Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 4. Mai 2005
Aktenzeichen: 24 K 5017/01

(VG Köln: Urteil v. 04.05.2005, Az.: 24 K 5017/01)

Tenor

Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukteüber die arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht von €O. Pulver" wirdaufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Handelsgesellschaft österreichischen Rechts, stellt unter an- derem ein Produkt mit dem Namen „O. -Pulver" her. Dieses besteht aus Mager- milchpulver, Zucker, Molkeprotein und anderen Bestandteilen und wurde in Deutsch- land in Packungen mit 500 g Inhalt vertrieben. Die im Jahre 2000 verwendete Verpa- ckung trug unter anderem den Aufdruck „Tagesration für eine gewichtskontrollieren- de Ernährung". Nach einem aufgedruckten „Gebrauchshinweis" sollten dreimal täg- lich drei Esslöffel (75 g) mit 300 ml Wasser im Mixer oder Shaker zubereitet und statt der normalen Mahlzeiten getrunken werden. Für den „optimalen Erfolg" sollte auf ausreichende tägliche, möglichst kalorienfreie Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. O. enthalte alle für die tägliche Ernährung erforderlichen Nährstoffe. Bei Langzeit- anwendung wurde ärztliche Beratung empfohlen. Ein weiterer Packungsaufdruck lautete:

„O. ist eine leckere und schmackhafte Form der schnelle Gewichtsreduktion. O. enthält unter anderem L-Carnitin und Fructoollgosaccharide als wertvolle In- haltsstoffe. Mit O. können Sie sowohl einzelne Mahlzeiten ersetzen oder sich auch komplett damit ernähren. O. dient auch im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung als Mahlzeitenersatz, damit Sie erfolgreich abnehmen und trotzdem alle wichtigen Vitamine und Mineral- stoffe zu sich nehmen ..."

Außerdem enthielt der Packungsaufdruck eine Tabelle der Inhaltsstoffe mit ei- nem Hinweis auf die Diät-VO.

Ausgehend vom Großhandelspreis errechnete die Beklagte den Preis einer Ta- gesration mit 29,31 DM.

Ferner stellte die Klägerin ein Produkt mit der Bezeichnung „O. -Caps" her. Dieses wurde ebenfalls als Schlankheitsmittel vertrieben.

Beide Produkte wurden Ende 2000 mit ganzseitigen Anzeigen in verschiedenen deutschen Publikumszeitschriften beworben. Hierin hieß es unter anderem:

„ Der neue Super-Fettlöser O. : Fett weg in Rekordzeit! Achtung festhalten: Jetzt kommt der neue Superstoff zum Schnellabnehmen - O. (Apotheke)... Mehr als sieben Jahre wurde an dem neuen Mittel geforscht. Dann die sensationel- len Studien an renommierten US-Universitäten: Dreimal täglich O. - Schlankmolekül einnehmen - und der Organismus baut das Körperfett im Nu in E- nergie um: Man wird schlanker, positiv und energiegeladen ... O. strafft den gan- zen Körper, regt die Verdauung an, pumpt überflüssiges Wasser aus dem Gewebe und bindet Körperschlacken - sogar wenn man auf dem Sofa liegt ... Die Pfunde ver- schwinden, nicht nur für ein paar Wochen. Weil O. das lästige Fett an Bauch, Po und Hüften löst und vom Körper verbrennen lässt: Selbst Jahre altes Körperfett wird so aufgelöst, abgebaut und ausgeschieden ... Wie schnell geht das€ Hängt davon ab, wie intensiv Sie die O. -Schlankmoleküle einnehmen: Eine Haufrau (34) aus München schaffte bis zu 11 Pfund in 9 Tagen! Ohne Hunger, ohne Kopfschmerzen, ohne schlechte Laune. Für gemächliches Abnehmen nehmen Sie O. einmal täg- lich, für schnellsten Fettweg-Erfolg dreimal täglich ... Dabei ist O. kein Wunder- mittel, auch kein Medikament: Es bringt Ihren trägen Stoffwechsel schnell auf Touren - aber durch die besondere und einmalige Zusammensetzung wirkt O. so nach- haltig, dass überflüssiges Fett buchstäblich zerfließt - je regelmäßiger Sie O. ein- nehmen. ... - O. transportiert Schlacken ab: die Haut wird reiner, zarter, glatter. - O. stoppt das Fettzellenwachstum - Cellulite wird deutlich weniger - Die Brüste werden fester und knackiger - Reithosen an den Seiten der Oberschenkeln, von jeder Frau gefürchtet, werden aufgelöst und durch leichte Muskelfasern ersetzt."

