Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. Februar 2004
Aktenzeichen: 15 W (pat) 23/03

(BPatG: Beschluss v. 16.02.2004, Az.: 15 W (pat) 23/03)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 25. September 1997 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 197 42 297 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen"

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 29. Juni 2000.

Nach Prüfung des erhobenen Einspruchs wurde das Patent durch Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 12. Dezember 2002 widerrufen.

Dem Beschluss lagen die Patentansprüche 1 bis 12 gemäß DE 197 42 297 C2 zugrunde. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen, insbesondere in festen und flüssigen Stoffgemischen, wobei der Stoff oder das Stoffgemisch unter Zusatz von elementarem Alkalimetall, Erdalkalimetall, Aluminium oder Eisen als Reduktionsmittel und Ethern, Polyethern, Ammoniak, Aminen, Amiden, Trialkylsilanen, Polyalkylhydrogensiloxanen oder Metallhydriden, einzeln oder in Kombination als Wasserstoffquelle in einem Schritt vermahlen wird."

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 12 wird auf die betreffende Patentschrift verwiesen.

Der Widerruf des Patents wurde im wesentlichen damit begründet, dass das patentgemäße Verfahren gegenüber einer Zusammenschau der Lehren aus der CH 668 709 A5 (1), der DE 34 10 239 A1 (11) sowie der WO 94/14503 A1 (2) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Patentinhabers. In seiner Beschwerdebegründung vom 20. Mai 2003 bringt er insbesondere vor, das patentgemäß Verfahren unterscheide sich vom Stand der Technik zum einen durch die Anwesenheit einer gesonderten Wasserstoffquelle, und zum anderen finde durch das Vermahlen in einer Mühle eine Aktivitätssteigerung statt. Es sei für den Fachmann nicht möglich gewesen, von den entgegengehaltenen Druckschriften zum Patentgegenstand zu gelangen. Insbesondere seien die drei entscheidungserheblichen Druckschriften nicht in der von der Einspruchsabteilung im Beschluss vorgenommenen Weise kombinierbar.

In der mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2004 überreicht er eine geänderte Anspruchsfassung mit den Patentansprüchen 1 bis 12 folgenden Wortlauts:

"1. Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen, insbesondere in festen und flüssigen Stoffgemischen, wobei der Stoff oder das Stoffgemisch unter Zusatz von elementarem Alkalimetall, Erdalkalimetall, Aluminium oder Eisen als Reduktionsmittel und Ethern, Polyethern, Ammoniak, Aminen, Amiden, Trialkylsilanen, Polyalkylhydrogensiloxanen oder Metallhydriden, einzeln oder in Kombination als Wasserstoffquelle in einem Schritt in einer Mühle vermahlen wird.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als Reduktionsmittel Na, K, Mg oder Ca eingesetzt wird.

3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass als Amin wenigstens ein aliphatisches, vorzugsweise primäres oder sekundäres Amin eingesetzt wird.

4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass zusätzlich Mahlhilfen eingesetzt werden.

5. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass als Mahlhilfe oberflächenaktive Stoffe eingesetzt werden.

6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass Reaktionsbeschleuniger eingesetzt werden, welche die zugesetzten Metalle teilweise lösen und/oder deren Dissoziation in Metallkationen und -anionen und/oder die Bildung solvatisierter Elektronen fördern und/oder intermediäre metallorganische Verbindungen solvatisieren und/oder stabilisieren.

7. Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Reaktionsbeschleuniger dem Stoff oder Stoffgemisch in einem vorgeschalteten Schritt zugegeben werden.

8. Verfahren nach einem der Ansprüche 4 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Mahlhilfe(n) dem Stoff oder Stoffgemisch in einem vorgeschalteten Schritt zugegeben und mechanisch eingearbeitet bzw. vermahlen werden.

9. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass das metallische Reduktionsmittel in einer Zubereitung, insbesondere dispergiert in einer nichtoxidierenden Flüssigkeit oder der flüssigen Wasserstoffquelle oder auf einem inerten festen Träger, verwendet wird.

10. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass das Reduktionsmittel in Paraffin, Ether oder Polyether dispergiert verwendet wird.

11. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass das Stoffgemisch in einem vorgeschalteten Verfahrensschritt mit Calciumoxid getrocknet wird.

12. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass die Mahlung in einer Kugelmühle, einer Hammermühle oder einer Schwingmühle vorgenommen wird."

Hierzu führt der Patentinhaber aus, durch die Aufnahme des Passus "in einer Mühle" in den Patentanspruch 1 sowie die Herausnahme der mahlenden Reib- oder Walzenmischer aus dem Patentanspruch 12 in Verbindung mit einer dementsprechenden Beschreibungsanpassung könne kein Zweifel mehr daran bestehen, dass gewöhnliches Mischen oder Umwälzen von Mischgut, beispielsweise durch starkes Rühren, vom patentgemäßen Verfahren nicht mehr umfasst werde.

Das sogenannte reaktive Mahlen unter Benutzung einer Mühle, das die Verfügbarkeit der Schadstoffe erheblich erhöhe und beschleunige, habe bei einer reduktiven Dehalogenierung im Beisein der speziellen anspruchsgemäßen Wasserstoffquellen nicht nahegelegen. Die Druckschrift (2), nach der zwar eine Dehalogenierung unter Vermahlen in einer Mühle stattfindet, führe jedoch ausweislich der Beschreibungseinleitung von der Verwendung eines Verfahrens mit Wasserstoffquelle weg.

Der Patentinhaber stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 - 12, Beschreibung Sp. 1 - 10, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, 6 Seiten Zeichnungen gemäß DE 197 42 297 C2 mit Abbildungen 1 - 6.

Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Patentinhabers ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (PatG § 73). Sie führt jedoch nicht zum Erfolg.

Die Offenbarung der geänderten Patentansprüche 1 und 12 ergibt sich unmittelbar aus der Beschreibung (vgl urspr Unterl S 7 Abs 5 Z 1 bis 3; StreitPS Sp 4 Z 36 bis 39), was von der Einsprechenden im übrigen auch nicht bestritten wird.

Die Neuheit des beanspruchten Verfahrens wird zum einen insbesondere mit den Druckschriften CH 668 709 A5 (1), WO 94/14503 A1 (2), WO 95/18652 A1 (23), B... "Zur reduktiven Dehalogenierung aromatischer Halogenverbindun- gen", Dissertation 1996 (14a,b) sowie Esam A.A.E. El-Malt "Dehalogenation of chlorinated aromatic compounds", Dissertation 1993 (22) und zum anderen mit offenkundiger Vorbenutzung sowie mit von Prof. Dr. Bölsing gehaltenen Vorträgen, Vorlesungen und Seminaren angegriffen (vgl Schrifts d Einspr v 2. Februar 2004 S 28 bis 39).

Was die Druckschriften (1), (2) und (23) anbelangt, so ist die Neuheit demgegenüber anzuerkennen, da aus keiner dieser Schriften für sich betrachtet ein Verfahren zu entnehmen ist, bei dem sowohl eine der speziellen Wasserstoffquellen des geltenden Patentanspruchs 1 als auch eine Mühle zum Vermahlen des Reaktionsgemisches eingesetzt wird.

Was das Vorbringen der Einsprechenden zur mangelnden Neuheit gegenüber den von Prof. Dr. Bölsing gehaltenen Vorträgen, Vorlesungen, Seminaren sowie zur offenkundigen Vorbenutzung aus der internationalen Kooperation von Prof. Dr. Bölsing anbelangt, so brauchte dem ebenso wenig nachgegangen zu werden wie der Frage nach einer uneingeschränkten Zugänglichkeit der Dissertation des Patentinhabers Dr. B... (14a,b) und der Dissertation des Prof. Dr. El-Malt (22) vor dem Anmeldetag des Streitpatents.

