Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Dezember 2001
Aktenzeichen: 5 W (pat) 432/00

(BPatG: Beschluss v. 19.12.2001, Az.: 5 W (pat) 432/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 23. Mai 2000 aufgehoben.

Das Gebrauchsmuster 297 10 210 wird im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 gelöscht.

Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug trägt die Antragsgegnerin ganz; die Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug werden der Antragsgegnerin zu 9/10 und der Antragstellerin zu 1/10 auferlegt.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 12. Juni 1997 angemeldeten, am 9. Oktober 1997 in die Rolle eingetragenen Gebrauchsmusters 297 10 210, das einen "Krankenstuhl" betrifft. Die Schutzdauer ist verlängert.

Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 10 haben folgenden Wortlaut:

1. Krankenstuhl (10) für Krankentransporte bestehend aus einem Sitz (14) mit einer Rückenlehne (16), ein Paar Armlehnen (22) und Trageholme, die jeweils paarweise im vorderen Fußbereich (34) und im hinteren Rückenbereich (33) angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß wenigstens ein Paar Trageholme (32) als Teleskoptrageholme (26) ausgebildet sind.

2. Krankenstuhl (10) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die hinteren Teleskoptrageholme (26) in den Armlehnen (22) versenkbar sind.

3. Krankenstuhl (10) nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Armlehnen (22) schwenkbar sind.

4. Krankenstuhl (10) nach einem der Ansprüche 1, 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet, daß der Sitz (14) eine an die Körperform angepaßte ergonomische Form aufweist.

5. Krankenstuhl (10) nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Rückenlehne (17) eine an die Körperform angepaßte ergonomische Form aufweist.

5. Krankenstuhl (10) nach einem der vorangegangenen Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß ein Dreipunktgurt (48) zum Anschnallen eines Patienten an dem Krankenstuhl (10) befestigt ist.

7. Krankenstuhl (10) nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß seitlich an dem Krankenstuhl (10) jeweils ein paar Seitentragegriffe (46) angeordnet sind.

8. Krankenstuhl (10) nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, daß die Seitentragegriffe (46) wegklappbar sind.

9. Krankenstuhl (10) nach einem der vorangegangenen Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß der Krankenstuhl (10) Rollen (40) und/oder Räder aufweist um als Rollstuhl dienen zu können.

10. Krankenstuhl (10) nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß der Krankenstuhl (10) Lichtreflektoren (42) aufweist.

Am 8. April 1998 hat die Antragsgegnerin neue Schutzansprüche 1 bis 10 eingereicht und erklärt, sie werde das Gebrauchsmuster nur auf Grundlage dieser Schutzansprüche geltend machen.

Der Schutzanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Krankenstuhl (10) für Krankentransporte bestehend aus einem Sitz (14) mit einer Rückenlehne (16), ein Paar Armlehnen (22) und Trageholme, die jeweils paarweise im vorderen Fußbereich (34) und im hinteren Rückenbereich (33) angeordnet und in Hohlräume des Krankenstuhls einschiebbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß wenigstens ein Paar Trageholme (32) als Teleskoptrageholme (26) bestehend jeweils aus mehreren Rohren mit unterschiedlichen, immer kleiner werdenden Durchmessern ausgebildet sind.

Die Schutzansprüche 2 bis 10 entsprechen den eingetragenen Schutzansprüchen 2 bis 10.

Die Antragstellerin hat am 25. Februar 1999 die Löschung des Gebrauchsmusters im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 beantragt. Sie hat sich auf mangelnde Schutzfähigkeit berufen.

Die Antragsgegnerin hat dem Löschungsantrag widersprochen. Sie hat das Gebrauchsmuster mit den am 8. April 1998 eingereichten Schutzansprüchen 1 bis 10 verteidigt.