Auf der insoweit inzwischen eingestellten internet-Seite www. .com hieß es u.a.:

„Neu: der Patentierte Diät-Knaller Brandneuer Fettstopper Frißt das Fett weg! Achtung festhalten: O. ist ein völlig neuartiges Schlanksystem aus den USA mit bisher unerreichter Wirkung. Denn O. enthält siebenmal mehr Schlankstoffe als herkömmliche Schlankheits- und Diätmittel. Daher ist O. zum Schnellabnehmen ideal geeignet. (als Drink oder als Kapsel) O. ist der Schlankmacher Nr. 1. Zum ersten Mal gibt es jetzt ein Produkt, das Fett schnell und zuverlässig abbaut. Selbst alte Fettschlacken, die bisher einfach nicht wegzukriegen waren, verschwin- den mit O. . O. wurde nach seinem Entdecker benannt, Dr. O. . Wir haben ihn zu seinem neuen Produkt befragt: Was ist O. € O. enthält die neuesten Schlankstoffe in einer besonderen und aufwendigen Kombination. Diese Schlankstoffe sind bei den Indios seit Jahrhunderten bewährt. Ich habe sie aus kultivierten Indiopflanzen extrahiert, zu Pulver vermahlen und mit über 30 Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen höchster biologischer Wer- tigkeit angereichert. Das ergab eine Speckkiller-Bombe, wie sie noch nie da war! Wie funktioniert O. € Es löst vorhandenes Fett auf und verhindert, daß sich neues Fett anlagert - zusätz- lich aufgenommenes Fett vom Mittag- oder Abendessen wird schon durch einmal O. wieder neutralisiert. Denn O. verbindet sich sowohl mit dem alten Körper- speck wie auch mit neuem Fett aus der Nahrung zu kleinen Molekülen, die der Kör- per dann ausscheidet. Man sieht das sofort an einem verbesserten Suhlgang. Wie geht das genau€ Ballaststoffe lassen Wasser verschwinden, indem sie es aufsaugen. So macht es O. mit dem Fett: Es saugt das Körperfett an, löst es aus der Nahrung, von Bauch, Po oder Bein. Fett und O. werden dann gemeinsam ausgeschieden. ... Schon 1x täglich O. läßt Hunger und Pfunde garantiert verschwinden! Der Erfolg ist in Rekordzeit sichtbar. O. gibt es auch als Kapsel und ergänzt sich prima mit dem Pulver! ... Wie lange kann man O. einnehmen€ O. Trink-Kur ist keine Arznei, sondern ein rein natürliches diätisches Lebensmittel (14a), das kurmäßig auch langfristig eingenommen werden kann."

In vergleichbarer Weise wurde für das Produkt „O. -Caps" geworben.

Am 26. Oktober 2000 äußerte die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg gegenüber der Beklagten die Auffassung, dass es sich bei dem Produkt „O. „ um ein Arzneimittel handele und bat um Entscheidung gemäß § 21 Abs. 4 AMG. Die Beklagte erwiderte hierauf mit undatiertem Schreiben. Sie kam zu dem Schluss, dass „O. „, obwohl es seiner Zusammensetzung nach den Voraussetzungen des § 14 a DiätV entspreche, vom Verbraucher nicht zur Ernährung oder zum Genuss erworben werde, sondern um die Beschaffenheit des menschlichen Körpers zu verändern. Das Präparat werde daher als zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel eingestuft. Zur Begründung verwies die Beklagte außerdem darauf, dass sich in der Werbung kein Hinweis darauf finde, dass es sich um ein Lebensmittel für eine kalorienarme Ernährung handele, das an Stelle einer Mahlzeit eingenommen werden solle. Die Verbrauchererwartung werde vielmehr auf einen neuen Wirkstoff gelenkt, dessen „turboschnelle" Wirkung durch „sensationelle Studien an renommierten US-Universitäten" bestätigt sei. In einem Schreiben vom 5. Dezember 2000 an die Rechtsanwälte des Verbandes Sozialer Wettbewerb e.V. / Berlin wiederholte die Beklagte diese Einschätzung.

