Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. September 2004
Aktenzeichen: 9 W (pat) 38/02

(BPatG: Beschluss v. 06.09.2004, Az.: 9 W (pat) 38/02)

Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60N des Deutschen Patent- und Markenamts vom 04. April 2002 wird aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 10, Beschreibung Seiten 1-3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung Seiten 4-6 und Zeichnungen Figuren 1-5 eingereicht am Anmeldetag.

Die Bezeichnung lautet:

"Kraftfahrzeugsitz"

Anmeldetag ist der 27. September 1999.

Gründe

I.

Die Patentanmeldung ist beim Deutschen Patent- und Markenamt am 27. September 1999 mit der Bezeichnung

"Kraftfahrzeugsitz"

eingegangen. Die Prüfungsstelle für Klasse B60N des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Patentanmeldung mit Beschluss vom 04. April 2002 zurückgewiesen. Sie ist der Auffassung, dem dort geltenden Patentanspruch 1 sei eine für den Fachmann ausreichend deutliche und vollständige Lehre nicht entnehmbar.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Patentanmelderin mit ihrer Beschwerde. Ihrer Ansicht nach ist die durch den der Zurückweisung zugrundeliegenden Anspruch 1 gegebene Lehre so klar und vollständig, dass ein Fachmann den beanspruchten Kraftfahrzeugsitz ausführen kann.

Mit Zwischenverfügungen des Berichterstatters des Senats vom 19. August 2004 und 03. September 2004 wurden zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung die Druckschriften DE 34 21 274 A1 und DE 39 21 991 A1 in das Verfahren eingeführt.

Im Prüfungsverfahren wurden zum Stand der Technik folgende Entgegenhaltungen in Betracht gezogen:

- DE 197 16 596 A1

- AT-PS 236 814

- DE 28 20 917 C2

- EP 0 882 619 A2

- DE 197 54 962 C1

- US 4 432 583 A

- EP 0 366 364 A2

- US 2 922 462 A.

In der mündlichen Verhandlung vom 06. September 2004 hat die Anmelderin neue Patentansprüche vorgelegt. Sie meint, die durch den nunmehr geltenden Anspruch 1 gegebene Lehre sei zur Ausführung des beanspruchten Gegenstandes ausreichend klar und vollständig. Sie vertritt ferner die Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik patentfähig sei.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen zu erteilen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

" Kraftfahrzeugsitz mit einem Sitzteil (1) und einer an einer Anlenkachse (2a) am Sitzteil (1) angelenkten Rückenlehne (2), wobei das Sitzteil (1) gelenkig mit dem längsverschieblichen Teil (3a) einer karosseriefesten Längsverstellschiene (3) verbunden ist und eine Sitzteil-Tragstruktur (5) aufweist, die über um horizontale Achsen verschwenkbare seitliche Verstellhebel (6a,6b,6c,6d) höhenverstellbar ist, wobei die Tragstruktur (5) einen vorderen (5a) und einen hinteren Querholm (5b) umfasst, die durch Verschwenken der Verstellhebel (6a,6b,6c,6d) höhenverstellbar ausgebildet sind und an denen eine Sitzwanne (4) befestigt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Querholme (5a,5b) flächige Auflagebereiche aufweisen, die relativ zueinander geneigt sind und bei einer Höhenverstellung ihre gegenseitige Neigung ändern."

Dem Patentanspruch 1 schließen sich die Unteransprüche 2 bis 10 an.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat im Rahmen der Beschlussformel Erfolg.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 10 sind zulässig.

a) Die Ausgestaltung nach dem geltenden Anspruch 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und aus Angaben aus der Beschreibung in Verbindung mit den Figuren.

Der flächige Auflagebereich der Querholme ist aus den Figuren ersichtlich und folgt außerdem daraus, dass die Sitzwanne sowohl auf dem hinteren Querholm als auch auf dem vorderen Querholm mit "Bereichen" abgestützt ist (Beschreibung Seite 4, Zeilen 26,27; Seite 4, Zeile 31, bis Seite 5, Zeile 1; Seite 5, letzte Zeile; Seite 6, Zeilen 6,7).

