Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 7. Oktober 2015
Aktenzeichen: 6 U 7/14

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 07.10.2015, Az.: 6 U 7/14)

1. Dem Anspruch auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse gemäß § 140a Abs. 3 S. 1 PatG steht nicht entgegen, dass der Verletzer seinen Sitz im Ausland hat.

2. Der im Ausland ansässige Lieferant, der aufgrund der Lieferung an einen ausländischen Abnehmer wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird, haftet nur dann, wenn er positive Kenntnis davon hat, dass der Abnehmer die patentgemäßen Gegenstände seinerseits bestimmungsgemäß (direkt oder indirekt) zumindest auch ins Inland liefert.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10.12.2013 (Az. 2 O 180/12) werden zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte 90%, die Klägerin 10 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10.12.2013 (Az. 2 O 180/12) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird im Hinblick auf die Frage des Rückrufsanspruchs nach § 140a Abs. 3 PatG bei ausländischen Beklagten und im Hinblick auf die Frage der patentrechtlichen Haftung ausländischer Lieferanten für Lieferungen an ausländische Abnehmer zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf/Entfernung aus den Vertriebswegen in Anspruch und begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten.

Die Klägerin, eine japanische Gesellschaft, ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 1 291 158 B 2 (im Folgenden €Klagepatent€), welches ein Abdichtsystem für aufblasbare Gegenstände zum Gegenstand hat. Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme der Priorität vom 11.09.2001 aus DE 20115003 U am 06.09.2002 angemeldet; die Anmeldung wurde am 12.03.2003, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 12.07.2006 veröffentlicht. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den benannten Vertragsstaaten. Der deutsche Teil des Klagepatents, das zuvor ein Einspruchsverfahren vor dem EPA durchlaufen hatte, war Gegenstand einer Nichtigkeitsklage, welche zu dem in Anlage K 19 vorliegenden, am 28.08.2013 an Verkündungs statt zugestellten Urteil des Bundespatentgerichts vom 02.07.2013 (Az.: 4 Ni 52/11 (EP), verbunden mit 4 Ni 27/12 (EP)) geführt hat. Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage hinsichtlich des Anspruchs 3 abgewiesen und Anspruch 1 durch Aufnahme eines zusätzlichen Merkmals für teilweise nichtig erklärt. Die dagegen gerichteten Berufungen wurden mittlerweile zurückgenommen.

Die im Streitfall geltend gemachten Ansprüche 1 und 3 des Klagepatents lauten danach wie folgt:

Anspruch 1:

System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen, mit wenigstens einem ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter (11), der einen Gaseinlass (13) und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass (15) aufweist, und einer an den Gaseinlass (13) des Behälters (11) anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse (17) untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor, wobei das Gehäuse (17) der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt (19) aufweist, an dem der Behälter (11) zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse (17) mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse (17) der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter (11) dient, wobei der Behälter (11) auf das Gehäuse (17) aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist, und wobei die mechanische Verbindung des Behälters (11) mit dem Gehäuse (17) getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter (11) und der Gasdruckquelle ist.

Anspruch 3:

System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen, mit wenigstens einem ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter (11), der einen Gaseinlass (13) und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass (15) aufweist, und einer an den Gaseinlass (13) des Behälters (11) anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse (17) untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor, wobei das Gehäuse (17) der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt (19) aufweist, an dem der Behälter (11) zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse (17) mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse (17) der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter (11) dient, wobei der Gaseinlass (13) und der Auslass (15) in einer Entnahmeeinheit (29) des Behälters (11) ausgebildet sind, die an einer Stirnseite des Behälters (11) insbesondere lösbar angebracht und bevorzugt mit dem Behälter (11) verschraubt ist, wobei der Behälter (11) über die Entnahmeeinheit (29) mit dem Gehäuse (17) koppelbar ist.

Wegen des weiteren Inhalts des Klagepatents, insbesondere wegen der Beschreibung und der zugehörigen Figuren, wird auf die als Anlage K 5 vorgelegte B2-Patentschrift Bezug genommen.

Die Beklagte bietet an und vertreibt Repair-Kits unter der Bezeichnung €F€, die sie auch nach Deutschland liefert (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform).

Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich insbesondere aus den nachfolgend eingeblendeten, von der Klägerin in Anlage K 1 vorgelegten Bildern, die den Kompressor mit montiertem Abdichtmittelbehälter sowie den Abdichtmittelbehälter mit aufgeschraubter Entnahmeeinheit zeigen.

Die Entnahmeeinheit weist drei in der obigen Fig. 4 mit €x€ gekennzeichnete Flügel auf. Die nachstehende, der Klageerwiderung (dort S. 15) entnommene Abbildung zeigt die Aufnahmevorrichtung, in die der Behälter mit aufgeschraubter Entnahmeeinheit eingebracht werden kann:

Die drei mit den Pfeilen versehenen Aussparungen korrespondieren mit den Flügeln an der Entnahmeeinheit.

Die Verbindung zwischen der Aufnahmevorrichtung und dem Behälter mit aufgeschraubter Entnahmeeinheit erfolgt mittels einer Bajonett-Verbindung. Der Behälter mit aufgeschraubter Entnahmeeinheit wird so in die Aufnahmevorrichtung eingeführt, dass die Flügel der Entnahmeeinheit in die Aussparungen an der Aufnahmevorrichtung eingreifen. Nach dem senkrechtem Einsetzen des Behälters mit der Entnahmeeinheit in die Aufnahmevorrichtung muss zur Arretierung der Bajonett-Verbindung der Behälter um ca. 20 Grad gedreht werden. Bei dieser Drehung hintergreifen die Flügel der Entnahmeeinheit die sich radial erstreckende Wandung der Aufnahmevorrichtung.

Die Entnahmeeinheit lässt sich vom Abdichtmittelbehälter abschrauben. Sie kann auch ohne den Behälter mit der Aufnahmevorrichtung mittels der Bajonett-Verbindung verbunden werden.

Für weitere Einzelheiten der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform wird auf das vorgelegte Muster verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre der Ansprüche 1 und 3 des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch. Sie hat in erster Instanz zuletzt beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. a) es zu unterlassen,

Systeme zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesem Zwecke entweder einzuführen oder zu besitzen, wenn diese Systeme gekennzeichnet sind durch

aa) wenigstens einen ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter,

der einen Gaseinlass und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass aufweist, und

einer an den Gaseinlass des Behälters anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

wobei das Gehäuse der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt aufweist, an dem der Behälter zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass

das auf dem Boden stehende Gehäuse der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter dient, wobei der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist,

wobei die mechanische Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter und der Gasdruckquelle ist,

(Anspruch 1 EP 1 291 158 B2)

und/oder

bb) wenigstens einen ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter,

der einen Gaseinlass und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass aufweist, und

einer an den Gaseinlass des Behälters anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

wobei das Gehäuse der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt aufweist, an dem der Behälter zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass

das auf dem Boden stehende Gehäuse der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter dient, wobei der Gaseinlass und der Auslass in einer Entnahmeeinheit des Behälters ausgebildet sind, die an einer Stirnseite des Behälters insbesondere lösbar angebracht und bevorzugt mit dem Behälter verschraubt ist, wobei der Behälter über die Entnahmeeinheit mit dem Gehäuse koppelbar ist.

(Anspruch 3 EP 1 291 158 B2)

b) Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot gemäß Ziff. I.1. a) wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, angedroht, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist.

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I.1. a) bezeichneten Handlungen seit dem 12. August 2006 begangen hat und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen und Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter I.1. a) bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;

4. die vorstehend zu Ziffer I.1. a) bezeichneten, seit dem 12. August 2006 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen

- zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, und- endgültig zu entfernen, indem die Beklagte diese Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. a) bezeichneten, seit dem 12. August 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. Die Merkmalsgruppe 3 der Ansprüche 1 und 3 sei nicht verwirklicht. Die angegriffene Ausführungsform mache auch von Merkmal 4 des Anspruchs 1 keinen Gebrauch. Ein Aufstecken oder Aufschieben des Behälters auf das Gehäuse liege nicht vor; dem stehe die Drehbewegung beim Arretieren der Bajonett-Verbindung entgegen. Betrachte man nur das Aufsetzen des Behälters ohne die Drehbewegung, so sei hierdurch noch keine mechanische Kopplung bewirkt, erst recht keine sichere Verbindung hergestellt und auch die Herstellung der Fluidverbindung sei ohne die Drehbewegung nicht möglich, weshalb Merkmal 4 und Merkmal 5 des Anspruchs 1 niemals gleichzeitig verwirklicht werden könnten. Ferner sei auch Merkmal 4 des Anspruchs 3 nicht erfüllt. Anspruch 3 schütze lediglich ein Montageset, nicht jedoch eine bereits werksseitig zusammengebaute Einheit.