Daraufhin erwirkte der genannte Verband nach erfolgloser Abmahnung gegen eine in Deutschland ansässige Vertriebsgesellschaft vor dem LG Saarbrücken eine auf § 1 UWG und § 3 a HWG gestützte einstweilige Verfügung vom 8. Dezember 2000. Hierin wurde der Vertriebsgesellschaft untersagt, im geschäftlichen Verkehr das Mittel „O. -Pulver" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben. Diese einstweilige Verfügung wurde durch Urteil des LG Saarbrücken vom 7. Februar 2001 - 7I O 189/00 - und durch Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2001 - 1 U 171/01 - bestätigt. Das Oberlandesgericht führte in den Entscheidungsgründen unter anderem aus, dass für die Frage, ob „O. -Pulver" ein zulassungspflichtiges Arzneimittel darstelle, nicht auf die Zweckbestimmung des Produkts abgestellt zu werden brauche, weil auf Grund der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgenommenen Einstufung gemäß § 21 Abs. 4 AMG rechtsverbindlich feststehe, dass es sich bei „O. -Pulver" um ein Arzneimittel handele.

Die auf Unterlassung der Werbung und des Vertriebs gerichtete Klage wies das LG Saarbrücken mit Urteil vom 10. Juli 2002 -7I O 24/01 - ab. In den Entscheidungsgründen vertrat das Gericht u.a. die Auffassung, das Produkt „O. - Pulver" stelle kein Arzneimittel dar. Seine Aufmachung sei nicht arzneimitteltypisch. Die Hinweise auf der Verpackung ließen nicht das Erscheinungsbild eines Arzneimittels entstehen. Für die Einordnung als Arzneimittel sprächen zwar die Werbeaussagen. Diese prägten das Erscheinungsbild des Produkts aber nicht in einer Weise, dass es nach der Verkehrsauffassung als Arzneimittel angesehen werde. Eine pharmakologische Wirkung sei nicht erkennbar. Die hiergegen gerichtete Berufung des klagenden Vereins wies das Saarländische OLG mit Urteil vom 26. Februar 2003 - 1 U 486/02 - als unbegründet zurück und folgte im Wesentlichen den Erwägungen des Landgerichts.

Die Klägerin hat am 10. Juli 2001 die vorliegende Klage erhoben, mit welcher sie die Aufhebung der Einstufung des Produkts „O. -Pulver" als Arzneimittel begehrt.

Zur Begründung führt sie aus: Es stehe fest und werde von der Beklagten auch nicht bestritten, dass „O. Pulver" seiner Zusammensetzung nach den Bestimmun- gen von § 14 DiätV entspreche und damit ein Lebensmittel sei. In diesem Zusammenhang verweist die Klägerin auf ein Schreiben des Chemischen und Lebensmitteluntersuchungsamtes der Stadt Aachen vom 25. Oktober 2000, dass diese Feststellung bestätigte. Ein Lebensmittel könne nicht zugleich Arzneimittel sein. Entscheidend sei, dass sich auf dem Dosenetikett der Hinweis finde, dass es sich bei dem Produkt um eine „Tagesration für gewichtskontrollierende Ernährung" handele. Auch sei der Vertrieb über Apotheken kein sicheres Indiz für die Arzneimitteleigenschaft des Produkts. Nahrungsergänzungsmittel zählten vielmehr zu den apothekentypischen Waren. Allein Werbeaussagen machten demgegenüber aus einem Lebensmittel kein Arzneimittel im Sinne eines sog. „Präsentationsarzneimittels". In dieser Auffassung sieht sich die Klägerin durch die Rechtsprechung des des EuGH, des BGH und mehrerer Oberlandesgerichte sowie durch § 17 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 lit. c LMBG bestätigt. Diese Bestimmung, die für Le- bensmittel ein Werbungs- und Verkehrsverbot aufstelle, wenn ihnen durch die Werbung der Anschein von Arzneimitteln gegeben werde, wäre ihrer Ansicht nach nie einschlägig und überflüssig, wenn ein Arzneimittel allein durch die Werbung entstehen könnte. Zudem widerspreche es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, rechtswidrige Werbeaussagen mit einem Vertriebsverbot zu beantworten, da das Verbot der Werbeaussagen eindeutig das mildere und auch ausreichende Mittel sei. Außerdem greife die Entscheidung der Beklagten in rechtswidriger Weise in die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 EGV ein und widerspreche § 47 a LMBG, da das Produkt in Österreich rechtmäßig hergestellt und vertrieben werde.