Denn das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die darin besteht, ein Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen so auszugestalten, dass es möglich ist, verschiedene heterogene feste und flüssige Stoffgemische, insbesondere auch komplex zusammengesetzte Mischungen und kontaminierte Böden mit teilweise unbekannten anderen Inhaltsstoffen in einem universellen Verfahren weitestgehend zu dehalogenieren, wobei keine neuen schädlichen Nebenprodukte entstehen sollen (vgl StreitPS Sp 2 Z 32 bis 40). Nachteilig seien bei bekannten Verfahren unter anderem unübersichtliche Produktspektren sowie lange Reaktionszeiten (vgl StreitPS Sp 2 Z 26 bis 31).

Gelöst wird diese Aufgabe durch ein

(1) Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen,

(1.1) insbesondere in festen und flüssigen Stoffgemischen, wobei

(2) der Stoff oder das Stoffgemisch in einer Mühle vermahlen wird

(2.1) in einem Schritt

(3) unter Zusatz von elementarem Alkalimetall, Erdalkalimetall, Aluminium oder Eisen als Reduktionsmittelund

(4) unter Zusatz von Ethern, Polyethern, Ammoniak, Aminen, Amiden, Trialkylsilanen, Polyalkylhydrogensiloxanen oder Metallhydriden, einzeln oder in Kombination als Wasserstoffquelle.

Das gegenüber dem Streitpatent nunmehr auf das Vermahlen in einer Mühle eingeschränkte, beanspruchte Verfahren war für den Durchschnittsfachmann - übereinstimmend mit dem Patentinhaber und Beschwerdeführer ein Chemiker oder ein Chemie-Verfahrenstechniker, der mit der Sanierung von Altlasten, insbesondere der Detoxifizierung halogenorganischer Verbindungen befasst und vertraut ist (vgl Schrifts v 20. Mai 2003 S 3 Abs 4) - in Kenntnis des Standes der Technik betreffend die Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen und Rückständen naheliegend.

Den für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgeblichen Stand der Technik repräsentieren die von den Beteiligen sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung angezogenen Druckschriften CH 668 709 A5 (1), WO 94/14503 A1 (2) bzw. die darin in Anspruch genommenen Australischen Provisionals PL 6474 und PL 9085 (6a, 6b), WO 95/18652 A1 (23) sowie J. Hawari, J. Organometallic Chem. 437 (1992) 91-98 (24b), wobei der Fachmann nach Überzeugung des Senats entweder ausgehend von (1) oder ausgehend von (23) ohne erfinderisches Zutun zu einem Verfahren gemäß geltendem Patentanspruch 1 gelangen konnte.

Der Senat kann nicht feststellen, dass man sich - soweit dies der Patentinhaber bemängelt hat (vgl hierzu auch Schrifts v 30. Mai 2003 S 4 Mitte bis S 10 oben, insbes S 10 Z 3 bis 4) - dabei einer unzulässigen Zusammenschau bzw. Kombination von Lehren oder Teillehren aus verschiedenen dieser Druckschriften bedienen müsste. Denn die betreffenden Druckschriften befassen sich ausnahmslos mit der Beseitigung von halogenorganischen Rückständen und Abfallstoffen durch reduktive Dehalogenierung in Gegenwart von Verbindungen, die - gegebenenfalls auch ohne expliziten Hinweis für den Fachmann erkennbar - als gesonderte Wasserstoffdonoren bzw. -quellen fungieren können.

