Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. Juli 2008
Aktenzeichen: 5 W (pat) 411/07

(BPatG: Beschluss v. 29.07.2008, Az.: 5 W (pat) 411/07)

Tenor

1.

Die Beschwerde der Antragsstellerin wird zurückgewiesen.

2.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsstellerin.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 23. September 2000 angemeldeten und am 21. Dezember 2000 eingetragenen Gebrauchsmusters 200 16 492 mit der Bezeichnung "Dekorbezug aus Leder". Das Streitgebrauchsmuster umfasst sechs Ansprüche, zu deren Wortlaut auf die Streitgebrauchsmusterschrift verwiesen wird. Die Schutzdauer ist auf 10 Jahre verlängert.

Die Antragsstellerin hat am 27. Juni 2003 die Löschung beantragt und dazu geltend gemacht, die Schutzansprüche desselben seien gemäß § 15 Abs. 1, Nr. 1 GebrMG i. V. m. §§ 1 bis 3 GebrMG nicht schutzfähig.

Zur Stützung ihres Vorbringens hat sie die Anlagen D1 bis D52 angeführt, die druckschriftlichen Stand der Technik und eine geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung dokumentieren.

Die Antragsgegnerin hat rechtzeitig Widerspruch erhoben und die Zurückweisung des Löschungsantrags im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 5 nach Hauptoder Hilfsantrag vom 26. Oktober 2004 beantragt.

Die nach diesem Hauptantrag geltenden Schutzansprüche lauten:

"1. Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen, mit zwei an ihren Rändern durch eine Hauptnaht (6) miteinander verbundenen Lederzuschnitten (1) die mit Trägermaterial unterfüttert sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Lederzuschnitte (1) gegenüber dem Trägermaterial, das aus einem weichen, in seiner flächigen Erstreckung aber formstabilen Vlies besteht, durch Stauchung in Längsrichtung ihrer Ränder gekräuselt und in dieser gekräuselten Form durch eine neben der Hauptnaht (6) verlaufende Vornähnaht (5) mit dem Trägermaterial vernäht sind, und zwar derart, dass das Leder im Flächenbereich des Dekorbezuges nicht mit dem Vlies verbunden ist, wobei das Trägermaterial und das Leder jeweils entlang der Vornähnaht (5) in regelmäßigen Abständen mit Markierungen (2, 4) versehen sind und wobei die Abstände (a) zwischen den einzelnen Markierungen (2) auf dem Leder größer als die Abstände (b) zwischen den Markierungen (4) auf dem Trägermaterial sind und das Leder jeweils zwischen zwei Markierungen (2) unregelmäßig zusammengeschoben ist, derart, dass im vernähten Zustand die Markierungen (2, 4) im Leder und im Trägermaterial zur Deckung kommen.

2.

Dekorbezug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Trägermaterial um mehr als das zweifache dicker als das Leder ist.

3.

Dekorbezug nach einem der Ansprüche 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass die vorgenähten und durch das Trägermaterial unterfütterten Lederzuschnitte(1) durch die neben den Vornähnähten (5) angeordnete Hauptnaht (6) verbunden sind und die nach innen vorstehenden Nahtränder an die Unterseite des Dekorbezuges angeklappt und durch Teilungsnähe (7, 8) mit den Lederzuschnitten (1) verbunden sind.

4.

Dekorbezug nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Teilungsnähte (7, 8) als an der Sichtseite des Dekorbezuges sichtbare Ziernähte ausgebildet sind.

5.

Dekorbezug nach einem der Ansprüche 1 bis 4, für die Verwendung an einer Automobilverkleidung mit Airbag, dadurch gekennzeichnet, dass die Hauptnaht (6) mit einem geschwächten Faden vernäht ist und die Durchtrittsstelle für den Airbag dient."

Zu den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag wird auf die Akten verwiesen.