Das Landgericht hat der Klage mit folgendem Tenor ganz überwiegend stattgegeben:

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. a) es zu unterlassen,

Systeme zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu diesem Zwecke entweder einzuführen oder zu besitzen, wenn diese Systeme gekennzeichnet sind durch

aa) wenigstens einen ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter,

der einen Gaseinlass und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass aufweist, und

einer an den Gaseinlass des Behälters anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

wobei das Gehäuse der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt aufweist, an dem der Behälter zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass

das auf dem Boden stehende Gehäuse der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter dient, wobei der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist,

wobei die mechanische Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter und der Gasdruckquelle ist,

(Anspruch 1 EP 1 291 158 B2)

und/oder

bb) wenigstens einen ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter,

der einen Gaseinlass und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass aufweist, und

einer an den Gaseinlass des Behälters anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

wobei das Gehäuse der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt aufweist, an dem der Behälter zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist derart, dass

das auf dem Boden stehende Gehäuse der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter dient, wobei der Gaseinlass und der Auslass in einer Entnahmeeinheit des Behälters ausgebildet sind, die an einer Stirnseite des Behälters insbesondere lösbar angebracht und bevorzugt mit dem Behälter verschraubt ist, wobei der Behälter über die Entnahmeeinheit mit dem Gehäuse koppelbar ist.

(Anspruch 3 EP 1 291 158 B2)

b) Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot gemäß Ziff. I.1. a) wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, angedroht, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist.

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I.1. a) bezeichneten Handlungen seit dem 12. August 2006 begangen hat und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen und Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. die unter Ziffer I.1. a) bezeichneten, im Besitz Dritter, die nicht Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse, die nach dem 12. August 2006 von der Beklagten in die Bundesrepublik Deutschland geliefert wurden, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird,

und

die unter Ziffer I.1. a) bezeichneten, im Besitz Dritter, die nicht Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse, die seit dem 1.9.2008 von der Beklagten in die Bundesrepublik Deutschland geliefert wurden, aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagte diese Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. a) bezeichneten, seit dem 12. August 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Das Landgericht hat ausgeführt, die angegriffene Ausführungsform verletze sowohl Anspruch 1 als auch Anspruch 3 des Klagepatents. Die Patentschrift biete keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit dem €Gehäuse€ nur ein handelsübliches Gehäuse gemeint sei. Es treffe auch nicht zu, dass bei der angegriffenen Ausführungsform der Kopplungsabschnitt nicht Teil des Gehäuses sei; das Klagepatent schließe nicht aus, dass der Kopplungsabschnitt als eine Ausstülpung ausgebildet sei. Ferner lasse der Umstand, dass der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar sein müsse, nicht den Schluss zu, dass sich der Kopplungsabschnitt auf oder an der Oberseite des Gehäuses befinden müsse. Bei der angegriffenen Ausführungsform diene das Gehäuse auf dem Boden stehend als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter; dies werde durch den Kopplungsabschnitt bewirkt. Auch der Umstand, dass die angegriffene Ausführungsform bereits mit vormontiertem Abdichtmittelbehälter ausgeliefert werde, führe aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht heraus. Für das Merkmal, wonach der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar sein müsse, sei nicht erforderlich, dass hierdurch bereits eine mechanische Kopplung für den Betriebszustand hergestellt sein müsse; dies werde durch den Anspruch sogar ausgeschlossen. Darüber hinaus treffe es nicht zu, dass durch die bewirkte Kopplung bereits eine sichere Verbindung geschaffen sein müsse. Vor diesem Hintergrund stehe es der Verwirklichung der technischen Lehre nicht entgegen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform zur Arretierung der Bajonett-Verbindung noch eine Drehung erforderlich sei; eine im Wesentlichen translatorische Bewegung reiche zur bezweckten Abgrenzung zu einer Schraubverbindung aus. Schließlich sei bei der angegriffenen Ausführungsform auch die mechanische Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter und der Gasdruckquelle.

Die angegriffene Ausführungsform mache ferner von Anspruch 3 des Klagepatents Gebrauch. Auch hier werde durch das Erfordernis, dass der Behälter über die Entnahmeeinheit mit dem Gehäuse koppelbar sein müssten, lediglich zum Ausdruck gebracht, dass Behälter und Gehäuse die Eigenschaft haben müssten, gekoppelt werden zu können. Diese Eignung gehe nicht dadurch verloren, dass Behälter und Gehäuse bereits im verbundenen Zustand ausgeliefert würden, solange die Verbindung wie vorliegend lösbar und nach dem Lösen wieder herstellbar sei. Entsprechendes gelte für das Merkmal der Anschließbarkeit der Gasdruckquelle an den Gaseinlass des Behälters.

Auf der Rechtsfolgenseite umfasse die Pflicht zur Rechnungslegung auch die Vorlage von Rechnungen und Lieferscheinen. Ein Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse bestehe nicht, weil nicht dargetan sei, dass die Beklagte im Inland Besitz oder Eigentum an Verletzungsformen habe. Der Umstand, dass die Beklagte im Ausland ansässig sei und kein Vernichtungsanspruch bestehe, hindere jedoch nicht die Verurteilung zu Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr auf Abweisung der Klage gerichtetes Prozessziel weiterverfolgt. Sie wiederholt und vertieft ihren Standpunkt, dass die angegriffene Ausführungsform weder von Anspruch 1 noch von Anspruch 3 Gebrauch mache. Im Hinblick auf Anspruch 1 fehle es an der Verwirklichung des Merkmals, dass der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar oder aufsteckbar sei. Das Merkmal sei im Einspruchsverfahren in den Anspruch aufgenommen worden, um eine Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik gemäß WO '328 (Anl. B2/B2a) zu ermöglichen. Diese Schrift erwähne lediglich eine verschraubbare Verbindung zwischen dem Behälter und einer Entnahmeeinheit des Gehäuses; ein Aufstecken oder Aufschieben sei hingegen nicht offenbart. Die Beschränkung bedeute, dass durch das Aufstecken bzw. das Aufschieben des Behälters auf das Gehäuse die mechanische Kopplung zur Herstellung des Benutzungszustands bewirkt werden müsse. Entgegen der Auffassung des Landgerichts müsse durch das Aufstecken oder Aufschieben die mechanische Kopplung zwischen Behälter und Gehäuse vollständig erfolgen. Unter einer mechanischen Kopplung versteht der Fachmann eine feste, sichere Verbindung zwischen dem Gehäuse und dem Behälter. Von diesem Merkmal mache die angegriffene Ausführungsform keinen Gebrauch. Das bloße Aufstecken des Behälters auf das Gehäuse entspreche nicht dem Aufstecken im Sinne des Merkmals, weil dadurch der Behälter noch nicht fest mit dem Gehäuse verbunden werde. Die Bajonettverbindung der angegriffenen Ausführungsform sei durch eine Kombination aus einer Translations- und einer Rotationsbewegung gekennzeichnet. Damit handele es sich aber nicht um eine Verbindung, welche durch ein Aufstecken des Behälters hergestellt werden könne. Nehme man dagegen an, dass reine Aufstecken des Behälters führe bereits zu einer Kopplung im Sinne des genannten Merkmals, so mache die angegriffene Ausführungsform keinen Gebrauch von dem weiteren Merkmal, wonach die mechanische Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter und der Gasdruckquelle sei.

Außerdem weise bei der angegriffenen Ausführungsform das Gehäuse der Gasdruckquelle keinen Abschnitt zur Kopplung des Behälters auf. Vielmehr sei ein solcher Abschnitt einem weiteren, an das Gehäuse angrenzenden Abschnitte ausgebildet. Aufgrund des eindeutigen Anspruchswortlauts (€Gehäuse der Gasdruckquelle€) werde sich der Fachmann an der Gestaltung eines bekannten, üblichen Gehäuses orientieren. Die einheitliche Beschreibung eines solchen einfach aufgebauten Gehäuses in der gesamten Patentschrift einschließlich ihrer Zeichnungen lehre den Fachmann, den Kopplungsabschnitt auf einem solchen Gehäuse anzuordnen.

In Anspruch 3 werde das Merkmal, dass der Gaseinlass und der Auslass in einer Entnahmeeinheit des Behälters ausgebildet sei, die an einer Stirnseite des Behälters angebracht sei, dadurch präzisiert, dass die Koppelbarkeit des Behälters mit dem Gehäuse zur Herstellung des Benutzungszustands über die Entnahmeeinheit verwirklicht werde. Diese Präzisierung sei vom Bundespatentgericht dahin ausgelegt worden, dass zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik zwischen einer bereits angebrachten (d.h. gekoppelten) und einer koppelbaren (d.h. noch nicht angebrachten) Verbindung differenziert werde. Nur auf der Grundlage dieser Differenzierung sei der Anspruch als rechtsbeständig angesehen worden. Das geschützte System stelle nach Auffassung des Bundespatentgerichts ein €Montage-Set€ dar. Demgegenüber habe das Landgericht diese Differenzierung nicht übernommen und beziehe den Begriff €koppelbar€ sowohl auf noch nicht bestehende als auch auf bereits hergestellte Verbindungen. Bei der Anspruchsauslegung im Verletzungsverfahren dürfe die Auffassung des Spruchkörpers aus einem parallel geführten Rechtsbestandsverfahren jedoch nicht außer Acht bleiben. Nach dem Verständnis des Bundespatentgerichts zeigten nur die Figuren 1a und 1b den geschützten Zustand eines Systems; nicht geschützt sei demgegenüber der in den Figuren 2A und 2B illustrierte Zustand, bei dem die Verbindung von Behälter und Gehäuse vollständig hergestellt sei. Nach der Auffassung des Landgerichts komme dem genannten Merkmal keine Bedeutung zu, welche über die Bereitstellung einer lösbaren Verbindung zwischen der Entnahmeeinheit und dem Gehäuse hinausginge.