Der Senat kann auch nicht der Auffassung des Patentinhabers beitreten, es sei nicht zu erkennen, warum der Fachmann gerade von der Entgegenhaltung (1) ausgehen sollte und weshalb hieraus ein Vermahlen der Reaktanden in einem Schritt nahegelegen habe und zwar unter anderem deshalb, weil das Verfahren gemäß (1) in erster Linie für die Enthalogenierung von flüssigen oder in inerten organischen Lösungsmitteln löslichen halogenierten Abfallstoffen geeignet sei und dafür a priori nicht nahegelegen habe, eine zusätzliche Mahlung der Reaktanden einzuführen, und weil zudem gemäß (1) ausdrücklich die Aktivierung des Natriums durch die Wasserstoffquelle beschrieben sei (vgl Schrifts v 20. Mai 2003 S 5 Abs 1 le Satz).

Denn zum einen beschränkt sich das streitpatentgemäße Verfahren nicht auf die Enthalogenierung fester Abfallstoffe, sondern umfasst auch die Behandlung flüssiger oder gelöster Abfallstoffe (vgl geltenden Anspr 1 Merkmale 1 und 1.1), und zum anderen lässt sich das streitpatentgemäße Verfahren im beanspruchten Umfang auch nicht durch mechanistische Überlegungen, beispielsweise betreffend die Art der Wechselwirkung zwischen Natrium und der Wasserstoffquelle, vom Stand der Technik abgrenzen.

Insofern ist der Begründungsansatz der Patentabteilung im Widerrufsbeschluss ausgehend von der aus (1) bekannten Dehalogenierung auch nicht zu beanstanden.

In (1) ist die Enthalogenierung von polyhalogenierten aliphatischen oder aromatischen Verbindungen durch Umsetzung mit metallischen Natrium in einem inerten Lösungsmittel, darunter auch Ether und Polyether, und in Gegenwart eines Protonendonors, darunter auch Amine, beschrieben, wobei die Umsetzung im Hinblick auf das feste, zu dispergierende Natriummetall entweder kontinuierlich oder diskontinuierlich unter Rühren stattfindet (vgl (1), S 3 liSp Z 38 bis 60 iVm Beisp 1). Somit ist aus (1) ein gattungsgemäßes Verfahren zu entnehmen, das bis auf das Vermahlen in einer Mühle und damit Merkmal 2 sämtliche Merkmale des beanspruchten Verfahrens umfasst (vgl (1) Anspr 1).

Der Fachmann, der sich wegen der gemäß (1) erforderlichen Reaktionszeiten von mehreren Stunden und/oder Reaktionstemperaturen von über 120 oC (vgl (1) Beispiele) im gattungsgleichen Stand der Technik nach Möglichkeiten zur Reaktionsbeschleunigung umsieht, wird dabei zwangsläufig unter anderem auf die Druckschrift (23) stoßen, die sich mit dem Dispergieren von Alkalimetallen, insbesondere von Natriummetall, zum Zweck der Behandlung und Beseitigung von halogenorganischen Verbindungen durch Dehalogenierung unter Vermahlen befasst (vgl aaO Titel iVm S 1 Z 5 bis 6 und S 4 Z 13 bis 26 "grinding media"). Insbesondere lässt sich gemäß (23) eine einstufige Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen, beispielweise von PCB-kontaminiertem Öl als flüssigem Stoffgemisch, mit elementarem Alkalimetall in einer Schwingmühle mit Metall- oder Keramikkugeln als Mahlhilfen bereits innerhalb weniger Minuten und ohne externes Erhitzen durchführen, im Gegensatz zum Versuch in einem Schüttelkolben, bei dem sich ein vergleichbares Ergebnis erst nach mehreren Stunden einstellt (vgl (23) S 5 Z 11 "grinding vessels", Z 24 bis 28, insbes Z 25 "vibratory grinder" und S 6 Z 16 bis 21 iVm S 9 Beisp 2).