Mit Beschluss vom 6. November 2006 (Az: Lö I 104/03) hat die Gebrauchsmusterabteilung I das Gebrauchsmuster teilgelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 5 nach dem Hauptantrag vom 26. Oktober 2004 hinausgeht, den weitergehenden Löschungsantrag zurückgewiesen und den Beteiligten die Kosten je zur Hälfte auferlegt.

Dagegen richtet sich die am 28. Februar 2007 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Die mangelnde Schutzfähigkeit wird damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit die Gegenstände der auf diesen rückbezogenen Schutzansprüche gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag über die ursprüngliche Offenbarung hinausgehen und somit gemäß § 15 (1) Nr. 3 GebrMG unzulässig sind, unddass die Gegenstände der Schutzansprüche gemäß Hauptantrag bzw. gemäß Hilfsantrag nicht gemäß § 1, Abs. 1 GebrMG neu und hilfsweise nicht erfinderisch sind.

Zur Stützung ihres Vorbringens hat die Beschwerdeführerin sich auf die bereits im Löschungsverfahren angeführten Anlagen berufen und zusätzlich auf druckschriftlichen Stand der Technik und mehrere offenkundige Vorbenutzungen verwiesen, wozu sie die Dokumente DD01 bis DD68 vorgelegt hat. Zudem hat sie Zeugenund Augenscheinbeweis angeboten.

In der mündlichen Verhandlung hat sie sich bezogen auf die Entgegenhaltungen DD31 Auszug aus dem Buch "Bekleidungslexikon", W. Schierbaum, Schiele & Schön, 1993, mit Kopien der Seiten 20 bis 25, 116, 117, 144 bis 147, 219, 244, 245, 252 und 253;

DD33 Auszüge aus dem Buch "Vliesstoffe", J. Lünenschloß und W. Albrecht, Georg Thieme Verlag, 1982, mit Kopien der Titelseiten und der Seiten 298 bis 311 und 328 bis 331;

DD08 technische Zeichnungen für die Herstellung des Dekorbezuges für die Hinterlehne des Audi A4(B5) vom 18. Juni 1998 (drei Seiten).

Zu dem im Löschungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik und den Übrigen im Beschwerdeverfahren herangezogenen Dokumenten wird auf die Akten verwiesen.

Die Beschwerdeführerin beantragt -die Aufhebung des Beschlusses der Gebrauchsmusterstelle vom 6. November 2006 und gemäß § 16 GebrMG die vollständige Löschung des am 21 Dezember 2000 eingetragenen deutschen Gebrauchsmusters 200 16 492.9 und -der Gegenseite die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beschwerdegegnerin widerspricht dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in allen Punkten. Sie beantragt mit ihrem Hauptantrag,

-die Beschwerde zurückzuweisenund -der Beschwerdeführerin die Kosten des Löschungsverfahrens aufzuerlegen.

Hilfsweise beantragt sie, in der nachfolgenden Reihenfolge ihrer Nennung die folgenden Hilfsanträge zu berücksichtigen und das Gebrauchsmuster mit den darin enthaltenen Ansprüchen eingeschränkt aufrecht zu erhalten:

7-Hilfsantrag 1, gebildet aus den Merkmalen der Ansprüche 1 und 5 des Hauptantrags vom 25. Oktober 2004;

-Hilfsantrag 2, entsprechend dem Hilfsantrag vom 25. Oktober 2004;

-Hilfsantrag 3, gebildet aus den Merkmalen der Ansprüche 1 und 5 des Hilfsantrags vom 25. Oktober 2004;

Zu den mit den Hilfsanträgen verteidigten Schutzansprüchen und den Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Das Streit-Gebrauchsmuster betrifft einen Dekorbezug aus Leder, bestehend aus mindestens zwei an ihren Rändern miteinander vernähten Lederzuschnitten, die mit Trägermaterial unterfüttert sind. Die Lederzuschnitte sind gegenüber dem Trägermaterial gekräuselt und in dieser Form durch eine Vornähnaht mit dem Trägermaterial vernäht. Solche Dekorbezüge werden beispielsweise für die Innenverkleidung der Türen von Kraftfahrzeugen verwendet. Die Kräuselung ergibt durch die möglichst zufällig wirkenden Falten einen besonderen optischen Effekt.