Die Neigung der Auflagebereiche des vorderen und hinteren Querholms relativ zueinander ist ebenfalls den Figuren entnehmbar. Dass die Querholme bei einer Höhenverstellung ihre gegenseitige Neigung ändern, folgt aus der Geometrie der Verstellhebel und deren Verbindung mit den Querholmen.

Bis auf notwendige Anpassungen von Rückbeziehungen und Formulierungsänderungen rein redaktioneller Art stimmen die geltenden Patentansprüche 2 bis 10 mit den ursprünglichen Patentansprüchen 2 bis 10 überein.

b) Der Patentanspruch 1 vermittelt dem Fachmann eine klare und vollständige Lehre zum technischen Handeln.

Im Folgenden legt der Senat als Durchschnittsfachmann einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik zugrunde, der bei einem Fahrzeugausrüster/-zulieferer mit der Konstruktion von Fahrzeugsitzen befasst ist und über einige Jahre Berufserfahrung verfügt.

Gemäß geltendem Anspruch 1 weist das Sitzteil die Sitzteil-Tragstruktur auf. Die Sitzteil-Tragstruktur ist somit Bestandteil des Sitzteiles. Die Tragstruktur umfasst dabei gemäß Anspruchswortlaut ihrerseits den vorderen und den hinteren Querholm, die jeweils über Verstellhebel höhenverstellbar ausgebildet sind. Damit ist die Tragstruktur selbst auch über die Verstellhebel höhenverstellbar ausgebildet. An den Querholmen ist eine Sitzwanne befestigt. Zum Sitzteil gehören somit die Sitzwanne und die Sitzteil-Tragstruktur mit den Querholmen. Die Querholme weisen flächige Auflagebereiche auf, die relativ zueinander geneigt sind und bei einer Höhenverstellung ihre gegenseitige Neigung ändern.

Somit ist der Kraftfahrzeugsitz in seinen Komponenten "Sitzteil" mit höhenverstellbarer Tragstruktur und daran befestigter Sitzwanne sowie "Rückenlehne" ausführbar. Die Angaben in dem geltenden Patentanspruch 1 versetzen den Fachmann demnach in die Lage, die technische Lehre praktisch zu verwirklichen (vgl. Schulte PatG 6. Auflage § 34 Rdn 327).

2. Im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ist der Stand der Technik nach der DE 34 21 274 A1 berücksichtigt. In der Beschreibungseinleitung ist ausgeführt, dass derartige Sitze Schwenkhebel und damit eine vergleichsweise große Bauhöhe aufweisen, so dass sie beispielsweise für Sportwagen nicht geeignet sind.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht darin, einen Kraftfahrzeugsitz der als bekannt vorausgesetzten Art möglichst flach auszubilden, ohne den Sitzkomfort einzuschränken.

Dieses Problem wird - in Verbindung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 - durch die in dessen kennzeichnendem Teil angegebenen Merkmale gelöst.

3. Der ohne Zweifel gewerblich anwendbare Kraftfahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu, denn offensichtlich weist keine der aus den in Betracht gezogenen Druckschriften entnehmbaren Tragstrukturen einen vorderen und einen hinteren Querholm mit jeweils flächigem Aufnahmebereich auf, deren Neigung relativ zueinander bei einer Höhenverstellung verstellt wird.

4. Die Lehre nach Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmannes.

Ein aus der DE 34 21 274 A1 bekannter Kraftfahrzeugsitz weist einen Sitzkörper 42 und eine an einer Anlenkachse angelenkte Rückenlehne 41 (DE 34 21 274 A1, Figur 2) auf. Eine Sitzkörper-Tragstruktur ist über um horizontale Achsen verschwenkbare seitliche Gelenkhebel 25a,25b,24a,24b höhenverstellbar. Die Gelenkhebel sind am längsverschieblichen Teil von karosseriefesten Längsverstellschienen 21 angeordnet (Figuren 3,5). Die bekannte Tragstruktur umfaßt einen vorderen und einen hinteren Querholm 44,43. Diese Querholme sind über Schwenkhebel 25a, 25b, 24a, 24b an den Längsverstellschienen angelenkt und durch Verschwenken der Schwenkhebel höhenverstellbar. Die Tragstruktur umfaßt eine auf den Querträgern 44, 43 befestigte Sitzkörper-Federung 45, die ihrerseits einen Sitzkörper 42 trägt.

