Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 8. März 2010
Aktenzeichen: 6 W 931/10

(OLG München: Beschluss v. 08.03.2010, Az.: 6 W 931/10)

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 18.1.2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Am 29.9.2009 mahnte der Antragsteller die Antragsgegnerin wegen 33 Werbeaussagen für sog. ...-Produkte unter Fristsetzung zum 6.10.2009 ab (Anlage A 3). Nach einem vorausgegangen Telefonat zwischen dem anwaltlichen Vertreter und einer Mitarbeiterin der Antragstellers, bei dem eine Fristverlängerung bis zum 8.10.2009 gewährt wurde, erfolgte am 5.10.2009 ein weiteres Telefonat zwischen dem anwaltlichen Vertreter der Antragsgegnerin und dem Geschäftsführerin des Antragstellers. Dabei wurde vereinbart, dass von Seiten des Antragstellers ein Entwurf einer Unterlassungserklärung vorgelegt werde und sich der Antragsteller dann nochmals melde (vgl. die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen in Anlage AG 2 und Anlage A 5). Mit Schreiben vom 8.10.2009 (Anlage A 4), übersandt als Telefax und per Post, gab die Antragsgegnerin eine gegenüber dem Abmahnschreiben eingeschränkte Unterlassungserklärung ab, in der 19 Aussagen ganz oder teilweise gestrichen waren und eine Aufbrauchsfrist von zwei bzw. von vier Wochen vorgesehen war. In dem Begleitschreiben wurde zu den vorgenommenen Änderungen ausgeführt, aus welchen Gründen der geltend gemachte Unterlassungsanspruch insoweit nicht bestehe. Auf Seite 3 heißt es:

"... Unserer Mandantin liegt daran, die Angelegenheit mit dem Verband ... einvernehmlich zu regeln. Sollten Sie Einwendungen gegen die Modifikationen haben, wären wir um Ihre Antwort dankbar, damit wir eine gemeinsame Lösung finden können..."

Auf den Antrag des Antragstellers vom 12.10.2009, bei Gericht eingegangen am 13.10.2009, erging am 14.10.2009 antragsgemäß eine Beschlussverfügung des Landgerichts München I, mit der der Antragsgegnerin die Werbung mit den 33 beanstandeten Aussagen verboten wurde. Die einstweilige Verfügung wurde mit Abschlusserklärung vom 2.11.2009 als endgültige Regelung anerkannt (Anlage AG 1). Mit Schreiben vom 30.11.2009 (Anlage AG 3) wurde vom Antragsteller die modifizierte Unterlassungserklärung vom 8.10.2009 angenommen.

Mit dem Kostenwiderspruch vom 17.11.2009 macht die Antragsgegnerin geltend, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei abredewidrig zu den Vereinbarungen im Telefonat vom 5.10.2009 ohne weitere Rückäußerung beantragt worden. Folglich habe der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Telefonat vom 5.10.2009 sei die Fristsetzung zum 8.10.2009 wieder aufgehoben worden. In dem Telefonat habe der anwaltliche Vertreter der Antragsgegnerin erklärt, dass die Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung beabsichtigt sei, bei der die allgemein gehaltenen Aussagen dritter Personen aus der vorformulierten Unterlassungserklärung ausgenommen würden. Ohne dass eine inhaltliche Äußerung oder eine Ablehnung erfolgt sei, habe die Antragstellerin daraufhin vorgeschlagen, dass erst einmal ein unverbindlicher Entwurf für eine Unterlassungserklärung eingereicht werden solle, woraufhin sich die Antragstellerin dann wieder melden werde. Vor Einreichung des Verfügungsantrags sei der Antragsteller verpflichtet gewesen, darauf hinzuweisen, dass mit der modifizierten Unterlassungserklärung kein Einverständnis bestehe, zumal die Antragsgegnerin im Begleitschreiben erklärt habe, dass die Unterlassungserklärung verhandelbar sei und weiterhin Vergleichsbereitschaft bestehe.