Somit gelangt der Fachmann ausgehend von einem Verfahren gemäß (1) bei Anwendung der Lehre von (23) ohne weiteres zur reduktiven Dehalogenierung halogenorganischer Verbindungen im flüssigen Stoffgemisch in Gegenwart von Aminen als Wasserstoffquelle durch Vermahlen in einem Schritt in einer Schwingmühle und damit zu einem Verfahren gemäß geltendem Patentanspruch 1 des Streitpatents, welches ebenfalls ein Vermahlen in einer Schwingmühle (vgl hierzu geänderten Anspruch 12) und die Anwesenheit von Aminen (vgl Merkmal 4) umfasst.

Der Einwand des Patentinhabers, der Fachmann habe im Fall der Behandlung von Lösungen keine mechanochemische Aktivierung durch Vermahlen in einer Mühle in Erwägung gezogen, greift insofern nicht, als auch gemäß (23) in flüssigen Medien unter Verwendung einer Schwingmühle und damit unter den Bedingungen des Streitpatents gearbeitet wird.

Es ist aber auch kein Grund erkennbar, der den Fachmann hätte davon abhalten können, die durch (23) vermittelte Lehre zur Reaktionsbeschleunigung durch mechanische Behandlung in einer Schwingmühle tatsächlich auf die Lehre aus (1) anzuwenden. Gerade weil sich sein Fachwissen am Anmeldetag nicht nur auf die an eine Wasserstoffquelle im Zusammenhang mit der reduktiven Dehalogenierung zu stellenden Anforderungen (vgl (24b), S 92 bes Z 4 bis 5 und Z 11 bis 12 von unten, sowie S 93 Abs 2) sondern auch auf die Kenntnis vom aktivierenden Einfluss des Vermahlens (vgl (2) S 5 Z 24 bis 36 und S 6 Z 19 bis 34) erstreckt, konnte der Fachmann nicht umhin, diese beiden wesentlichen Parameter mit in seine Überlegungen und Versuche einzubeziehen. Auf diese Weise gelangt er zum beanspruchten Verfahren, ohne erfinderisch tätig zu werden.

Der Senat kann auch nicht der Auffassung des Patentinhabers beitreten, dass die Kenntnis der Lehre der Druckschrift (2) den Fachmann von der Anwendung einer gesonderten Wasserstoffquelle wegführe (vgl Schrifts v 9. Februar 2004 S 5 le Satz bis S 6 Z 2). Denn zum einen weist die Beschreibungseinleitung in (2) auf eine Wasserstoffquelle bei der Zersetzung halogenierter Kohlenwasserstoffe hin (vgl (2) S 2 Abs 2 bes Z 29) und zum anderen erfolgt das Vermahlen im Beispiel 22 von (2) in Gegenwart von Toluol.

Dass Toluol, das im übrigen nicht zu den im Streitpatent beanspruchten Wasserstoffquellen zählt, bei der reduktiven Dehalogenierung, wie in Beispiel 22 in (2) angegeben, nicht nur als Lösungsmittel, sondern darüber hinaus bei geeigneten Reaktionsbedingungen als Wasserstoffquelle dienen kann, kann der Fachmann aber auch der Lehre der WO 95/18652 A1 (23) entnehmen. Dort werden halogenierte Kohlenwasserstoffe mit Alkalimetall und nichtwässrigen und damit gegenüber Alkali inerten Flüssigkeiten wie Mineral- oder Paraffinölen sowie Toluol oder Xylol in einer Stufe in einer Schwingmühle innerhalb von kürzester Zeit zu 95% zersetzt, während ein solcher Abbau bei gleichem Reaktionsansatz in einem Schüttelkolben erst nach mehreren Stunden erreicht wird (vgl (23) S 6 Z 4 bis 12 iVm Beisp 2).

Für den Stellenwert der Druckschrift (2) als eine betreffend die mechanochemische Aktivierung bei der Dehalogenierung halogenorganischer Rückstände zu berücksichtigende Lehre ist unerheblich, dass, wie der Patentinhaber zutreffend vorträgt, der Abbau in den Ausführungsbeispielen von (2) - entgegen den Ausführungen der Einsprechenden auch im Ausführungsbeispiel 22 - vollständig ist und zu anorganischen Verbindungen führt (vgl (2) S 10 Z 15 bis 18 und S 17 Beisp 22 bes Z 9 bis 11 iVm der Prioritätsschrift (6a) zu (2), S 8 Z 10 bis 15 (ii)).