Auf Grundlage der zutreffenden Auslegung des Bundespatentgerichts mache die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Anspruchs keinen Gebrauch, weil sie in einem betriebsfertigen Zustand vertrieben werde.

Mit Schriftsatz vom 20.08.2015, erläutert im Senatstermin vom 23.09.2015, hat die Klägerin erklärt, ihre Anträge seien dahin zu verstehen, dass sie auch Lieferungen an solche im Ausland ansässige Dritte betreffen, von denen die Beklagte weiß, dass sie auch ins Inland liefern.

Die Beklagte hält an ihrem Standpunkt fest, dass der Antrag auf Entfernung aus den Vertriebswegen nicht die erforderliche Bestimmtheit aufweise. Weiterhin ist sie der Auffassung, ein Anspruch auf Rückruf der angegriffenen Ausführungsformen scheide aus, weil sie im Inland keinen Besitz und kein Eigentum an den Vorrichtungen habe. Ein Rückruf führe in dieser Situation nur dazu, dass ausländischer Besitz bzw. ausländisches Eigentum begründet werde, was für § 140a Abs. 1 PatG unzureichend sei. Ein Anspruch auf Rückruf bzw. Entfernung aus den Vertriebswegen bestehe entgegen der Auffassung des Landgerichts nur dann, wenn der Patentinhaber auch einen Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Gegenstände habe. Dies ergebe sich auch aus Erwägungsgrund 24 der sog. Enforcement-Richtlinie.

Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils die Zurückweisung der Berufung. Die angegriffene Ausführungsform weise eine patentgemäße Aufschieb-oder Aufsteckverbindung zur mechanischen Kopplung des Behälters an das Kompressorgehäuse auf. Insoweit komme es nur darauf an, dass die Bewegungsrichtung maßgeblich translatorisch sei. Dies sei bei einer Bajonettverbindung der Fall; die für das Einrasten nötige minimale rotatorische Bewegung sei so untergeordnet, dass sie an dieser Einordnung nichts ändere. Ein abweichendes Verständnis ergebe sich auch nicht aus der Abgrenzung zum Stand der Technik im Urteil des Bundespatentgerichts gemäß Anlage K 19; vielmehr verstehe das Bundespatentgericht eine Bajonettverbindung eindeutig als Aufschieb- oder Steckverbindung. Es treffe nicht zu, dass das Aufschieben oder Aufstecken bereits zu einer festen und sicheren Verbindung führen müsse. Im Übrigen führe bei der angegriffenen Ausführungsform bereits das Aufstecken zu einer hinreichend sicheren Verbindung. Ferner treffe es nicht zu, dass Anspruch 3 auf ein €Montage-Set€ beschränkt sei; dies lasse sich auch der zitierten Entscheidung des Bundespatentgerichts nicht entnehmen. Wegen der somit vorliegenden Verletzung der Patentansprüche 1 und 3 habe das Landgericht die Beklagte zu Recht verurteilt; dies gelte auch für den Anspruch auf Rückruf oder Entfernung patentverletzender Erzeugnisse aus den Vertriebswegen.

Die Beklagte sieht in dem Vorbringen im Schriftsatz der Klägerin vom 20.08.2015 eine Klageerweiterung, der sie entgegentritt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht eine Verletzung der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 3 angenommen. Auch der Umfang der Verurteilung ist nicht zu beanstanden.

Das Klagepatent, an dessen Rechtsbeständigkeit in der geltend gemachten Form nach Rücknahme der Berufungen im Nichtigkeitsverfahren kein Zweifel besteht, betrifft ein System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände mit wenigstens einem ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter, der einen Gaseinlass und einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass aufweist, und einer an den Gaseinlass des Behälters anschließbaren Gasdruckquelle. Derartige Vorrichtungen zum Abdichten insbesondere von Reifen sind nach der Beschreibung z.B. aus DE 198 46 451 A 1 bekannt und dienen bei Kraftfahrzeugen insbesondere der Substitution des Reservereifens. Mit derartigen Vorrichtungen kann bei beschädigten, undicht gewordenen Reifen ein Abdichtmittel über das Reifenventil in den Reifen eingebracht und der Reifen anschließend zumindest auf einen Druck gebracht werden, bei dem er gefahren werden kann [0002].

Ausgehend von derartigen, bekannten Vorrichtungen nennt die Streitpatentschrift als Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Abdichtsystem zu schaffen, das bei zuverlässiger Funktionsweise möglichst preiswert, einfach aufgebaut und leicht zu handhaben ist [0003].

A. Verletzung von Anspruch 1

1. Anspruch 1 sieht vor diesem Hintergrund ein System mit den folgenden, wie in erster Instanz gegliederten Merkmalen vor:

System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen,

1. mit wenigstens einem ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter (11),

1.1 der einen Gaseinlass (13) und

1.2 einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass (15) aufweist, und

2. einer an den Gaseinlass (13) des Behälters (11) anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse (17) untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

3. wobei das Gehäuse (17) der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt (19) aufweist,

3.1 an dem der Behälter (11) zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse (17) mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist,

3.1.1 derart, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse (17) der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter (11) dient,

4. wobei der Behälter (11) auf das Gehäuse (17) aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist, und

5. wobei die mechanische Verbindung des Behälters (11) mit dem Gehäuse (17) getrennt von der Fluidverbindung zwischen dem Behälter (11) und der Gasdruckquelle ist.

2. Nach Auffassung des Bundespatentgerichts, der der Senat folgt, richtet sich das Klagepatent an einen Fachhochschul-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Kunststofftechnik, der mehrere Jahre Berufserfahrung aufweist und bereits umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Reifen-Abdichtsystemen besitzt.

Wie das Bundespatentgericht weiter überzeugend dargelegt hat, besitzt das beanspruchte System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände folgende Hauptkomponenten:

- einen Behälter, der ein Abdichtmittel enthält (Merkmal 1, nachstehend: €der Behälter€),

- eine zumindest teilweise in einem Gehäuse untergebrachte Gasdruckquelle, die an den Gaseinlass des Behälters angeschlossen werden kann (Merkmal 2, nachstehend: €der Kompressor€),

- und einen Kopplungsabschnitt, der am Gehäuse der Gasdruckquelle ausgebildet ist und zur mechanischen Kopplung des Behälters mit dem Gehäuse zur Herstellung des Benutzungszustands dient (Merkmale 3, 3.1).

Die Anordnung dieser Komponenten bewirkt in einem zusammengebauten Zustand, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter dient (Merkmal 3.1.1; s. Figuren 1a, 1b). Der Behälter weist einen Gaseinlass (Merkmal 1.1) sowie einen Auslass auf, welcher mit dem abzudichtenden Gegenstand gekoppelt werden kann (Merkmal 1.2). Der Behälter liegt demnach strömungstechnisch zwischen der Gasdruckquelle und dem abzudichtenden Gegenstand und entleert durch den Gasdruck seine Abdichtflüssigkeit in den abzudichtenden Gegenstand. Dazu muss der Behälter €bestimmungsgemäß orientiert€, also nach dem Verständnis des Fachmanns so positioniert sein, dass die sich am oder im Behälter befindliche Auslassöffnung möglichst weit unterhalb des Flüssigkeitsspiegels des gefüllten Behälters befindet. Sofern keine weitere Rohr- oder Schlauchverbindung in den Behälter führt und die Auslassöffnung entsprechend dem Ausführungsbeispiel ([0039], Fig. 1a-2b) stirnseitig angebracht ist, wird die bestimmungsgemäße Position eine aufrecht stehende sein, damit die Auslassöffnung des Behälters weitestgehend unterhalb des Flüssigkeitsspiegels liegt und die Abdichtflüssigkeit dadurch nahezu vollständig aus dem Behälter gefördert werden kann.

Diese Positionierung des Behälters im Benutzungszustand wird dadurch gewährleistet, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse der Gasdruckquelle als Standfuß für den Behälter dient (Merkmal 3.1.1). Zu diesem Zweck ist der Behälter zur Herstellung des Benutzungszustands mit dem Gehäuse mechanisch koppelbar (Merkmal 3.1). Lediglich fakultativ, in einer vorteilhaften Ausgestaltung (€insbesondere€), kann diese Verbindung form- und/oder kraftschlüssig ausgestaltet sein. Zwingend beschränkt ist diese mechanische Kopplung durch Merkmal 4, wonach der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist. Mit der Befestigung (Kopplung) des Behälters an das Gehäuse der Gasdruckquelle kann das Gehäuse somit die Doppelfunktion erfüllen, neben der Unterbringung der Gasdruckquelle auch als Standfuß für den Behälter zu dienen [0005].