Gemäß den Ausführungen zum Stand der Technik DE 200 00 09 U1 (D1) in der Beschreibung des Gebrauchsmustergegenstandes war es bereits bekannt, den Lederzuschnitt am Rand in regelmäßigen Abständen in kleine Falten zu legen und in dieser Form auf dem Trägermaterial mittels einer Vornähnaht zu fixieren. Der bekannte Dekorbezug wirkt jedoch künstlich und maschinell hergestellt (siehe S. 1, dritter Absatz in der Gebrauchsmuster-Schrift).

Aufgabe ist, einen Dekorbezug der eingangs genannten Art zu schaffen, bei dessen Verwertung sich eine natürlich wirkende unregelmäßige Faltung der Sichtflächen ergibt (siehe S. 1, vierter Absatz in der Gebrauchsmuster-Schrift).

Gelöst wird die Aufgabe durch einen Dekorbezug gemäß Schutzanspruch 1, der die hier in gegliederter Fassung wiedergegebenen folgenden Merkmale aufweist:

1 Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen, mit zwei an ihren Rändern durch eine Hauptnaht (6) miteinander verbundenen Lederzuschnitten (1);

2 die Lederzuschnitte sind mit Trägermaterial unterfüttert;

der Dekorbezug ist dadurch gekennzeichnet, dass 3 die Lederzuschnitte (1) gegenüber dem Trägermaterial, das aus einem weichen, in seiner flächigen Erstreckung aber formstabilen Vlies besteht, durch Stauchung in Längsrichtung ihrer Ränder gekräuselt und in dieser gekräuselten Form durch eine neben der Hauptnaht (6) verlaufende Vornähnaht (5) mit dem Trägermaterial vernäht sind und zwar derart, dass 3a das Leder im Flächenbereich des Dekorbezuges nicht mit dem Vlies verbunden ist, wobeidas Trägermaterial und das Leder jeweils entlang der Vornähnaht (5) in regelmäßigen Abständen mit Markierungen (2, 4) versehen sind, undwobei die Abstände (a) zwischen den einzelnen Markierungen (2) auf dem Leder größer als die Abstände (b) zwischen den Markierungen (4) auf dem Trägermaterial sind, und 6 das Leder jeweils zwischen zwei Markierungen (2) unregelmäßig zusammengeschoben ist, derart, dass im vernähten Zustand die Markierungen (2, 4) im Leder und im Trägermaterial zur Deckung kommen.

2. Zum Verständnis und der Kategorie des Schutzanspruchs 1 gemäß Hauptantrag Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung ihre bereits ausführlich im Beschwerdeschriftsatz dargelegte Auffassung anklingen lassen, im Schutzanspruch 1 verwendete Bezeichnungen seien nicht geeignet, eine ausreichende Abgrenzung zum Stand der Technik vorzunehmen. Im Beschwerdeschriftsatz wurde zudem die Auffassung vertreten, dass der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 teilweise eine Anweisung an den menschlichen Verstand darstelle und mit ihm ein mittelbarer Verfahrensschutz erreicht werden solle.

Der Senat sieht sich veranlasst, hierzu Stellung zu beziehen. Fachmann ist ein Autosattlermeister aus einem Zulieferbetrieb für die Kraftfahrzeugindustrie, der sich mit der Fertigung und Montage der Innenausstattungsteile der Fahrgastzelle wie Türund Seitenverkleidungen, Fahrzeughimmeln und Verdecken sowie von Sitzpolstern, insbesondere von Personenkraftfahrzeugen, in Einzeloder Serienfertigung, befasst. Er kennt sowohl Leder als auch die anderen für Dekorbezüge in Fahrzeugen einsetzbaren textilen Werkstoffe, Kunststoffe und Polstermaterialen sowie deren Gestaltungsund Verarbeitungsmethoden. Von seiner Ausbildung her ist er durch handwerkliches Vorgehen geprägt, aber mit den industriellen Fertigungsmethoden in der Regel durch langjährige praktische Tätigkeit in diesem Umfeld ebenfalls vertraut.