Schlankheitsmittel dienten weder der Heilung oder Verhütung von Krankheiten, noch seien sie dazu bestimmt, im Körper die physiologischen Funktionen zu beeinflussen. Sie dienten der Fettreduzierung; eine andere Bestimmung sei weder gewollt noch könne ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher eine solche Bestimmung ersehen. Auch für sich genommen zielten die Werbeaussagen für „O. -Pulver" auf eine Fettreduzierung ab. Eine Heilung oder Verhütung von Krankheiten werde nicht versprochen. Es werde in der Werbung auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „O. „ kein Arzneimittel sei. Da es sich um einen Mahlzeitenersatz handele, ergebe sich auch nichts anderes aus der Anleitung zur täglichen bzw. dreimal täglichen Einnahme. Es sei selbstverständlich, dass der Erfolg von „O. „ um so größer sei, je mehr Mahlzeiten durch das Produkt ersetzt würden.

Schließlich vermische die Beklagte wahrheitswidrig die Werbeaussagen zu „O. -Pulver" mit denjenigen zu „O. -Caps". Hierbei handele es sich jedoch um nach Aufmachung und Zusammensetzung unterschiedliche Produkte, die lediglich unter einem gemeinsamen Marken-Dach angeboten worden seien. Eine gemeinsame Werbung für beide Produkte habe es nie gegeben.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte über die arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht von „O. Pulver" aufzuheben,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Der durchschnittliche Verbraucher müsse aufgrund der Werbeaussagen der Klägerin davon ausgehen, dass es sich bei „O. „ nicht um ein Lebensmittel zur Deckung des Nährstoffbedarfs, sondern um ein Arzneimittel handele, das ausschließlich dazu bestimmt sei, die Beschaffenheit den Zustand und die Funktion des menschlichen Körpers zu beeinflussen. Zudem werde aus der Sicht des durchschnittlichen Verbrauchers mit der versprochenen Fettreduzierung und Gewichtsabnahme neben dem ästhetischen Aspekt die Erwartung einer Heilung oder Verhütung übergewichtsbedingter Erkrankungen verbunden, wie etwa Herzinfarkt, Bluthochdruck, Rückenleiden. Die Werbeaussagen suggerierten einen erheblichen Gewichtsverlust ohne Verzicht auf die bisherigen Mahlzeiten. Es handele sich daher nicht um einen Mahlzeitenersatz. Auch spreche die Gebrauchsanweisung für ein Arzneimittel, da eine erhöhte Wirkung mit einer Steigerung der Zufuhr des Präparates versprochen werde. Dosis-Wirkungs-Beziehungen seien jedoch gerade für Arzneimittel charakteristisch. Diese Beurteilung werde durch die Angaben in der Werbung zu „O. -Caps" unterstützt, wo darauf hingewiesen werde, dass „O. - Caps" vor und nicht anstatt der Mahlzeit einzunehmen seien. Diese Werbung sei für die Bewertung von „O. -Pulver" mit heranzuziehen, da auch gemeinsame Werbe- anzeigen ohne Differenzierung zwischen Kapseln und Pulver veröffentlicht worden seien. Die Verkehrsauffassung sei durch diese gemeinsame Werbung mit geprägt. Es komme entscheidend darauf an, ob nach der Verkehrsauffassung des Durchschnittsverbrauchers „O. -Pulver" nicht überwiegend der Nährstoffaufnahme oder dem Genuss, sondern dazu diene, die Beschaffenheit des Körpers zu beeinflussen. Dies sei nach der Werbung und den hierin versprochenen Wirkungen des Produkts der Fall. Der Hinweis der Vertreibers, dass es sich nicht um ein Arzneimittel, sonder ein diätisches Lebensmittel handele, sei demgegenüber als bloße Schutzbehauptung zu werten. Auch habe das KG in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2002 - 5 U 311/01 - „O. -Caps" als Arzneimittel bewertet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte Bezug genommen.