Die mechanische Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse ist getrennt von der Fluidverbindung zwischen Behälter und der Gasdruckquelle (Merkmal 5). Diese Fluidverbindung, also der Anschluss des Behälters an die Gasdruckquelle über den Gaseinlass, kann vor oder nach der mechanischen Kopplung erfolgen [0011]; Gleiches gilt für die Verbindung zwischen Behälter und Fluid-Auslass, wenn Gaseinlass und Auslass - wie in Anspruch 3 und im Ausführungsbeispiel vorgesehen - in einer Entnahmeeinheit zusammengefasst sind. Damit ist jedoch ein gleichzeitiger, miteinander "verknüpfter" Kopplungsvorgang von mechanischer und Fluid-Kopplung auszuschließen, so dass der Vorgang des mechanischen Verbindens (Koppelns) nicht gleichzeitig mit der Fluid-Kopplung erfolgt (vgl. zum Ganzen BPatG, 4 Ni 52/11, Anlage K 19, S. 20-22).

3. Von der so umschriebenen technischen Lehre des Anspruchs 1 macht die angegriffene Ausführungsform, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wortsinngemäßen Gebrauch.

a) Die Beklagte greift die Würdigung des Landgerichts zunächst hinsichtlich des Merkmals 4 an, das verlangt, dass der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar oder aufsteckbar ist. Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dies müsse dahin verstanden werden, dass das Aufschieben oder Aufstecken eine vollständige, abgeschlossene mechanische Kopplung von Behälter und Gehäuse und damit eine feste Verbindung zwischen beiden bewirken müsse.

Der Beklagten ist zunächst darin zu zuzustimmen, dass Merkmal 4 eine Konkretisierung von Merkmal 3.1 enthält: Die dort vorgesehene Möglichkeit der mechanischen Kopplung (€koppelbar€) des Behälters mit dem Gehäuse zur Herstellung eines Benutzungszustands muss mit einem Aufschieben oder Aufstecken des Behälters auf das Gehäuse einhergehen (vgl. auch BPatG in Anlage K 19, S. 21). Zu Recht hat das Landgericht aber darauf hingewiesen, dass das Merkmal in seinem technischen Zusammenhang mit den weiteren Merkmalen und mit dem Gesamtinhalt der Patentschrift so zu würdigen ist, dass das Patent nach Möglichkeit als sinnvolles Ganzes verstanden werden kann (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 2.6.2015, X ZR 103/13, juris-Rn. 22 - Kreuzgestänge; BGH GRUR 2015, 868 juris-Rn. 26 - Polymerschaum II). Dabei ist im Streitfall von Bedeutung, dass in Merkmal 4 selbst eine form- oder kraftschlüssige Verbindung ausdrücklich nur als bevorzugte Ausführung (€insbesondere€), aber nicht als zwingendes Erfordernis vorgesehen ist; eine mechanische Kopplung im Sinne des Merkmals 4 kann daher auch dann vorliegen, wenn ein Kraft- oder Formschluss und damit eine mechanische Festlegung des Behälters am Gehäuse nicht oder noch nicht bewirkt ist.

Schon daraus ergibt sich, dass Merkmal 4 eine Ausführung wie die der angegriffenen Ausführungsform nicht aus dem Schutzbereich ausschließt. Eine mechanische Kopplung besteht schon dann, wenn der Behälter auf das Gehäuse aufgesteckt ist. Diese Verbindung mag noch nicht durch die Verriegelung des Bajonettverschlusses gesichert sein, aber sie besteht; ein Form- oder Kraftschluss ist nicht erforderlich.

Dass die Koppelbarkeit in Merkmal 3.1 €zur Herstellung eines Benutzungszustands€ vorgesehen ist, steht dieser Sichtweise nicht entgegen. Das Klagepatent sieht, wie sich aus Fig. 3 ergibt, die (bevorzugte) Möglichkeit einer getrennten Aufbewahrung des Behälters und des Gehäuse samt Kompressor vor, vgl. [0030] und [0043]. Deshalb soll der Behälter mit dem Gehäuse €zur Herstellung eines Benutzungszustands€ mechanisch koppelbar sein. Dass der Benutzungszustand nicht zwingend schon durch die mechanische Verbindung (abschließend) erreicht werden muss, zeigt Merkmal 5, das eine Trennung zweier Kopplungsvorgänge vorschreibt, nämlich der mechanischen Verbindung zwischen Behälter und Gehäuse einerseits und der Fluidverbindung zwischen Behälter und Gasdruckquelle andererseits. Beide Verbindungen dürfen nach dem oben Ausgeführten nicht uno actu bewirkt werden (vgl. BPatG, Anlage K 19, S. 22, 36). Die Fluidverbindung kann aber nicht nur - wie im Ausführungsbeispiel - vor, sondern auch - wie bei der angegriffenen Ausführungsform: durch die verriegelnde Drehbewegung - nach der mechanischen Kopplung hergestellt werden [0011]. Daraus ergibt sich zwingend, dass die in Merkmal 3.1 vorgesehene mechanische Kopplung den Benutzungszustand nicht abschließend herbeiführen muss; sie muss lediglich €zur Herstellung des Benutzungszustands€ dienen.

Nach [0016] der Beschreibung dient Merkmal 4 praktischen Zwecken, nämlich einer besonders einfachen Verbindung des Behälters mit dem Gehäuse:

€In einer besonders bevorzugten praktischen Gestaltung der Erfindung ist vorgesehen, daß der Behälter auf das Gehäuse aufschiebbar und/oder aufsteckbar ist. Eine besonders einfache Kopplung des Behälters mit dem Gehäuse wird gemäß einer bevorzugten Ausführungsform erzielt, wenn für diese Kopplung lediglich eine einzige in einem Zuge erfolgende Relativbewegung zwischen dem Behälter und dem Gehäuse erforderlich ist. Vorzugsweise handelt es sich um eine lineare Relativbewegung.€ (vgl. auch Unteranspruch 8)

Auch diese Passage zeigt, dass der Anspruch nicht auf Vorrichtungen beschränkt ist, bei denen die Verbindung von Gehäuse und Behälter abschließend durch Aufstecken oder Aufschieben hergestellt wird.

Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Sichtweise des Bundespatentgerichts, dass die bei einem Bajonettverschluss stattfindende Drehung zur Verriegelung der Verbindung das Vorliegen einer aufschiebbaren oder aufsteckbaren Verbindung nicht ausschließt. Das bei der angegriffenen Ausführungsform unstreitig notwendige, von oben nach unten verlaufende Aufstecken genügt vielmehr zur Verwirklichung des Merkmals 4. Der Behälter wird auch €auf€ das Gehäuse aufgesteckt. Dies erfordert nicht, dass der Behälter €an höchster Stelle€ des Gehäuses positioniert werden muss; es reicht vielmehr die Positionierung an einem lokal relativ höchsten Gehäuseteil (BPatG, Anlage K 19, S. 31 f.).

b) Soweit die Beklagte weiter der Auffassung ist, bei der hier vertretenen Sichtweise sei Merkmal 5 nicht verwirklicht, kann dem nicht gefolgt werden. Die von diesem Merkmal vorgeschriebene Trennung der mechanischen Verbindung Behälter - Gehäuse von der Fluidverbindung Behälter - Gasdruckquelle ist bei der angegriffenen Ausführungsform in jedem Fall realisiert. Unstreitig bewirken weder das Aufstecken des Behälters auf das Gehäuse noch die anschließende, zur Verriegelung dienende Drehung des Behälters um ca. 20 Grad eine Verbindung zwischen Behälter und Gasdruckquelle. Hierfür ist es vielmehr zusätzlich erforderlich, dass ein vom Kompressor kommender Gasschlauch mit dem Gaseinlass des Behälters verbunden wird (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 24.09.2013, Rn. 22 ff. = AS I 265 ff.; Schriftsatz der Beklagten vom 31.10.2013, Rn. 44 = AS I 284 ff.). Damit wird die Fluidverbindung sowohl physisch als auch zeitlich getrennt von der mechanischen Verbindung zwischen Behälter und Gehäuse hergestellt. Dass das Anschließen des Gasschlauchs nach dem bloßen Aufstecken des Behälters (also vor der Verriegelung des Bajonettverschlusses) noch nicht möglich ist, führt aus der Verwirklichung des Merkmals nicht heraus; die gegenteilige Sichtweise der Beklagten beruht letztlich auf ihrer Ansicht, mit dem Aufstecken oder Aufschieben müsse die mechanische Verbindung zwischen Behälter und Gehäuse bereits vollständig abgeschlossen sein; diesem Verständnis kann aber, wie dargelegt, nicht gefolgt werden.

c) Schließlich hält die Beklagte auch an ihrer Ansicht fest, Merkmalsgruppe 3 sei nicht verwirklicht, weil sich der Kopplungsabschnitt, durch den bei der angegriffenen Ausführungsform der Behälter mit dem Gesamtsystem verbunden wird, nicht am Gehäuse der Gasdruckquelle befinde, weil sich der Fachmann insoweit - der Darstellung in der Beschreibung folgend - an der Gestaltung der im Stand der Technik bekannten, einfachen Gehäuse orientiere. Bei der angegriffenen Ausführungsform stelle nur der hohe, voluminöse Teil das Gehäuse der Gasdruckquelle (des Kompressors) dar; der niedrige Teil, in den der Behälter eingeführt werde, sei eine eigene, vom Gehäuse getrennt zu betrachtende Aufnahmevorrichtung.