Der so definierte Fachmann verbindet mit dem Verwendungsaspekt im ersten Merkmal, wonach der Schutzanspruch 1 insgesamt auf einen Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen gerichtet ist, bauliche Merkmale, die die Eignung des Dekorbezugs für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen voraussetzt. Innenverkleidung ist vorliegend im Sinne von Innenverkleidungsteil und nicht etwa als substantiviertes, die Tätigkeit des Innenverkleidens beschreibendes Verb zu verstehen. Die Funktion einer Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen besteht bekanntlich darin, die zum Innenraum weisenden Seiten der Karosseriehohlräume abzudecken, wo sonst zum Teil für die Insassen verletzungsträchtige scharfe Blechkanten und verstrebungen sowie Kabel, andere Versorgungsleitungen oder technische Einrichtungen wie Antriebe, Hebel oder Airbags sichtbar und ungeschützt zugänglich offen lägen. Daher muss ein anspruchsgemäßer Dekorbezug insbesondere die üblicherweise gegebene Eigenstabilität derartiger Innenverkleidungsteile aufweisen.

Der Ausdruck Trägermaterial in den Merkmalen 2 und 3 des Anspruchs 1 bezeichnet eine aus Vlies bestehende Unterpolsterung des Dekorbezugs, die ausweislich der Beschreibung des Schutzgegenstandes zugleich weich und in der seitlichen Erstreckung formstabil sein soll, ohne die Faltenbildung in dem Leder des Dekorbezuges zu beeinträchtigen (siehe S. 2, Z. 18 bis 19 der Gebrauchsmusterschrift). Weich, in der flächigen Erstreckung aber formstabil im Merkmal 3 bedeutet für den Fachmann unter dem Aspekt der Eignung des Dekorbezuges für die Abdeckung eines Karosseriehohlraumes wie beispielsweise einer Automobiltür (siehe S. 1, Z. 10 und 11 der Gebrauchsmusterschrift), dass das Trägermaterial in Dickenrichtung zwar mit Blick auf günstige haptische Eigenschaften nachgiebig sein soll, in der Fläche jedoch soweit widerstandsfähig ist, dass im Verbund mit dem Lederzuschnitt die Beibehaltung der dem Dekorbezug insgesamt einmal gegebenen Form gewährleistet ist. Unter dem im Schutzanspruch 1 als Trägermaterial genannten Vlies hat er somit vorliegend einen verdichteten Vliesstoff zu verstehen, der den Lederzuschnitt des Dekorbezugs einerseits unterfüttert und andererseits stützt. Die von der Beschwerdeführerin als technisch gleichwertig angesehenen Materialien Filz, Watte oder Schaumstoff sind damit ausgegrenzt, denn begrifflich und technisch ist Filz nicht zu den Vliesprodukten zu zählen, da es gewalkt wird. Watte ist zwar ein Vlieswerkstoff, jedoch allenfalls an der Oberfläche verdichtet; sie kommt daher wegen ihrer nicht gegebenen Formbeständigkeit in der flächigen Erstreckung nicht in Frage. Letztlich ist auch Schaumstoff als Trägermaterial vom Begriff Vlies sowohl sprachlich als auch technisch nicht umfasst, schon weil dieser kein aus Fasern bestehendes Flächengebilde ist.

Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, der Begriff regelmäßig im Schutzanspruch 1 sei unklar; die Gebrauchsmusterabteilung habe diesen als gleich beabstandet gedeutet, was nicht gerechtfertigt sei. Die Offenbarung des Streitgebrauchsmusters biete für diese einschränkende Interpretation keine Stütze.

