die Nrn. 1006, 1005 VV RVG auf Nr. 1002 VV RVG. Die Erläuterung zu Nr. 1002 VV RVG bestimmt in Satz 1, dass die Gebühr entsteht, wenn sich "eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt". Das Gleiche gilt nach Satz 2, "wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt". Nach Satz 1 muss mithin ein Verwaltungsakt mit einem Rechtsbehelf angefochten worden sein, der zu seiner Aufhebung oder Änderung führt; in der Folge ("nach"), dh nach Tätigwerden sowohl der Behörde als auch des Anwalts, muss sich die Rechtssache dann erledigen. Die bloße Rücknahme eines eingelegten Rechtsbehelfs kann damit ebenso wenig für die Erfüllung des Tatbestands ausreichen wie umgekehrt die umgehende vollständige Abhilfe der Behörde ohne besondere anwaltliche Aktivität. Die anwaltliche Mitwirkung muss vielmehr gerade kausal für die Erledigung der Rechtssache gewesen sein (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 2 O 223/05, juris RdNr 5; FG des Saarlandes, Beschluss vom 14. November 2005 - 2 S 335/05, juris RdNr 15 ). Bereits das Wort "Mitwirkung" bedeutet nach dem Sprachgebrauch in diesem Zusammenhang mehr als die bloße "Anwesenheit", "Einschaltung" oder "Hinzuziehung" eines Rechtsanwalts (ähnlich: Hartmann, Kostengesetze, 1002 VV RVG RdNr. 11) und erfordert deshalb ein auf die Erledigung der Rechtssache gerichtetes Tätigwerden, das über die reine Klageeinreichung und -begründung hinausgeht. Nur in diese Auslegung fügt sich auch der Wortlaut der inhaltlich neuen Erläuterung zu Nr. 1002 (Satz 2) VV RVG ein, die den unter Geltung der BRAGO noch nicht ausdrücklich geregelten Fall betrifft, dass sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt (Verpflichtungswiderspruch). Die Worte "Das Gleiche gilt" stellen klar, dass es für das Entstehen einer Erledigungsgebühr sowohl in einer Anfechtungssituation als auch bei einem Verpflichtungsrechtsbehelf auf die auf Erledigung gerichtete Mitwirkung des Anwalts ankommt. Nichts anderes kann für eine Verwaltungsentscheidung gelten, die einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) vorgelagert ist.

Die Regelungssystematik des VV RVG bestätigt das Erfordernis einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des Rechtsanwalts. Die Erledigungsgebühr der Nr. 1002 VV RVG befindet sich nämlich als dritter geregelter Fall der "allgemeinen Gebühren", die neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren stehen, in einem engen Regelungszusammenhang mit der Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV RVG) und der Aussöhnungsgebühr (Nr. 1001 VV RVG). Die Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung des Anwalts beim Abschluss eines (streitbeendenden) Vergleichsvertrages (vgl. dazu z. B. BAG, Beschluss vom 29. März 2006 - 3 AZB 69/05, NJW 2006, 1997), die Aussöhnungsgebühr dann, wenn die anwaltliche Tätigkeit dazu geführt hat, dass sich scheidungswillige Eheleute aussöhnen und die eheliche Lebensgemeinschaft fortsetzen oder wieder aufnehmen. Auch in diesen anderen Fällen ist der Rechtsanwalt in einer Weise tätig geworden, die über die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw. rechtlicher Interessen für seinen Mandanten hinausgeht und damit eine Entstehung neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren rechtfertigt. Für die Auslegung der Nr. 1002 VV RVG und damit insoweit auch der Nr. 1005 VV RVG hat dann Gleiches zu gelten.

Die Kostenentscheidung für das Erinnerungsverfahren beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hält eine gesonderte Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren für erforderlich, da das Erinnerungsverfahren im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit i.S.d § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) darstellt (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. September 2005 - L 2 B 40/04, AnwBl 2006, 146; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 - L 6 B 221/06 SB, jeweils für das Beschwerdeverfahren; vgl. zur Verfahrensgebühr für sozialgerichtliche Verfahren über die Beschwerde und die Erinnerung, wenn in dem Verfahren Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen: Nr. 3501 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG; überdies Rohwer-Kahlmann, SGG, 4. Auflage, 42. Lieferung 2004, § 197 RdNr. 18; Schneider, KostRsp., Nr. 1 § 18 Nr. 5 RVG, Lieferung 264, Februar 2007; Schneider/Wolf, RVG, 3. Auflage 2006, § 16 RdNr. 108 ff.).

Die Kammer folgt ausdrücklich nicht dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg (VG Regensburg, 11. Kammer, Beschluss vom 01.07.2005, Az.: RN 11 S 03.2905), wonach nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, eine besondere Angelegenheit nach § 18 Nr. 5 RVG darstellen sollen. Das SGG kennt den Rechtspfleger nicht. Aus dem Gebührentatbestand Nr. 3501 VV RVG ergibt sich eindeutig, dass eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, umfasst ist. Dass der Gesetzgeber in § 18 Nr. 5 RVG vom €Rechtspfleger€ spricht, darf als glattes (redaktionelles) Versehen des Gesetzgebers gewertet werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 18.06.2007 (Az.: 4 KSt 1002/07) und am 21.06.2007 (Az.: 4 KSt 1001/07) entschieden, dass § 18 Nr. 5 RVG auch Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Verwaltungsgerichtsbarkeit umfasst (entgegen VG Regensburg, a. a. O.).

Dieser Beschluss ist, auch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung, unanfechtbar (§ 197 S. 2 SGG).






SG Berlin:
Beschluss v. 06.03.2009
Az: S 164 SF 118/09 E


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