Demnach tragen wie beim Gegenstand des Anspruchs 1 die Querholme eine eine Sitzfläche bildende Sitzauflage. Anders als beim Anmeldungsgegenstand sind die bekannten Querholme jedoch als Rohre mit kreisförmigem Querschnitt ausgebildet (DE 34 21 274 A1, Seite 15, Zeile 35; Figur 4, Pos. 44, 43). Um bei dieser Konstruktion eine nennenswerte Höhenverstellbarkeit zu erzielen, müssen die Querholme einen verhältnismäßig großen Stellweg unter Änderung ihrer Abstandes zum Fahrzeugboden durchlaufen. Dies wird durch eine entsprechend große Länge der Schwenkhebel bzw. durch eine dementsprechende Anlenkung der Querholme an diesen bewirkt. Insgesamt muß dadurch eine vergleichsweise große Bauhöhe des Sitzteiles in Kauf genommen werden.

Für bestimmte Anwendungen eines solchen Kraftfahrzeugsitzes, z.B. für flache Fahrzeuge wie Sportwagen, besteht demnach die Notwendigkeit, die Bauhöhe der verstellbaren Tragstruktur zu reduzieren.

Dieses Problem wird durch die anspruchsgemäße Ausbildung der Sitzteil-Tragstruktur gelöst. Infolge der flächigen Auflagebereiche der Querholme kann die Stützlänge für die Befederung und die Sitzwanne bei vorgegebener Tiefe des Sitzteiles reduziert werden. Dementsprechend kann die Dimensionierung im Hinblick auf die Tragfestigkeit dieser Bauteile erfolgen. Die Neigung der Auflagebereiche der jeweiligen Querholme zueinander ermöglicht eine geführte Einsenkung der Befederung und Sitzwanne im Bereich zwischen den Querholmen, die durch die Änderung der gegenseitigen Neigung der Auflagebereiche vermindert bzw. vergrößert werden kann. Dies dient bereits einer Höhenverstellung der Sitzfläche bei noch verhältnismäßig kleinen Stellwegen der Stellhebel.

Zwar ist aus der DE 39 21 991 A1 die Gestaltung eines Querholmes mit flächigem Auflagebereich bekannt (Figur 1, Pos. 36). Dieser Querholm ist aber fest mit dem vorderen Bereich eines Sitzkissenteils verschraubt und kann dann seine Neigung nur mit dem starren Sitzkissenteil ändern, nicht jedoch relativ zu den am hinteren Sitzkissenteil befestigten Halterungen 45/46. Eine Anregung zur gegenseitigen Neigungsverstellung zweier tragender Querholme kann diese Druckschrift somit auch nicht geben.

Die übrigen Druckschriften können zu einer das Problem lösenden Weiterbildung des gattungsgemäßen Fahrzeugsitzes schon insofern nicht beitragen, als Tragstrukturen aus vorderem und hinterem Querholm, die miteinander korrespondieren, nicht vorgesehen sind. Infolgedessen kann auch eine wie auch immer geartete Zusammenschau dieser Druckschriften untereinander bzw. mit dem Stand der Technik nach der DE 34 21 274 A1 und/oder der DE 39 21 991 A1 nicht zu einer Ausbildung im Sinne des geltenden Anspruchs 1 führen.

Der Kraftfahrzeugsitz nach dem Patentanspruch 1 ist daher patentfähig.

Mit ihm sind es auch die Gegenstände der rückbezogenen Unteransprüche, die vorteilhafte Weiterbildungen des Kraftfahrzeugsitzes nach Patentanspruch 1 betreffen und zumindest keine Selbstverständlichkeiten darstellen.

Petzold Küstner Ri Küstner ist urlaubsbedingt an der Unterschrift verhindert.

Petzold Guth Reinhardt Na






BPatG:
Beschluss v. 06.09.2004
Az: 9 W (pat) 38/02


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