Der Antragsteller ist der Auffassung, es habe keine Veranlassung bestanden, nach der völlig ungenügenden Unterlassungserklärung in Verhandlungen mit der Antragsgegnerin einzutreten. Eine "abredewidrige" Verhaltensweise liege nicht vor. Eindeutig begründete Unterlassungsansprüche seien aus der Unterlassungserklärung herausgestrichen worden, auf einen derartigen "Rettungsversuch" habe sich der Antragsteller nicht einlassen müssen.

Mit Urteil des Landgerichts vom 29.12.2009, der Antragsgegnerin am 5.1.2010 zugestellt, wurde die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung bestätigt und der Antragsgegnerin die weiteren Kosten des Verfahrens auferlegt. In dem Schreiben vom 8.10.2009 habe die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben, dass sie sich nur in diesem Umfang unterwerfen wolle. Hierauf habe sich der Antragsteller nicht einlassen müssen. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Schreiben vom 30.11.2009, denn dieses stelle lediglich ein Entgegenkommen des Antragstellers hinsichtlich der Aufbrauchfristen dar.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 18.1.2010. Sie macht geltend:

Die zwischen den Parteien geführten Verhandlungen seien nicht dadurch abgebrochen worden, dass eine bereits unterzeichnete modifizierte Unterlassungserklärung übersandt worden sei. Denn die Abgabe einer bereits rechtsverbindlich unterzeichneten modifizierten Unterlassungserklärung könne der Antragsgegnerin nicht zum Nachteil gereichen als darin ein "Mehr" zu sehen sei. In vorliegendem Falle komme noch hinzu, dass die modifizierte Unterlassungserklärung inhaltlich von der vorherigen telefonischen Ankündigung der Antragsgegnerin abgedeckt gewesen sei. Zudem habe die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie sich nach Vorliegen des Entwurfs wieder bei der Antragsgegnerin melden werde. Hierauf sei das Landgericht nicht eingegangen. Es liege im Wesen von Verhandlungen, dass in einem ersten Schritt gegensätzliche Positionen bezogen würden, von denen dann im weiteren Verlauf der Verhandlungen teilweise oder ganz wieder abgewichen werde. Es sei nicht sachgerecht, dass gegen den Abgemahnten in solchen Fällen eine sofortige Einleitung eines Verfügungsverfahrens ohne Kostennachteile für den Antragsteller möglich sei. Auch wenn der Antragsteller nicht gehalten gewesen sei, in weitere Verhandlungen einzutreten, so hätte er doch durch eine schriftliche oder telefonische Äußerung deutlich machen müssen, dass die Verhandlungen aus seiner Sicht gescheitert seien, also die ursprüngliche Abmahnung durch Setzung einer neuen (kurzen) Frist "wiederaufleben" lassen müssen. Das Landgericht habe das Schreiben des Antragstellers vom 30.11.2009 nicht zutreffend gewürdigt. Gehe man von der Deutung durch das Landgericht aus, so sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedenfalls für diejenigen Aussagen nicht veranlasst gewesen, für sich die Antragsgegnerin unter Einbeziehung einer Aufbrauchsfrist wirksam unterworfen habe, zumal sich der Antragsteller bereits vorab telefonisch zur Einräumung von Aufbrauchfristen bereit erklärt habe.

Die Antragsgegnerin beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 29.12.2009, Az.: 9 HK O 19258/09, wird aufgehoben.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu tragen.

Der Antragsteller beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin durch die Übersendung der unverbindlich unterschriebenen Erklärung auf Seiten des Antragstellers den Eindruck erweckt hat, das Angebot sei im Einzelnen nicht verhandelbar. Der Antragsteller sei zu einem Nachfassen nicht verpflichtet gewesen. Die sachkundig anwaltlich vertretene Antragsgegnerin habe nicht davon ausgehen können, auf ihr völlig unzulängliches Vergleichsangebot hin erneut eine Fristverlängerung eingeräumt zu bekommen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 99 Abs. 2 entsprechend, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und, da frist- und formgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO), auch zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung zu Recht bestätigt. Die Antragsgegnerin hat Anlass für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 12.10.2009 gegeben, sodass sich die Antragsgegnerin nicht auf § 93 ZPO berufen kann.