Die Auffassung der Gebrauchsmusterabteilung wird durch die Beschreibung und Zeichnung in der Streitgebrauchsmusterschrift jedoch untermauert. Dort werden einerseits die Abstände zwischen einzelnen Markierungen auf dem Leder und andererseits die Abstände zwischen den einzelnen Markierungen auf dem Trägermaterial beschrieben (siehe S. 2, Z. 3 und 4). In der Zeichnung, Figur 2, werden sie eindeutig mit dem Buchstaben "a" bzw. "b" bezeichnet. Im Schutzanspruch 1 wie auch in der die Figur erläuternden Beschreibung ist von regelmäßigen Abständen a bzw. b zwischen den Markierungen die Rede. Das lässt nur die Auslegung zu, dass vorliegend die Regel gilt, dass die aufeinander folgend vorgesehenen Markierungen des Trägermaterialzuschnittes und des Lederzuschnitts untereinander jeweils gleich große Abstände a bzw. b aufweisen, wobei der Betrag von a größer als der von b ist. Der Fachmann berücksichtigt dabei, dass hier keine absolut gleichen Abstände erzielbar sind, sondern fertigungsbedingt Toleranzen zugelassen werden.

Der ebenfalls als unklar angesehene Begriff unregelmäßig zusammen geschoben ist aus fachmännischer Sicht als körperliches Merkmal des auf dem Trägermaterial angeordneten Lederzuschnitts des Dekorbezugs aufzufassen, und zwar dahingehend, dass das Leder keiner Regel folgend zusammen geschoben sein soll, um einen zufälligen Faltenwurf aufzuweisen. Wie das Merkmal fertigungstechnisch -manuell oder maschinell -erreicht werden kann, steht im Belieben des Fachmanns.

Die Deutlichkeit des Schutzanspruchs 1 ist folglich nicht zu bemängeln.

Ein Schutz für ein Verfahren oder eine Anweisung an den menschlichen Verstand "als solche" wird mit dem vorliegenden Anspruch 1 ersichtlich nicht begehrt, denn schon der Oberbegriff, mit dem die in diesem Zusammenhang herausgestellten Merkmale 4 bis 6 des Schutzanspruchs 1 in der Gesamtheit aller Merkmale zu betrachten sind, stellt eindeutig auf ein Erzeugnis ab.

Selbst wenn ein Fachmann die Merkmale 4 bis 6 für sich betrachtet als Verfahrensmerkmale oder bloße Anweisung an den menschlichen Geist auffassen wollte, nähmen diese der Lehre nicht schon von vorneherein die Schutzfähigkeit als Gebrauchsmuster. In den seltensten Fällen -so auch hier -werden Erzeugnisse zum Gebrauchsmusterschutz angemeldet, ohne dass in den Schutzansprüchen auf durchgeführte Verfahrensschritte Bezug genommen wird. Die fraglichen Merkmale tragen dazu bei, einen Dekorbezug -mithin einen Gegenstand, der durch seine Gestalt, Struktur, Konstruktion oder sonstige, nicht von zeitabfolgegebundenen Erscheinungen geprägte Beschaffenheit charakterisiert wird -zu definieren, also nach seinem Inhalt als Erzeugnis eindeutig festzulegen. Sie sind folglich zulässig (siehe hierzu BPatG v. 2. Juni 2004, 5 W (pat) 402/03).

Der Gegenstand des geltenden Schutzanspruchs 1 betrifft somit ein dem Gebrauchsmusterschutz zugängliches Erzeugnis.

3. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gemäß Hauptantrag erfüllt die Voraussetzungen für den Gebrauchsmusterschutz.

3.1 Der Löschungsgrund gemäß § 15 (1) Nr. 3 ist nicht gegeben.

Die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz vertretene Auffassung, dass der ursprüngliche Schutzanspruch 1 erweitert worden sei, trifft nicht zu, denn die von ihr als unzulässig bemängelte Änderung des Schutzanspruchs 1, wonach das ursprüngliche Merkmal "Dekorbezug aus Leder, bestehend aus mindestens an ihren Rändern miteinander vernähten Lederzuschnitten..." im Oberbegriff des geltenden Schutzanspruchs 1 durch die Formulierung "Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen, mit zwei an ihren Rändern durch eine Hauptnaht (6) miteinander verbundenen Lederzuschnitten (1)" ersetzt wurde, liegt im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung des Gebrauchsmustergegenstandes und führt auch zu keiner Erweiterung des Schutzbereichs.