Die Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 23. Mai 2000 das Gebrauchsmuster im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 gelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 vom 8. April 1998 hinausgeht.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

Die Beschwerde stützt sich zur Begründung, der Gebrauchsmustergegenstand sei im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 nicht schutzfähig, auf folgende Druckschriften:

1) DIN 13 048 Teil 2, Januar 1993 2) DIN 13 048-3, März 1997 3) DE 79 35 669 U1 4) DE-AS 1 012 029 5) US 1 205 186 6) DE-PS 310 342 Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Gebrauchsmuster im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 zu löschen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet, da der Löschungsantrag im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 begründet ist.

1. Soweit das Gebrauchsmuster durch den Beschluß der Gebrauchsmusterabteilung gelöscht worden ist, hat es damit sein Bewenden, da der Beschluß insoweit nicht angefochten ist. Der darüber hinausgehende Löschungsanspruch - im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 6 und 9 vom 8. April 1998 -, der auf mangelnde Schutzfähigkeit (§ 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG) gestützt wird, ist ebenfalls gegeben.

2. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der Fassung vom 8. April 1998 ist nicht schutzfähig, da er nicht auf einem erfinderischen Schritt (§ 1 GebrMG) beruht.

Bild 1 der Druckschrift 2 zeigt einen Krankenstuhl für Krankentransporte mit einem Sitz, einer Rückenlehne und einem Paar Armlehnen, bei dem im vorderen Fußbereich und im hinteren Rückenbereich jeweils paarweise Tragegriffe bzw Trageholme angeordnet sind, die in Hohlräume des Krankenstuhls einschiebbar sind. Die Hohlräume für die Trageholme im vorderen Fußbereich befinden sich in den unteren Holmen des Krankenstuhlgestells, während für die Trageholme im hinteren Rückenbereich Hohlräume in den Armlehnen vorgesehen sind. Jeder Trageholm ist einteilig und hat eine feste Länge, die so bemessen ist, daß der Trageholm bei Nichtgebrauch nahezu vollständig in den jeweiligen Hohlraum eingeschoben und der Krankenstuhl so in seiner räumlichen Ausdehnung optimal verkleinert werden kann. Zudem lassen sich die Trageholme durch teilweises Herausziehen begrenzten Platzverhältnissen, beispielsweise beim Transport des Krankenstuhls in einem engen Treppenhaus, anpassen.

Von diesem Krankenstuhl unterscheidet sich derjenige gemäß Schutzanspruch 1 dadurch, daß wenigstens ein Paar einteilige Trageholme durch ein Paar Teleskoptrageholme ersetzt ist, die jeweils aus mehreren Rohren mit unterschiedlichen, immer kleiner werdenden Durchmessern bestehen.

Diese Maßnahme kann jedoch die Schutzfähigkeit des Gegenstands des Schutzanspruchs 1 nicht begründen.

Denn für den Fachmann, einen mit der Entwicklung und Konstruktion von Krankentransporteinrichtungen befaßten Maschinenbau - Fachhochschulingenieur, ist ohne weiteres ersichtlich, daß bei dem bekannten Krankenstuhl die Länge bzw die gegenüber der Länge um ca 1/3 geringere, maximale Ausziehlänge des jeweiligen, in einen Hohlraum vollständig einschiebbaren, einteiligen Trageholms abhängig davon ist, welche Tiefe des Hohlraums die konstruktive Ausgestaltung des Krankenstuhlgestells und der Armlehnen zuläßt. So zeigt das Bild 1 der Druckschrift 2 unmittelbar, daß die unteren Holm des Gestells Platz für tiefere Hohlräume und damit längere Trageholme mit entsprechend größerer, maximaler Ausziehlänge bieten, als dies bei den Armlehnen der Fall ist.