171. Der Antragsteller ist der sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 UWG ergebenden Obliegenheit, die Antragsgegnerin vor Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzumahnen, mit dem Abmahnschreiben vom 29.9.2009 nachgekommen. Die Antragsgegnerin hat innerhalb der bis zum 8.10.2009 verlängerten Frist keine die Wiederholungsgefahr ausräumende Unterlassungserklärung abgegeben (siehe hierzu nachfolgend). Damit hat die Antragsgegnerin Anlass für die gerichtliche Geltendmachung gegeben. Der Auffassung der Antragsgegnerin, die Wirkungen der Abmahnung seien aufgrund der mit Telefonat vom 5.10.2009 aufgenommenen Verhandlungen über den Umfang der Unterlassungsverpflichtung sowie der Einräumung einer Aufbrauchsfrist zunächst "ausgesetzt" worden und der Antragsteller hätte die Antragsgegnerin über die Ablehnung der modifizierten Unterlassungserklärung vom 8.10.2009 informieren und erneut zur Abgabe der mit der Abmahnung vom 29.9.2009 geforderten Unterlassungserklärung auffordern müssen, kann nicht gefolgt werden.

a. Unstreitig ist, dass sich die Geschäftsführerin des Antragstellers bei dem Telefonat vom 5.10.2009 damit einverstanden erklärt hat, dass von Seiten der Antragsgegnerin der Entwurf einer modifizierten Unterlassungserklärung übersandt wird. Ebenso wurde erklärt, dass der Antragsteller auch bereit sei, für notwendige Umstellungsmaßnahmen angemessene Aufbrauchsfristen einzuräumen. Weiter ist unstreitig, dass von Seiten der Antragsgegnerin ein Entwurf einer Unterlassungserklärung, um zu überprüfen, ob damit das Unterlassungsbegehren des Antragstellers abgedeckt wäre, nicht übermittelt wurde.

19Die modifizierte Unterlassungserklärung vom 8.10.2009 (Anlage A 4) war zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht geeignet. In der Unterlassungserklärung waren von den als 33 beanstandeten Aussagen ein Großteil vollständig gestrichen worden. Dies war in dem Begleitschreiben damit begründet worden, dass die Werbung mit "Testimonials" grundsätzlich zulässig sei, wenn die Äußerungen von Seiten Dritter tatsächlich gefallen seien. Darüber hinaus wurde die Zulässigkeit weiterer Aussagen damit begründet, dass es sich dabei nur um allgemeine werbliche Meinungsäußerungen handele, die nicht auf eine konkrete Funktionsweise, eine konkrete Wirkungsweise auf den menschlichen Körper oder heilmedizinische Anwendungsgebiete der ... Produkte gerichtet seien. Diese Beurteilung ist unzutreffend, wie auch von der Antragsgegnerin offensichtlich nicht (mehr) in Zweifel gezogen wird. Soweit sich die Antragsgegnerin strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet hatte, wurde hierdurch die Wiederholungsgefahr ebenfalls nicht beseitigt. Auch wenn eine Teilunterwerfungserklärung nicht ohne weiteres als unbeachtlich anzusehen ist (vgl. zur Teilunterwerfung BGH GRUR 2002, 824 - Teilunterwerfung und GRUR 2001, 422, 424 - ZOCOR; zur aufschiebenden Befristung GRUR 2002, 180 - Weit-vor-Winter-Schlussverkauf), ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, inwiefern es gerechtfertigt gewesen wäre, der Antragsgegnerin wegen der teilweise grob irreführenden Aussagen die von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Aufbrauchs- bzw. Umstellungsfrist von bis zu vier Wochen einzuräumen (zum Schreiben vom 30.11.2009 siehe nachfolgend).