Gründe

Die gegen die Feststellung der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht des Produkts gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere stellt die Entscheidung der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 21 Abs. 4 AMG einen durch den betroffenen Hersteller im Wege der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1 Var. VwGO) angreifbaren Verwaltungsakt dar, weil sie den Rechtsstatus des betroffenen Produkts im Hinblick auf die Zulassungspflicht verbindlich und mit Außenwirkung regelt. Obwohl nicht Adressatin des Bescheides, ist die Klägerin auch klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Denn die Feststellung der Zulassungspflicht betrifft sie in ihrer Gewerbefreiheit unmittelbar, indem sie die Zulassungspflicht abschließend feststellt und damit Verhaltenspflichten des Herstellers in Bezug auf die Herstellung und das Inverkehrbringen des Produkts auslöst.

Anders: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 21 AMG Erl. 53.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg über die arzneimittelrechtliche Zulassungspflicht von „O. Pulver" ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 21 Abs. 4 AMG entscheidet das BfArM als zuständige Bundesoberbehörde unabhängig von einem Zulassungsantrag des pharmazeutischen Unternehmers auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels. Zulassungspflichtig sind nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG solche Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG sind. Hierzu rechnen namentlich Stoffe und Zubereitungen von Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG) oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG). Nicht dem Arzneimittelbegriff und damit der Zulassungspflicht unterfallen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel und Bedarfsgegenständegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1997 (BGBl. I S. 2296) - LMBG -. Zum Kreis der durch das LMBG erfassten Produkte zählen nach § 1 Abs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden. Ausgenommen sind solche Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung und zum Genuss verzehrt zu werden. Aus der abgesprochenen Abgrenzungsvorschrift folgt, dass ein Präparat nicht zugleich Arzneimittel und Lebensmittel sein kann. Die Begriffe schlie- ßen sich gegenseitig aus.

Vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - I ZR 158/98 -, PharmR 2001, 336-340 = NJW-RR 2001, 1329-1332

Vor diesem Hintergrund ist „O. -Pulver" als Lebensmittel, nicht aber als Arzneimittel zu qualifizieren:

Aus § 1 Abs. 1 LMBG ergibt sich, dass Stoffe, die zum menschlichen Verzehr bestimmt sind, grundsätzlich als Lebensmittel angesehen werden. Nur wenn sich feststellen lässt, dass der Verzehr überwiegend zu anderen Zwecken als zur Nahrungsaufnahme oder zum Genuss erfolgt, handelt es sich nicht mehr um ein Lebensmittel. Entscheidend für die Zuordnung eines Produkts zum Regelungsbereich des LMBG einerseits oder dem des AMG andererseits ist, ob es einem durchschnittlich informierten Verbraucher gegenüber so in Erscheinung tritt, dass es überwiegend anderen als Nahrungs- oder Genusszwecken dient. Um ein Produkt aus dem Regelungszusammenhang des LMBG herauszulösen, muss positiv festgestellt werden, dass es überwiegend zu anderen als Nahrungs- oder Genusszwecken eingenommen wird. Lässt sich dies nicht feststellen oder verbleiben an der überwiegenden Zweckbestimmung Zweifel, handelt es sich bei dem Erzeugnis um ein Lebensmittel.

Vgl. VGH München, Beschluss vom 13. Mai 1997 - 25 CS 96.3855 -, NJW 1998, 845-847; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Erl. 73.