Dieser Betrachtung ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen entgegengetreten; sie ist mit anerkannten Grundsätzen der Schutzbereichsbestimmung nicht vereinbar. Maßgebliche Grundlage dafür, was durch ein europäische Patent unter Schutz gestellt ist, ist gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (BGHZ 106, 84, 94 - Schwermetalloxidationskatalysator). Das Protokoll zur Auslegung von Art. 69 EPÜ drückt dies durch seinen Hinweis aus, daß die Patentansprüche nicht lediglich als Richtlinie dienen dürften. Das verleiht dem in dem betreffenden Patentanspruch gewählten Wortlaut entscheidende Bedeutung. Was - bei sinnvollem Verständnis - mit ihm nicht so deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend erkannt wird, kann den Gegenstand dieses Patentanspruchs nicht kennzeichnen. Auch die zur Erfassung des Sinngehalts eines Patentanspruchs vorgesehene Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents (vgl. BGH GRUR 2015, 868 juris-Rn. 26 - Polymerschaum II; BGH GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube) darf weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (vgl. BGHZ 160, 204 juris-Rn. 26 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

Zu Recht hat das Landgericht vor diesem Hintergrund darauf hingewiesen, dass Anspruch 1 keine Beschränkung im Hinblick auf €übliche€ oder gar €einfache€ Gehäuseformen enthält. Dass das in der Patentschrift dargestellte Ausführungsbeispiel von einem (relativ) schlichten €quader- oder kastenförmigen Gehäuse 17€ und von einer €Einheit aus Kompressor und Gehäuse€ ausgeht, die €im Handel frei erhältlich€ sein soll, kann nicht zu einer entsprechenden Beschränkung des Schutzbereichs führen, weil diese Ausführung keinen Niederschlag im Patentanspruch gefunden hat. Letzterer ist allerdings im Lichte der Beschreibung unter Berücksichtigung der erkennbaren technisch-funktionalen Zwecke und Zusammenhänge auszulegen. Die Funktion, die das Gehäuse im Zusammenhang der durch Anspruch 1 geschützten Erfindung erfüllen soll, ist jedoch in Merkmal 3.1.1 ausdrücklich genannt: Das Gehäuse soll, wenn der Behälter mit ihm mechanisch verbunden ist, als Standfuß des Behälters dienen und diesen damit in einer für den Betrieb des Reparatursystems geeigneten (z.B. aufrechten) Position halten.

Gerade diese funktionelle Betrachtung zeigt aber, dass der von der Beklagten als €Aufnahmeeinrichtung€ bezeichnete Teil dem Gehäuse zugeordnet werden muss, und zwar als Kopplungsabschnitt im Sinne des Merkmals 3. Die €Aufnahmeeinrichtung€ ist einstückig am Gehäuse ausgebildet und damit geeignet, dessen Standfestigkeit auf den ordnungsgemäß befestigten Behälter zu übertragen, so dass der Behälter in einer aufrechten Position gehalten wird.

Im Ergebnis haben daher die gegen die Annahme einer wortsinngemäßen Benutzung der Lehre des Anspruchs 1 gerichteten Berufungsangriffe keinen Erfolg.

B. Verletzung von Anspruch 3

1. Der nebengeordnete Anspruch 3 des Klagepatents hat ebenfalls ein Abdichtsystem zum Gegenstand, dessen Merkmale sich in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil wie folgt gliedern lassen:

System zum Abdichten aufblasbarer Gegenstände, insbesondere Reifen,

1. mit wenigstens einem ein Abdichtmittel enthaltenden Behälter (11),

1.1 der einen Gaseinlass (13) und

1.2 einen mit einem abzudichtenden Gegenstand koppelbaren Auslass (15) aufweist,

1.3 wobei der Gaseinlass (13) und der Auslass (15) in einer Entnahmeeinheit (29) des Behälters (11) ausgebildet sind,

1.3.1 die an einer Stirnseite des Behälters (11) insbesondere lösbar angebracht und bevorzugt mit dem Behälter (11) verschraubt ist, und

2. einer an den Gaseinlass (13) des Behälters (11) anschließbaren und zumindest teilweise in einem Gehäuse (17) untergebrachten Gasdruckquelle, insbesondere einem elektrisch betreibbaren Kompressor,

3. wobei das Gehäuse (17) der Gasdruckquelle zumindest einen Kopplungsabschnitt (19) aufweist,

3.1 an dem der Behälter (11) zur Herstellung eines Benutzungszustands mit dem Gehäuse (17) mechanisch und insbesondere form- und/oder kraftschlüssig koppelbar ist

3.1.1 derart, dass das auf dem Boden stehende Gehäuse (17) der Gasdruckquelle als Standfuß für den bestimmungsgemäß orientierten Behälter (11) dient,

4. wobei der Behälter (11) über die Entnahmeeinheit (29) mit dem Gehäuse (17) koppelbar ist.

2. Die Merkmale 1 bis 1.2, 2 und 3 bis 3.1.1 stimmen mit denen des Patentanspruchs 1 überein. Anstelle des Merkmals 4 (Behälter auf Gehäuse aufschiebbar/aufsteckbar) ist nun die Merkmalsgruppe 1.3 im Anschluss an Merkmal 1.2 angefügt. Merkmal 1.3 ordnet den Gaseinlass und den Auslass einer Entnahmeeinheit des Behälters zu: Sowohl Gaseinlass als auch Fluidauslass sind in dieser Entnahmeeinheit (des Behälters) ausgebildet. Die Entnahmeeinheit ist an der Stirnseite des Behälters angebracht (Merkmal 1.3.1), wobei lediglich bevorzugte (fakultative) Ausführungsvarianten die Verbindung von Behälter zu Entnahmeeinheit als lösbar bzw. miteinander verschraubt vorsehen. Dadurch, dass die Entnahmeeinheit an die Stirnseite des Behälters befestigt ist, ist sie auch als Einheit dem Behälter (direkt) zugeordnet (vgl. BPatG, Anlage K 19, S. 26).

Merkmal 4 konkretisiert auch hier - wie in Anspruch 1 - die in den Merkmalen 3.1 / 3.1.1 vorgesehene Möglichkeit, den Behälter über den Kopplungsabschnitt des Gehäuses mit diesem mechanisch (vorzugsweise form- oder kraftschlüssig) so zu koppeln, dass das Gehäuse im Betriebszustand einen Standfuß für den Behälter bilden kann: Diese Kopplung soll nach Merkmal 4 des Anspruchs 3 €über die Entnahmeeinheit€ bewirkt werden können. Auch hier verlangen Merkmale 3.1 und 4 lediglich, dass durch geeignete Vorkehrungen erreicht wird, dass der Behälter unter technischer Mitwirkung der (ihm zugeordneten) Entnahmeeinheit mit dem Gehäuse mechanisch gekoppelt werden kann. Die Entnahmeeinheit muss - anders ausgedrückt - einen technischen Beitrag zur mechanischen Verbindbarkeit von Behälter und Gehäuse leisten; insofern hat auch sie eine Doppelfunktion: Sie fasst zum einen den Gaseinlass und den Dichtmittelauslass des Behälters in einer separaten, aber dem Behälter zugeordneten Einheit zusammen (Merkmale 1.3, 1.3.1); zum anderen wird sie zur mechanischen Koppelbarkeit des Behälters mit dem Gehäuse genutzt (Merkmale 3.1, 4).