Mit dem geltenden Schutzanspruch 1 wird anders als bei dem eingetragenen Schutzanspruch 1 nicht mehr auf einen beliebigen Dekorbezug aus Leder abgestellt, sondern ausdrücklich auf einen Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen. Die konkret nach dem Schutzanspruch 1 gemäß Hauptantrag vorgesehene Zweckbestimmung des Dekorbezugs kann der ursprünglichen Beschreibung des Gebrauchsmustergegenstandes auf S. 4, Z. 25-26, ohne weiteres entnommen werden. Zu den weiteren damit implizit sich ergebenden einschränkenden Merkmalen wird auf den Abschnitt 2 diese Beschlusses verwiesen. Zudem soll der Dekorbezug nicht mehr -allgemein -aus einer beliebigen Anzahl mindestens an ihren Rändern miteinander vernähter Lederzuschnitte bestehen, sondern nach der neuen Anspruchsfassung mit zwei an ihren Rändern durch eine Hauptnaht verbundenen Lederzuschnitten versehen sein.

Dieses Merkmal, das spezifiziert, welche Naht gemeint ist, ist ebenfalls der ursprünglichen Beschreibung auf S. 4, Z. 19-20 zu entnehmen.

3.2 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu.

Da die Beschwerdeführerin den Löschungsgrund der mangelnden Neuheit nicht mehr aufgegriffen hat, sieht auch der Senat keine Veranlassung mehr, im Einzelnen darauf einzugehen. Die Überprüfung sämtlicher im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente und Benutzungsgegenstände hat zudem ergeben, dass diese einen Dekorbezug mit sämtlichen im Schutzanspruch 1 angegebenen Merkmalen nicht identisch vorwegnehmen.

3.3 Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist zweifellos gewerblich anwendbar und weist auch die für einen Gebrauchsmusterschutz erforderliche erfinderische Qualität auf.

Der Dekorbezug gemäß dem Streitgebrauchsmuster geht -wie in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin zutreffend vorgetragen wurde -von dem in der Gebrauchsmusterschrift beschriebenen Stand der Technik aus. Der damit nächstkommend bekannt gewordene Dekorbezug weist die Merkmale 1 und 2 nach der gegliederten Fassung des Schutzanspruchs 1 auf, die den Oberbegriff bilden, und einen Teil des Merkmals 3, wonach die Lederzuschnitte (1) gegenüber dem Trägermaterial durch Stauchung in Längsrichtung ihrer Ränder gekräuselt und in dieser gekräuselten Form durch eine neben der Hauptnaht (6) verlaufende Vornähnaht (5) mit dem Trägermaterial vernäht sind (siehe S. 1, Z. 5 bis 22). Einem Fachmann können zudem Kenntnisse über die Fertigungsweise eines derartigen Dekorbezugs soweit zugesprochen werden, dass die Merkmale 3a und 4 bis 6 aus dem handwerklichen Wissen und Können heraus als bekannt und somit als nahe liegend anzusehen sind.

Aus dem so zusammengefassten Stand der Technik gehen jedoch weder die im Merkmal 3 des Schutzanspruch angegebene Art des Trägermaterials des erfindungsgemäßen Dekorbezugs noch dessen Eigenschaften hervor, wonach es aus einem weichen, in seiner flächigen Erstreckung formstabilen Vlies besteht.

Die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung herangezogenen Druckschriften DD31, DD33 sowie der Gegenstand des Dokumentes DD08, auf das die Beschwerdeführerin zusätzlich hingewiesen hat, betreffen zumindest entweder keinen Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen oder sie befassen sich zumindest nicht mit der zu Grunde liegenden Aufgabe.

Davon abgesehen führt der sich daraus ergebende Stand der Technik den Fachmann nicht zu dem Dekorbezug gemäß dem Schutzanspruch 1.