Anhaltspunkte für die hierbei im jeweiligen Einzelfall notwendige Beurteilung liefern insbesondere die stoffliche Zusammensetzung des Präparats, seine Aufmachung, die Art und Form seiner Einnahme und seine Vertriebsweise.

Vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 -, PharmR 2000, 184-188 = NJW-RR 2000, 1284-1286; BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132-142; zur Abgrenzung jetzt auch: OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2005 - 13 A 2062/03 -.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass „O. -Pulver" seiner stofflichen Zusammensetzung nach - insbesondere Magermilchpulver und Zucker - objektiv eine pharmakologischen Wirkung hat. Im Gegenteil deuten die Inhaltsstoffe, namentlich Proteine, Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, in ihrer Kombination auf eine nahrungsergänzende oder nahrungsersetzende Funktion des Präparats,

vgl. in diesem Zusammenhang: OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. April 1999 - 6 U 250/98 -, ZLR 1999, 630-638,

nicht aber auf die Beeinflussung von Körperzuständen hin,

vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 2. Januar 1997 - 13 B 2280/06 -, PharmR 1997, 312-316 („Sättigungskapseln").

Offen bleiben kann die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, welches Pro- dukt genau das Chemische und Lebensmitteluntersuchungsamt der Staat Aachen untersucht hat. Denn aus der vorgelegten Stellungnahme der Behörde vom 25. Oktober 2000 ergibt sich jedenfalls nichts für die Arzneimitteleigenschaft des streitbe- fangenen Produkts.

Ebenso wie die objektiv fehlende pharmakologische Wirkung spricht die Aufmachung des Produkts gegen dessen Arzneimitteleigenschaft. Der Vertrieb in Verpackungen mit 500 g Inhalt ist arzneimitteluntypisch. Der Eindruck, dass es sich bei „O. -Pulver" nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein (diätisches) Lebensmittel handelt, wird durch die Gestaltung der Verpackung verstärkt. Sie unterscheidet sich mit ihrer bunten Aufmachung und der formatfüllenden Abbildung einer schlanken jungen Frau gravierend von den bei Arzneimittelverpackungen zumeist gebräuchlichen sachlichen Ausführung. Die Angaben auf der Verpackung sind mit einem Arzneimittel gänzlich unvereinbar. Hier wird das Produkt als „Tagesration für die gewichtskontrollierte Ernährung" bezeichnet und darauf hingewiesen, dass es alle für die tägliche Ernährung erforderlichen Näherstoffe enthalte. Mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass mit „O. „ sowohl die einzelne Mahlzeit ersetzten als auch eine vollständige Ernährung sicherstellen könne sowie mit dem weiteren Hinweis darauf, dass es im Rahmen einer ausgewogenen Er- nährung als Mahlzeitenersatz dienen könne, wird dem Präparat unzweideutig die Funktion eines Nahrungsergänzungsmittels und damit eines Lebensmittels zugewiesen. Der Hinweis auf die Diät-VO und die Tabelle der Inhaltsstoffe runden den Eindruck eines diätischen Lebensmittels ab. Nichts anderes ergibt sich aus der Art der Zubereitung und Einnahme des Pulvers. Die Mischung von drei Esslöffeln mit 300 ml Wasser in einem Mixer oder Shaker statt der normalen Mahlzeiten hebt sich deutlich von der bei Arzneimitteln üblichen Darreichungsform ab. Sie deutet schon quantitativ auf einen Nahrungsersatz hin.

Diese, auf ein Lebensmittel weisenden Umstände werden durch die Arzneimitteln nahe stehende Bezeichnung „O. „, den relativ hohen Preis des Produkts und dessen Vertrieb über Apotheken nicht in einer Weise relativiert, die den Schluss auf ein Arzneimittel zuließe. Insbesondere stellt der Vertrieb über Apotheken kein sicheres Indiz für eine Zweckbestimmung als Arzneimittel dar. Nahrungsergänzungsmittel zählen vielmehr zu den apothekentypischen Waren.

Vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 -, a.a.O.