3. Dagegen kann dem Anspruch 3 nicht entnommen werden, dass das von Anspruch 3 beanspruchte €System€ als €Montage-Set€ in dem Sinne zu betrachten sei, dass nur der getrennte, nicht gekoppelte Zustand von Behälter und Gehäuse geschützt wäre und der verbundene, betriebsfertige Zustand nicht (mehr€) unter den Schutzbereich des Anspruchs 3 fiele. Eine solche Einschränkung ist dem für die Schutzbereichsbestimmung maßgeblichen Anspruchswortlaut auch bei der gebotenen Interpretation im Lichte des Gesamtinhalts der Patentschrift nicht zu entnehmen. Mit dem Erfordernis, dass Behälter und Gehäuse €koppelbar€ sein sollen (Merkmalsgruppe 3, Merkmal 4), wird lediglich - wie in Anspruch 1 - verlangt, dass Gehäuse und Behälter geeignet sein sollen, in der dort näher beschriebenen Weise mechanisch miteinander verbunden zu werden, d.h. aus dem getrennten in einen verbundenen, betriebstüchtigen Zustand überführt zu werden. Dass in Fig. 3 die getrennte Aufbewahrung von Behälter und Gehäuse in einem Beutel 49 gezeigt wird [0049], illustriert lediglich den Zweck der genannten Eignung, besagt aber nichts darüber, dass einer der beiden möglichen Zustände (getrennt oder gekoppelt) nicht unter das Klagepatent fiele. Der Annahme, dass der gekoppelte Zustand vom Schutz ausgenommen sein könnte, stehen die Figuren 2a und 2b sowie ihre Erörterung in der Beschreibung [0037 ff.] entgegen, die zur einheitlichen Erörterung des einzigen Ausführungsbeispiels der Erfindung gehören. Eine Schutzbereichsbestimmung, die zur Folge hat, dass das einzige Ausführungsbeispiel - zumindest teilweise - nicht in den Schutzbereich fallen soll, ist nur bei entsprechend deutlichen Anhaltspunkten im Patentanspruch zulässig (vgl. - für den Extremfall - BGH GRUR 2015, 159 juris-Rn. 26 - Zugriffsrechte), die im Streitfall fehlen.

Der Senat verkennt nicht, dass das Bundepatentgericht in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren ausführt, der Fachmann entnehme dem Begriff €koppelbar€,

€dass die Verbindung noch nicht hergestellt ist - und erst für den Bedarfsfall hergestellt wird. Dies impliziert ebenfalls, dass das vorliegende €System€ sozusagen als €Montage-Set€ zu betrachten ist, im Falle des Ausführungsbeispiels gemäß den Figuren als Pannen-Set, bei dem die Entnahmeeinheit mit dem Behälter vormontiert ist und eine koppelbare Verbindung dann nur noch zwischen Entnahmeeinheit und Gehäuse stattfinden kann.€ (Anlage K 19, S. 26)

bzw.

€dass die Kopplung in Form des zur Verfügung gestellten €Pannen-Sets€ noch nicht erfolgt ist und erst im Bedarfsfall vorgenommen wird€ (Anlage K 19 S. 44 sub 3.1.1).

Damit wird aber nach dem Verständnis des Senats nichts anderes zum Ausdruck gebracht als die oben dargelegte - und auch vom Bundepatentgericht (a.a.O. S. 26) hervorgehobene - Eignung von Gehäuse und Behälter, in der näher beschriebenen Weise gekoppelt zu werden. Entnahmeeinheit und Behälter sollen vormontiert sein, während Behälter und Gehäuse getrennt sein und erst im Bedarfsfall gekoppelt werden können. Dementsprechend stellt das Bundespatentgericht bei der Abgrenzung zum Stand der Technik an keiner Stelle auf den Unterschied zwischen dem getrennten und dem verbundenen Zustand von Behälter und Gehäuse ab. Bei der Abgrenzung zur Entgegenhaltung D7 wird vielmehr herausgearbeitet, dass dort Entnahmeeinheit und Gehäuse (nicht: Behälter und Gehäuse) fest verbunden, also vormontiert sind; deshalb - also wegen der Verbindung von Entnahmeeinheit und Gehäuse - kann die Verbindung von Behälter und Gehäuse nicht über die (nach Merkmal 1.3 am Behälter angebrachte) Entnahmeeinheit hergestellt werden (vgl. BPatG Anlage K 19, S. 44 sub 3.1.1, S. 45 f. sub 3.2.1).

4. Damit ist aber dem Einwand der Beklagten gegen die Annahme einer Verletzung des Anspruchs 3 durch die angegriffene Ausführungsform die Grundlage entzogen. Dass bei der angegriffenen Ausführungsform der Behälter eine Entnahmeeinheit im Sinne der Merkmale 3.1 und 3.1.1 aufweist und dass die mechanische Kopplung von Behälter und Gehäuse gerade unter Mitwirkung dieser Entnahmeeinheit geschieht, ergibt sich auch aus der eigenen Darstellung der Beklagten vom Kopplungsvorgang. Dass die übrigen Merkmale, insbesondere auch das Gehäuse im Sinne der Merkmale 2 und 3 verwirklicht sind, wurde zu Anspruch 1 bereits dargelegt.

C. Rechtsfolgen

1. Wegen der somit vorliegenden Verletzung der Ansprüche 1 und 3 des Klagepatents stehen der Klägerin die vom Landgericht zuerkannten Ansprüche auf Unterlassung (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG), Auskunft und Rechnungslegung (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 140b PatG, 242, 259 BGB), Schadensersatz (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG) sowie auf Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen zu (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG).

Die Beklagte rügt, dass der Antrag (und der entsprechende erstinstanzliche Urteilsausspruch) auf Entfernung patentverletzender Erzeugnisse aus den Vertriebswegen der zu fordernden Bestimmtheit entbehre. Dem ist das Landgericht zu Recht nicht gefolgt. Antrag und Urteilstenor sind nicht nur allgemein auf das Entfernen aus den Vertriebswegen gerichtet, sondern verlangen konkretisierend, dass die Beklagte €die Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung beim jeweiligen Besitzer veranlasst€. Eine nähere Bestimmung der zu treffenden Maßnahmen ist wegen der vielgestaltigen tatsächlichen Möglichkeiten, die sich regelmäßig der Kenntnis des Klägers entziehen, weder möglich noch erforderlich. Es ist primär Sache des Verletzers zu entscheiden, welche praktischen Maßnahmen zur Entfernung aus den Vertriebswegen erforderlich sind. Richtig ist, dass damit die Frage, zu welchen konkreten Maßnahmen der Verletzer verpflichtet ist, um seiner tenorierten Pflicht zu genügen, ins Vollstreckungsverfahren verlagert werden kann. Das ist indessen vielfach unvermeidlich und im Interesse einerseits eines effektiven Rechtsschutzes, andererseits aber auch der Einzelfallgerechtigkeit hinzunehmen (ebenso Mes, PatG/GebrMG, 4. Aufl., § 140a Rn. 27; a.A. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rn. 1447).

2. Weiter beanstandet die Beklagte die Verurteilung zum Rückruf patentverletzender Erzeugnisse, ohne dass festgestellt ist, dass die Beklagte im Inland Besitz oder Eigentum an patentverletzenden Erzeugnissen hätte. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass § 140a Abs. 3 S. 1 PatG im Unterschied zu § 140a Abs. 1 S. 1 PatG nicht voraussetzt, dass der Verletzer im Inland Besitz oder Eigentum an den patentverletzenden Erzeugnissen hat und dass als problematisch lediglich der Rückruf ins Ausland, nämlich zum ausländischen Sitz des Verletzers angesehen wird, weil dieser Rückruf dann nicht die Pflicht zur Vernichtung der zurückgerufenen Gegenstände nach sich ziehen kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.07.2013, I-2 U 98/11, juris-Rn. 129). Demgegenüber teilt der Senat die vom Landgericht vertretenen, ausführlich und überzeugend begründete Auffassung, dass der Rückrufsanspruch nach §140a Abs. 3 PatG auch in dieser Konstellation besteht (Senatsurteil vom 08.04.2015, 6 U 92/13, unveröffentlicht). Hieran wird festgehalten. Die Geltendmachung des Rückrufs- und Entfernungsanspruchs dient nicht ausschließlich der Vorbereitung der Vernichtung. Vielmehr handelt es sich bei den Ansprüchen auf Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen um einen Folgenbeseitigungsanspruch, der den durch die Patentverletzung entstandenen Störungszustand beseitigen und die Perpetuierung der Rechtsverletzung auf weiteren Stufen der inländischen Vertriebskette verhindern soll. Eine solche Folgenbeseitigung verliert ihren Sinn nicht dadurch, dass kein Vernichtungsanspruch besteht. Denn durch den Rückruf und die Entfernung aus den inländischen Vertriebswegen wird der inländische Störungszustand, der dadurch eingetreten ist, dass sich rechtsverletzende Waren in den inländischen Vertriebswegen befinden, beseitigt und die Perpetuierung der inländischen Rechtsverletzung dadurch verhindert (ebenso Kühnen, a.a.O., Rn. 1430, a.A. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Art. 10 Abs. 1 und Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2004/48/EG stehen dieser Betrachtung nach Auffassung des Senats nicht entgegen; aus ihnen kann insbesondere nicht hergeleitet werden, dass der Rückrufs- und Entfernungsanspruch sozusagen als €Hilfsanspruch€ des Vernichtungsanspruchs konzipiert wäre. Die genannten €Abhilfemaßnahmen€ stehen vielmehr selbständig nebeneinander.