Druckschrift DD31 betrifft ein Bekleidungslexikon, aus dem Grundkenntnisse über das Nähen, insbesondere über die Herstellung von Kräuselnähten, zu entnehmen sind (siehe S. 219). Der Senat teilt hier die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass vor diesem Hintergrund einem Fachmann die Nähtechniken, welche im Schutzanspruch genannt werden, geläufig sind. Ein Dekorbezug nach der Art des Streitgebrauchsmusters kommt in der Druckschrift jedoch nicht zur Sprache, ebenso wenig wird auf Vliesstoffe eingegangen, die für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen gedacht sind, oder auf die Problematik, wie sich bei derartigen Erzeugnissen eine natürlich wirkende unregelmäßige Faltung des Dekorbezugs ergeben könnte. Zum Gegenstand des Streitgebrauchsmusters besteht demnach keinerlei Beziehung, so dass der Fachmann Anregungen zur Ausgestaltung eines Dekorbezuges für die Innenverkleidung von Personenkraftwagen aus der Druckschrift DD31 nicht erwartet und tatsächlich auch nicht entnehmen kann.

Die Druckschrift DD33, ein umfassendes Werk über Vliesstoffe, steht zwar insoweit in Zusammenhang mit dem Gebrauchsmustergegenstand, dass darin ein allgemeiner Hinweis erfolgt, wonach Vliesstoffe vielseitig für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen einsetzbar sind (siehe S. 328, rechte Spalte und S. 329, linke Spalte, erster Abs.); ein Dekorbezug mit einer gekräuselten, auf diese Weise natürlich wirkenden Lederoberfläche findet in diesem Dokument jedoch keine Erwähnung. Die dem Streitgebrauchsmuster zu Grunde liegende Problemstellung wird daher wiederum nicht berührt, und folglich konnte ein Fachmann daraus auch keinen Hinweis entnehmen, der zur Lösung der hier gestellten Aufgabe beiträgt.

Die beiden Entgegenhaltungen DD31 und DD33 fügen einem gemäß der Beschreibung des Streitgebrauchsmusters und auf Grund des vorauszusetzenden Fachwissens über Nähund Rafftechniken bereits bekannten Dekorbezug allenfalls hinzu, dass ein Vliesstoff das Trägermaterial oder Unterfütterungsmaterial eines Dekorbezugs bilden könnte, nicht jedoch, wie er beschaffen sein muss, damit der Dekorbezug sich für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen eignet und dabei die nach der Aufgabe gewünschte natürlich wirkende unregelmäßige Faltung der Sichtfläche aufweist.

Das Dokument DD08 umfasst Ablichtungen von technischen Zeichnungen (Seiten 1/1 bis 1/3) von zu unterfütternden Lederzuschnitten für die Herstellung eines Bezugs für einen Fahrzeugsitz, der Gegenstand einer geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung "Rückenlehnen-Dekorbezug für Audi A4 (B5)" sein soll.

Bei einem derartigen Dekorbezug aus Leder für einen Fahrzeugsitz mag durchaus die Problematik bestehen, eine natürlich wirkende Sichtfläche des Dekorbezugs durch Raffung des Leders zu erzielen (siehe den entsprechenden Hinweis auf S. 3/3 des Dokuments DD08), so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Fachmann einen danach gefertigten Sitzbezug in die Gesamtschau des Standes der Technik mit einbezieht. Letztlich kommen zweifellos für das Zusammenfügen eines Dekorbezuges für einen Fahrzeugsitz gleiche Nähund Rafftechniken in Frage wie bei einem Dekorbezug für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen.

Einem Dekorbezug für einen Fahrzeugsitz fehlt jedoch das Merkmal des Streitgebrauchsmustergegenstandes, wonach dessen Trägermaterial aus einem weichen, in seiner flächigen Erstreckung aber formstabilen Vlies besteht, so dass auch dahin gestellt bleiben kann, ob die offenkundigen Vorbenutzungen eines derartigen Gegenstandes, die von der Einsprechenden geltend gemacht wurden, überhaupt zutreffen.