Ist „O. -Pulver" somit seiner Zweckbestimmung nach kein Arzneimittel, so erlangt es diese Eigenschaft auch nicht durch die für das Produkt betriebene Werbung. Zwar ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass die reißerische Werbung eine pharmakologische Wirkung von „O. „ suggeriert. Hiernach solle „Schlankmoleküle" das Körperfett „wegfressen". Verwiesen wird auf „Indiopflanzen" deren Inhaltsstoffe extrahiert und zu Pulver vermahlen würden. Im Gegensatz zu den Angaben auf der Verpackung findet sich hier kein Hinweis darauf, dass „O. „ statt der Mahlzeiten eingenommen werden soll. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, das Abnehmen sei ohne diesbezüglichen Einschränkungen dank des „patentierten Diät- Knallers" sogar dann möglich „wenn man auf dem Sofa liegt". Solche keinerlei Nachweis zugänglichen werbenden Übertreibungen sind jedoch nicht geeignet, aus einem Lebensmittel ein Arzneimittel zu machen. Dies ergibt sich bereits aus der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 lit. c) LMBG. Hiernach ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Lebensmitteln der Anschein eines Arzneimittels gegeben wird. Somit geht das Gesetz davon aus, dass allein der durch Werbung erzeugte Anschein das Produkt nicht zu einem Arzneimittel macht. Wäre es anders, verbliebe für die Anwendung der Vorschrift praktisch kein Raum. Rechtswidrig ist im Fall irreführender Werbung nicht das Inverkehrbringen des Produkts als Lebensmittel, sondern die Werbung als Arzneimittel.

In diesem Sinne: VGH München, Beschluss vom 13. Mai 1997 - 25 CS 96.3855 -, a.a.O.; anders: OLG Saarbrücken, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 U 486/02 - (vgl. aber das vorinstanzliche Urteil LG Saarbrücken vom 24. April 2002 - 7 I O 24/01 -).

Dessen ungeachtet ist mit dem VGH München,

Beschluss vom 13. Mai 1997 - 25 CS 96.3855 -, a.a.O.,

davon auszugehen, dass auch der durchschnittlich informierte Verbraucher zu einer kritischen Bewertung derartiger Werbeaussagen in der Lage ist, solange nicht durch im Produkt selbst und seiner Aufmachung begründete Umstände der Eindruck eines Arzneimittels hervorgerufen wird.

Im Ergebnis für das streitbefangene Präparat ebenso: OLG Saarbrücken, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 U 486/02 -; zu „O. -Caps" vgl. KG, Beschluss vom 13. Dezember 2002 - 5 U 311/01 -.

Ob und in welchem Umfang die angesprochene Werbung der Klägerin zuzurechnen ist und inwieweit sie das streitbefangene Produkt oder auch das Produkt „O. -Caps" umfasst und damit hier nicht entscheidungserheblich ist, bedarf angesichts dessen keiner abschließenden Klärung.

Das Europarecht gebietet keine abweichende Bewertung. Denn der hier in Rede stehende Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG steht dem Begriff des Funktionsarzneimittels nach Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 65/65/EWG ebenso in Übereinstimmung wie mit der inhaltsgleichen Bestimmung des Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG. Die Feststellung, ob es sich bei einem bestimmten Erzeugnis um ein Arzneimittel handelt, obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes den nationalen Gerichten und Behörden. Diese haben dabei alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft festzustellenden pharmakologischen Eigenschaften, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Gefahren aufgrund von Nebenwirkungen und Risiken bei längerem Gebrauch zu berücksichtigen. An diesem Rechtszustand hat sich auch durch die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit vom 28. Januar 2002 sowie Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der aktuellen Fassung der Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 nichts geändert, ohne dass zu klären ist, ob die zuletzt genannten Rechtsquellen vorliegend anwendbar sind.

Vgl. zum Ganzen: BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 273/99 -, ZLR 2002, 660-666 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. März 1991 - Rs. C 60/89 -, Slg. 1991, I-1547, 1568; Urteil vom 21. März 1991 - Rs. C

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gemäß §§ 124 a, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.






VG Köln:
Urteil v. 04.05.2005
Az: 24 K 5017/01


Link zum Urteil:
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