3. Wegen der weiteren Rechtsfolgen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, soweit sie für die Berufungsinstanz von Bedeutung sind. Die Beklagte hat insoweit keine konkreten Einwände erhoben. Gegen die Teilabweisungen der Anträge auf Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen hat die Klägerin kein Rechtsmittel eingelegt.III.

Die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie eine Erweiterung der Klage in der Berufungsinstanz erstrebt, bleibt ebenfalls im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Die Klägerin will, wie sie in Erläuterung ihres jüngsten Schriftsatzes vom 20.08.2015 im Senatstermin vom 23.09.2015 erklärte, ihre Anträge dahin verstanden wissen, dass sie auch Lieferungen an solche im Ausland ansässige Dritte betreffen, von denen die Beklagte weiß, dass sie auch ins Inland liefern; als Beispiel wurde die - als solche unstreitige - Lieferung an den Automobilhersteller Fiat genannt. Die Beklagte sieht hierin eine Erweiterung der Klage in der Berufungsinstanz, der sie entgegentritt; hilfsweise macht sie geltend, dass ihr die Auskunfterteilung darüber, welche der von ihr im patentfreien Ausland gelieferten Reparatursets in Deutschland vertrieben wurden, unmöglich sei (Schriftsatz vom 15.09.2015).

Mit ihrem Vorbringen hat die Klägerin in der Berufungsinstanz einen neuen Streitgegenstand eingeführt, denn mit den Lieferungen an im Ausland ansässige Dritte, die ihrerseits auch ins Inland liefern, wird zur Begründung der Klage ein weiterer Verletzungstatbestand und damit ein neuer Lebenssachverhalt eingeführt (vgl. BGH NJW 2008, 1953 juris-Rn. 15). Dem bisherigen Vorbringen der Klägerin lässt sich entgegen ihrer Darstellung nicht entnehmen, dass die Klageanträge von Anfang an auch auf diesen Lebenssachverhalt gestützt wurden. Die Beklagte hat nach den unbeanstandeten Feststellungen des Landgerichts die angegriffene Ausführungsform im Inland angeboten und ins Inland geliefert. Die Klägerin hat in der Klageschrift vorgetragen, die Angebote der angegriffenen Ausführungsform auf den Internetseiten www.tekautomotive.de bzw. www.tekautomotive.com richteten sich auch an inländische Abnehmer, zumal dort berichtet werde, dass die Reparaturkits allen global tätigen Automobilherstellern angeboten würden. Auch direkte Lieferungen ins Inland hat die Beklagte, wie sie einräumt, nicht bestritten, weil sie nicht habe ausschließen können, dass einzelne Bestellungen aus Deutschland erfolgt und abgewickelt worden seien. Demgegenüber stellt der Vorwurf, die im Ausland ansässige Beklagte habe an ausländische Abnehmer, die ihrerseits (auch) ins Inland liefern, einen eigenständigen Verletzungssachverhalt und damit einen weiteren Klagegrund dar.

2. Einen neuen Klagegrund kann die Klägerin, die in erster Instanz obsiegt hat, in der Berufungsinstanz nur im Wege der Anschlussberufung in den Rechtsstreit einführen. Der Berufungsbeklagte, der die in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, muss sich gemäß § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen. Von der Notwendigkeit, Anschlussberufung einzulegen, ist auch dann auszugehen, wenn die Einführung eines neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, will damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der (Wider-)Klage verfolgten Anspruch (vgl. BGH NJW 2008, 1953 juris-Rn. 15; BGH GRUR 2012, 180 juris-Rn. 22 m.w.N. - Werbegeschenke).

Für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ist nicht die ausdrückliche Erklärung erforderlich, es werde Anschlussberufung oder Anschlussrevision eingelegt. Vielmehr genügt jede Erklärung, die sich ihrem Sinn nach als Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz darstellt. Der Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite kann daher auch konkludent in der Weise erfolgen, dass der Kläger sein im Übrigen unverändertes Klagebegehren auf einen weiteren Klagegrund stützt (BGH a.a.O. juris-Rn. 26 - Werbegeschenke). Damit ist im Streitfall in der Geltendmachung des auf die Belieferung eines ausländischen Abnehmers gestützten weiteren Klagegrundes, der eine Antragsänderung nicht erforderte, die Einlegung der Anschlussberufung zu sehen.

3. Dieses Anschlussrechtmittel kann auch nicht als verfristet angesehen werden. Zwar hat sich die Klägerin der Berufung der Beklagten nicht innerhalb der gesetzten Frist zur Berufungserwiderung (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) angeschlossen. Die ursprünglich auf 25.04.2014 bestimmte Frist zur Erwiderung auf die Berufung wurde zweimal verlängert; die verlängerte Frist lief am 30.07.2014 ab. Mit Schriftsatz vom selben Tage hat die Klägerin auf die Berufung erwidert, ohne aber den weiteren Streitgegenstand einzuführen; dies geschah - wie erwähnt - erst mit Schriftsatz vom 20.08.2015. Gleichwohl liegt eine Fristversäumnis nicht vor. Denn die Bestimmung der Frist zur Berufungserwiderung war -soweit es um die Frist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO geht - nicht wirksam. Die formularmäßige Verfügung vom 14.03.2014, mit der Frist zur Antwort auf die Berufungsbegründung gesetzt wurde, enthielt zwar einen Hinweis auf die Ausschlusswirkung der §§ 530, 296 Abs. 1 und 4 ZPO, nicht aber die von §§ 524 Abs. 3 S. 2, 521 Abs. 2 S. 2, 277 Abs. 2 ZPO geforderte Belehrung über die Folgen einer Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung. Dies macht die Fristbestimmung nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unwirksam (BGH a.a.O. juris-Rn. 28 f. m.w.N. - Werbegeschenke).

4. Die Anschlussberufung ist aber unbegründet. Dem unstreitigen Vortrag der Klägerin lässt sich eine weitere Patentverletzung nicht entnehmen.

a) Das Patent entfaltet Schutz nur gegen unbefugte Benutzungen in seinem Geltungsbereich (vgl. Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl., § 9 Rn. 10). Soweit die Patentverletzung durch Lieferungen begangen sein soll, ist eine Lieferung im oder ins Inland erforderlich. Erfasst sind damit jedenfalls die - hier unstreitigen - direkten Lieferungen an inländische Abnehmer, wobei Regelungen zum Besitz- oder Gefahrübergang unerheblich sind (vgl. BGH GRUR 2015, 467 juris-Rn. 26, 30 - Audiosignalcodierung, unter Hinweis auf BGH GRUR 2002, 599 - Funkuhr I). Reine Auslandssachverhalte sind dagegen schon objektiv keine Verletzungen des Klagepatents, das als deutscher Teil eines europäischen Patents nur im Inland Schutz beanspruchen kann (vgl. auch OLG Düsseldorf InstGE 11, 203 juris-Rn. 125).

Deshalb kann die Lieferung eines im Ausland ansässigen und tätigen Unternehmens (hier: der in Italien ansässigen Beklagten zu 1) an ein ebenfalls im Ausland ansässiges Unternehmen (hier: die Firma Fiat in Italien) im Grundsatz schon objektiv, d.h. unabhängig von möglichen Verschuldenserwägungen, keine Patentverletzung im Inland sein. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn (1) der gelieferte Gegenstand in der Folge ins Inland weitergeliefert und (2) diese Weiterlieferung ins Inland dem ursprünglichen, im Ausland ansässigen Lieferanten objektiv zugerechnet werden kann.

Für einen Fall der Mittäterschaft, also einer gemeinschaftlich begangenen Patentverletzung im Sinne eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens (vgl. § 830 Abs. 1 S. 1 BGB) ist im Streitfall ebensowenig ersichtlich wie für eine Gehilfenschaft der Beklagten für eine von Fiat begangene inländische Patentverletzung (vgl. § 830 Abs. 2 BGB). Schuldner der Ansprüche gem. §§ 139 ff. PatG kann nach der Rechtsprechung des X. und des Xa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs aber auch sein, wer lediglich eine weitere Ursache für die Rechtsverletzung setzt, indem er eine von ihm ermöglichte Rechtsverletzung durch einen Dritten nicht unterbindet, obwohl dies von ihm zu erwarten wäre. Für den Tatbestand der Patentverletzung ist die Unterscheidung zwischen eigener und ermöglichter fremder Benutzung für unerheblich erachtet worden (BGHZ 159, 221, 230 f. - Drehzahlermittlung). Da jeder Beteiligte - gegebenenfalls neben anderen als Nebentäter im Sinne des § 840 Abs. 1 BGB - bereits für eine fahrlässige Patentverletzung einzustehen hat, hat der X. Zivilsenat für die täterschaftliche Schadensersatzverpflichtung grundsätzlich jede vorwerfbare Verursachung der Rechtsverletzung einschließlich der ungenügenden Vorsorge gegen solche Verstöße genügen lassen (BGHZ 171, 13 Tz. 17 - Funkuhr II; BGH GRUR 2002, 599 - Funkuhr I). Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Täterschaft bei einem Fahrlässigkeitsdelikt keine Tatherrschaft voraussetzt, der für die Fahrlässigkeitsdelikte geltende einheitliche Täterbegriff eine Unterscheidung zwischen Täter und Gehilfen vielmehr entbehrlich macht (BGHZ 182, 245 juris-Rn. 34 m.w.N. - MP3-Player-Import).