Der Fachmann konnte zur streitpatentgemäßen Lehre aber auch ausgehend von der Lehre der Druckschrift (23) gelangen.

In (23) wird unter anderem die einstufige Dehalogenierung von halogenorganischen Stoffen, beispielsweise von PCB-kontaminiertem Öl als flüssigem Stoffgemisch, mit elementarem Alkalimetall in Gegenwart von gegenüber Alkalimetall inerten Flüssigkeiten in einer Schwingmühle mit Metall- oder Keramikkugeln als Mahlhilfen und damit ein Verfahren mit den Merkmalen 1 bzw. 1.1, 2, 2.1 und 3 des Streitpatents beschrieben (vgl aaO Anspr 20 iVm Anspr 22, 25 und 27, S 5 Z 24 bis 28 sowie Ausführungsbeispiele S 8 Z 13 bis S 9 Z 26). Wenngleich in (23) der Zusatz von einem oder von mehreren Stoffen gemäß Merkmal 4 des Streitpatents als Wasserstoffquelle nicht beschrieben ist und darüber hinaus auch Ausführungen zum Reaktionsverlauf und -mechanismus fehlen, so bleibt dem Fachmann der Grund für die Zugabe und damit die Funktion von gegenüber Alkalimetall inerten Flüssigkeiten, beispielsweise Mineral- oder Paraffinöle, Toluol oder Xylole (vgl (23) S 6 Z 4 bis 12) nicht verborgen.

Dass die Funktion verschiedener, gegenüber Alkalimetall inerter Verbindungen als Wasserstoffdonoren bei der selektiven Dehalogenierung von halogenorganischen Verbindungen dem Fachmann grundsätzlich bekannt ist, sieht der Senat im Hinblick auf die Druckschrift (24b) als gesichert an. Denn aus (24b) ist neben dem besonders effizienten Polymethylhydrosiloxan bei dessen Abwesenheit auch die Eignung des Ethers Tetrahydrofuran als Wasserstoffdonor zu entnehmen (vgl aaO S 93 Abs 2 iVm S 92, jeweils von unten gezählt die Zeilen 4 bis 5 sowie 11 bis 12). Ein solcher Ether ist dem Fachmann auch aus (1) als gegenüber Alkalimetall inertes Lösungsmittel neben aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen bekannt (vgl (1) S 2 re Sp Z 56 bis 68)

Aufgrund dieses Kenntnisstandes war es für den Fachmann auch ausgehend von (23) in Verbindung mit (24b) naheliegend, als gesonderte Wasserstoffquelle gemäß Merkmal 4 des Streitpatents nicht nur Polymethylhydrosiloxan (vgl geltenden Anspr 1) sondern auch den cyclischen Ether Tetrahydrofuran (vgl geltenden Anspr 1 iVm StreitPS Sp 4 Z 8 bis 10) einzusetzen und damit ohne erfinderisches Zutun zur beanspruchten Lehre des Streitpatents zu gelangen.

Die Bewertung des beanspruchten Verfahrens im Hinblick auf den in Betracht gezogenen Stand der Technik ist so eindeutig, daß es eines weiteren Eingehens auf die in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Beweisanzeichen, nämlich die Verbilligung und die Bemühungen der Fachwelt, nicht mehr bedurfte (vgl. Schulte PatG 6. Aufl. § 4 Rdn 67).

Der Patentanspruch 1 ist damit nicht gewährbar. Die Unteransprüche 2 bis 12 teilen das Schicksal des Anspruchs 1 (vgl BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

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BPatG:
Beschluss v. 16.02.2004
Az: 15 W (pat) 23/03


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