Aus dem Dokument DD08 ist mit Blick auf die Art des Trägermaterials lediglich die Information zu entnehmen, dass "Watte/Vlies" aufgenäht wird (siehe S. 1 von 3). Mit Watte/Vlies mag ein verdichteter Vliesstoff gemeint sein. Die Flächengewichtsangabe in der Arbeitsanweisung "A3 Watte aufnähen (100g/m)" auf S. 1/3 des Dokuments deutet jedoch darauf hin, dass es sich um ein relativ leichtes Material handelt, das die Forderung im Schutzanspruch 1 nach einem in der flächigen Erstreckung formstabilen Trägermaterial des Dekorbezugs für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen von Personenkraftwagen offensichtlich nicht erfüllt.

Die Beschwerdeführerin konnte hier nur in Kenntnis der Erfindung die Eigenschaften des für den beanspruchten Dekorbezug vorgesehenen Trägermaterials als gegeben ansehen.

Ein Dekorbezug für einen Fahrzeugsitz legt schon aus der in der Regel anzunehmenden Anforderung an einen möglichst hohen Sitzkomfort heraus auch kein in seiner flächigen Erstreckung soweit formstabiles Vlies nahe, dass es sich für einen Dekorbezug, der für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen geeignet ist, anbietet. Die Formstabilität eines Sitzdekorbezuges in seiner flächigen Erstreckung wird zudem bereits durch die Polsterung gewährleistet.

Zu der Erkenntnis, dass ein Trägermaterial, das aus einem weichen, in seiner flächigen Erstreckung aber formstabilen Vlies besteht, zu einem Dekorbezug führt, der sich für die Innenverkleidung von Fahrgastkabinen eignet und bei dessen Verwendung sich eine natürlich wirkende unregelmäßige Faltung der Sichtflächen ergibt, konnte der Fachmann somit nicht ohne weiteres, erfinderisches Zutun erlangen.

Nach sorgfältiger Prüfung aller übrigen in den Schriftsätzen der Beschwerdeführerin herangezogenen und zusätzlich der im vorangegangenen Löschungsverfahren bereits berücksichtigten Dokumente und geltend gemachten Benutzungshandlungen kommt der Senat zu keinem anderen Ergebnis. Da die Beschwerdeführerin keine dieser Entgegenhaltungen in der mündlichen Verhandlung mehr aufgegriffen hat, besteht hier ebenfalls keine Erfordernis mehr, darauf näher einzugehen.

Der geltende Schutzanspruch 1 hat somit Bestand.

4.

Zusammen mit dem Schutzanspruch 1 haben die geltenden Schutzansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag, die direkt oder indirekt auf den Schutzanspruch 1 rückbezogen sind, ebenfalls Bestand, da sie auf Merkmale zur Weiterbildung des Dekorbezuges nach Schutzanspruch 1 gerichtet sind und keine selbstverständlichen Maßnahmen enthalten.

Da dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin zu folgen war, erübrigt es sich, auf die Hilfsanträge 1 bis 3 der Beschwerdegegnerin einzugehen.

5.

Eine Einvernahme der von der Beschwerdeführerin angebotenen Zeugen war nicht erforderlich, denn der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der in den Schriftsätzen getroffenen Feststellungen zum Umfang des Fachwissens und der Umstände der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen, die die Zeugen hätten bestätigen sollen. Die Inaugenscheinnahme eines dem Senat vorsorglich zur Verfügung gestellten Musters eines Fahrzeugsitzbezuges erübrigtesich ebenfalls, weil es sich dabei um einen in den Dokumenten zum schriftlichen Vortrag bereits in ausreichender Klarheit in seinen Einzelheiten erkennbaren und von der Beschwerdeführerin erläuterten Gegenstand einer der geltend gemachten Vorbenutzungen handelt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 3 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Müllner Harrer Dr. Fritze Pr






BPatG:
Beschluss v. 29.07.2008
Az: 5 W (pat) 411/07


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