Das bedeutet nicht, dass jede Mitverursachung der von einem anderen vorgenommenen Nutzung der geschützten Lehre bei entsprechender Vermeidbarkeit als fahrlässige Patentverletzung anzusehen wäre. Die Zurechnung der fremden Schutzrechtsverletzung bedarf vielmehr einer zusätzlichen Rechtfertigung, weil sie anderenfalls zu einer uferlosen, in Fällen mit Auslandsbezug auch mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV nicht vereinbaren Ausdehnung des nationalen Rechtsschutzes führen würde (vgl. zum letzteren Gesichtspunkt BGH GRUR 2012, 621 Rn. 35 - OSCAR). Die Rechtfertigung besteht in der Regel in der Verletzung einer Rechtspflicht, die jedenfalls auch dem Schutz des verletzten absoluten Rechts dient und bei deren Beachtung der Mitverursachungsbeitrag entfallen oder jedenfalls als verbotener und daher zu unterlassender Beitrag des Handelnden zu der rechtswidrigen Handlung eines Dritten erkennbar gewesen wäre (BGH a.a.O. juris-Rn. 36 - MP3-Player-Import). Das Bestehen und der Umfang einer Rechtspflicht zur Vermeidung eines schutzrechtsverletzenden Erfolgs richtet sich im Einzelfall nach der Abwägung aller betroffenen Interessen und relevanten rechtlichen Wertungen; es kommt entscheidend darauf an, ob und inwieweit dem in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Falles ein Tätigwerden zuzumuten ist. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der Schutzbedürftigkeit des Verletzten und der Zumutbarkeit von Prüfungs- und Handlungspflichten, die von Dritten zu beachten sind: Je schutzwürdiger der Verletzte, desto mehr Rücksicht auf seine Interessen kann dem Dritten zugemutet werden. Je geringer andererseits das Schutzbedürfnis, desto kritischer ist zu prüfen, ob von dem Dritten erwartet werden muss, Schutzrechtsverletzungen aufzuspüren und gegebenenfalls abzustellen oder zu verhindern (BGH a.a.O. juris-Rn. 43 m.w.N. - MP3-Player-Import).

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in Fällen wie dem vorliegendem, in welchem ein im Ausland vorgenommenes Verhalten Auswirkungen auf inländische Schutzrechte hat, entschieden, dass dieses nur dann Ansprüche begründen kann, wenn es einen hinreichenden wirtschaftlichen Inlandsbezug (€commercial effect€) aufweist (BGH aaO. Rn. 36). Ein solcher hinreichender Inlandsbezug liegt nach Auffassung des Senats vor, wenn die im Ausland stattfindenden Handlungen nicht nur reflexartig Inlandswirkungen haben, sondern von vornherein darauf zielen, Benutzungshandlungen im Inland zu ermöglichen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.02.2012 - I - 2 U 134/10, abrufbar unter www.duesseldorfer-archiv.de).

Dies setzt voraus, dass der im Ausland ansässige Lieferant, der aufgrund der Lieferung an einen ausländischen Abnehmer wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird, Kenntnis davon hat, dass der Abnehmer die patentgemäßen Gegenstände seinerseits bestimmungsgemäß (direkt oder indirekt) zumindest auch ins Inland liefert. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung in der genannten Situation eine Verantwortlichkeit des im Ausland ansässigen Lieferant für die Verletzung inländischer Patentrechte nur dann angenommen, wenn er die patentgemäßen Vorrichtungen in Kenntnis des Bestimmungslandes (z.T. auch gefordert: in Kenntnis des Klagepatents) liefert und damit den inländischen Vertrieb bewusst und willentlich mitverursacht (vgl. BGH GRUR 2002, 599 juris-Rn. 1 - Funkuhr; BGHZ 204, 114 = GRUR 2015, 467 juris-Rn. 32 - Audiosignalcodierung, unter Bestätigung v. Senat GRUR 2014, 59 juris-Rn. 69 - MP2-Geräte; OLG Düsseldorf IPRspr 2011, Nr 234, 606 juris-Rn. 65; OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.05.2011, I-2 U 9/10, juris-Rn. 73; LG Düsseldorf InstGE 3, 174, 175 - Herzkranzgefäß-Dilatationskatheter; restriktiver LG Mannheim GRUR-RR 2013, 449 - Seitenaufprall-Schutzeinrichtung; weitergehend wohl Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl., § 9 Rn. 10). Hieran ist festzuhalten. Würde man die Verantwortlichkeit des ausländischen Lieferanten schon dann bejahen, wenn dieser eine Weiterlieferung seines Abnehmers ins Inland lediglich für möglich hält und sich - im Sinne bedingten Vorsatzes - mit ihr abfindet, so führte dies zu einer übermäßigen Ausdehnung des inländischen Patentschutzes und würde den ausländischen Lieferanten unübersehbaren Haftungsrisiken und in der Folge kaum leistbaren Nachforschungsobliegenheiten aussetzen. Im Fall einer Auslandslieferung ist vielmehr Mindestvoraussetzung für einen hinreichenden Inlandsbezug und damit für eine patentrechtliche Haftung, dass der Lieferant Kenntnis (im Sinne direkten Vorsatzes) davon hat, dass sein ausländischer Abnehmer die patentgemäßen Gegenstände zumindest auch ins Inland liefert.

b) Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe keine Kenntnis darüber, ob und in welcher Menge die von ihr gelieferten Produkte in Deutschland vertrieben würden; die Entscheidung, welche Fahrzeuge für welche Märkte mit den Produkten der Beklagten ausgestattet bzw. für welche Fahrzeuge diese als Ersatzteile angeboten würden, liege allein bei den Abnehmern. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Kenntnis davon gehabt hätte, dass Fiat die angegriffenen Ausführungsformen auch nach Deutschland liefert, hat die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin (auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, in der das Problem erörtert wurde) nicht vorgetragen. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass die Beklagte Kenntnis von Lieferungen ihrer ausländischen Abnehmer ins Inland gehabt hat; gerade bei Zusatzausstattung wie den hier streitigen Reifenreparatursets kann es Differenzierungen nach einzelnen Ländern geben. Der allgemein bekannte Umstand, dass Fiat Kraftfahrzeuge auch in der Bundesrepublik Deutschland vertreibt, lässt also für sich genommen nicht den Schluss zu, dass sie auch Kenntnis davon hatte, dass die angegriffenen Reifenreparatursets von Fiat nach Deutschland geliefert wurden. Sie mag solche Lieferungen nach Deutschland für möglich gehalten haben; positive Kenntnis lässt sich in der gegebenen Situation jedoch nicht feststellen. Daran ändert auch nichts, dass auf den angegriffenen Reifenreparatursets Hinweise u.a. in deutscher Sprache aufgedruckt sind. Dieser Umstand mag den Anforderungen des Abnehmers oder öffentlich-rechtlichen Erfordernissen geschuldet sein, die beide darin begründet sein können, dass die Produkte auch dann, wenn sie außerhalb Deutschlands in den Verkehr gebracht worden sind, ins Inland gelangen können; er begründet aber in Ermangelung weiteren Sachvortrags keine positive Kenntnis davon, dass die Fiat die Produkte auch nach Deutschland liefert. Dass die Beklagte einen Vertrieb durch Fiat auch nach Deutschland für möglich gehalten und gleichwohl an Fiat geliefert haben mag, stellt nach dem Ausgeführten keinen hinreichenden wirtschaftlichen Inlandsbezug der Lieferung her und genügt deshalb nicht für die Annahme einer inländischen Patentverletzung.

c) Zur Klarstellung sei angemerkt, dass über die Frage, durch welche Auskünfte die Beklagte die Auskunfts-/Rechnungslegungspflicht erfüllt, im vorliegenden Erkenntnisverfahren ebensowenig zu entscheiden ist wie die über Frage, welchen Nachforschungspflichten die Beklagte insoweit unterliegt. Dies ist ggf. im Vollstreckungsverfahren zu prüfen.IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO. In Ermangelung jeglicher konkreter Anhaltspunkte über die wirtschaftlichen Verhältnisse schätzt der Senat den Wert des Streitgegenstands der Anschlussberufung auf 10 Prozent des Gesamtwerts, über den in der Berufungsinstanz zu entscheiden ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war im Hinblick auf die Frage des Rückrufsanspruchs nach § 140a Abs. 3 PatG bei ausländischen Beklagten und im Hinblick auf die Frage der patentrechtlichen Haftung für Auslandslieferungen gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO zuzulassen.






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 07.10.2015
Az: 6 U 7/14


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e0e07599f09e/OLG-Karlsruhe_Urteil_vom_7-Oktober-2015_Az_6-U-7-14




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