Um den Nachteil zu beseitigen, daß die maximale Ausziehlänge eines einteiligen, vollständig in einen Hohlraum einschiebbaren Trageholms durch die konstruktionsbedingt zur Verfügung stehende Tiefe des Hohlraums, beispielsweise in den Armlehnen, begrenzt ist, liegt es für den Fachmann auf der Hand, von dem einteiligen Trageholm abzugehen und einen teleskopartig zusammenschiebbaren Trageholm bzw einen Teleskoptrageholm zu verwenden, der sich dann selbstverständlich aus mehreren Rohren mit unterschiedlichen, immer kleiner werdenden Durchmessern zusammensetzt. Denn teleskopartig ausgebildete Holme sind dem Fachmann geläufig, wie die Druckschrift 3 belegt. Diese Druckschrift betrifft eine Krankentrage mit Teleskopholmen, so daß die Länge der Trage bei Nichtgebrauch zur platzsparenden Aufbewahrung verringert und bei Gebrauch an die Größe des zu transportierenden Patienten angepaßt werden kann, vgl Fig 1 und 2 mit Beschreibung sowie S 2, 1. und 2. Abs. So gelangt der Fachmann ausgehend von dem Stand der Technik gemäß Druckschrift 2 zum Gegenstand des Schutzanspruchs 1, ohne den Bereich fachlicher Routine zu verlassen.

Bei diesem Sachverhalt ist es ohne Belang, daß sich, wie die Antragsgegnerin geltend gemacht hat, in den genannten Druckschriften keine Anregung findet, die maximale Ausziehlänge der Trageholme überhaupt über das den Druckschriften 1 und 2 entnehmbare, übliche Maß hinaus zu vergrößern, damit sich ein günstigerer Hebel ergibt, der den Trägern das Tragen erleichtert, und so gesundheitliche Probleme vermieden werden, zumal sich im Streitgebrauchsmuster keine Angaben über die maximale Ausziehlänge der Teleskoptrageholme in Relation zu der nach dem Stand der Technik üblichen Ausziehlänge bei einteiligen, in Hohlräume des Krankenstuhls einschiebbaren Trageholmen finden. Im übrigen schließt der Schutzanspruch 1 den Fall ein, daß Teleskoptrageholme auch bei üblicher Ausziehlänge verwendet werden.

3. Der Gegenstand der Schutzansprüche 2 bis 6 und 9 ist gleichfalls nicht schutzfähig. Sie sind ohne eigenen erfinderischen Gehalt.

So ist aus der Druckschrift 2 die im Schutzanspruch 2 angegebene Maßnahme bekannt, die Trageholme in die Armlehnen eines Krankenstuhls einzuschieben. Bezüglich der teleskopartigen Ausbildung der Trageholme gilt das zum Gegenstand des Schutzanspruchs 1 Gesagte. Die Merkmale gemäß den Schutzansprüchen 3 bis 5 und 9 sind aus der Druckschrift 1 bekannt, auf die in Druckschrift 2 bezüglich der von einem Krankenstuhl zu erfüllenden Anforderungen Bezug genommen ist. Sie würden vom Fachmann je nach Bedarf aufgegriffen und eingesetzt werden.

Bei dem aus Druckschrift 1 bekannten Krankenstuhl ist ein Haltegurt im Becken- und Thoraxbereich zum Anschnallen eines Patienten vorgesehen. Anstelle dieser Haltegurte einen Dreipunktgurt gemäß Schutzanspruch 6 zu verwenden, ist eine dem Fachmann aus der Kraftfahrzeugtechnik geläufige Maßnahme.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs 3 GebrMG iVm § 84 Abs 2 PatG, § 91 Abs 1 ZPO hinsichtlich des ersten Rechtszuges, da die Antragstellerin mit ihrem dort gestellten Löschungsantrag letztlich vollen Erfolg hat. Hinsichtlich des zweiten Rechtszuges ist ergänzend § 515 Abs 3 ZPO zu berücksichtigen, da mit der Beschwerde zunächst die Löschung des Gebrauchsmusters in vollem Umfang verfolgt worden ist, das Rechtsmittel dann aber auf den ursprünglich verfolgten Löschungsumfang (nämlich beschränkt auf die Schutzansprüche 1 bis 6 und 9) zurückgeführt worden ist. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Goebel Klosterhuber Dr. Kraus Fa






BPatG:
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Az: 5 W (pat) 432/00


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