20b. Da eine sog. "Nachfasspflicht" des Abmahnenden nur in engen Grenzen anzuerkennen ist (vgl. Harte/Henning/Brüning, UWG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 75; Schmitz-Fohrmann/Schwab, in Götting/Nordemann, UWG, § 12 Rdn. 31; jeweils m.w.N.), könnte sich die Antragsgegnerin nur dann auf § 93 ZPO berufen, wenn sich der Antragsteller bei dem Telefonat vom 5.10.2009 darauf eingelassen hätte, über den Umfang des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zu verhandeln und die Antragsgegnerin deshalb berechtigterweise davon ausgehen konnte, dass der Antragsteller die modifizierte Unterlassungserklärung akzeptieren werde bzw. auf etwaige noch vorhandene Defizite hinweisen müsse. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

21Die Antragsgegnerin macht zwar geltend, dass bei dem Telefonat am 5.10.2009 von Seiten ihres anwaltlichen Vertreters mitgeteilt worden sei, dass die Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung beabsichtigt sei, bei der die allgemein gehaltenen Aussagen und die Aussagen dritter Personen herausgenommen würden. Daraus ergibt sich aber nicht, dass von Seiten des Antragstellers in Aussicht gestellt worden wäre, einen (Groß-)Teil der beanstandeten Äußerungen nicht weiter zu verfolgen (siehe hierzu die eidesstattliche Versicherung der Geschäftsführerin des Antragstellers, wonach eine modifizierte Unterlassungserklärung akzeptiert werde, sofern diese das Unterlassungsbegehren abdecke). Aus welchen Gründen die sachkundig anwaltlich vertretene Antragsgegnerin berechtigterweise davon hätte ausgehen können, dass der Antragsteller die inhaltlich völlig unzureichende Unterlassungserklärung akzeptieren und eine Unterlassung eines Großteils der zu Recht beanstandeten Werbeaussagen nicht mehr weiterverfolgen werde, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Folglich kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller gegen die Zusage, den Entwurf einer Unterlassungserklärung daraufhin zu überprüfen, ob damit dem Unterlassungsbegehren entsprochen wird, verstoßen hat. Da sich der Antragsteller nicht hinhalten lassen muss (vgl. Bornkamm, in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 12 Rdn. 1.41), war er auch nicht aufgrund der aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis folgenden Rücksichtnahmepflichten gehalten, mit der Antragstellerin eine "gemeinsame Lösung" zu finden - es oblag allein der Antragsgegnerin durch Abgabe einer hinreichenden Unterlassungserklärung dem Begehren des Antragstellers zu entsprechen -, noch war von ihm zu verlangen, dass er die Antragsgegnerin unter Fristsetzung auf die Unzulänglichkeit der modifizierten Unterlassungserklärung hinweist, um die Abmahnung "Wiederaufleben" zu lassen.

c. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der Annahmeerklärung des Antragstellers gemäß Schreiben vom 30.11.2009. Unabhängig davon, dass das Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Unterlassungsvertrages von Seiten des Antragstellers ausdrücklich abgelehnt worden war (siehe Antragsschrift, Seite 11 2. Abs.) und deshalb in der Folgezeit nicht mehr angenommen werden konnte (vgl. § 146 Alt. 1 BGB), ist für die Frage der Veranlassung im Sinne von § 93 ZPO auf die Gegebenheiten bei Einreichung des Verfügungsantrages abzustellen. Auf die modifizierte Unterlassungserklärung musste sich der Antragsteller nicht einlassen (siehe oben).

2. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 ZPO.

3. Der Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht. Dieser ergibt sich aus dem Kosteninteresse, das mit Beschluss des Landgerichts vom 23.2.2010 (Bl. 77) bereits festgesetzt wurde.






OLG München:
Beschluss v. 08.03.2010
Az: 6 W 931/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/dfc48d384f4a/OLG-Muenchen_Beschluss_vom_8-Maerz-2010_Az_6-W-931-10




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share